Der verwirrte Spielleiter N°61 – …und der Spielleiter?

Es ist so eine allgemeine Weisheit, die seit ein paar Jahren durch die Youtube-RPG-Sphere geistert, dass “der Spielleiter Spaß hat, wenn die Spieler Spaß haben.” Und tatsächlich kann ich das weitenteils bestätigen. Sitzungen, bei denen es allen Beteiligten so ein bisschen wie Müssen und weniger wie Wollen vorkommt, sind mir ein Graus, denn ich WEISS hinterher immer genau, dass es nicht so der Bringer war. Vielleicht nicht unbedingt “warum” – aber in jedem Fall “dass”. Ich muss, um das genauer erklären zu können, noch einmal zum Thema Prep zurückkehren. Wenn ich mich an meinen Schreibtisch setze und beginne, mir darüber Gedanken zu machen, was ich meinen Spielern das nächste Mal zum Fraß vorwerfen – ähm, ich meine zur Interaktion vorsetzen will, dann spiele ich bereits das Spiel. Natürlich sind die Spieler-Charaktere die Protagonisten der Handlung – und die Spieler gleichsam Mitautoren der Geschichte, weil sie mittels der Handlungen ihrer Avatare (der Chars) die jeweils aktuelle Geschichte, aber eben auch verschiedene, u. U, mehrere Story-Arcs überspannende Aspekte der umgebenden Spielwelt beeinflussen. Sitze ich nun an meinem Schreibtisch, so plane ich nicht voraus, was die Spieler mittels ihrer Chars tun werden; diese Entscheidungen müssen/dürfen sie schon selbst treffen. Aber ich mache mir selbstverständlich Gedanken, wie die Antagonisten – und auch der ganze Rest der Spielwelt – auf das Ergreifen verschiedener Handlungs-Optionen reagieren würden. Denn auch in der Secondary World haben Handlungen Konsequenzen. Andernfalls bräuchten die Chars ja gar nichts tun, weil die Dinge sich in jedem Fall in diese oder jene Richtung entwickeln würden. Das nennt man übrigens Railroading. Und da meine Spieler kein Problem mit (halbwegs) linearem Storytelling haben, sehr wohl aber mit Railroading, lasse ich das üblicherweise bleiben. Was ich jedoch tue, ist Folgendes: manchmal lasse ich es auf eine Begegnung ankommen, schlicht, weil diese durch die Anlage der Erzählung nicht vermeidbar ist. Ob das ein bisschen gemein ist? Vielleicht. Aber ist ein starker (evtl. sogar wiederkehrender) Antagonist, den zu hassen man einfach lieben muss, nicht das Salz in der Suppe einer spannenden Geschichte? Denkt nur mal an “Vecna” aus “Stranger Things”… what a wonderful villain…!

Wenn ich nun aber sage, dass ich bereits bei der Campaign-, oder Session-Prep selbst das Spiel spiele, so bedeutet dies, dass ich mich in die verschiedenen Figuren der Handlung hineinversetze und zu ergründen versuche, was sie in diesem oder jenem Fall tun würden. Und das ist nichts anderes als das, was ich als Spieler am Spieltisch auch tue. Ich versuche, so zu denken, wie mein Char es täte und auf dieser Basis Entscheidungen zu treffen, vor denen ich selbst vermutlich nie stünde. Mir sind jedenfalls letzthin keine Golems, Lindwürmer, lebende wie untote Piraten oder sonstiges seltsames Gesindel begegnet, die mir allesamt am Kittel flicken wollten. Meinem derzeitigen Hauptcharakter allerdings schon. Und diese Person ist von meinem wahren white-middle-aged-cis-gender-male-self SEHR weit entfernt. Jedesmal, wenn ich mir – nur im übertragenen Sinne – die Haut einer anderen Person überstreife, spiele ich das Spiel. Und selbstverständlich möchte ich dann Spaß haben. Beim Vorbereiten von Spielrunden habe ich den, wenn ich das Gefühl bekomme, eine Herausforderung geschaffen zu haben, die spannend, zum Nachdenken anregend, dramatisch, alle Mitglieder der Gruppe wirklich fordernd und schließlich im Abschluss auch belohnend ist. Ob das tatsächlich der Fall war, weiß ich allerdings auch immer erst hinterher. Denn zum einen sehen meine Spieler in meinen Szenarien IMMER WIEDER irgendwelche Dinge, an die ich im Traum nicht gedacht hätte. Was aber bedeutet, dass mein Encounterdesign sich auch nach dem Call for Initiative stets weiterentwickeln muss, um die eben genannten Adjektive wenigstens halbwegs erfüllen zu können. Und manchmal muss ich sehr hart improvisieren, weil sie – wie bereits erwähnt – auf Ideen kommen, die mich dazu zwingen, neue Seiten im jeweiligen Kapitel zu schreiben, weil ich DIESEN course of action einfach nicht vorhergesehen hatte. Was bedeutet, dass ich auch als Spielleiter das Spiel spiele – denn unvorhergesehene Herausforderungen gibt es halt auf beiden Seiten des Spielleiterschirms.

Kommen wir zum Graus, den ich am Anfang erwähnt hatte. Dieser entsteht unter Umständen aus mehreren Gründen. Zunächst einmal kommt es (sehr selten) vor, dass die Spieler an allen Plothooks vorbeirennen und selbst der grellbunte, laut hupende Plotbus nach Cottbus einfach ignoriert wird. Was machste dann? Tja, kurz recht blöd aus der Wäsche kucken und dann irgendeinen Kram aus dem Ärmel schütteln. Meine Truppe ist schon mal Hals über Kopf aus einer Stadt voller interessanter NSCs und Side-Quests geflohen, weil einer von ihnen das Wort “Vampir” auf eine Art gesagt hat, die alle ganz kirre gemacht hat. Okay, vielleicht war ich auch selbst schuld daran, weil ich halt bei jeder Gelegenheit betone, dass meine Vampire weder glitzern, noch blödsinnige Spielchen spielen oder lange fackeln und – ganz im Sinne Draculs – echte MONSTER abseits jeder romantischen Verbrämung sind. Ich habe eh nie verstanden, was dass mit dieser Soft-Erotik rings um Vampire soll. Die saugen Menschen aus und machen sie zu ihren Sklaven. Was ist denn daran bitteschön romantisch oder erotisch? So’n Quatsch. Zurück zum Thema. Ein anderer Grund für Graus ist, dass die Charaktere vollkommen antiklimaktisch durch alle Encounter walzen und null Spannung aufkommt. Auch das (bewusste oder unbewusste) Zerlegen von mir durchaus gewollter Suspense durch unpassende Witze oder Sprüche kann mir den Spaß zerlegen; was allerdings NICHT bedeutet, dass Humor keinen Platz am Spieltisch hätte. Nur bitte nicht dauernd und bei allem, denn DAS ist es, was Marvel am Ende kaputt gemacht hat: jedwedes Drama irgendwie semi-ironisch brechen zu müssen. Wenn die Spieler diskutieren und planen ist das okay. Aber ab einem bestimnmten Punkt wird jede Planerei vollkommen redundant, weil irgendjemand glaubt, alle Risiken ausschalten zu können – dann schalte ich auch kurz ab. By the way: it’s called adventuring. You knew the job was dangerous, when you took it! Um das zuvor Gesagte mal einfach zusammenzufassen: ich habe Spaß, wenn ich tatsächlich auch zum Spielen meiner Welt und meiner NSCs komme und trotzdem dramatische Encounter gestalten kann. Wenn jemand mutwillig (oder auch aus Versehen) mein Drama abschaltet, schalte ich auch ab. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es allen anderen SLs vollkommen anders geht. Daher… gönnt eurem Spielleiter doch auch mal seinen Spaß! In diesem Sinne – alway game on!

Auch als Podcast…

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