Hello Darkness, my old friend

Spazieren gehen tut dem Körper gut, der Seele sowieso und manchmal auch dem Intellekt. Ich habe heute morgen einmal mehr – zu meinem Bedauern immer noch eine eine meiner schlechteren Angewohnheiten – mehr oder weniger kurz in Facebook geschaut und dort festgestellt, dass mal wieder Polit-Trash-Discussion-Time ist. Diskutiert wurde über den Film „Kleine Germanen“, der natürlich auf beiden Seiten Beißreflexe ausgelöst hat. Auf der einen, weil die links-grün-versiffte Medienlandschaft wieder mal vermeintliche Lügen über die wahren Deutschen Patrioten verbreitet (was objektiv betrachtet leider nicht immer wahr ist); und auf der anderen, weil natürlich jeder, der Worte wie Volk, Patriot, Vaterland und Stolz in einem ganzen Satz (oder Absatz) benutzt, automatisch ein Nazi ist (was ebenso wenig stimmt)…

Im Grunde genommen ist also gar nichts Unerwartetes passiert. Unerwartet waren jedoch die Gedanken, die das in mir ausgelöst hat. Ich war ja nun in den letzten Jahren nie weit entfernt von harscher Kapitalismus- und Gesellschafts-Kritik, aber meine vagabundierenden Gedanken stolperten über einen alten Song, den ich sehr schätze: „Sound of Silence“ von Simon & Garfunkel. [Ich oute mich hier als Oldschooler – die Version von Disturbed mag ich nicht!] Jedenfalls blieben meine Gedanken an dem Song hängen und ich ging ihn noch mal durch. Nichts an diesem Text ist Füllwerk, denn er erzählt eine Geschichte von Entfremdung, Vereinsamung und Bedeutungsverlust im Angesicht moderner Zeiten, die flüsternd jeden Winkel unseres Daseins vergiften:

I’ve come to talk with you again
Because a vision softly creeping
Left its seeds while I was sleeping
And the vision that was planted in my brain still remains
Within the sound of silence

Kann es sein, dass die ständige Berieselung einen großen Teil von uns endgültig in durchkonformisierte Konsum-Sklaven verwandelt hat? Sind wir nicht mehr fähig, in der Öffentlichkeit differenziert über bestimmte Dinge zu reden, weil die Vereinfachungs-Didaktik der Werbung endgültig auch die politische Meinungsbildung erobert hat? Und falls dem tatsächlich so ist, warum bemerke ich das erst jetzt, wo Simon & Garfunkel doch vor 55 Jahren schon darüber gesungen haben…?

In restless dreams I walked alone
Narrow streets of cobblestone
‚Neath the halo of a streetlamp
I turned my collar to the cold and damp
When my eyes were stabbed by the flash of a neon light
That split the night
And touched the sound of silence

Und warum bemerken so viele andere nicht, dass sie geblendet werden?

And in the naked light I saw
Ten thousand people, maybe more
People talking without speaking
People hearing without listening
People writing songs that voices never shared
No one dared
Disturb the sound of silence

Es wäre arrogant zu vermuten, dass ich der Einzige bin, dem solche Gedanken durch den Kopf gehen. Einerseits, weil offensichtlich Künstler und Intellektuelle schon vor langer Zeit gesehen haben, welchen Weg unsere Gesellschaft nimmt. Man mag über Noam Chomsky denken, was man will, aber sein Buch „Manufacturing Consent“ (zusammen mit Edward S. Herman) ist schon ein Augenöffner. Öffentliche Meinung wird selbstverständlich gezielt zu beeinflussen gesucht. Die Kampagnen rund um Richard Nixons „War on drugs“ illustrieren dies eindrucksvoll. Andererseits, weil sich immer wieder Kampagnen gegen den, von der Politik vorgesehen Weg formieren. Was diese im einzelnen erreichen wollen und welche Methoden sie dafür nutzen, darf diskutiert werden (siehe die „Gelbwesten“ in Frankreich); Fakt ist jedoch, dass durchaus viele Menschen durch die Illusionen sehen und sich eine eigene Meinung bilden können. Eine Meinung ist zunächst etwas individuelles. Erst wenn sich viele Gleichgesinnte finden, wird aus einer Meinung eine Agenda…


„Fools“, said I, „You do not know“
„Silence like a cancer grows
Hear my words that I might teach you
Take my arms that I might reach you“
But my words like silent raindrops fell
And echoed in the wells of silence

Ja, warum ist das so, dass trotz der Möglichkeit dazu viele Menschen es nicht sehen, es nicht fühlen, es nicht verstehen können? Verstehen wollen? Weil auch jene, welche die öffentliche Meinung schon seit so langer Zeit beeinflussen, eine Agenda haben. Und sie haben es gewiss nicht verabsäumt, diese Agenda bei jeder sich bietenden Gelegenheit in unsere Köpfe zu hämmern:

And the people bowed and prayed
To the neon god they made
And the sign flashed out its warning
In the words that it was forming
And the sign said
„The words of the prophets are written on the subway walls
And tenement halls
And whispered in the sounds of silence

„Neon Gods“… ich mag diesen Terminus, denn er sagt in seinem gewaltigen Bedeutungsüberschuss fast alles, was es dazu zu wissen gibt. Ich bin mir sicher, als Neil Gaiman seinen Roman „American Gods“ verfasste, hatte er dieses Lied zumindest dann und wann im Hinterkopf. Doch wo führen mich meine ganzen Überlegungen über einen uralten Song hin? Nun…dahin, zu denken, dass unsere diskursiven Fähigkeiten durch Propaganda vergiftet sind. Der Mythos der Einfachheit (und Alternativlosigkeit) politischen Handelns, der von allen Seiten stets auf’s neue befeuert wird, macht die meisten Menschen zu willfährigen Anhängern dieser oder jener Agenda, die sich – langsam, aber unaufhaltsam – zu Dogmen verfestigt. Und ein Dogma erlaubt keine fruchtbare Diskussion mehr. Wir leben folglich im Zeitalter der Dogmen.

Ich weiß, dass meine Einsichten nur wenige weiter bringen werden, aber viele Wenig machen ein Viel. Vielleicht kommen wir ja doch wieder dazu, uns über die Dinge verständigen zu können, nicht nur despektierlich übereinander her zu ziehen. Uns zusammen zu setzen, um uns auseinandersetzen zu können. Das wäre mein Wunsch. In diesem Sinne – ein schönes Wochenende!

Auch zum Hören…

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