Das große Staunen N°0 – Naivität

„Alle haben immer gesagt, dass das nicht geht; dann kam einer daher, der das nicht wusste und hat es einfach gemacht!“ Und wenn er damit wirklich bewiesen hätte, dass etwas zuvor für unmöglich Erachtetes doch funktioniert, bekäme er dafür was? a) einen Shitstorm, weil er sich nicht an die Regeln gehalten hat, b) mindestens 1000 Kommentare, dass er ja eh nur ein Fake sein kann, weil das ja gar nicht geht, weiß doch jedes Kind und c) einen Haufen Ärger mit irgendeiner Behörde, weil er entweder aus Versehen Steuern hinterzogen oder irgendeine obskure Verwaltungsvorschrift verletzt hat – wir leben hier schließlich in Deutschland! Das LÖSEN von Problemen ist bei uns nicht vorgesehen, weil man sonst ja den Arbeitsplatz von jemandem gefährden würde, der Probleme VERWALTET. Willkommen im Heimatland der Bedenkenträger, Zu-Tode-Verwalter, Kleingeister, Spießer, Gschaftlshuber, Nörgler und Nein-Sager. Willkommen im Gestern einer einstmals blühenden Zukunft. Der Titel sagt ja, dass es ums Staunen gehen soll – doch das Erste, worüber man Staunen muss, ist der Mangel an GUTEN Gründen zum Staunen. SCHLECHTE gibt es indes mehr als genug…

Beginnen wir mit Dilettantismus. Bei uns ist der Begriff negativ konnotiert, zumeist wird er so benutzt, als sei damit jemand gemeint, der etwas tut, was er aber nicht kann – und folglich damit eventuell sogar Schaden anrichtet. Tatsächlich ist ein Dilletant aber eine Person, die sich einer bestimmten Sache aus Liebe zu dieser zugewandt hat, und diese Kunst oder Wissenschaft nur um dieser Hingabe zur Sache Willen ausübt – also quasi als engagierter Amateur. Dabei ist nichts darüber ausgesagt, wie weit Kenntnisse und Fertigkeiten in diesem Bereich entwickelt sein mögen – es bleibt Dilettantismus, solange die Sache nicht zum Broterwerb ausgeübt wird. In der Theorie kann ein Dilettant also genauso gut oder sogar besser als ein Profi sein; was in der Realität durchaus gelegentlich vorkommt. Ich selbst bin ein Dilettant mit dem Fotoapparat, was meinem Spaß aber keinen Abbruch tut – ständiges Üben hat meine diesbezüglichen Fertigkeiten im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Motor dafür war und ist die naive Annahme, dass ich die Quellen und die Effektivität meiner Kreativität weiterentwickeln könnte.

Alter Ort – neue ideen…?

Wichtig ist hier der Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität. Wenn ich etwa einen Blogpost schreibe, oder knipsend durch die Gegend wandere, oder Geschichten entwickle, dann ist mir mein individueller Ressourceneinsatz wumpe. [WICHTIG: Ich meine damit NICHT, dass ich Unmengen Geld, Energieträger oder Konsumwaren dafür verpulvere, sondern meine Zeit und mein Engagement!] Ich möchte am Ende ein Produkt haben, welches sich aus meiner Sicht zu teilen lohnt und schaue dabei nicht auf die Stoppuhr. Wenn ich hingegen Content für meinen Arbeitgeber produziere, ist Zeit Geld => der Ressourceneinsatz muss nicht nur das Ziel erfüllen, sondern sollte auch effizient erfolgen. Was aber nun die Quellen meiner Kreativität angeht: die kann man mit mehr Übung nicht unbedingt weiter entwickeln. Man kann seinen Blick für bestimmte Dinge schärfen, indem man Kreativtechniken anwendet: Scrapbooks voller (geklauter und eigener) Ideen, Mindmaps, Sketchnotes und wasweißichnichtnochallem. Zettelgläser. Eine ausgefeilte Ablage für alles mögliche. Lange Surfsessions im Netz, bei denen man sich von einem Thema zum nächsten treiben lässt, bis etwas Klick macht. Schließlich die Gadgets und Gimmicks, um verschiedene Formen von Content produzieren zu können. Aber das alles ersetzt die EINE Fähigkeit nicht, die wahre Kreativität benötigt: naiv staunen können…

Naivität ist auch so ein Begriff, der eine negative Konnotation hat; allerdings erst, sobald er auf Erwachsene angewendet wird. Kindern nimmt man es nicht krumm, wenn man sie als naiv betrachtet, weil „die Augen des Kindes“ die Welt anders sehen. Dieser Allgemeinplatz ist wahr! Denn Kinder nehmen die Welt (noch) nicht als „…Bedenkenträger, Zu-Tode-Verwalter, Kleingeister, Spießer, Gschaftlshuber, Nörgler und Nein-Sager…“ wahr, sondern einfach als Welt! Das eben genannte macht leider das sogenannte Erwachsenwerden aus ihnen. Nun ist „Erwachsen“ kein statischer Zustand, der automatisch nach Beendigung der beruflichen Erstausbildung oder des Erststudiums erreicht wird; andernfalls gäbe es den Begriff „junge Erwachsene“ nicht, dessen Vertreter immer wieder eindrucksvoll illustrieren, wie unwahrscheinlich das dauerhafte Überleben unserer Spezies im Angesicht eines solchen Übermaßes an leichtsinnig-übermütiger Idiotie doch ist. Immerhin kommen wider Erwarten recht viele von Ihnen durch, um dann zu solch bornierten Spaßbremsen zu werden, als die ich mich eben geoutet habe 😉 Schwamm drüber. Fakt ist, dass einem die Fähigkeit zum naiven Stauenen mit wachsendem Alter (und wachsender Verantwortung für dieses oder jenes) ausgetrieben wird.

Wie ausgesprochen bedauerlich. Denn ohne die Naiven (…wusste nicht, dass es nicht geht und hat’s halt einfach mal gemacht…) säßen wir vielleicht noch immer bei Öllampenschein in Holzhäuser und würden unsere Gedanken, so wir des Schreibens mächtig wären, auf Pergament niederlegen. Ich werde mich jetzt nicht zu einem Urteil aufschwingen, ob unserer Welt etwas weniger technologische Entwicklung insgesamt besser getan hätte. Vielleicht wären wir ja auch auf ganz anderen Pfaden gewandelt. Aber ist man erstmal auf einem Pfad unterwegs, auf den sich sehr viele verständigt haben (Individualverkehr mittels Fossilverbrenner z.B.), wird Systemwechsel schwierig. Pfadabhängigkeit realisiert sich in unserer Zeit vor allem durch wirtschaftliche Interessen und deren globale Verflechtungen. Und gegen den Gott Mammon kommt der naive Geist nur schwer an. Ich habe in letzter Zeit bemerkt, dass das Kind in mir zu kurz gekommen ist, was mich unendlich traurig gemacht hat. Ich bemerke diesen Druck zur Effizienz im Berufsleben dauernd und stelle für mich fest, dass mir die Möglichkeiten, kreativ gestaltend tätig zu werden in letzter Zeit immer mehr eingeschränkt wurden. Wie ich darauf reagiere, weiß ich noch nicht. Ich weiß eines allerdings sehr genau: mein inneres Kind muss wieder mehr raus zum Spielen! Egal wie! Und diese Freiheit werde ich mir (wieder) erkämpfen. Versuchts doch auch mal mit Naivität – das könnte ein erfrischender Start in die neue Woche werden!

Transparente Etiketten

Ich konsumiere, also bin ich! Ich meine damit tatsächlich zur Abwechslung mal nicht das Kaufen und Einlagern von weitestgehend nicem aber irgendwie unnötigem Tand, sondern Mediennutzung. Bei mir sind das häufiger mal obskure Musikaufzeichnungen (aber auch Filme und Bücher) aus dem Zeitalter meines persönlichen „coming of age“ – für jene, die das noch nicht mitbekommen haben: ich bin in den 70ern geboren und damit geistig ein Kind der 80er. Ich weiß, das erklärt so einiges. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft dann auch – voll stilecht – im Hintergrund New Wave und Retro Electro in Dauerschleife. Aber im Grunde geht es mir nicht um die 80er als Zeitalter, sondern um eine Stilrichtung, die in jener Zeit weiter entwickelt wurde, und die heute wieder im Trend liegt: Cyberpunk. Ich habe mich an dem Thema schon ein paar mal abgearbeitet [True punks don’t need cyberware!, WTF-punk…? und …punked…? als Beispiele], stehe aber manchmal immer noch im Wald. Long Story short: für viele steht der Begriff „Cyberpunk“ als Synonym für einen Modestil, ein Computerspiel und vielleicht ein, zwei Filme, die sie gesehen haben – und dann denken sie, sie wüssten, worum es geht.

Sehgewohnheiten…?

Ich selbst ringe oft mit Begriffen, weil mir einerseits sprachliche Präzision am Herzen liegt; das ist der Sozialwissenschaftler und Pädagoge in mir, der sich weniger Missverständnisse und mehr Miteinander wünscht. Andererseits haben manche Begriffe oft einen impliziten, also nicht gleich sichtbaren aber dennoch wirksamen Bedeutungs-Überschuss – dass, was wir Konnotation nennen. Ich will es mit einem Beispiel versuchen. Nehmen wir das Wort „Gerechtigkeit“. Auf den ersten Blick ist es einfach: Gerechtigkeit bedeutet, so zu handeln, dass ein Ausgleich zwischen allen beteiligten Parteien in einem Prozess entsteht. But one mans justice is another mans penalty…? Werden also alle Beteiligten den gleichen Blick auf Gerechtigkeit haben, wenn ein Richter sein Urteil verkündet, ein Schlichter im Tarifstreit seinen Vorschlag unterbreitet, oder Menschen zivilen Ungehorsam ausüben, um zum Handeln im Angesicht einer ungewissen Zukunft aufzurufen, und dafür von wütenden Verkehrsteilnehmern in den Bauch getreten bekommen? Ich denke nicht! Was bedeutet, dass subjektiv eindeutige Begriffe sehr oft eine situationsabhängige – und vor allem hoch individuelle – Interpretation erfahren.

Kehren wir zu Cyberpunk zurück: one persons latex-clad Trinity is another persons in-depth look at the ever-changing phenomenon known as „society“. Cyberpunk war nie dieses eine stil-uniforme, einheitliche literarische Genre, sondern stets mehr eine Art Schmelztiegel unterschiedlichster Ideen, Wahrnehmungen und Ängste. Aber den Autoren war eine Sache wichtig – Aspekte gesellschaftlicher Entwicklung künstlerisch zu interpretieren und zu extrapolieren, um so darauf hinzuweisen, was passieren KÖNNTE, wenn man auf diesem oder jenem Pfad ungebremst weiterfährt. Ein einendes Thema war dabei recht oft die Entwicklung hin zu einem Kapitalismus im Endstadium, der anfängt seine Kinder zu fressen. Ohne jetzt allzu apokalyptisch klingen zu wollen – da sind wir längst. Andernfalls hätte nicht mein zweiter Satz in diesem Post auf typischen Consumerism des frühen 21. Jahrhunderts hingewiesen. Wir rennen zugegebenermaßen nicht alle mit Chrom im Körper rum, wie in Night-City (=> Cyberpunk 2077) Unsere Menschlichkeit opfern wir auf andere Weise. Man kann auch ohne Chrom so sehr mit dem Internet verwachsen sein, dass man sich selbst, oder besser seine Verbindung zu wahrem Menschsein (also realem sozialem Miteinander und Solidarität) verliert und sich somit selbst beschädigt. Sich dann mittels Medienkonsum abzulenken, ist das unzureichende Pflaser für die Wunden auf der Seele, die uns die De-Humanisierung unserer Welt tagtäglich zufügt...

Verschiedene Autoren hatten unterschiedlich Vorstellungen von der Zukunft; aber ihnen allen war gemein – und ist dies teilweise bis heute – dass ihre papiergewordenen Blicke auf diese potentiellen Zukünfte übernüchtern bis pessimistisch ausfallen. Ich selbst bin kein übernüchtern pessimistischer Mensch, aber ich nutze solche Szenarien, um meine eigene Wahrnehmung für die Welt und ihre Dynamik zu schärfen. Und selbstverständlich nutze ich sie zum Zwecke der Unterhaltung. Sowohl als Konsument (Bücher, Filme, Musik), als auch als Produzent (Pen’n’Paper, Schreiben). Kulturprodukte sind natürlich stets dem Zeitgeist unterworfen. Wenn man sich heutzutage manche Filme (speziell „Komödien“ und „Actionfilme“) aus den 80ern und 90ern anschaut, rollen sich einem die Fußnägel soweit auf, dass man ein Bügeleisen braucht. Damals war’s aber cool. Eines der Probleme, die daraus für Menschen meines Alters erwachsen ist, dass wenn man einem nostalgischen Impuls folgend, jene ehemaligen Orte der ungetrübten Freude aufsucht, oftmals mit erheblicher Ernüchterung konfrontiert wird. Schaut euch doch noch mal mit halbwegs erwachsenem Blick „Waynes World“ an. Oder „Bill und Ted“. Oder „Action Jackson“. Oder „American Fighter“ – Yuck…

Cyberpunk war schon immer so viel mehr als hackende, latextragende, im Neonglitzer der Tech-Slums umherstromernde Outlaws, die lässige One-Liner raushauen und nebenbei alles wegputzen, was ihre Hood bedroht. Das sind alles nur Etiketten, der klägliche Versuch von Marketing. Dabei ist so transparent, dass die Essenz des Begriffes Cyberpunk von diesen Möchtegern-Medienschaffenden nicht verstanden wurde, dass es einem schon fast weh tut. Denn um den vorhandenen Subtext von bestehenden Kulturprodukten verstehen und eventuell neu interpretieren zu können, muss man sich a) mit den Kommunikationsmodi verschiedener Kunstformen beschäftigen, b) bereit sein, seinen eigenen Blick auf die Dinge mal beiseite zu lassen, um die die Welt durch jemand anderes‘ Augen sehen zu können und c) Historizität verstehen lernen. Die 80er waren eine andere Zeit, als unsere heutige – alle Probleme, Fehler und Glitches inbegriffen. Das bedeutet jedoch minichten, dass damals alles schlimm war. Es war anders, weil die Wahrnehmung anders war. Und Künstler wie Neal Stephenson, William Gibson, Philip K. Dick haben aus jener Zeit heraus in eine Zukunft geschaut, die von unserer heutigen Realität in mancher Hinsicht nicht allzu weit entfernt ist – auch wenn ChatGPT noch keine Wintermute ist (1984: Gibson => Neuromancer).

Kunst ist Kommunikation – man braucht also die richtige Sprache, um Kunst dekodieren zu können. Was mich betrifft – ich kehre immer mal wieder zu den alten Sachen zurück. Nicht etwa, weil ich neueren Kulturprodukten nichts zutraue, sondern um mich auf meine Wurzeln zu besinnen, und das Delta, also die Unterschiede im Ausdruck und in der Dynamik für mich selbst fassbar zu machen. Außerdem ist es – insbesondere bei Filmen – eine gute Schule für die Sinne. Achtet mal auf die lausige Schnitttechnik und Kameraführung bei so manchem modernen Film – 30 Schnitte pro Minute suggerieren nur wahrnehmungs-gestörten Kognitionsallergikern Dynamik, verwirren aber jene, die sich Qualität wünschen; klassisches Centerframing ist schon echt kompliziert, gell. Man versucht mit optischer Hektik meist einfach nur ziemlich ungeschickt, das Unvermögen mancher Kameraleute, Schauspieler und Regisseure zu kaschieren. Brauch ich nicht. Da bleibe ich lieber – meinen Seh- und Hörgewohnheiten treu – ein oldschooliger Cyberpunker, auch wenn selbst das wahrscheinlich nur ein transparentes Etikett ist; es verdeckt den Umstand, dass es MIR vor allem um den Punk, also das Aufbegehren gegen den Status Quo geht, nur unzureichend. Ist mir Recht. Ich wünsche euch einen guten Start in die neue Woche.

Auch als Podcast…

Der verwirrte Spielleiter N°51 – …so many ways (not) to die!

„Ist das Spiel jetzt vorbei…?“ Um es gleich vorweg zu nehmen: ich kille als SL eher selten Spielercharaktere. Das ist nicht der Fall, weil die Aufgaben und Gegner, denen sich meine Spieler*innen stellen, einfach wären (manchmal sind diese sogar geradezu lächerlich tödich), sondern eher, weil sie a) eigentlich immer mit Reaktionen und Lösungen um die Ecke kommen, die mich (und damit auch meine NSCs) kalt erwischen und sie b) im richtigen Moment verdächtig oft verdammtes Glück haben – oder ich als SL verdammtes Pech. Kann man sehen wie man will. Ich hätte auch behaupten können, dass die Begegnungen, welche in Kämpfe münden, halt gut ausbalanciert wären; aber das stimmt nicht. Die spielmechanischen Regeln in vielen Pen’n’Paper-Systemen suggerieren nämlich lediglich die Vergleichbarkeit von Kampfstärke, magischer Macht, etc. – aber sie stellen eine solche nicht her! Das ist auch gar nicht möglich, weil die Beschreibungen in den Quellenbüchern immer Interpretations-Spielräume lassen, welche sowohl Spieler*innen als auch SL kreativ zum jeweiligen Vorteil aunutzen können. Und da wir als SL ja eigentlich Fans der Spielercharaktere sein sollen, lasse ich auch mal Ideen zu, von denen mir klar ist, dass der Designer es eigentlich nicht so gedacht hatte. Ist besonders einfach, wenn man mit seinem eigenen Regelwerk spielt…

…ja, ja – die alten Geschichten! (c) Monika Merz

Eine schwierige Herausforderung, oder der Kampf mit einem mächtiger Gegner bedeuten ja auch nicht, dass man sofort stirbt, wenn man mal seinen Wurf verkackt. Verpatzte Aktionen können es in der Folge zweifellos schwieriger (und damit auch spannender) machen, das Ziel doch noch zu erreichen, aber sie bedeuten NICHT das Ende des Spiels. Mal davon abgesehen, dass auch ein verblichener Charakter, nicht das Ende des Spiels bedeutet – sondern die Vorfreude auf den nächsten Charakter, den man spielen kann. Oder die Hoffnung auf ein Wunder… das hängt allerdings vom bespielten Setting ab. Und wenn der Charaktertod „heldenhaft“ war, hat man dadurch oft eine Geschichte erlebt, die des Erzählens unter Gleichgesinnten Pen’n’Paper-Nerds wert ist. Aber bleiben wir doch noch ein wenig bei verpatzten Aktionen. Natürlich stimmt es schon, dass niemand gerne scheitert, aber wenn wir uns typische Heldengeschichten einmal näher anschauen, dann ist ein zwischenzeitliches Scheitern des/der Helden üblicher Bestandteil der Geschichte; und das schon seit der Beschreibung des klassischen Regel-Dramas:

Ich denke die Story Arcs nicht von den Spieler-Charakteren, sondern von meinen Antagonisten-NSCs her. Was wollen diese tun? Was wollen sie erreichen? Und was würde passieren, wenn sie niemand daran hindert? Dann gebe ich den Chars Hinweise auf etwas, das vielleicht (noch) hinter den Kulissen passiert (=>Exposition), warte ab, wie sie damit interagieren (=>Komplikation und /oder Periepetie) und moderiere die Zeitläufe zwischen einzelnen Encountern/Herausforderungen (=>Retardation), um sie schließlich für das Finale vorzubereiten, dass sie nun i.a.R. selbstätig suchen (=>Katastrophe oder Lysis)! Und das in jeder einzelnen Sitzung, die sich gleichsam in die Core-Story eingliedert, welche nach exakt den gleichen Prinzipien des Regeldramas aufgebaut ist. Mit einem Unterschied: die einzelnen Sessions nach der Session N°0 sind entweder Komplikation, ODER Peripetie, ODER Retardation, bauen also Schleifen auf, die Charakterwachstum in Vorbereitung auf das FINALE GRANDE ermöglichen sollen. 

Schauen wir nun mit dem Vergrößerungsglas durch die Kampage und die Session hindurch in eine einzelne Szene hinein, wird klar, dass die hier beschriebenen, übergeordneten Prinzipien sich auch auf einzelne Aktionen und die Interpretation der Würfelergebnisse durch den/die SL anwenden lassen. Nehmen wir an, ein Char wird auf einer erhöhten Position (Dach) stehend von einer fliegenden Kreatur angegriffen (Exposition => Komplikation => Angriff vs. Parade / Ausweichen), getroffen (Komplikation => Patzer) und vom Dach gestoßen (Peripetie => vom SL zugewiesene und beschriebene negative Konsequenz); das bedeutet jedoch NICHT automatisch das Erreichen der Katastrophe (Charakter stürzt zu Tode), sondern eröffnet mögliche Aktionen, die der Char ergreifen kann, um einem drohenden Schicksal zu entgehen; und dann vielleicht mit einer Hand an der Regenrinne hängend neue Pläne zu machen (Rückkehr zur Komplikation => Reaktion und/oder Akrobatikprobe). Als Folge eines Patzers im wahrsten Wortsinn in der Luft zu hängen, erzeugt Spannung, Spannung erzeugt Drama und Drama macht Spaß, wohingegen Scheitern auf Grund eines einzelnen Patzers keinen Spaß macht. Man nennt das Failing Forward und mehrere Failstates zwischen SIEG und TOD zu haben, steigert die Spannung anstatt der Frustration, wenn’s mal nicht auf Anhieb so läuft, wie sich der/die Spieler das gedacht haben.

Ich meine, mich erinnern zu können, dass ich schon mal sagte, dass die Spieler sich für Ihre Charaktere sehr wohl ein erfolgreiches Überwinden der angetroffenen Hindernisse im Spiel wünschen, aber dass sich der Sieg VERDIENT anfühlen soll; sie wollen ihn nicht geschenkt bekommen. Allerdings ist Encounter-Design im Pen’n’Paper – aus den bereits oben beschriebenen Gründen – ein verdammt schmaler Grat. Einerseits wünschen wir uns alle Spannung, Drama und am Ende ein Erfolgserlebnis. Auf Grund der Unvorhersehbarkeit der Spieler-Handlungen und der Launen der Würfel, die aus klassischem Storytelling zumindest teilweise auch ein Glücksspiel machen, sind aus meiner Sicht solche Werte, wie etwa das Challenge Rating in Pathfinder/Starfinder oder DnD5E aber großer Käse! Es sind solche Sätze in Regelwerken, welche die ILLUSION präziser Steuerbarkeit von Kämpfen erzeugen. Von Hitpoints/Level, festen Fertigkeitszuwächsen pro Level, etcpp. will ich gar nicht erst anfangen. Matt Colville sagte mal (und er hat verdammt Recht), das Encounter-Design nicht aufhört, nur weil eben Initiative gewürfelt wurde. Und trotzdem müssen Encounter nicht ausbalanciert sein. Das Leben in der realen Welt hat auch kein faires Encounter-Design und fühlt sich genau deswegen realistisch an; manchmal sind die Dinge eben, wie die Dinge sind! Auch in der Secondary World sollte es sich also nicht so anfühlen, als wenn Herausforderungen genau an das Können der Chars angepasst wären. Das bricht die Suspension of Disbelief. Sowas kann ich in simulierten Fallszenarien in meinem Lehrsaal machen. Aber bitte nicht am Spieltisch.

Ich denke über diese Aspekte im Moment deshalb nach, weil ich meine Villera-Kampagne in ein klimaktisches Grand Finale manövriert habe – und wir ausgerechnet jetzt, da die letzte Session mit einem derben Cliffhanger geendet hat, mit Terminfindungsschwierigkeiten zu kämpfen haben. Was mir reichlich Zeit gibt, über Encounter-Design nachzudenken; und eine Nachfolge-Kampagne. Ob das meinen Spieler*innen zum Nachteil gereichen könnte, müsst ihr die Betroffenen hinterher fragen. Ich hoffe vor allem, dass wir alle Spaß daran haben werden. Schließlich bin ich als SL auch ein Spieler am Tisch. Wir hören uns. And never forget – always game on!

Auch als Podcast…

New Work N°14 – …und das Leben zieht vorbei.

Verdammt schwierig, sich darauf einzustellen, dass es morgen wieder losgeht. Ich las neulich irgendwo einen Artikel, der darauf abstellte, dass viele Menschen in der Nacht von Sonntag auf Montag deshalb schlecht schlafen, weil die Erwartung der bevorstehenden Arbeitswoche sich wie ein Leichentuch auf die evtl. im Laufe des Wochenendes erworbene Erholung legt und diese so zunichte macht. Nun ist heute Ostermontag, wir haben also eine Zeitverschiebung des Wahrnehmungsbias, was am entstehenden Druck leider nix ändert. Und ich kann bestätigen, dass ich diesen Effekt auch schon mehr als einmal erlebt habe. Da liegt der Osterhase also im Pfeffer. Die Arbeitswoche scheint in gewisser Weise der Endgegner unserer Zeit zu sein, was den Ruf nach der 4-Tage-Woche umso verständlicher erscheinen lässt. Da sieht man einmal mehr die Zweiteilung zwischen diesen Individuen, die Leben und Arbeit am liebesten vollkommen entgrenzt sähen und alles unterhalb der 50h-Woche als hartes Prokrastinieren betrachten – und am Gegenpol jene, die jeden Strich zuviel als Zumutung und persönlichen Angriff auf die Integrität ihres Daseins betrachten. Natürlich sind das zwei Beschreibungen, die vielleicht zur besseren Illustrierung des Sachverhaltes geringfügig überezeichnet wurden; obwohl…

Es ist legitim, Arbeit als Quelle von Sinn im Leben zu betrachten; oder eben auch nicht. Denn irgendwie läuft es ja doch wieder auf psychologisches Framing hinaus. Erlebe ich Arbeit als Zumutung, als dauernde Überforderung, als Einschränkung der persönlichen Freiheit, dann ist es nur logisch, den Re-Start von Arbeit (zumal nach einem langen Wochenende) als Bedrohung wahrzunehmen. Da wird vermutlich auch kein Yoga helfen. Liebe ich meinen Job und die Herausforderungen darinnen, und empfinde ein hohes Level an intrinsischer Motivation, kann ich’s vielleicht kaum erwarten, wieder hinzugehen. Beides kann übrigens zu schlechtem Schlaf führen. Es ist die Dosis, die macht, dass ein Ding ein Gift ist. Arbeitsverträge versuchen diese Dosis zu normieren, und zwar unbeachtet der Tatsachen, dass a) nicht jede*r gleich leistungsfähig ist, b) Leistungsfähigkeit auch im Zeitlauf variieren kann und c) die Normierung von Leistung, je nach Gewerk, mitnichten einfach ist. NIEMAND performed also jeden Tag gleich gut (oder schlecht), und was Leistung jeweils überhaupt ist, bedarf einer präzisen Definition.

Es ist daher kein Wunder, dass die Debaten um Arbeitszeitmodelle (Gleitzeit, Zeitkonten, 40h-Woche vs. 4-Tage-Woche, etcpp.) und Arbeitsorte (Präsentismus im Cubicle, Großraum oder Open-Space-Office ohne dedicated Desks, Home-Office, Remote-Work und jede Mischung davon) teilweise mit der Intensität heiliger Shit-Storms geführt werden und jede*r stets zuerst und vor allem seine/ihre eigene Sicht auf Basis seiner/ihrer eigenen Erfahrungen propagiert. Denn der eigene Tellerand ist der Horizont. Und dabei haben wir über neue Geschäftsmodelle, Geschäftsziele und Beteiligungsformen (also echte New-Work-Ansätze) noch überhaupt nicht gesprochen! Nur weil meine Firma einen „Purpose-Evangelist“ beschäftigt, heißt dies noch lange nicht, dass die Arbeit auch tatsächlich nachhaltigen Zwecken dient und Sinn stiftet. Da helfen Obstschalen, Tischkicker, Bionade-Kühlschränke, Achtsamkeitsseminare und der ganze andere hippe Möchtegern-Mitarbeiterbindungs-Schnickschnack halt auch nicht weiter…

Denn bei all den großen und kleinen Stürmen im weltweiten Informations-Ökogewebe gerät zumeist außer Sicht, dass es NICHT die eine Wahrheit und auch NICHT den einen Weg GEBEN KANN! Für manche zieht das Leben vorbei, wenn sie subjektiv zu viel arbeiten müssen, bei anderen ist es genau andersherum – aber auf dem weiten Feld zwischen den Extrempolen, da wo die REALITÄT passiert, sind vielerlei Philosophien anzutreffen, denen unsere heutige Arbeitswelt weder die passende Nische, noch die richtige Unterstützung zu geben vermag, damit das individuelle Potential sich entfalten kann. Und ich meine das Letztgesagte NICHT in dem Sinne von „er/sie/them verdient jetzt maximal Kohle für unser Unternehmen!“, sonder eher als „er/sie/them kann jetzt dem individuellen Naturell gemäß seine/ihre indiviuellen Kompetenzen entwickeln – und wir verdienen auch etwas Kohle dabei…“ Denn das Leben zieht so oder so an jedem von uns vorbei; und es wäre doch total charmant, wenn man anerkennen würde, dass sich unser Verhältnis von Arbeit als Handelsware, die nur allzu oft unter Preis verkauft werden muss, weil die Gesellschaft Investmentbanker höher wertschätzt als Pflegekräfte hin entwickeln muss zu einem Verständnis von Arbeit als Dienst für die Gemeinschaft. Mal davon abgesehen, dass sich die Arbeitswelt gerade eh rasant verwandelt. Und da ist ChatGPT noch nicht mal eingepreist…

Ich habe keine Ahnung, ob ich heute Nacht gut schlafen werde, da ich morgen früh für meine Verhältnisse verdammt früh aus den Federn muss; ich bin nämlich eigentlich einer dieser spätaufstehenden Abends-lang-Arbeiter. Wie’s auch kommt, ICH lasse mein Leben nicht einfach nur vorbeiziehen und gräme mich, dass es nicht so läuft, wie ich mir das wünschen würde, sondern versuche, was aus meinen Möglichkeiten zu machen – und damit meine ich ganz explizit NICHT Dauerarbeiten. Ich versuche aber, mir die Freiräume und die Flexibilität zu erorbern, die ich brauche, um lange gut funktionieren zu können. Und nebenbei räume ich den Weg für Andere gleich mit frei. Mal sehen, was die nächsten Wochen bringen. Ich wünsche euch einen guten Start in die Post-Oster-Woche. Schönen Abend.

Auch als Podcast…

Relevant…?

Angeblich sei so ein österlicher Familienbesuch fast genauso gefährlich, wie ein weihnachtlicher, las man dieser Tage in irgendwelchen Postillen. Liegt wahrscheinlich daran, dass man zu diesem Feste seine Geschenke auch noch selber suchen muss, anstatt sie fein säuberlich aufgestapelt unter einem mit Lametta zugekleisterten Nadelgehölz vorfinden zu können. Vorhersehbar ist das Ganze in seiner Formelhaftigkeit dennoch, denn Gärten wechseln ihr Antlitz nicht alle paar Wochen, so dass die Zahl möglicher „Verstecke“ zumeist überschaubar bleibt. Und wehe, es regnet auch noch. Denn den April hindurch, wo Ostern ja üblicherweise stattfindet, ist das Wetter bekanntermaßen launisch… was sich dann auch auf die Gäste übertragen kann. Überhaupt diese Schenkerei. Es kommt einem fast so vor, als wenn Weihnachten und ein Geburtstag pro Jahr einfach nicht genug sind, um die Welterhitzungsmaschine „NUTZLOSER KONSUM“ am Laufen zu halten. Nun ja. Mit einem christlichen Fest hat das dann doch nur noch wenig zu tun, nicht wahr…

HAHA – erwischt! Er hat gerade selbst „christlich“ gesagt, nachdem er doch gestern der christlich geprägten Kultur erstmal eine satte Verbalwatschen verpasst hatte; oder präziser gesprochen der institutionalisierten Prägerin christlicher Kultur, der Kirche. Ja stimmt, aber du kommst ja auch, wenn du irgendwo in Europa alte Steine knipsen magst, jetzt eher schlecht an Sakralbauten aller Art vorbei. Die Dinger hatten einst gleich mehrere Funktionen: sie waren a) Stein gewordenes Gotteslob b) sichtbare Machtdemonstration und c) Orte der Versammlung. Und welchen Eindruck muss wohl ein einfacher Mensch des Spätmittelalters bzw. der Frührennaissance gehabt haben, wenn er eines so monumentalen Bauwerkes, wie etwa des Freiburger Münsters angesichtig wurde? Welches Bauwerk hatte denn damals sonst innen eine lichte Höhe von über 25 Metern? Hier hat der Glaube im wahrsten Wortsinn Berge (oder wenigstens Hügel) versetzt; und diese Leistungen sollten einem auch heute noch tiefsten Respekt abnötigen. Denn wie viel Überzeugung und auch Opferwillen brauchte es wohl, um derlei Bauwerke mit den eher kruden Mitteln jener Zeit vollbringen zu können? Ich kann mir das nicht wirklich vorstellen.

Also wandere ich an solchen Orten fasziniert umher und bin ganz kurz sogar von der Idee angetan, dass es evtl. tatsächlich etwas geben könnte, dass über unsere schnöde irdische Existenz hinausweist – oder um es mit den Worten eines sehr lieben Freundes zu sagen: ich lecke lustvoll an der Essenz des Seins. Nur um im nächsten Moment durch die Vielzahl anderer Menschoiden, die acht- und gedankenlos durch das Bauwerk mäandern, als sei es ein Einkaufszentrum daran erinnert zu werden, warum ich a) Menschen im Großen und Ganzen hasse und b) denke, dass die Menscheit ihren selbstverschuldeten Untergang irgendwie doch verdient hat. Bin ich gerade zynisch? JA – insbesondere, wenn man weiß, dass Zyniker enttäuschte Romantiker sind. Es ist das Sakrileg der Oberflächlichkeit und des achtlosen Egoismus, welches unsere Zeit entzaubert. Ich las vorhin, dass Pablo Picasso heute vor 50 Jahren verstorben sei – und dass seine Relevanz als Künstler mittlwerweile in Frage stünde. Da kann man drüber diskutieren, der Kubismus und Expressionismus stehen ja im Moment insgesamt nicht mehr so hoch im Kurs. Die Frage, die dann allerdings gestattet sein muss, ist Folgende: was ist mit Frida Kahlo, was mit Wassily Kandinsky, mit Gabriele Münter, etc.? Muss sich deren Werk immer und immer wieder als relevant erweisen, oder genügt es nicht einfach, dass hier geniale Künstler ihrer jeweiligen Zeit einen Stempel aufgedrückt und neue Wege aufgezeigt haben? Ist ein Work of Art wertlos, weil seine Zeit vorbei ist, oder bleibt es wertvoll, weil es aus seiner Zeit heraus auf Dinge verweist, die auch zu anderen Zeiten Relevanz haben können? Oder muss sich heute alles dem DIKTAT DES JETZT unterwerfen, weil andere Zeiten nicht nur anders, sondern in mancher Hinsicht, subjektiv wie objektiv, schlechter waren? Immerhin haben die Künstler zu allen Zeiten das jeweils Schlechte in seiner banalen Absurdität sichtbar gemacht…

Ich weiß es nicht; ich finde es aber wert, über die Frage nach der Relevanz immer wieder neu nachzudenken. Nicht nur bei einem speziellen Künstler und seinem Werk, der jetzt gerade mal wieder in der medialen Rezeption aufbrandet; sondern in allem was ich, was wir als Menschen so erleben, tuen oder auch lassen, schaffen oder zerstören also durch unsere Existenz berühren. Und nicht nur wir heute, sondern auch die Generationen vor uns. Denn man kann immer und überall und vor allem auch von vorangegangenen Generationen noch etwas dazulernen. Nur eine Sache hatte noch niemals tatsächlich irgenwelche Relevanz, dürfte eigentlich auch heute keine haben und hat (hoffentlich) irgendwann in der Zukunft tatsächlich keine mehr: acht-, sinn-, und nutzloses Konsumieren! So als wenn man durch eine Kathedrale läuft, deren Imposanz einen der Mühen gemahnen könnte, die Menschen früherer Zeitalter um einer bloßen Idee Willen auf sich genommen haben – und dabei die ganze Zeit nur auf seine Taschenwanze glotzt, um später sagen zu können: „Freiburger Münster? Ja kenn ich, is’n Haufen Steine…“ So viel Egozentrismus braucht die Menscheit nicht. Schönen Tag noch.

Auch als Podcast…

Tanzverbot!

Ich will nicht undankbar klingen, denn immerhin habe ich momentan frei. Die letzten Tage waren zwar unlustig, weil ich mich immer noch mit den Nachwehen eines garstigen Infektes herumschlage, aber immerhin – nicht im Office und auch nicht im Lehrsaal. Manche Amtsgeschäfte wurden dennoch erledigt, aber jetzt ist ganz plötzlich Ostern. Karfreitag, to be precise. Und ein bisschen frage ich mich schon, warum wir diesen ganzen christlichen Retrofanz immer noch betreiben? Oder glaubt im Moment etwa doch noch eine signifikante Zahl der Bürger*innen und deren Kinder*innen an göttlich induzierte Wiederkunft eines langhaarigen Wunderkindes mit revolutionären Ambitionen? Immerhin haben seine biblisch erzählten Aktionen stets etwas Aufrührerisches, was – so man denn die Geschichten fürwahrnehmen wollen würde – schlussendlich auch zu seiner Hinrichtung geführt hätte. Die Römer als Besatzungsmacht hatten da, genau wie anderthalb Jahrtausende später die Spanier, Holländer, Portugiesen, Briten, etc. wenig Toleranz, wenn es um irgendwelche schrägen Ideen ging, die Aspekte ihrer Machtbasis in Frage stellten. Irgendwie war die historische Figur, die vermutlich als erzählerische Blaupause für den Heiland gedient hat, vermutlich eher so was wie ein prämoderner Agitator, Revoluzzer, oder gar Terrorist… Am Ende sogar noch ’n Soze…

Manchmal gerät das große Ganze aus dem Blick…

Geblieben ist von alldem wenig mehr als ein Konvolut an Geschichten, die in recht sperriger Sprache aus einer Zeit überliefert wurden, in der es noch nicht allzu üblich war, alles – von der Politik bis zu alltäglichen Banalitäten – abbilden oder irgendwie mit Worten beschreiben zu wollen. Hätten die Phönizier Instagram erfunden, wäre der Seehandel auf dem Mittelmeer wahrscheinlich noch schneller in Fahrt gekommen. Und was hätte das für einen Ärger gegeben, wenn die neuesten Post-Platten von Influenzella und Verpassjanix in einem nicen kleinen Sturm abgesoffen wären? Man stelle sich nur vor, dass die neueste Mode aus Lutetia schon im nächsten Monat in Syria Palaestina bekannt geworden wäre, als Abbild auf stylischer Marmorpaneele vom gallischen Händler Otto Modemachmix per Schnellgaleere aus Ostia Antica verschifft und in Jerusalem per Schnitzerei vervielfältigt an alle Sequentiaten*innen verteilt? Ja, dann wäre es vielleicht auch nicht dazu gekommen, dass Jesus nach dem triumphalen Einzug am Palmsonntag schon bald – für 30 Silberlinge verraten, wie die Mär so geht – ans Kreuz genagelt wurde, um am Ostersonntag, mir nix dir nix, aus seinem Grab spaziert zu kommen. Wie gesagt, wir reden über Geschichten, die allen Körnchen Wahrheit zum Trotze, die an ihnen kleben mögen, einen Mythos erzählen, der nicht bewiesen werden kann, sondern geglaubt werden soll, um seine Wirkung zu entfalten – Feiertage zum Beweihräuchern inclusive.

Und Wirkung wird hier immer noch entfaltet; nur nicht so, wie man sich das gemeinhin vorstellen möchte. Es ist doch so, dass Kultur ein Prozess ist, und dass sich die Dinge ändern. Manchmal tun sie dies langsam, manchmal schnell, aber in jedem Fall bleibt alles anders. Und Religion ist – pardon me for heresy – nichts weiter als ein Kulturprodukt, entsprungen aus dem Wunsch, dem Unbeschreiblichen eine Beschreibung zu geben, oder wenigstens der subjektiven Willkür des Schicksals irgendeinen Sinn. Daran ist nichts Verwerfliches, da wir alle manchmal am Zufall und seinen Kapriolen zu knabbern haben. Verwerflich ist eigentlich nur, dass es eine Organisation gibt, die aus diesem Bedürfnis über lange Zeit reichlich Kapital geschlagen hat… und dies teilweise auch heute noch tut: die „gute“ alte Mutter Kirche. Ich weiß, ich weiß, die Kirche von heute ist mit der aus dem finsteren Mittelalter nicht mehr zu vergleichen, die seelsorgerischen Aufgaben, die sie übernimmt, der Trost, den sie spendet, Schwarberlabarberlapapp. Und trotzdem bekommt sie immer noch jedes Jahr Ausgleichszahlungen für die verloren gegangenen Kirchengüter. Im Jahr 2022 waren das 687,5 Millionen Euro! Für was? Dafür, dass man früher voll schöne Ablassbriefe kaufen konnte? In letzter Zeit hörte ich häufiger das Argument, dass wir halt eine christlich geprägte Kultur hätten. Doch ist das überhaupt noch so? Und wird das in alle Zeit so sein? MUSS das in alle Zeit so sein? Und welchen Wert hat das überhaupt?

Wir haben ein säkulares Staatswesen (siehe Artikel 140 GG), eine Bevorrechtung der Kirchen durch Ausgleichszahlungen für entgangenes Landeigentum, durch ein eigenes Arbeits- und Tarifrecht, etc. ist daher weder zeitgemäß noch verfassungskonform! Also weg damit! „Aber, aber die schönen freien Feiertage…!“, höre ich euch rufen. DIE kann man auch feiern, ohne sich auf das Christentum zu beziehen. Tun doch 47,9% der Deutschen, die nicht mehr in der Kirche sind, oder sowieso anderen Konfessionen anhängen eh schon seit Jahr und Tag. Da kann man von Gewohnheitsrecht sprechen, würde ich sagen. Wir leben schon in interessanten Zeiten, in denen so wahnsinnig viel passiert, in denen alle sich vor großen Herausforderungen sehen, in denen eigentlich nur jene Institutionen und Prinzipien bestehen können, die sich als ausreichend anpassungsfähig erweisen – doch die christlichen Kirchen genießen immer noch Privilegien, die andere niemals mehr erreichen können. Tanzverbot und Kino-Zensur wegen eines stillen Feiertages? Ihr könnt mich mal hintenrum heben! Straftanzen sollte man euch lassen, bis Dienstagmorgen um 05:00 und dann ab zur Arbeit. Rohe Ostern…

Auch als Podcast…

Erwachsen bilden N°45 – Erziehungsauftrag…?

Um die Essentials auf den Punkt zu bringen: auch Berufsfachschulen haben einen Erziehungsauftrag! In einer Zeit, in der nicht wenige (vor allem junge) Menschen so ihre Probleme damit haben, in der dynamischen Realität einer sich – subjektiv dauernd – weiter partikularisierenden Welt anzukommen, ist es verdammt schwierig, Vorbild zu sein; weil man ja gar nicht weiß, A) welche Qualitäten das jüngere Gegenüber nun wirklich in einem Vorbild sucht, B) Menschen meines Alters per definitionem „cringe white middle-aged cis-gender males“ sind und C) ja eh keine Ahnung haben, wie das alles funktioniert, weil wir halt einfach Schuld sind. Woran, ist oft genug egal. An dieser Stelle wichtig: no insults taken, no fucks given. Ich jammere nicht drüber, sondern nehme das einfach hin, und bleibe, der ich war und bin. Wir sind also auf dem unebenen Terrain der Persönlichkeitsbildung angekommen, die auch ohne den ganzen Internet-Quatsch, die ganzen Unsicherheiten und verschiedene gesellschaftliche Großtrends (weniger Solidarität, mehr Egoismus, häufig Style over Substance, etc. – ich habe doch schon mehr als genug drüber gelabert…) schon immer schwierig genug gewesen ist. Ich war auch mal dort, wisst ihr.

Ich könnte mich jetzt darauf zurückziehen, es halt nur bei meinen Kindern zu versuchen; also das Erziehen meine ich. Und ich sage bewusst versuchen, denn in der Erziehung ist es wie im Krieg – noch kein Schlachtplan hat die erste Berührung mit dem Feind unverändert überstanden. ABER, ich bin eben auch Leiter einer Berufsfachschule. Und entgegen dem, was ich oft sehe – nämlich das die jungen Leute schlicht normiert und zu funktionierenden Vitalparameter-Mechanikern*innen gedrillt werden – habe ich einen eher Persönlichkeits-orientierten Ansatz. Ohne das richtige Bewusstsein für die eigene (Berufs-)Rolle, und vor allem auch das Werkzeug, diese bedarfsflexibel anpassen zu können, passieren mit den jungen Leuten nämlich zwei Dinge: Erstens werden sie verdammt schnell von der Alltagsrealität eingeholt, dass die weitaus meisten Patienten keinen lebensbedrohlichen Notfall nach Definition IHRES Handbuches haben, sondern irgendwelche sozialen, psychologischen, wirtschaftlichen Probleme, die Mangels Verfügbarkeit besser geeigneter Instanzen aus Sicht der Hilfesuchenden im Ruf eines RTWs münden. (der verlinkte Artikel ist auf Zeit Online hinter der Paywall, allerdings bisher eine der besten Reportagen, die ich je dazu gelesen habe). Das führt zweitens in der Folge zu Desillusionierung und nicht selten zu einem zügigen Berufsfwechsel (=> Fachkräftemangel anybody…?).

Okay, ich habe erklärt, WARUM ich einen Erziehungsauftrag in der Berufsfachschule sehe. Das erklärt aber natürlich noch keinen Meter, WIE man das dann anstellt, wenn es doch oft genug einen gewissen Graben zwischen Fachlehrer*in und Schüler*innen gibt? Und der resultiert nicht immer aus dem Alter der Fachlehrer*innen. Häufig genug werden heute sehr junge Kollegen*innen in den „Schuldienst“ rekrutiert, wenn sie schon früh ein gewisses Talent für die Betreuung von Auszubildenden zeigen. Es ist aber ein himmelweiter Unterschied, auf seinem Rettungswagen, oder bei Praxisanleitungen auf der Wache ein paar wenige Individuen an die Hand zu nehmen, oder vor einer vollen Klasse zu stehen, in der naturgemäß kein dauerndes Eingehen auf Partikularbedürfnisse möglich ist. Es kommt in der Folge immer wieder zu folgenden Prozessen:

  • Mangelnde analytische Distanz: Da man der im Lehrsaal vertretenen Peergroup subjektiv näher ist, verwechselt man Schüler*innen mit Freunden oder Kollegen. So funktioniert Lehren aber nicht! Denn am Ende muss ICH unzweifelhaft objektiv bewerten können, ob die Person vor mir für diesen Job geeignet ist, oder nicht. Und „Oder nicht“ ist niemals eine populäre Ansage!
  • Doppelbelastung Studium – Lehre: Das muss man wollen. Und es wird von so manchem Schulleiter auf Lehrerfang gerne freundlich kleingeredet, dass man bis zum Abschluss oft genug auf dem Zahnfleisch gehen wird… Folglich schmeißen nicht Wenige alsbald das Handtuch und suchen sich was anderes.
  • Unsicherheiten im Umgang mit dem Curriculum: Da steht eine Menge Zeug drin, das nicht auf den ersten Blick intuitiv zugänglich ist. Warum man manchmal Umwege gehen muss, um ans Ziel kommen zu können, erschließt sich einem oft erst mit wachsendem Alter und zunehmender Erfahrung.

Zusammengefasst braucht es eine gewisse charakterliche und fachliche Reife, um junge Erwachsene für das Berufsleben fit machen zu können. Kommen wir direkt zum WIE zurück: Fachlehrer*innen sind Role-Models! Vorbilder! Um dies sein zu können, müssen Sie aber über ein paar Eigenschaften verfügen, die aus meiner Erfahrung heraus unabdingbar sind, um Persönlichkeitsbildung im Gegenüber ermöglichen zu können: Situationsadäquate Kommunikation. Zuverlässigkeit. Integrität. Führungsstärke. Fachwissen und Fertigkeiten. Diese Dinge wachsen jedoch nicht auf Bäumen, sondern nur durch angeleitete Erfahrung in den Fachlehrer*innen selbst. Das bedeutet, bevor das Lehrpersonal erzieherisch tätig werden kann, muss es erst mal selbst erzogen werden! Menschen lernen relativ viel am Modell und durch Imitation, was schließlich durch Reflexion des Erlebten und Gefühlten zur Integration in das eigene Handlungsrepertoire führt / führen kann. Abkürzungen funktionieren hier NICHT! Und das ist bei sozialen Skills leider nicht anders. Was bedeutet, dass sowohl unser Unterricht, als auch unser kollegialer Umgang miteinander nicht nur fachlich, sondern auch sozial fordernd sein muss. Lernen ist eine Zumutung, die nur außerhalb der Komfortzone wirklich zum Erfolg führen kann. 24 Folien Powerpoint pro Sekunde mögen einen Film ergeben – Notfallsanitäter*innen, welche diese Bezeichnung auch wirklich verdienen, ergibt das aber nicht! Wie man die Schüler*innen tatsächlich aus ihrer Komfortzone und hinein in echtes Lernen holt, dafür gibt es übrigens genausowenig eine Musterlösung, wie für die Notfallbilder, welche erlernt werden müssen – auch wenn Schüler*innen niemals müde werden, danach zu fragen.

GOTT WÜRDE ICH MICH FREUEN, WENN JEMAND MIT MIR ZU DISKUTIEREN ANFINGE! Schönen Tag noch.

Ach wenn’s doch einfach wär…

Ich hatte dieser Tage ein bisschen mehr Zeit zum Nachdenken als sonst. Das soll nicht heißen, dass mehr dabei rumgekommen wäre. Ich lag halt einfach nur krank im Bett und hatte sonst nichts zu tun, außer mit dem Versuch des Genesens beschäftigt zu sein. „Wir sind schon komische Tiere“ dachte ich da so bei mir; Zufriedenheit und Glück scheinen uns so sehr zu beschäftigen, weil wir stets so sehr damit beschäftigt sind, danach zu suchen, ohne doch je zu verstehen, worin sich beides tatsächlich realisiert. Ich las dieser Tage eine Artikelreihe auf Zeit Online, die sich mit dem Sinn des Lebens beschäftigt; und ich muss unumwunden sagen, da war jetzt nichts Neues, Bahnbrechendes dabei. Im Gegenteil klang für mich Vieles (obschon dabei Studien zitiert wurden) eher nach Küchenpsychologie, denn nach seriöser Wissenschaft, was wohl daran liegen muss, dass manche Wissen Schaffende doch eher normativ anstatt deskriptiv suchen. Sieht man ja auch immer an den Studien, welche die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ in Auftrag gibt… Nun ist der Sinn des Lebens etwas höchst individuelles, höchst subjektives, höchst dynamisches. Mit 20 habe ich darüber ganz anders gedacht, als heute, mit fragendem Blick auf die Große Fünf im Leben. Und dann kommt dieser Moment, wo man Resumée ziehen möchte.

Ob die Eule wohl auch nachdenkt…?

Ne, ne, ne, Leute; für ein Resumée oder Memoiren bin ich noch viel zu jung. Aber jeder Mensch sollte gelegentlich innehalten, um zu bewerten, wo er steht, herauszufinden, wo er als nächstes hin will, und was ihn auf dem Weg dazwischen so alles erwarten könnte. Und das ist nicht unbedingt nur räumlich zu verstehen. Obschon Reisen natürlich auch ein wenig geplant werden wollen. Ich führte heute ein – unerwartetes, aber dennoch hoch willkommenens – Gespräch mit jemandem, den ich eine ganze Weile nicht gesehen hatte, und bei dem dennoch gleich klar war, dass wir immer noch auf der gleichen Wellenlänge schwingen. Unser Gespräch berührte dann auch – neben einigem Anderen – den oben bereits angesprochenen Aspekt des Glückes. Und damit natürlich auch den der Wünsche und Bedürfnisse. Mein Gegenüber äußerte dabei, dass er glücklich damit sei, relativ wenig materielle Bedürfnisse zu haben; was ich für mich selbst ebenso unterschreiben wollen würde. Es gibt ein paar Dinge, die ich als Werkzeuge für meine Kreativität nutze, und noch weniger Gegenstände, die in mir ein echtes Haben-Will-Gefühl auslösen. Es ist dann aber mehr der Wunsch des Benutzens dieser Objekte, als der des Besitzens. In manchen Fällen ist beides leider nicht voneinander zu trennen, so dass ich den neuen Grill halt doch kaufen muss. Andererseits werden noch viele andere neben mir davon profitieren… 😉

Mir ist der Schauwert meiner Besitztümer relativ Wumpe, so lange ich damit das tun kann, wofür ich die Dinge angeschafft habe. Nutzen und Funktion stehen – auf meiner Agenda – über ästhetischen Gesichtspunkten; wobei manchmal beides schwer zu trennen ist, weil insbesondere bestimmte hochwertige Konsumgüter wie etwa Kameras bewusst nicht nur mit mit Blick auf die Nutzungs-Ergonomie und den Gebrauchswert, sondern eben auch ein gefälliges Äußeres designed werden. Andernfalls wäre eine ganzer Berufsstand seinen Job los. Sagen wir mal so: wenn denn das Design wenigstens der Funktion folgt und nicht etwa umgekehrt, nehme ich das so hin. Aber Manchmal stelle auch ich erst im Nachhinein fest, dass ich mich in etwas verrannt habe, das Spielkind in mir unbedingt etwas ausprobieren wollte, weil’s doch so hübsch war…! Insofern bin ich am Ende des Tages genau so sehr oder wenig Mensch, wie alle anderen auch. Fehler inklusive. Und dann ärgere ich mich über mich selbst, weil man das Geld vermutlich besser für etwas anderes hätte verwenden können.

Und da sind wir dann an dem Punkt, den jeder für sich selbst klären muss: wie viel braucht es wirklich, um sagen zu können, „ich/wir habe/n keine existenziellen Sorgen!“? Und wenn tatsächlich mehr verfügbar wäre, wie viel davon wäre ich bereit zu geben, ohne dass die existenzielle Unsicherheit in meinem Kopf zunähme? Denn Glück und Sinn entstehen nicht in der Garage an meinem Lamborghini Aventador, oder beim Wochenendtrip nach London, Barcelona, Rom oder sonstwo; und auch gewiss nicht durch den Erwerb des jeweils neuesten Flagship-Phones xxxxxxx (setzen Sie hier die Marke Ihrer Wahl ein). Sondern – zumindest zu einem nicht unerheblichen Teil – durch unsere Beziehungen, durch unser Miteinander, durch das Teilen: das Teilen von Erlebnissen, Erinnerungen, Interessen, Erfahrungen, Erkentnissen, Fähigkeiten… und ja, auch durch das Teilen von Ressourcen. Doch wenn man sich die Kommentarspalten der Medien Tag für Tag ansieht, dann wollen so verdammt viele nichts mehr teilen, haben so verdammt viele sich so sehr in ihrem Egoismus-Kokon gleichgültigen Auf-Andere-Herab-Blickens eingesponnen, dass sie sich selbst nicht mehr im Spiegel sehen können. Dabei braucht es Selbstreflexion so sehr – um herausfinden zu können wo man steht, wo man als nächstes hin will; und schließlich, um beurteilen zu können, was einen auf dem Weg dazwischen so alles erwarten könnte – und wer einen eventuell dabei begleiten könnte und auch wollte! Aber wenn man sich diese Mühe machte, wäre ja – paradoxerweise – plötzlich so vieles so viel einfacher. Stattdessen jedoch verschließen wir uns lieber, und jammern rum „Ach, wenn’s doch mal einfach wäre…!“ In diesem Sinne, schöne Restwoche.

Ein kreatives Leben…?

Kreativität wird heute in vielerlei Hinsicht auf den Aspekt ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit reduziert, als Akt des Lösens von Problemen für Andere zum Zwecke des Geldverdienens begriffen. Wenn ein Unternehmer (oder aber eine verantwortliche Person in dessen Diensten) sagt, man müsse kreativ werden, bedeutet das im Klartext, dass man innovative Wege suchen soll, die mentale Kraft der Mitarbeiter zu monetarisieren. Und in einem gewissen Umfang mag das auch legitim sein, denn schließlich werden Leute, etwa in meiner Position vor allem als Troubleshooter, also Problemlöser bezahlt, die mittels jeweils neuer Ideen die auftauchenden Herausforderungen meistern helfen sollen. Und solche Herausforderungen tauchen mit unschöner Regelmäßigkeit auf. Kreativität bedeutet in so einem Kontext, über situationsadäquate Handlungskompetenz zur Lösung variierender Probleme zu verfügen. Aber Kreativität ist so viel mehr als dass – muss so viel mehr als das sein! Denn nehmen wir mal an, Musiklosigkeit würde als mechanistisch lösbares Problem gesehen; und kahle Wände als bloßer Anlass, psychomotrische Geschicklichkeit zu üben. Wie viel weniger reich wäre doch unsere Welt ohne Kunst.

Das hier ist KEINE Kunst – das sind Wildschweine… 😉

Kreativität bedeutet zunächst, seine Lebens-Umgebung wahrzunehmen; und zwar nicht einfach nur unter dem Gesichtspunkt des sich-in-ihr-bewegen-müssens, sondern als Stimulans für alle Sinne. Die Umwelt in ihrer Vielgestaltigkeit ist voller Ambivalenz, voller Fragen, voller oberflächlicher Sinnlosigkeiten und Ambiguität. Dies alles aushalten zu können, ohne dabei gleich durchzudrehen, ist für mich eine der bemerkenswertesten Eigenschaften des Menschen. Noch bemerkenswerter ist allerdings der Umstand, dass wir so viele Mittel und Wege gefunden haben, diese Spannung zu thematisieren und für uns und Andere greifbar zu machen. Denn DAS ist Kunst für mich – der Versuch, mit dieser Welt und ihren vielen Baustellen irgendwie klarzukommen, und gleichsam mit anderen in Kontakt zu treten, um in deren Erfahrungswelt eintreten zu dürfen. Der Mensch ist ein hoch soziales Tier und sucht Verbindung auf vielerlei Arten. Freundschaften, mehr oder weniger klassische Paarbeziehungen und Familienbildung, aber eben auch künstlerischer Ausdruck, der versucht ANDEREN etwas von MIR nahezubringen, dass sich aus verschiedenen Gründen vielleicht nicht so gut mit Worten ausdrücken lässt. Kunst ist Kommunikation! Auch wenn, wie bei Sprache, die Dekodierung der gesendeten Botschaft der Kenntnis des verwendeten Code-Schlüssels bedarf. Andernfalls versteht man nur Bahnhof und Bratkartoffeln.

Für klassische Kommunikation leuchtet das vermutlich ein. Verstehe ich die Sprache des Gegenübers nicht (mir fehlt also der Code-Schlüssel), kann die Person senden, so viel sie will – wir werden nicht auf einen Nenner kommen. Bei Kunst jedweder Art ist das für viele Menschen allerdings nicht ganz so einleuchtend, weshalb Kunstwerke, deren Code man nicht versteht, nur zu gerne als Müll abgetan werden. Ganz analog dazu, dass man Menschen, deren Kultur man nicht versteht gerne auf exakt die gleiche Art entwertet. Insbesondere in der Kunst der Moderne, wo die Abstraktion des Objektes nun doch oft ein ziemlich hohes Level erreicht, mangelt es nicht wenigen Menschen am richtigen Code-Schlüssel. Diesen zu erwerben bedarf allerdings des bewussten Auseinandersetzens mit dieser Kunst, nicht jedoch der Ablehnung aus Nichtverständnis. Doch viele machen es sich gerne einfach und suchen den Fehler beim Künstler; sowas nennt man einen Circulus Vitiosus, oder Teufelskreislauf. Der Grund ist häufig in Unbildung oder gefährlichem Halbwissen zu suchen. Beides entsteht, weil nicht unerhebliche Teile unserer Gesellschaft und auch die allgemeinbildenden Schulen nicht ihrem Auftrag nachkommen, unsere Kinder für ihre Umwelt und die Spannungen in dieser hinreichend zu sensibilisieren. Und ich richte diese – möglicherweise wohlfeil daherkommende Kulturkritik – explizit auch an mich selbst.

Hat man aber nun für sich solche Code-Schlüssel zu wenigstens ein paar Türen in Reichweite gefunden, entsteht irgendwann unter Umständen in einem der Drang, es selbst mal mit Kunst im weiteren Sinne zu versuchen, angetrieben von dem Wunsch mit eigenen Mitteln anderen Menschen die eigene Sicht der Dinge, eigene Ideen, Spinnereien, Fantasien und Projekte nahebringen zu wollen – weil man zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese individuellen Ausdrücke der eigenen Kreativität für andere einen Wert haben könnten. Und wenn es nur der Wert des Unterhalten-Werdens sei. Und dann stellt man fest, dass andere Menschen sich nicht sonderlich für die eigenen Kulturartefakte interessieren, und manche einen sogar anfeinden, weil sie denken, dass jemand, der sich selbst mühevoll die Empfindsamkeit für bestimmte künstlerische Ausdrucksformen beigebracht hat und diese nun ohne erkennbares wirtschaftliches Vewertungsinteresse zum Besten gibt ein arroganter Spinner sein muss, der sich für was Besseres hält – am Ende glaubt der noch, er sei ein Intellektueller. Das ist ja wohl die Höhe… Sagen wir mal so: es braucht schon ein gewisses Ego, um einfach mal davon auszugehen, dass die eigenen Produkte, gleich welcher Art, irgendjemanden interessieren könnten.

Auf diese Art entstehen übrigens auch die erfolgreichen Künstler, die dann Geld damit verdienen können. Die Allerwenigsten Kultur-Schöpfenden kommen allerdings jemals so weit. Ich selbst bin bislang nicht so weit gekommen, bezeichne mich aber sehr wohl trotzdem als jemanden, der ein kreatives Leben lebt und stolz darauf ist. Und ja – manchmal werde ich auch missverstanden, weil dem Gegenüber der Code-Schlüssel fehlt. Macht aber nichts! Ich bin gerne auch beim Erlernen einer neuen Sprache behilflich, die nicht mit Worten gesprochen wird. Einstweilen wünsche ich einen guten Start in die neue Woche.

Sinn-l-Ich!

Raide-Wendungen. Es gibt viele davon und jene mit englischen Wurzeln werden gefühlt immer mehr. Eine von Ihnen verursacht imho immer wieder semantische Probleme: „Das macht Sinn!„. Warum die Falschverwendung auf Grund der wörtlichen Übersetzung des englischen „That makes sense!“ schwierig im Bezug auf den Sinngehalt sein kann, will ich kurz zu erklären versuchen. Vergewissern wir uns zunächst über den Umstand, dass der so einfach daherkommende Begriff „Sinn“ keinesfalls eindeutigen Bedeutungsgehalt hat. Sinn kann in der Philospohie und Linguistik – je nach Theorie – als Synonym für Bedeutung (im Englischen „meaning“), Bedeutungsumfang (also ALLES, was unter einem Begriff subsummiert werden kann), Bedeutungsinhalt (Spezifika, die verschiedene, mit einem Begriff gemeinte Dinge gemeinsam haben) oder Bedeutungsausprägung im wortwörtlichen (im englischen „sense“) verwendet werden. Was gerade gemeint sein könnte erschließt sich, egal ob beim gesprochenen Wort oder einem geschriebenen Text, oft erst aus dem Kon-Text – also dem Sinn-Zusammenhang (ich bitte das Wortspiel zu entschuldigen). Dies im Hinterkopf gehen wir nun an die Frage, ob man Sinn überhaupt herstellen („make“ oder „machen“) kann?

Welche Bedeutung mag das hier wohl haben…?

Geht man davon aus, dass man etwas – also irgendein Ding, oder einen Sachverhalt, z.B. etwas so allgegenwärtiges wie „Mensch“ – mit einem Begriff benennt, der einem selbst DIE (eine mögliche) Bedeutung des Dinges erschließt, macht das in der Tat Sinn; allerdings nur für denjenigen, der diese Begriffszuweisung gerade vorgenommen hat! Der Begriff „Mensch“ z. B. kann aber einen speziellen Menschen, die Gesamtheit der Gattung, eine spezielle Gruppe innerhalb dieser Gattung, eine Schnittmenge mehrerer spezieller Gruppen innerhalb dieser Gattung, eine Dichotomie zur Abgrenzung vom Gegenteil (also etwa KIs) oder das spirituell aufgeladene Abbild Gottes auf Erden meinen – je nachdem, wen man gerade fragt. Wenn einer nun also versucht, Sinn herzustellen, indem er einen Begriff – für sich mit einer speziellen Bedeutung versehen – benutzt, entsteht der Sinngehalt (also das, was semantisch wahrgenommen wird) für das Gegenüber trotzdem aus dem, von Gegenüber interpretierten Bedeutungszusammenhang. Sinn wird daher mitnichten gemacht, sondern emergiert – taucht also aus der Menge möglicher Bedeutungen als Folge einer Interpretationsleistung durch den Rezipienten auf. Wenn zwei das Gleiche sagen, meinen sie noch lange nicht das Selbe!

Sinn ist also immer mit dem Ich verbunden – nur nicht immer durch ein L! Wenngleich eine „sinnliche“ Erfahrung ebenso ein interpretationsfähiger Begriff ist, wie Mensch; oder Sinn. Sinnliche Erfahrung kann für den einen das bewusste oder unbewusste Erleben einer beliebigen Sinneserfahrung sein, etwa Emotionen beim Anblick eines Sonnenunterganges; für jemand anders ist der Begriff evtl. mit Erotik verbunden. Und der Sozialwissenschaftler denkt an die Wirkung des sensorischen Registers (früher als Ultrakurzzeitgedächtnis bekannt) auf pädagogisches Handeln. Wie man es auch dreht und wendet – den Sinn eines Begriffes macht das Gegenüber. Weshalb „Sinn machen“ als intentionales Herstellen von Bedeutung nur gelegentlich funktioniert, wenn die Wahrnehmungs- und Erlebenswelten der beteiligten Individuen zumindest sehr ähnlich sind. Ansonsten verschwindet gemeinter Bedeutungsgehalt nämlich allzu schnell im Orkus. Jemand sagte, es mache doch keinen Unterschied, wenn man „Das macht Sinn sagt!“, weil’s ja das gleiche bedeuten würde, wie „Das ergibt Sinn!“; denn an der Supermarktkasse benutze man die Begriffe ja auch analog. „Das macht 13,59 €.“ sei das Gleiche wie „Das ergibt 13,59 €“. Beide Sätze sagen doch aus, dass man 13,59 € bezahlen muss. Aber der eine Satz bedeutet auf Grund sprachlicher Konventionen, dass man dem Supermarkt 13,59 € SCHULDET; der andere lediglich, dass die Addition mehrerer Teilbeträge die Summe von 13,59 € ERGIBT. Das Gleiche ist NICHT das Selbe!

Das mag auf den ersten Blick wie Dippelschisserei klingen, aber die Folgen sind unter Umständen weitreichend. Denn jemand, der die Wahrnehmungswelt eines einzelnen Gegenübers, oder auch vieler Rezipienten auf einmal gut genug kennt, kann auf diese Art sehr wohl doch Sinn herstellen – und das auf höchst manipulative Art. Schaut euch mal die Reden von Hitler und Göbbels genau an, dann versteht ihr, worauf ich hinaus will. Wenn man sich der Tatsache bewusst ist, dass man auch durch einfach Veränderungen der Sprache semantischen Gehalt nach Belieben verändern kann, versteht man vielleicht, warum die Feder IMMER mächtiger als das Schwert ist, und man den vermeintlich als Minderheiten-Meinungen abgetanen Äußerungen des ganzen Nazi- und Querlutscher-Geschmeisses in der Öffentlichkeit Einhalt gebieten muss. Großes erwächst immer aus Kleinem, im Guten, wie im Bösen! Deshalb lege ich so großen Wert auf Sprache. Deshalb lege ich in meinem beruflichen Tun so hohe Maßstäbe an begriffliche Präzision an: weil es keine Alternative gibt, wenn man es mit seinem Erziehungsauftrag als Berufsbildner ernst meint. Und weil für den überzeugten Demokraten ebenfalls kein Weg daran vorbei führt. Aber nun genug gedacht für heute – erstmal raus und den vermeintlichen Frühling genießen. Wir hören uns.

Auch als Podcast…