Erwachsen bilden N°27 – Learning meets Gaming…

Ich habe angefangen eine Serie auf Netflix zu schauen, die sich mit der Entwicklung der Konsolen- und Computerspiele befasst: „High Score“ weckte an einigen Stellen beinahe wehmütige Erinnerungen an vergangene Spielerfahrungen. Aber speziell die dritte Folge, welche sich mit Rollenspielen (hier speziell den Computer-Vertretern dieser Gattung) befasst, hat in mir ein paar Denkprozesse in Bewegung gebracht, die sich um die Frage drehen, warum wir eigentlich zocken und was das mit Lernen zu tun hat? Ich werde den Fragen in diesem Text zumindest ein wenig nachspüren…

„Sense of wonder“. Aus meiner Sicht ist es sehr schwer, diesen Begriff aus dem englischen treffsicher und vor allem sinnerhaltend zu übersetzen. Neulich fand ich auf Zeit-Online eine Umfrage zum Thema gefühltes und tatsächliches Alter. Ich nahm daran teil und meine Antworten zeichneten das Bild eines Kindskopfes. Zumindest ist das meines Wissens die umgangssprachliche Bezeichnung für jemanden, der seinen Spieltrieb niemals verloren hat und sich sogar redlich bemüht, dies nie eintreten zu lassen. Diese Mischung aus Neugier und gemeinsam überraschen-lassen-wollen (zumindest bei manchen Dingen), gemischt mit einem, gelegentlich an Fatalismus grenzenden Schulterzucken, wenn’s mal wieder nicht nach Plan gelaufen ist, korrelieren im Kontext des Big-Five-Model mit stark ausgeprägter Offenheit für Erfahrungen und Extraversion, sowie zumindest moderat ausgeprägter Verträglichkeit. Wahrscheinlich ist es das, was Menschen dazu bringt, sich nicht so alt zu fühlen, wie der Personalausweis es sagt…

Nun ist es so, dass, wenn man Hattie etwas Glauben schenken möchte, die Persönlichkeit des Lehrers ein wichtiger Faktor für den Erfolg pädagogischer Interventionen ist. Natürlich sind die Daten, auf denen seine Metastudie beruht, nicht mehr taufrisch, was dazu führt, dass der eine oder andere gerne darauf hinweist, dass wir uns die Themen E-Learning und Blended Learning noch mal anschauen müssen. Einverstanden. Allerdings sind die meisten Werke zum Thema Mediendidaktik, auf die man sich heute bezieht für das tatsächliche Design solcher Kursumgebungen nur begrenzt hilfreich. Erkenntnisse aus dem Arbeiten mit Printmedien in der Fernlehre wurden allzu oft beinahe ungeprüft auf New Media und Social Media transponiert. Und die wirklichen Aufgaben der Lehrperson bleiben im Dunkel. Content-Manager? Lernbegleiter? Trainer? Moderator? Beobachter?

Hier kommt nun der Gamer in mir ins Spiel. Meiner Erfahrung nach (das ist jetzt allerdings, wenn überhaupt, höchstens Ego-Empirie) funktionieren lebensnahe Erzählungen am Besten. Das Problem dabei ist Folgendes: in der Erwachsenenbildung setzt sich seit ca 20 Jahren nach und nach das Lernfeldzentrierte Unterrichten durch; ohne das je irgendwer ein echtes Theorie-Gebäude dafür entworfen, untersucht und validiert hätte, oder dass man den Unterrichtenden gute Handreichungen zur Umsetzung mitgegeben hätte. Wir wurschteln uns da trotzdem durch, weil die Erfahrungen uns ja Recht geben. Die Schüler sind jedoch aus dem allgemeinbildenden Schulwesen Fachsystematik gewohnt und fragen am Anfang verzweifelt nach dem roten Faden – und lassen sich in der Folge oft nur sehr schwer besänftigen.

Die Parallelen zum Rollenspiel sind interessant. Auch eine Gruppe von Spielern, deren Charaktere anfangen, ein neues Gebiet zu Erkunden, einem Geheimnis nachzuspüren, einen Gegner zu jagen, müssen zunächst herausfinden, welche Fragen man eigentlich stellen muss. Ich bin, wie hier schon öfter anklingen durfte, ein großer Freund der Mäeutik. Insofern macht es für mich wenig Unterschied, ob ich meinen Schülern im Unterrichtssaal eine Geschichte präsentiere, oder meinen Spieler am heimatlichen Wohnzimmertisch (etwas, dass ich dank Corona sehr vermisse…). Beide Situationen bauen auf einem Narrativ auf, in beiden Fällen muss ich die Teilnehmer dahin führen, die richtigen Fragen zu stellen und in beiden Fällen ist der Ausgang des Tages für mich vorher unklar, denn auch im Unterrichtssaal tauchen manchmal Fragestellungen und Wendungen auf, die ich nicht vorhergesehen habe.

Allerdings muss man auch die Unterschiede klar herausstellen: die intrinsische Motivation meiner Spieler ist auf einem ganz anderen Level, als die meiner Schüler, den Berufsschule ist halt doch eine Pflichtveranstaltung. Die Prämisse des Unterrichtes ist, den Schülern einen Zuwachs an Kenntnissen und Fertigkeiten zu vermöglichen, der in ihnen schließlich die nötigen Kompetenzen reifen lassen soll, gute NotSans zu werden. Am Spieltisch wollen wir einfach nur Spaß haben und zusammen eine Geschichte erzählen. Am Besten eine, an die man sich gerne erinnert. Vor allem die Motivationsdifferenz stellt für den Lehrer UND den Erzähler in mir ein Problem dar. Denn allen Unterschieden zum Trotz funktioniert in beiden Fällen das Narrativ nur, wenn alle (oder wenigstens fast alle) mitmachen, sich auf meine Erzählung einlassen, versuchen die richtigen Fragen zu finden – und diese irgendwann natürlich auch zu beantworten lernen.

Hier kollidieren „preußische Tugenden“ wie Fleiß, Ordnungssinn, Gehorsam, etc. mit den modernen Erkenntnissen zum Lernen. Zweifelsfrei sind repititives Imitieren und Üben notwendig, um mechanistische Skills beherrschen zu lernen. Das Verständnis um die wahre Komplexität von Entscheidungsbäumen, die doppelte Handlungslogik, Ethik, Moral und die Notwendigkeit kommunikativen Könnens entsteht jedoch nicht durch bloßes Abschauen und stures Auswendiglernen / Nachmachen, sondern nur durch persönliche Erfahrung, soziale Erfahrung und Reflexion derselben. Vor allem die Fähigkeit, dabei auch die Standpunkte Anderer einnehmen zu können (also auch mal andere Rollen spielen zu können) ist dabei besonders wichtig. Und wenn ich mir nun die Entwicklung der Spiele seit den späten 70ern des letzten Jahrhunderts anschaue (siehe erster Absatz), stellt sich mir die Frage, wie wir unsere Narrative und unsere szenischen Inszenierungen derselben besser gestalten können?

Um es an dieser Stelle deutlich zu sagen: es geht NICHT um Kuschelpädagogik! Es geht darum, in meinen Schülern den gleichen „Sense of wonder“, die gleiche Neugier zu wecken, wie ich sie erlebe. Denn nur, wenn ich sie richtig motivieren kann, funktionieren meine Geschichten – genau wie am Spieltisch. Und das erfordert manchmal eine spielerische Herangehensweise, die dem Entwerfen eines Rollenspielszenarios durchaus ähnelt. Übrigens ähnelt auch das Wachstum der Schüler dem von Charakteren; nur dass ich im Lehrsaal am Ende eines Tages keine Erfahrungspunkte vergebe. Die Leveln dort auf anderer Weise. Ich stelle am Ende dieses Posts fest, dass ich noch ein wenig tiefer in diese Materie eintauchen muss. Darum gibt’s die Tage noch einen weiteren Teil. In diesem Sinne: always game and teach on!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert