Das Netz ist eine Echokammer. Diese Feststellung ist eine Binse, denn alles, was ich – etwa über Antisocial-Media-Kanäle – hineintue, wird zwangsläufig in irgendeiner Form bewertet. Und wenn dies nur durch eklatante Nichtbeachtung geschieht. Man kann nicht nicht kommunizieren. Watzlawick ist anscheinend also auch in den Weiten des Internets gültig. Allerdings ist ja auch genau das der Zweck vieler dieser Äußerungen. Wir heischen nach Aufmerksamkeit, wie ein Kind, dass uns sein neuestes “Kunstwerk” präsentiert; selbst wenn die liebenden Augen der Eltern in die ungelenken Striche und schreienden Farben nur mit großer Mühe eine Blume interpretieren können, werden wir unsere Brut loben, denn positive Bestätigung braucht jeder. Vor allem ein Kind.
Im Netz jedoch ist nur eines gewiss, nämlich das mein Nucleus Accumbens und meine Amygdala im ständigen Wettstreit liegen, wenn ich z.B. Facebook öffne. Wie wird das Echo ausgefallen sein? Lieben sie mich noch? HASSEN SIE MICH JETZT? Und diesen Scheiß tuen sich sehr viele von uns täglich an; während wir gleichzeitig über Suchtkranke die Nase rümpfen. Der zu Grunde liegende Mechanismus ist jedoch der selbe! Ich bin nun bei weitem nicht der Erste, der sich darüber beklagt, nicht der Lauteste und ich werde auch gewiss nicht der Letzte sein. Aber mir geht es auch gar nicht so sehr um den Aspekt der Sucht; sondern vielmehr um den der Identitätsbedrohung.
In der Psychologie kennt man den pathologischen Prozess der Identitätsdiffusion. Man darf sich die individuelle Identität nicht als starres Konstrukt vorstellen. Es ist eher ein ein ständiges Austarieren des Gleichgewichtes zwischen den Anforderungen, welche die verschiedenen Rollen an uns herantragen, die wir im Laufe des Tages spielen müssen: Kind, Elternteil, Freund, Feind, Kollege, Mentor, Auszubildender, Chef, Angestellter, etc. Jede dieser Rollen beinhaltet ein spezielles Portfolio akzeptablen (und inakzeptablen) Verhaltens, welches wir durch Erfahrung erlernen. Aus den Erfahrungen formieren sich mentale Landkarten, die uns helfen, durch die Anforderungen zu navigieren.
Als Produkt dieser vielen externen Anforderungen und unserer internen Bedürfnisse entsteht unsere Identität als Prozess. Sie verändert sich mit unseren Erfahrungen und unserem Umfeld immer wieder. Allerdings geschieht diese Veränderung nicht nur schleichend. Dann und wann geraten Menschen in Krisen – etwa durch Verlusterfahrungen (Partner, Job, etc.), Krankheit, das Älterwerden als solches (Midlife-Crisis); oder, weil die Persönlichkeit noch nicht ausgereift ist (Jugend- und Adoleszenzalter). In solchen Krisensituationen sind wir, weil auf der Suche nach (neuer) Orientierung, besonders empfänglich für externe Trigger. Und dann kommt Antisocial-Media daher…
Natürlich suchen Menschen in kritischen Situationen – selbst, wenn ihnen dies gar nicht bewusst wird – besonders verzweifelt nach Bestätigung. Krisen entwerten oft das, was wir als Gewissheiten wähnten, zerschmettern unseren Lebensentwürfe und zwingen uns, wirklich ALLES auf den Prüfstand zu bringen. Das ist purer Stress, Cortisol im Überfluss, das uns krank macht und wir wollen das nicht. Niemand will das! In solchen Stress-Situationen suchen Menschen oft nach externen Befriedigungen. Manche gehen shoppen, andere springen, nur mit einem Gummiseil am Fuss, von ‘ner Brücke (manche auch ohne Gummiseil…) – und viele nutzen die Echokammer der eigenen (Anti)Social-Media-Blase, um besser drauf zu kommen.
Man könnte jetzt sagen: Das ist doch nicht verwerflich! Ist es grundsätzlich auch nicht. Da diese Menschen aber psychisch vulnerabel sind, werden sie empfänglich für die Dogmen, mit denen nicht wenige Verschwörungs-Bummsköppe heutzutage um sich werfen. Oder sie rutschen in die Social-Media-Sucht. Das Tückische dabei ist, dass man auch ein hohes Maß an Konsum noch sehr leicht begründen kann. Doch die Grenze ist fließend und die Gefahren mannigfaltig. Mir geht es nicht darum Social-Media-Nutzung zu verteufeln. Da müsste ich mich ja selbst exorzieren… Aber einmal mehr – gerade im Zusammenhang mit dem, nun langsam ausschleichenden Cornona-Lockdown und dem daraus resultierenden Online-Hype – will ich dazu aufrufen, bewusster mit diesen Medien umzugehen und gerade jetzt, wenn das vielen auch paradox klingen mag, mal Digital Detox zu versuchen. Ich wünsche euch ein schönes Wochenende.