Der verwirrte Spielleiter N°60 – warum eigentlich…?

März 2019. Seit damals läuft diese Rubrik und damit bald sechs Jahre. Viel ist seitdem passiert. Privat, beruflich aber auch im Weltgeschehen. Trotzdem ist meine Lust an dieser Variante des Storytellings ungebrochen. Oder vielleicht gerade, WEIL Pen’n’Paper eine Konstante in meinem Leben ist, der ich viel verdanke? Ich habe als Junge durch das Rollenspiel gelernt, mich zu fokussieren, habe ausblenden können, dass die Welt auf Nerds – zumnindest in meiner Jugend – einen eher negativen Blick gepflegt hat. Ich begann, mich mit vielen, höchst unterschiedlichen Themen auseinanderzusetzen, die auf den ersten Blick wenig bis gar nichts miteinander zu tun hatten; nur um dann herausfinden zu dürfen, was vernetztes, systemisches Denken im Kern ist. Ich habe mit den Jahren meine Neugier immer mehr zu einem Instrument geschäft. Ich habe meine kommunikativen Skills trainiert, lange bevor ich wusste, was kommunikative Skills sind, oder dass das Lehren einstmals ein Teil meines Lebens sein würde. Und ich habe Freunde gefunden – teilweise fürs Leben. Wie viel mehr kann man sich von einem Hobby wünschen? Es hat sich dabei im Lauf der Jahre ergeben, dass ich viel häufiger Spielleiter war (und immer noch bin) als Spieler. Das liegt wohl daran, dass ich – wie an anderer Stelle in diesem Blog schon öfter erwähnt – sehr wohl Rampensau kann, wenn das Setting passt. Und mit ein paar likeminded weirdos zusammen am Spieltisch ist das überhaupt kein großes Ding,,,

Über eine ganze Reihe von Jahren habe ich das, was an Aufgaben dem SL zukommt, mehr oder weniger intuitiv erledigt. Ich habe natürlich viel gelesen, mir die Stile anderer SLs angeschaut, mich selbst mit Gamedesign auseinandergesetzt (und in der Folge zwei Regelwerke entwickelt, von denen eines heute unsere meistgenutzte Homebase ist) und war wohl recht effizient darin, diese Erkenntnisse und meine Erfahrungen aus der wahren Welt in meinem Tun am Spieltisch zu spiegeln. Dennoch kam es natürlich immer wieder zu Konflikten, einfach weil Spieler halt Menschen sind; und diese über ein und den gleichen Scheiß sehr unterschiedliche Meinungen haben können. Dennoch hat sich im Laufe der Jahre – nach den Experimenten der Jugend mit Besuchen als Spieler/SL auf Conventions und wechselnden Gruppen – ein kleiner, fester Kreis gebildet, der immer wieder zum Zocken zusammenkommt. Und noch immer gebe ich den Geschichtenonkel. Und wenn mich jetzt jemand fragt, warum ich mir das nach über 35 Jahren immer noch antue, gibt es eigentlich nur eine gültige Antwort – weil es mir verdammt viel Spaß macht! Ich gehöre zu den Spielleitern, die KEINE Kaufabenteuer und KEINE vorgefertigten Kampagnenwelten nutzen. Also… ich habe schon mal mit EINER “vorgefertigten Kampagnenwelt” angefangen. Das war Palladium Fantasy 1st Edition (hab gerade mal nachgeschaut, mein arg lädiertes Buch ist aus der 8. Auflage von 1990!). Aber Kevin Simbieda würde seine Welt NICHT wiedererkennen. Und genau so soll es auch sein. Spielleiter sind nicht einfach dazu da, die Regeln zu interpretieren. Wir denken uns die Herausforderungen aus, mit welchen sich unsere Spieler bzw. ihre Chars dann später herumschlagen müssen. Wir entwickeln die Folklore, die Geschichten, die Bewohner der Secondary World, um sie zu einem lebendigen, atmenden Ort zu machen, an dem es den Spielern leicht fällt, die erzählten Geschichten zu deren Bedingungen fürwahr zu nehmen. Willing suspension of disbelief ist dabei die wichtigste Währung, weil die Bereitschaft, die Geschichte wenigstens für die Dauer der Spielsitzung glauben zu wollen notwendig ist, wenn wir das Epos gemeinsam weiter erzählen wollen!

Und das ist das wahre Ziel von Pen’n’Paper: gemeinsam, kollaborativ kreativ werden und die vielen losen Enden, Herausforderungen, Möglichkeiten, Interaktionspunkte, welche ich als Spielleiter in meine Welt eingebaut habe aufzunehmen und das Muster immer weiterzuweben! Das wirklich Spannende daran ist, dass ich als Spieleiter vielleicht eine vage Vorstellung habe, wohin die Reise gehen könnte – aber ich habe keinerlei Kontrolle darüber, was meine Spieler mittels ihrer Chars wo und wie als Nächstes tun werden. Meine Aufgabe ist es, einerseits die Reaktionen der Umgebung auf ihre Handlungen zu erzählen und andererseits im Blick zu haben, was die Antagonisten unterdessen tun oder lassen. Denn… die “Gegner” im Rollenspiel wissen nicht, dass sie NPCs sind! Folglich haben sie eine eigene Agenda und wollen gewinnen! Was auch immer das am Ende dann bedeuten mag. Es ist diese ECHTE Ergebnisoffenheit, die ich schätze. Andererseits sind da aber auch die Storyarcs der Charaktere selbst. Meine Spieler kommen oft mit hoch differenzierten Ideen hinsichtlich der Backstory, Persönlichkeit, Stärken und Schwächen ihrer Chars an den Spieltisch. Manchmal haben sie schon übergeordnete Ziele, wohin sich der Character auf der gemeinsamen Reise entwickeln sollte; wie, bzw. wodurch diese fiktive Person ihre Katharsis oder Erfüllung finden wird. Manchmal entwickeln sich diese Ziele aber auch erst unterwegs. Und eine meiner Aufgaben als SL ist es, die Spieler bei dieser Suche zu unterstützen, bzw. ihnen die Möglichkeit zu bieten, diese Fantasie ausleben zu können. Denn wenn der Charakterbogen nicht aufgelöst wird, empfinden manche Spieler die Figur als nicht auserzählt – so als wenn man das letzte Kapitel eines Romans einfach weglässt…

Ich hatte natürlich zwischendrin immer mal wieder Spielleiter-Burnout, hatte mich selbst subjektiv vollkommen auserzählt, fühlte keine neuen Ideen mehr, war von nichts ehrlich inspiriert. Irgendwann bin ich dann über die Roleplaying-Sphere in Youtube gestolpert und habe angefangen, mich – wieder – mit anderen Blickwinkeln auf das Tun des Spielleiters auseinanderzusetzen, an meinem eigenen Stil zu feilen, Neues auszuprobieren, mein Regelwerk abermals weiterzuentwickeln; und ich bekam wieder Lust! Habe mal wieder ein neues Setting geschrieben, neue Kampagnen gestartet, auch teilweise neue Spieler am Tisch begrüßen dürfen. Und der Drive hält immer noch an. Wann immer ich mich an meinen Schreibtisch setze und mich in meine Aufzeichnungen vertiefe, fällt mir noch irgendwas ein, was ich vermisse, was ich selbst erzählen möchte, Charaktere oder auch nur bestimmte Szenen, die ich selbst gerne spielen würde – und meine Fantasie fängt an zu arbeiten. Für mich ist DAS ebenso schon Entspannung und “das Spiel spielen”, wie das gemeinsame Erzählen am Spieltisch. Und ganz nebenbei eine gute Übung für die eigene Kreativität, weil es einen zur Offenheit zwingt; weil man sich regelmäßig überraschen lassen MUSS. Und daher erfüllt es mich mit unbändiger Freude, dass ich zumindest an dieser Stelle keine Ermüdung zu verzeichnen habe. Es ist – wieder – eine meine Kraftquellen. Immer mal wieder fühle ich dieses Jucken, mir wieder eine andere, neue Gruppe zu suchen. Aber ich weiß nicht genau, ob das tatsächlich eine gute Idee ist, denn ich habe schon eine recht spezifische Vorstellung davon, wie ICH das Spiel spielen (oder spielleiten) möchte; und die ist nicht so einfach kompatibel mit der diesbezüglichen Denke Anderer, wie ich im Laufe der Jahre festgestellen musste. Warum das so ist, darüber werde ich noch eine Weile nachdenken. Aber ich will trotzdem immer mal wieder versuchen, mit neuen Leuten in Kontakt zu kommen, weil ich mich auch bei meinem Hobby N°1 aus allzu festgefahrenen Spuren lösen möchte. Offen bleiben für Neues ist die Devise. In diesem Sinne – always game on!

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