[Notiz des Herausgebers: an dieser Stelle könnte natürlich auch ein Rant darüber stehen, was für eine unfassbar narzisstische, faschistoide und grunddumme Gurkentruppe gerade das Régime Nouveaux der USA bildet, aber ganz ehrlich: ich schreibe hier lieber über Dinge, die mir momentan mehr Spaß machen! Viel mehr Spaß! Also gibt’s einen weiteren Rollenspiel-Post. Lebt damit oder lest was anderes…]
Pen’n’Paper wird als Dialog gespielt. Jeder Spieler teilt dazu der Spielleitung in einer gegebenen Situation mit, was sein/ihr Charakter eben jetzt zu tun gedenkt, die Spielleitung entscheidet darüber, ob dies überhaupt möglich ist und teilt umgekehrt dem Spieler mit, wie hoch die Schwierigkeit dafür ausfällt. Dann wird gewürfelt, um zu sehen, ob das klappt. Überdies können Spieler für ihre Chars auch abseits einer gerade laufenden Szene übergeordnete Ziele, Motivationen und Ideen entwickeln, die sie verfolgen wollen. Diese sind allerdings nur realisierbar, wenn der Spielleiter davon auch weiß. Im Gegensatz zu Viedeospielen ist es aber grundsätzlich den Spielern im Pen’n’Paper möglich, die Gesamtgeschichte durch ihre Handlungen so zu beeinflussen, dass auch für den Spielleiter unabsehrbar wird, wohin der Zug fährt – selbst in eher linear aufgebauten Kampagnen. Denn das Erzählrecht – also Art und Umfang der Lizenz, in die Geschichte einzugreifen – ist auf beiden Seiten in etwa gleich umfangreich. Das ist die Kurzform, aber ich denke, man sollte sich die Langversion noch mal anschauen, um zu verstehen, woraus sich bestimmte Diskussionen in und um Pen’n’Paper überhaupt ergeben.

Beginnen wir damit, dass es überhaupt ein Erzählrecht gibt. Man darf es als Allgemeinplatz verstehen, dass FTTRPGS (fantasy tabletop roleplaying games) aus dem klassischen Miniature Wargaming entstanden sind, weil irgendwann jemand auf die – zuerst als etwas absurd betrachtete – Idee kam, anstatt der Abenteuer einer ganzen Truppe die Abenteuer einer einzelnen Spielfigur spielen zu wollen. Am Anfang war das eine sehr Simulations-lastige Angelegenheit, bei der es vor allem um Regeln für movement, attack capability, stamina, etc. ging… oder? Weit gefehlt. Selbst den Referees des preußischens Kriegsspiels im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert wurde bereits eine weitreichende Entscheidungsfreiheit abseits objektiv beschriebener Regeln eingeräumt. Manche gaben sogar offen zu, Regeln und Würfelwürfe zu missachten, um auf Basis eigener Erfahrungen zu einer realistischeren Darstellung oder besserem Drama kommen zu können (fudging dice rolls anybody…?). In den frühen Tagen des Rollenspielhobbies wurde noch hart darum gestritten, wer überhaupt was tun darf – darauf kommen wir gleich zurück – doch heute gehen wir davon aus, dass Spieler und Spielleitung die Geschichte GEMEINSAM erzählen. Und dazu braucht es neben dem Dialog noch einige andere Dinge. Daher sehen wir uns die oben beschriebene Sequenz nun etwas genauer an:
- Beschreibung der Ausgangslage: wir nehmen an, dass Spieler und Spielleitung sich auf ein Setting, ein Regelwerk, etc. geeinigt haben, damit alle von einem common ground starten können. Bzw., dass neue Spieler zumindest eine Vorstellung davon haben, worum es nun gehen wird. Die Vorarbeit des Spielleiters besteht darin, nun Konflikt- oder Dramenhaltige Situationen zu entwerfen, in welchen die Spieler ihre Charaktere dieses oder jenes tun oder bleiben lassen, um die Geschichte vom Startpunkt aus voranzutreiben oder gar aufzulösen. Das Abenteuer beginnt und nach der Beschreibung der ersten Szene folgt die berühmte Frage: “Was tut ihr / Was tust du?” (na ja… eigentlich kommt diese Frage im Spiel ZIEMLICH häufig vor…)
- Statement of Intent: Die Spieler haben nun die Chance, mehr oder weniger präzise zu beschreiben, was ihr Charakter in dieser Szene tun wird. Was das genau sein könnte, hängt davon ab, ob wir uns in einem sozialen Encounter, einer Exploration oder in einem Kampf befinden. Definiert durch das Setting gibt es jedoch stets eine ganze Auswahl an Dingen, die ein Charakter tun KÖNNTE. [Hier spielt die Ausgestaltung des Erzählrechtes nun eine Rolle – nämlich im Sinne der Frage, wie viel Zeit man den Spielern für die Formulierung ihres statement of intent lässt? In älteren Diskussionen liest man öfter, dass es eben davon abhängt, welche Art von Encounter es ist; und dass die Spieler etwa im Kampf genau die 6 Sekunden für diese Formulierung bekamen, die eine Kampfrunde in Playtime dauerte. Wer zu langsam war, hatte seine Runde verschwendet und tat nichts!] Ich selbst neige bei Kampfsequenzen auch eher dazu, diese Entscheidungszeiten begrenzen zu wollen, weil das Kampfgeschehen sonst seine Dynamik und damit auch sein Drama verliert. Gerade hier offenbaren sich oft Probleme, da es durchaus Spieler gibt, die für ihr statement of intent sehr lange brauchen, weil sie etwa die Fähigkeiten ihres Charakters nicht gut vom Papier in die Situation übertragen können, insgesamt wenig fantasiebegabt sind, oder die Entscheidungen zu Teilen auf ihre Mitspieler oder gar den Spielleiter auslagern wollen. Und damit den folgenden Punkt verkomplizieren (oder vereinfachen, je nachdem, auf welchem Standpunkt man als Spielleitung steht…)
- Interpretation und Beurteilung: Je nachdem, wie präzise oder auch nicht ein statement of intent formuliert ist, muss ich als Spielleiter nun eine Entscheidung darüber treffen, OB die angesagte Aktion gemäß der üblichen Regeln in der Welt, in welcher wir derzeit spielen überhaupt möglich ist, ob sie DIESEM Charakter möglich ist – und falls in beiden Fällen die Antwort JA ist, wie SCHWIERIG die Durchführung für diesen Charakter sein wird. [Es gab eine lange Tradition, das statement of intent wohlwollend oder harsch auszulegen. Ein gutes Beispiel für die häufig harsche Variante ist der Umgang von Spielleitungen mit dem DnD-Magierspruch “Wunsch”; eine gute Analogie hierzu ist die, in der Literatur häufig beschriebene, wortwörtliche Interpretation mit Bezug auf die drei Wünsche, welche einem z.B. der Dschinn gewähren muss – in aller Regel war das Ergebnis solcher magischer Wünsche alles andere als schön für den Wünschenden. Solches Verhalten bezog sich aber nicht nur auf den “Wunsch” sondern auf alle möglichen Situationen, in denen das statement of intent zu ungunsten der Spieler interpretiert wurde; was zur Legende des klassischen, antagonistischen Spielleiters führte, der stets als Gegner seiner Spieler agierte!] Eine Anmerkung: dies ist der Moment, in dem oft die rules laywers aus ihren Löchern gekrochen kommen, wie die Kakerlaken, wenn’s dunkel wird. In dem Moment mach ich einfach das Licht wieder an. Mit mir diskutiert NIEMAND mehr über Regeln. Wer’s versucht, war das letzte Mal dabei. Genau, weil ich keinen Bock auf so was habe, spielen wir seit Jahrzehnten in meinem System – und gut is. Ist diese Phase des “rulings” nun abgeschlossen, kommen wir zum nächsten Schritt.
- Das Würfeln: Es gibt verschiedenste Mechaniken, mit Würfeln Wahrscheinlichkeiten zu modellieren. Aus der Perspektive des Gamdesigners geht es dabei um action econmy, Glockenkurven und wie man Schwierigkeitsgrade in Min.- oder Max.-Würfe übersetzt. wie auch immer das jeweilige Regelwerk dies bewerkstelligt, ist am Ende wumpe, sofern es nicht zu kompliziert wird – denn heutzutage würfeln die Spieler selbst für ihre Chars […doch das war nicht immer so. In der frühen TTRPG-Szene wurde heftig darüber diskutiert, ob die Kenntnis der Mechaniken hinter dem Spiel nicht die immersion für die Spieler stören würde; und man deswegen als SL ALLE Würfe des Spiels durchführen und danach lediglich die Ergebnisse der beschriebenen Handlungen erzählen sollte. Long story short: Die andere Seite hat sich durchgesetzt – weil das selber Würfeln den Spielern Spaß macht. Punkt] Der einzige Punkt, der MICH daran immer wieder aufregt ist – wenn Spieler auch nach der vierunddrölfzigsten Sitzung immer noch fragen, was sie jetzt würfeln sollen. Das ist für mich genauso ein Killer der Dynamik und des Dramas, wie die oben erwähnte Entscheidungs-Paralyse…
- Das Ergebnis erzählen: Ob der Spielleiter oder die Spieler nun erzählen, was in der Folge passiert, wenn klar ist, ob es geklappt hat oder nicht, hängt ein bisschen vom Tisch und den Personen in der Runde ab. Rule of thumb: wenn’s gut gelaufen ist, lasst die Spieler ein bisschen ihre Fantasie ausleben. Wenn’s schief gelaufen ist, sorgt dafür, dass das Drama weitergeht. Lasst sie vorwärts scheitern und dann schauen, ob sie es irgendwie anders hinkriegen. Was ihr nicht unbedingt tun solltet, ist Folgendes: einen hard-won victory kaputterzählen, indem ihr diesen Sieg durch einen Spin in eine drohende Niederlage verwandelt. Wenn die Chars gewonnen haben, haben sie gewonnen – und fertig! Was allerdings NICHT bedeutet, dass sich in einer dynamischen Situation unterwegs nicht trotzdem noch zusätzliche Herausforderungen ergeben können.
Auf diese Art und Weise wird jede einzelne Spielsequenz “aufgelöst”. Denn am Ende steht ja immer die Frage, ob die Spielercharaktere die Herausforderungen meistern können, oder nicht? Und, was aus dem einen – oder dem anderen – eventuell erwächst? Denn aus der Verkettung vieler einzelner Spielsequenzen werden am Ende Abenteuer – und aus Abenteuern Kampagnen. Und nur sehr selten nehmen diese den Weg, den ich vielleicht bei der Vorbereitung mal im Kopf hatte. Warum auch? Sind ja viele verschiedene Köpfe dran beteiligt. Man könnte auch sagen: TTRPGS sind komplexe, chaotische Systeme; und das muss man halt wollen! Sollte ich oben, beim Thema rulings etwas hart geklungen haben, sei an dieser Stelle übrigens noch erwähnt, dass ich durchaus bereit bin, auf Basis gesunden Menschenverstandes über ein ruling zu reden – aber niemals mit jemandem, der glaubt, dass die WILLKÜRLICH von einem Dritten aufgestellten Regeln eines Spielsystems, die nur einen mangelhaften Interpreter für die vielen Fragestellungen innerhalb des Spiels darstellen, mich als SL überstimmen können. Da hast du dir den Falschen ausgesucht, Nachbar! Ich mache übrigens irgendwann demnächst noch den Follow-Up-Post “Was tust du (dann/damit/deswegen/etc.)”, der sich mit den oben schon aufgeworfenen Fragen rings um eigene Charakter-Motivation dreht. Einstweilen hab ich genug gesprochen, daher – always game on!