Against the rules…

Stellen wir uns einmal vor, wir arbeiten in einer komplexen Organisation, deren Gedeihen der Garant für unsere Existenz ist. Diese Organisation stellt ein Uno-Acto-Produkt zur Verfügung, in unserem Fall eine Dienstleistung, welche in dem Moment verzehrt wird (das nennt man auch so, auch wenn es KEIN Essen ist), in welchem sie hergestellt wird. Mit vielen Dienstleistungen verschiedenster Arten ist es so, dass sie den selben dynamischen Entwicklungen der Kultur unterworfen sind, für deren Mitglieder sie produziert werden. Kultur ist nämlich ein Prozess, in welchem sich Menschen und damit gleichsam deren Art sich auszudrücken, sich zu verwirklichen, miteinander zu interagieren, etc. immer weiter entwickeln und verändern. Die Menschen und ihre Kultur als Ausdruck ihres sozialen, künstlerischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Handelns beeinflussen sich dabei gegenseitig und bleiben niemals statisch. Wer in einer Kultur statisch agiert, wird von ihr irgendwann dafür bestraft. Ergo muss unsere Organisation auch ihre Dienstleistung immer wieder neu an die sich ändernden kulturellen Notwendigkeiten anpassen, andernfalls wird sie vom Markt verschwinden! Und damit wäre ja meine Existenz bedroht, welche – wie oben gesagt – vom weiteren Erfolg der Organisation abhängt. Damit ist aber doch eigentlich alles ganz einfach: die Orga entwickelt sich eben mit und alles ist super shiny-shiny, oder? Tja… wenn das doch nur so einfach wäre.

Organisationen prägen nämlich, je nachdem wie alt und komplex sie werden, Regelwerke aus, welche die internen Beziehungen, Aufgaben, Abhängigkeiten, Weisungsbefugnisse, etc. regeln sollen. Und je unübersichtlicher die Orga wird, desto unübersichtlicher wird das Regularium, welches diese einhegen soll. Denn komplexe Organisationen neigen dazu, sich auf drei Hauptkomponenten ihres Daseins zu konzentrieren: Kontrolle der Prozesse, um diese einer Koordination unterwerfen zu können, damit die Produktivität gehalten bzw. sogar gesteigert werden kann. Alles MUSS in Key Performance Indicators (KPI) gegossen werden. Und die Macht der KPIs über alle Prozesse ist der Tod der Kreativität! Denn all diese Kontroll- und Koordinationsmechanismen schaffen (neben ihrer originären Aufgabe) vor allem eines: autopoietische Prozesse, welche das Überleben dieser Kontroll- und Koordinationseinheiten innerhalb der Organisation gewährleisten sollen. Verwaltung bläht sich stets selbst auf, um ihr Überleben zu sichern – und wird dabei ineffektiv! Ein noch viel größeres Problem ist allerdings, dass im gleichen Zug jenes Regularium, welches Anfangs tatsächlich helfen sollte, die Organisation im Griff zu behalten, irgendwann ein unheiliges Eigenleben entwickelt. Irgendwann sind dann so viele Einzelregeln gültig, dass es, sofern man auch nur versucht, sie alle einzuhalten zwangsläufig zu einer Erstarrung der Organisation kommen muss; die Innovations- und Wandlungsfähigkeit gehen verloren, die Regeln werden nur noch befolgt, einfach weil es die Regeln sind. Aus Organisations-Kultur wird Organisations-Tradition! Und eine Weile später stirbt die Organisation dann…

Dass es nicht ganz so häufig dazu kommt, dass Organisationen tatsächlich sterben, wie die eben von mir aufgezeigten, durchaus häufig anzutreffenden Entwicklungen vermuten lassen, liegt daran, dass wir Menschen dazu neigen, Regeln zu unterlaufen, zu verbiegen und nicht ganz so ernst zu nehmen, wenn wir zu der Überzeugung gelangt sind, dass diese oder jene Regel in genau diesem Moment Quatsch ist, einer positiven Entwicklung im Weg steht, oder evtl. sogar Schaden verursacht. Ein Beispiel: man steht mit seinem Fahrzeug nachts um 02:37 an einer roten Ampel. Alle, bekanntermaßen wenig befahrenen Zu- und Abfahrten sind weithin sichtbar lotterleer und es gibt keine Blitzampel, welche einen etwaigen Verstoß dokumentieren könnte – was wird man wohl tun…? Zeichnen wir das Bild noch etwas differenzierter: nehmen wir an, das Fahrzeug ist ein Rettungswagen mit einem Patienten, der zwar nicht kritisch ist, der vom Rumliegen auf der Fahrtrage im RTW aber auch nicht besser wird. Ihre Entscheidung, Watson. Sofern solches – explizit NICHT Regelkonformes – Verhalten in bestimmten Situationen dazu angetan ist, in der Gesamtschau der Prozesse einer Organisation oder eines Subsystems dieser Orga einen Benefit zu erzeugen, spricht man in der Diktion von Niklas Luhmann von “brauchbarer Illegalität“. Es geht dabei nicht um expressiv gesetzeswidriges Handeln (also Illegalität im Kontext unserer Gesetze), sondern um ein interpretierendes Biegen / Unterlaufen von Regeln und Normen innerhalb komplexer Organisationen, um positive Einzeleffekte erzielen oder aber deren Innovations- und Reaktionsfähigkeit erhalten zu können. Und man spricht auch dann nicht von “brauchbarer Illegalität”, wenn das Handeln lediglich darauf abzielt, einen Vorteil für sich selbst zu gewinnen; das wird in den meisten Fällen eh ein durch das StGB beschriebenes Verhalten sein: Mobbing, Unterschlagung, Betrug, etc.

Aber der Spruch “Alle haben gesagt, dass das nicht geht. Dann kam einer, der das nicht wusste und hat es einfach gemacht!” beschreibt die Idee hinter dem Begriff “brauchbare Illegalität” ganz gut. Manchmal muss man andere Wege abseits des Üblichen gehen, um an ein Ziel kommen zu können. Und wenn diese Wege theoretisch durch diese oder jene Regel verbaut sind, kann selektive Blindheit in solchen Situationen sehr hilfreich sein. Das dann manchmal trotzdem jemand – sich die Augen reibend – immer noch das Bier hält und sich fragt, was zur Hölle da gerade passiert ist, bleibt hierbei wohl für immer ein Risiko. Aber ohne den Mut, Regeln zu brechen, die kreativen Problemlösungen im Wege stehen, würden wir vermutlich noch immer Fellvorhänge benutzen, bei der Mammutjagd verletzt werden, ohne dass die BG für die Folgen aufkäme; und Säbelzahntiger wären immer noch eine existentielle Bedrohung. Na ja, ICH hätte freilaufende Großkatzen in Berlin ja gefeiert… Man mag anderer Meinung sein, aber für mich ist ein gelegentliches Going against the Rules essentieller Bestandteil meines Daseins. Denn wenn man in einem Zimmer steht und nicht verstehen kann, warum das/die Gegenüber einfach nicht sehen können (oder wollen), was vollkommen klar (und laut trötend…) im Raum steht, bleiben halt manchmal nur noch die verpönten Guerillataktiken. ICH bin jedenfalls lieber brauchbar illegal, anstatt unkreativen Dienst nach Vorschrift zu tun und damit Probleme nur unnötig zu prolongieren. Und ihr so? By the way – bald ist Weihnachten. Legt euch doch mal selbst was Gutes unter den Baum. Wie wäre es etwa mit einem Arsch in der Hose, wenn der Wind bei der Arbeit mal wieder auffrischt. Gehabt euch wohl…

Auch als Podcast…

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