Rollenspiel für Dummies #11 – Böse Bösewichte

Tja. Man könnte natürlich Rollenspiel betreiben, indem man normale Tagesabläufe beschreibt, bei denen Sachbearbeiter Konstantin Kalubbe mit der Unbill seltsamer Kunden behelligt wird. Jeden Tag auf’s Neue ruft Peter Paternoster an und fordert Dinge, die Ihm laut Vertrag gar nicht zustehen. Und unser wackerer Kalubbe findet jedesmal ein neues Hintertürchen im Kontrakt, welches Paternosters‘ illegitime Forderungen elegant abblitzten lässt. Und Tschakka – wieder gescored… Tatsächlich kommen mir Spiele wie die Sims oder dergleichen manchmal so vor. Ohne jetzt Fanboys und -girls vor den Kopf stoßen zu wollen, aber wenn ich so was will, gehe ich auf der Leitstelle arbeiten. Ist meistens auch wie Bullshit-Bingo und die anderen (Anrufer) haben alle Joker!

Meine Idee von Rollenspiel hat eher was mit dem Ungewöhnlichen, dem Abseitigen, dem Unglaublichen oder Unaussprechlichen zu tun; oder anders gesagt mit Dingen, mit denen meiner einer im echten Leben nie zu tun hat. Oder hat einer von euch schon mal eine Atomgranate entschärft, die NSA gehacked, einer Yakuza-Kampftruppe die Stirn geboten, fremde Welten erforscht, und, und, und…? Tja, wohl eher nicht. Und weil es so verdammt unwahrscheinlich ist, dass so etwas je im realen Leben passiert, mischen sich meine Charaktere im Spiel immer wieder in  Angelegenheiten ein, die sie nichts angehen, ohne vorher zu wissen, was, bzw. ob sie dafür überhaupt etwas bekommen, oder wem sie dabei auf die Füße treten werden.

Und sie werden Leuten auf die Füße treten. Den diese Art von Rollenspiel, wie ich sie betreibe lebt – wie eigentlich alle Arten von Unterhaltungskunst – von der Qualität des Gegenspielers. Was wäre denn z. B. ein Bond-Film ohne einen wirklich bösen Bösewicht? Was wiederum die Frage aufwirft, was einen Bösewicht denn nun zum Bösewicht macht? Eine hoch relevante Frage, wenn man bedenkt, dass die allermeisten Geschichten für ihr Funktionieren einen Gegenspieler brauchen.

In Filmen läuft es ja oft so, dass man den Bösewicht erstmal so richtig bei der Arbeit zeigt (Exposition/Steigerung), nachdem man die wackeren Helden eingeführt hat. Klassische Dramatik-Schule. Dann lässt man den Antagonisten mit allerlei Schurkerei davon kommen, so dass der Zuschauer so richtig Gelegenheit bekommt, den Bösen als Bösen hassen zu lernen. Dazu gehört auch, dass der/die Held/en mindestens einmal in ihrem Bemühen krass scheitern, den Bösewicht aus dem Verkehr zu ziehen (Katastrophe). Zum Beispiel, weil sie nicht bereit sind, die gleichen Mittel einzusetzen, die der Antagonist und seine Henchmen.

Und dann kommt meist Payback (Happy End). Nur wenige Filme lassen den Bösen davon kommen. Allerdings beleuchten auch wenige Filme die Motive des Bösen. Ist ja nicht so, dass alle Bösewichte reinste Soziopathen wären, die keinerlei Empfindung haben bezüglich ihres Tuns. Auch Antagonisten haben eine Agenda, Ziele, (Zeit)Pläne; und manchmal ist das Böse des Einen die gerechte Sache des Anderen. So kommen z. B. Kriege zu Stande. Beide seiten denken üblicherweise, im Recht zu sein.

Im Rollenspiel nun den Antagonisten sein Ding durchziehen zu lassen, hat folgerichtig nur selten etwas mit dem wahren Bösen zu tun. Denn wenngleich es Antagonisten gibt, die einfach nur die Welt brennen sehen wollen (und die sind sehr selten), haben die meisten doch (durchaus auch persönliche) Motive, die sie selbst nicht als böse wahrnehmen würden.

Was ist also nun böse; oder besser was macht den Bösewicht böse? Meist nutze ich Motive meiner Antagonisten, welche dem üblichen Rechts- bzw. Gerechtigkeitsempfinden der Charaktere zuwider laufen. Nicht selten haben Spieler bei mir herausfinden müssen, dass das gefühlt Erzböse auch einfach nur (über)leben wollte. War für manche recht verstörend, wenn man es doch liebt seine Gegner zu hassen.

Wichtig für mich ist, dass Motive nachvollziehbar realistisch sind und konsistent zur Geschichte erzählt werden. Und wenn meine Spieler die Gegner dann immer noch bekämpfen wollen und sich – oft im Streit innerhalb der Gruppe – entscheiden müssen, welche Methoden einzusetzen sie bereit sind, wird daraus meist gutes Spiel. Wir wachsen schließlich an unseren Prüfungen; Fehler stets inbegriffen. In diesem Sinne – always game on!

Rollenspiel für Dummies #10

Einfach mal selber machen! Was für Heimwerker gilt, gilt für den Spielleiter mit magerem Geldbeutel ebenso. Ich könnte jetzt darüber lamentieren, dass manche Rollenspiel-Verlage mit noch einem und noch einem und noch einem Quellen- oder Welten- oder Monsterbuch einfach nur an meine Kohle wollen. Ja sicher wollen sie das, schließlich müssen die ja auch ihre Rechnungen bezahlen und Verdienst lässt sich in einer Branche, die mit Illusionen arbeitet nur mit einem dauernden Strom neuer Illusionen erzeugen. Folglich bin ich niemandem böse, wenn er seine Bücher verkaufen will.  Ich brauch die nur nicht…

Früher war ich auch einer dieser Sammler, der von bestimmten Settings einfach alles haben wollte. Irgendwann jedoch musste ich erkennen, dass es meine Vision des Spiels nicht nur einzuengen, sondern sogar zu zerstören begann. Ich hatte mir zwischenzeitlich eigene Gedanken gemacht, eine eigene Timeline, eine eigene Core-Story entwickelt, in die sogar andere Spielleiter eingestiegen sind. Das „Hausregel“-Buch war schließlich irgendwann fast so dick, wie das Grundregelwerk und alles in allem waren wir mit „unserer“ Variante sehr zufrieden, da sie unseren Style of Play in jeder Form unterstützte, was das Original eben so nicht zu leisten vermochte.

Das ist nicht verwunderlich. Was für die Kunstform-bedingten Unterschiede zwischen Buch und Film gilt, gilt auch für die variierenden Interpretationen einer vorgegebenen Spielumgebung, oder eines Regelsatzes. Ich wollte beim Erzählen etwas anderes erreichen, als der Schöpfer vorgesehen hatte, also passte ich kurzer Hand seine Schöpfung an meine Ideen an. Letzten Endes könnte man es als Sampling oder Mashup verstehen, da bereits vorhandenes Material auf neue Art abgemischt und verwendet wurde. Doch irgendwann war auch das nicht mehr genug.

Die Ideen, die ich im Kopf hatte – nicht nur bezüglich der Geschichten, welche ich erzählen wollte, sonder auch hinsichtlich der Regeln, die einen speziellen Style of Play ermöglichen sollten – forderten die Entwicklung eines eigenen Regelwerkes, dass im Lauf der Zeit überdies verschiedene Abwandlungen für unterschiedliche Settings erfahren hat. Ich nutze, sowohl als Spieler, wie auch als Meister gerne einen eher cineastischen Stil, der den Charakteren Raum für abgefahrene Stunts lässt, ohne dabei Realismus völlig aus dem Fokus zu verlieren. Haarsträubend abgefahrene Aktionen könne folglich abgefahrene Ergebnisse erzielen, oder aber haarsträubend schief gehen.

Das erzeugt Spannung und lässt mir trotzdem die Freiheit, manchmal das Schicksal ein wenig zu biegen, wenn die Geschichte es erfordert – oder ein Char trotzdem überleben soll. Das bedeutet einerseits, dass ich nicht unbedingt für alles einen ausgearbeiteten Lageplan brauche. Andererseits muss ich mir viel mehr Gedanken über all meine NSCs, ihre Motive und Pläne, sowie deren Interaktion mit dem Setting machen und auch darüber Buch führen. Mir macht es so Spaß und meine Spieler sind zumindest soweit ich das beurteilen kann auch zufrieden.

Das Gesagte wirft aber natürlich die Frage auf, wie es mit den Rollenspiel-Verlagen künftig weitergeht. Denn so wie Printjournalismus ist auch die Gestaltung von Rollenspielbüchern ein kostenaufwendiges Unterfangen, dem heute zum einen die mannigfaltigen Möglichkeiten des Selfpublishings gegenüber stehen und zum anderen die schier unerschöpflichen Inspirations-  und Recherchequellen des Internets. Ich habe das Gefühl, dass mein Lieblingshobby heute im Netz präsenter denn je ist. Man findet x verschiedene Menschen, die liebevolle Blogs, Foren etc. betreiben und sich über alle Aspekte des Spiels austauschen und vieles heutzutage selber machen, wofür man früher Bücher gekauft hat.

Einerseits ist das schön, denn es zeigt, das RolePlayingGames mitnichten tot sind – genauso wenig wie Cyberpunk! – andererseits bedeutet es, dass auch diese Branche sich ändern muss. Die klassischen Wege des Publizierens werden weiter schrumpfen und mit ihnen die eh schon kleine Branche. Und trotzdem werden wir noch viele Perlen finden, denn längst werden die besten, die innovativsten, die spannendsten Spiele von den Speielern selbst gemacht. in diesem Sinne: alway game on!

Der Märchenonkel lebt! – Rollenspiel für Dummies #09

Tja, wer glaubt, dass es so einfach wäre, Familie Arbeit & Studium unter einen Hut zu bekommen und dann auch noch Freizeit hätte, um seinem Lieblings-Hobby nachgehen zu können, lässt sich auch vom Osterhasen seine Eier bemalen, oder…? Oh, wie ich es im letzten Jahr gehasst habe, kaum dazu zu kommen, zu tun, was mir doch so am Herzen liegt. Aber nun ist diesbezüglich Leben in die Bude zurückgekehrt! Und wieder habe ich bei der Beobachtung des Spiels etwas gefunden, dass mich fasziniert.

Des öfteren habe ich schon über Railroading gesprochen; der Begriff meint, dass ein Spielleiter seinen Spielern die, von ihm vorgedachte, Lösung eines Abenteuers, oder auch einer ganzen Kampagne mehr oder weniger subtil aufzwingt. Kann ich gar nicht drauf. Rollenspiel soll – aus meiner Sicht per Definition – dem Spieler genau so viel gestalterische Freiheit einräumen, wie dem Spielleiter. Oh, gewiss, der Spielleiter legt die notwendigen Spezifika des Settings (also der virtuellen Spielumgebung) fest, nachdem man sich auf eines geeinigt hat. Sagen wir, man ist übereingekommen, High Fantasy spielen zu wollen; dann fällt dem Spielleiter die Aufgabe zu, die Welt, den Metaplot, die Stories und die dazu gehörenden Akteure (Nicht-Spieler-Charaktere) zu entwickeln. Nebst aller dazu gehörenden Verwicklungen.

Aufgabe der Spieler ist es, sich – zumeist auf Basis einiger Vorab-Infos, Fragen oder Hinweise des Spielleiters – auszudenken, was für eine Figur sie diesmal spielen wollen und dann mit Hilfe des jeweils verabredeten Regelwerks diese auszugestalten. Und schon kann es losgehen; in der Erwartung, dass ich durch die Aktionen meiner Spielfigur / meines Chars Einfluss auf das Geschehen nehmen kann. Manchmal klappt das ganz gut, manchmal auch nicht. Man muss vor Spielbeginn schon präzise über die Prämissen gesprochen haben, damit nicht jeder mit unterschiedlichen Vorstellungen zu spielen anfängt. Ein Beispiel (schon oft erlebt): Kinder einer Mittelalter- oder Renaissance-Kultur fangen plötzlich an, von individueller Freiheit, Emanzipation, Gotteslästerung und womöglich sogar Demokratie zu faseln… wenn mir nun jemand erklärt, woher sie das haben sollen bitte, aber ansonsten: NOT!

Nehmen wir aber an, man habe sich geeinigt: auf Regelwerk, Konventionen, Spielstil, angedachte Entwicklungsmöglichkeiten und spielt los. Eine Zeit lang ist es ganz nett, im Dunkeln gelassen zu werden, aber nach einer Weile muss mal die eine oder andere Katze aus dem Sack. Dann sollte das Tempo steigen. Wenn das Tempo dann allerdings unentwegt hoch bleibt, oder sogar noch mal gesteigert wird, obschon Chars (oder auch Spieler) eine Pause brauchen, wenn man erst mal abwartet, für welche Richtung die Spieler sich entscheiden, nur, um sie dann kurz vor dem Erreichen ihres mühsam ausdiskutierten Ziels vollkommen in die andere Richtung zu schieben, wird es etwas ärgerlich. Nicht weil ich mich nicht gerne überraschen lasse. Sondern, weil man sich manche Diskussion sparen könnte. Und da komme ich mir dann etwas gerailroadet vor.

Ich als Spieler stehe total darauf, Möglichkeiten zu explorieren, verschiedene Fertigkeiten miteinander zu kombinieren, um unerwartete Effekte entstehen zu lassen. Kreative Lösungen für komplizierte Probleme. Als Spielleiter gebe ich meinen Spielern bei solchen Gelegenheiten, wenn jemand mal was richtig kaputtes ausprobieren will, was so nicht im Regelwerk steht immer gewisse Freiheiten. Sowas wünsche ich mir von den Spielleitern, bei denen ich spiele auch, kriege ich aber nicht immer und dann bin ich manchmal ein bisschen traurig, weil ich als Rampensau nicht anders kann, als den Blödsinn, der mir gerade durch den Kopf schießt ausprobieren zu wollen.

Sowohl als Spieler wie auch als Spielleiter bin ich eine eher intuitive Seele. Ich habe früher unendlich viel Zeit damit vergeudet, Pläne zu zeichnen, Plots zu dokumentieren, Nicht-Spieler-Charaktere auszuarbeiten; alles für die Katz, weil Spieler regelmäßig meine sorgsam durchdachten Plots vollkommen anders aufgerollt haben. Und das war und ist immer noch gut so! Es hat mich aber gelehrt, dass man als Meister besser immer mit dem Plan X arbeitet. Wenn man nix spezielles erwarten muss, dann wird man immer überrascht, aber so gut wie nie enttäuscht. Und das ist schön. In diesem Sinne heißt es daher auch für mich wieder – always game on!

Spielerische Annäherung – Rollenspiel für Dummies #8

Ich habe neulich, wie ich so ein wenig in den weiten Untiefen des Netzes der Netze umherdümpelte (wer mich kennt, weiß, dass ich so oder so NICHT nach Surfer aussehe) natürlich auch mal wieder geschaut, ob es zu meinem Lieblingshobby etwas Neues zu wissen gibt. Hierzu als Aufklärung: ich bin schon seit weit über 25 Jahren Fantasy-Rollenspieler. Und neben solchen Dingen wie Spielsystemen, mit den dazu gehörenden Regel-, Quellen- und Fantasy-Art-Büchern, jeder Menge, für sich allein betrachtet, unnützen Allgemeinwissens und Diskussionen über alle möglichen soziologischen und technischen Aspekte des Spiels interessieren mich natürlich vor allem Ansichten, Ideen und Erfahrungen anderer Süchtiger… ähm, Pardon, Spieler meinte ich selbstverständlich. Und die findet man heutzutage, wie alles Mögliche andere auch, im Internet.

Rollenspiel ist insofern dem wahren Leben ziemlich ähnlich, als man hier ein um einen Faktor k (k kleiner eins) gestauchtes Modell desselben findet. Natürlich sind die Charaktere keine Normalos und sie tun im Kontext des Spiels auch keine normalen Dinge (es sei denn wüste Verfolgungsjagden, die NSA hacken, einen Drachen erschlagen oder sich durch feindliche Heerlager schleichen gehören zu eurem Alltag); ebenso wenig sehen sie zumeist wie Normalos aus und gehen manchmal auch keine normalen (virtuellen) Beziehungen ein. Oder besser gesagt: die zwei letzteren Dinge hängen vom Gusto der Spielerunde und ihrer Teilnehmer ab. Und wie man mit einem Blick in Foren, Blogs, etc. so feststellen kann, ist genau dieser Part gar nicht so unkritisch… fast wie im wahren Leben, nicht?

Es gibt da die unterschiedlichsten Ansichten, von denen ich einige durchaus „interessant“ finde; wobei dieses „interessant“ durchaus in Spock’scher Diktion verstanden werden darf. Da gibt es zum Beispiel jene, die sagen, Beziehungen im Rollenspiel interessieren sie nicht, für sie ist der „Loot der Woche“, also das Plündern irgendeines Schatzes weit wichtiger. Mich durchzuckte der Gedanke, dass jene, die sowas äußern entweder noch zu jung für Beziehungen sein mögen (sorry, aber Menschen unter 25, bzw. ohne eigene Kinder als „erwachsen“ ernst zu nehmen, fällt mir zunehmend schwerer), oder aber gebrannte Kinder sind, die nicht mehr an eine gelingende Beziehung glauben mögen. Schade für sie. Dann war da jene Gruppe, die grundsätzlich Beziehungen unter Charakteren OK findet, aber Männer müssen auf jeden Fall männliche Charaktere spielen und Frauen weibliche – was für ein Käse! Gerade das Spielen mit Rollen- und Geschlechterklischees macht doch den Reiz des Charakterspiels aus. Ach so, stop, vielleicht besteht die erste Gruppe auch aus Gamisten…? Die mögen natürlich kein Charakterspiel.

Ach ja und dann war da noch die Frage nach Homosexualität im Rollenspiel. Oh lieber Himmel, was da unter dem Deckmäntelchen „das passt ja nun nicht so in unseren Spielkontext“ an verkappter Homophobie unterwegs war, kotzt mich mal so richtig an. Ja, es ist nur ein Hobby, aber auch an diesem Ort des Spiels und Spaßes bin ich schon über Nazis, Rassisten und sonstige soziale Problemfälle gestolpert. Na ja, auch engstirnige Menschen haben manchmal Phantasie.

Ich klinge jetzt vermutlich ein bisschen gereizt, aber da liegt der werte Gast weit daneben. Amusement ist das Gefühl, welches mich mittlerweile befallen hat. Zum einen, weil ich die, den oben beschriebenen Meinungen zu Grunde liegende Selbstbeschränkung eigentlich lächerlich finde. Meine persönlichen Erfahrungen haben mich nämlich eine reiche Bandbreite an gespielten sozialen Beziehungen im Kontext einer guten Geschichte schätzen gelehrt. Zum anderen offenbart es jedoch in unverstellter Art und Weise, dass da Menschen am Spieltisch sitzen, die nicht so wirklich aus ihrer Haut können. Ein altes Diktum unter Rollenspielern sagt nämlich, dass in jedem Charakter ein Teil unserer ureigenen Persönlichkeit steckt. Und weil, wie ich vorhin schon sagte, das Rollenspiel ein quasi verkleinertes Abbild der wahren Welt ist, lässt dieser Gedankengang auch einen Blick auf meine eigenen Gedanken zu. Ich mag es, wenn mit Rollen- und Geschlechterklischees gespielt wird (ich selbst spiele gerne weibliche Charaktere, weil mich starke Frauen schon immer fasziniert haben und niemand wird ernsthaft erwarten, dass ein Rollenspielcharakter schwach ist – immerhin sollen es ja Helden sein). Ich finde, das Ausspielen von Beziehungen aller Art (nicht nur den romantischen, aber eben auch von denen) ist der wichtigste Teil von Rollenspiel überhaupt; und ich bin einem guten Loot dennoch nie abgeneigt.

Schließlich aber hoffe ich, mein Näschen für Beziehungskisten und meine Reaktionsfähigkeit hier spielerisch geschärft zu haben und dies auch weiterhin zu tun. Es ist für mich, da ich so viele Alternativen schon gesehen/gespielt habe, auch ein Training für meine sozialen Fertigkeiten; sozusagen eine spielerische Annäherung. Einerseits hoffe ich, mir so meine Offenheit für alles Neue konservieren zu können und andererseits sammle ich so auch die Contenance, mit den von mir hier geschmähten Meinungen und den Protagonisten, welche sie vortragen gelassen umgehen zu können. Auch im Spiel kann man was für’s Leben lernen, wenn man es nur zulassen mag. In diesem Sinne – always game on!

Aus des Märchenonkels Nähkästchen #3 – Zusammen erzählt sich’s leichter?

Ein einzelner Erzähler macht sein Ding. Das ist mitnichten so einfach, wie es klingen mag, denn es gibt, wie ich schon des Öfteren durchklingen ließ eine Menge Dinge zu beachten, wenn das Ergebnis halbwegs gut sein soll. Ein Team von Autoren, und sei es noch so klein, tut sich da in gewisser Weise schwerer. Man hat zwar einen größeren Pool an Ideen und literarischem Know-How, doch natürlich möchte jedes Teammitglied auch seine Ideen verwirklicht sehen, was mittelfristig immer zu Problemen führt. Nicht umsonst ist Projektmanagement ein eigenes Studienfach… Aber auch dafür lassen sich bei einem Buchprojekt o.Ä. Lösungen finden, denn man hat ja zumindest ein gewisses Zeitkontingent um die Sache zum Abschluss zu bringen. Der wichtigste Termin ist die Deadline, zu der abgeliefert sein muss. Macht man auch seine Zeitpläne selber, weil einem kein Lektor oder sonst wer im Nacken sitzt, ist das einzige Limit der eigene Perfektionismus. Das ist total schön, kann einen aber auch zum Trödeln verführen.

Zusammen ein Buch zu schreiben, oder sonst ein fiktionales Werk zu schaffen, ist ein kreativer Prozess, bei dem alle auf ein irgendwie definiertes Ziel hinarbeiten. Beim Rollenspiel kann man die Idee von gemeinsamen Zielen oft genug nehmen und in die Tonne treten, weil jeder Spieler sein eigenes Süppchen kocht. Doch davon gleich mehr. Zuerst kommt nämlich die Frage, was mit einer Geschichte, die ich als Spielleiter auf meine Spieler bzw. deren Charaktere losgelassen habe passiert. Ich habe schon erwähnt, dass man so gut wie nicht vorher sagen kann, was die Spieler mit den Interaktionspunkten und Puzzlestücken, die man ihnen anbietet anstellen werden. Deswegen bleibt es auch für mich als Erzähler immer spannend. Das bedeutet aber auch, dass man als Spielleiter im Gegensatz zu einem Buchautor kein Copyright für sich beanspruchen kann. Die Grundidee der Geschichte, die NSCs und ihre Pläne und Ziele, die möglichen Konsequenzen eines Nichteingreifens und bestimmte Orte, die im Ablauf der Story eine Rolle spielen sollen, kann ich mir ausdenken, aber ich mache all das, indem ich es mit den Spielern durch das Erzählen teile sozusagen zur Public Domain. Ich überlasse zumindest einen Teil der Rechte an der Geschichte Anderen, um sie damit und darin interagieren können zu lassen, wie sie es für richtig halten. Was aber noch viel entscheidender ist: all das passiert on the fly! Die Geschichte verändert sich, während alle an ihr miterzählen sofort und unabänderlich. Einflussnahmen, die vielleicht nicht das gewünschte Ergebnis erzielen, bleiben einmal erzählt/gespielt trotzdem Teil der Story und ziehen ihre Konsequenzen nach sich. Sich dessen gewärtig zu sein. Ist nicht immer leicht.

Ich muss also als Spielleiter darauf eingestellt sein, loszulassen. Eine Geschichte, die man sich ausgedacht hat, enthält mindestens Inspirationen, maximal Herzblut, welches man in den kreativen Prozess investiert hat. Und man muss lernen, es als Return of Investment betrachten zu können, wenn die Spieler mittels ihrer Spielfiguren etwas vollkommen anderes damit anstellen, als man sich selbst ausgemalt hatte. Es wird oft darüber gestritten, wie viele Freiheiten ein Spielleiter seinen Spielern beim selbst gestalten ihrer Geschichten lassen sollte. Manche versuchen die Charaktere immer wieder zurück auf den roten Faden zu nötigen (wenn das zu exzessiv geschieht, spricht man von Railroading – sie in den Schienen halten). Andere geben einfach nur eine Spielwelt vor und lassen die Spieler mal machen, oft ohne nennenswerte Hinweise auf einen Metaplot oder irgendwie ableitbare, übergeordnete Ziele; das kann eine Weile ganz interessant sein, allerdings auch zur Verwirrung und Planlosigkeit führen. Es gibt auch Meister, die ihre Spieler darüber entscheiden lassen, welche Art von Abenteuer es denn diesmal sein darf und sich nicht viel um Konsequenzen für die Spielwelt, den Metaplot oder sonst was scheren. Ich persönlich bevorzuge es allerdings, mir vorher einen übergeordneten Spannungsbogen, wichtige NSCs, die ihre eigenen Pläne verfolgen und spezielle Orte auszuarbeiten. Die Charaktere bekommen ihre Chancen, darauf zu reagieren, wenn sie das unterlassen, hat das irgendwann Konsequenzen, die auch auf sie zurück fallen können, jedoch nicht unbedingt müssen.

Nehmen die Spieler meine Fäden auf, überlasse ich ihnen, was sie daraus machen. Konzentrieren sie sich auf etwas Anderes, überlege ich mir, ob ihre Pläne und die der NSCs sich miteinander überschneiden, konvergieren, divergieren, etc. und lasse daraus neue Spannungspunkte entstehen, wenn es angezeigt ist. In jedem Fall aber werden die zu Grunde liegenden Teile damit zu unserer Geschichte und ich würde mir nicht anmaßen, sie noch als mein Eigentum zu betrachten. Und gerade weil ich ab einem bestimmten Punkt nur noch einen geringen Einfluss auf den Fortgang der Ereignisse habe ist es für mich genauso spannend wie ein gutes Buch, ein Film, etc., eben ein Abenteuer. Vom Standpunkt eines Autors sind mitnichten alle Ergebnisse von gleicher Qualität, was allerdings beim Rollenspiel dann unwichtig wird, wenn trotzdem alle ihren Spaß dabei hatten. Denn auf Spaß gibt’s kein Copyright…

Aus des Märchenonkels Nähkästchen #2 – Der Anfang ist immer das Schwerste!

Gilt für sehr viele Dinge im Leben, aber einen Artikel mal mit einer allgemeinen Erkenntnis zu beginnen, muss nicht immer schlecht sein, weil der Platitude verdächtig. Es wird auch oft gesagt, schon auf der Journalistenschule lerne man, nicht so viele Adjektive zu benutzen, die einen jeden Satz prächtig auszuschmücken vermögen. Überhaupt seien viele Worte irgendwie barock, unnötig und überdies ganz schlechter Stil. Minimal ist „IN“, man soll viel mit wenig zu beschreiben wissen und den Leser bitte nicht mit pittoreskem Beiwerk, sozusagen „Wortstuck“ den Weg zum Gehalt der Worte verbauen, so wie in katholischen Kirchen die überbordende Pracht der Innenausstattung oft den sakralen Charakter des Gebäudes mit Zuckerguss verkleistert. Womit wir wieder beim Barock wären…

Doch wie beginnt man eine Geschichte? Wirft man den Leser mitten hinein, lässt ihn erst mal im Unklaren über Zeit, Ort, Motive der Protagonisten, usw.? Beschreibt man groß und breit eine Szenerie, oder bleibt man beim hippen Minimalismus und lässt die Orte durch vage hingeworfene Bilder im Geiste des Konsumenten entstehen? Man trifft all das und noch viel mehr in den Veröffentlichungen unserer Zeit; und auch in denen vergangener Zeiten. Denn so sehr wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt auf den verschiedensten Ebenen auch unsere Leben verändert haben mag, so gern wir uns – leider – von den Wundern unserer Zeit blenden lassen, so aktuell bleiben alte Fragen, allerdings in neuem Gewand.

Das eben hingeworfene soll mitnichten bedeuten, dass man auf die alten Fragen auch immer die alten Antworten geben soll; diesem Irrglauben habe ich bereits oft Absage erteilt. Weil das Transponieren alter Fragen in die neue Zeit auch neue Fragen aufwirft. Unsere Sexualmoral zum Beispiel ist heute eine Andere, als sie das noch vor 50 oder 100 Jahren war, allen Einwürfen der katholischen Kirche zum Trotz. Diese Aussage beinhaltet übrigens keine Wertung. Ich bin nur der Ansicht, dass niemand das Recht hat, über einen sehr intimen Aspekt meines Daseins zu urteilen oder zu bestimmen; zudem finde ich, dass etwas so persönliches wie die eigene Sexualität nicht in der Öffentlichkeit breit getreten werden sollte. Wenn jemand die Entscheidung trifft, dies dennoch zu tun, so ist dies sein Bier; ich rate allerdings entschieden davon ab.

Solche Feststellungen könnten den Schluss zulassen, dass Schreiben, oder allgemeiner gesprochen das Geschichtenerzählen stets einem Zweck dient, einen tieferen Sinn in sich trägt. Wer allerdings nun überall interpretieren und nach diesem Sinn suchen möchte, könnte vielleicht nicht allzu selten enttäuscht werden. Weil sich einerseits viele Autoren überhaupt nicht die Mühe machen, ihren Geschichten einen solchen sinnhaften Subtext mitzugeben – manchmal aber auch einen höchst fragwürdigen – andererseits ein möglicherweise enthaltene Bedeutung auch oft fehlinterpretiert wird. In beiden Fällen resultiert das in der Zuschreibung eines sinnlosen Bedeutungsüberschusses, der so nicht intendiert war. Zu diesem Phänomen kann man namhafte Autoren befragen.

Eben das Ringen mit der Bedeutung des Gesagten oder Geschriebenen macht das Problem mit dem Anfang noch komplizierter. Wenn ich mir wünsche, dass die Leute etwas Bestimmtes zwischen den Zeilen lesen sollen, muss ich mir wesentlich mehr Mühe mit der Konzeption geben. Beim längeren Text, wie etwa einem Essay, einer Kurzgeschichte oder einem Buch ist das zwar zusätzliche Arbeit, doch als Autor hat man ja – mehr oder weniger, der Lektor hat da auch noch ein Wörtchen mitzureden – die volle Kontrolle über alle Aspekte einer Geschichte. Aber genau das ist auch ein Fluch, denn mit voller Kontrolle kommt auch volle Verantwortung. Und dass ein paar achtlos dahin geworfene Worte große Probleme machen können, dürften zumindest Leute, die im Lichte der Öffentlichkeit stehen, schon des Öfteren erlebt haben. Ratzfatz wird wieder eine mediale Sau durchs digitale Dorf getrieben.

Ich gebe hier bestimmt keine Ratschläge, wie man einen Text zu beginnen hätte; weder bin ich dazu als Autor gut genug, noch gibt es überhaupt ein Patentrezept. Man muss nur wissen, dass eine gute Geschichte, wie auch ein guter Essay ihren Anfang selbst erzählen, so dass ich ihn nur noch wahrzunehmen und niederzuschreiben brauche…

Etwas ganz anderes aber passiert, wenn ich nicht der alleinige Urheber einer Geschichte bin, wie etwa am Spieltisch bei Rollenspielers daheim. Da zum Erzählen neben dem eigentlichen kreativen Akt aber auch noch ein ganz wichtiger Aspekt in Gestalt des Urheberrechtes an einer Geschichte hinzutritt, gibt’s dazu die Tage noch ein paar Gedanken, bevor ich mich endlich dem kollaborativen Erzählen widme. Man hört/liest sich…

Aus des Märchenonkels Nähkästchen #1 – Geschichten über’s Erzählen

Ich habe schon bei einigen Gelegenheiten erwähnt, dass das Geschichtenerzählen eine meiner Passionen ist. Es ist dabei vollkommen egal, für welches Medium und in welcher Darbietungsform Geschichten erzählt werden, also zum Beispiel als Buch, als Podcast, im Rollenspiel; wichtig ist eigentlich nur, dass die jeweilige Geschichte ein paar grundsätzlichen Anforderungen genügen sollte. Darunter verstehe ich einerseits ein gewisses Maß an innerer Konsistenz; das heißt, die Ereignisse müssen innerhalb des Erzählkontinuums plausibel sein. Das Erzählkontinuum setzt sich zusammen aus dem Setting, also vereinfacht gesagt der Welt, in welcher sich die Geschichte abspielt, und dem Metaplot, also dem übergeordneten Handlungsbogen, in welchen sich die Corestory, also der augenblickliche Erzählfokus eingebettet findet. Innerhalb dieses Kontextes muss die erzählte Geschichte, inklusive der Akteure, welche sie voran bringen, glaubwürdig daher kommen. Natürlich stellt da jede Geschichte ihre individuellen Ansprüche, aber die Dinge müssen einfach zusammen passen. Tun sie dies nicht, muss es dafür einen guten Grund geben. Jeder kennt das: Plotholes, durch die man mit der gesamten Pazifikflotte durchfahren kann. Eine Geschichte kann trotzdem noch funktionieren, aber sie verliert gegenüber denen, die konsistenter erzählt sind. Andererseits sollte die Story unterhaltsam, vielleicht spannend oder auch lustig sein, mich aber im Besten Falle für eine Weile vollkommen von meinem Alltag ablenken, denn der ist mühselig genug; aber wem geht das nicht so. Ansonsten ist der Maßstab nur noch die Phantasie. Was für die eigenen Geschichten gilt, wird natürlich auch als Maßstab an anderer Leute Erzählungen angelegt, wobei auch hier Medium und Kunstform nicht unbedingt von Belang sind.

An dieser Stelle ein kurzer Exkurs für all Jene, die sich immer wieder mit solchen Sätzen wie den Folgenden hervor tun: „Das Buch war viel besser als die Verfilmung!“, „So hatte ich mir meinen Lieblingscharakter überhaupt nicht vorgestellt!“, „Die haben die gute Geschichte ruiniert!“, „Das kam SO doch gar nicht im Buch vor!“, „DAS hätten die aber auch zeigen müssen!“. Kommen solche Bemerkungen bekannt vor? Nun das dürfte daran liegen, dass ein Buch und ein Film bzw. eine TV-Serie zwei vollkommen unterschiedliche Kunstformen sind und auch dann nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben müssen, wenn sie die gleiche Geschichte behandeln. Beim Buch kann man sich die beschriebenen Orte, Personen und Sachverhalte in seinem Kopf so ausmalen, wie man Lust hat. Beim Film haben der Regisseur, Produzent, Setdesigner und die Schauspieler zusammen ihre Version der Geschichte entwickelt, um diese dann in Szene setzen und dem Zuschauer präsentieren zu können. Beide Vorgänge involvieren die Phantasie, nur dass beim Film die Phantasie Anderer in den Vordergrund tritt. Zumindest tut sie das vordergründig. Auch eine visuelle Erzählung kann allerdings die eigene Vorstellungskraft anregen. Man sollte also eine Verfilmung als eine andere Weise betrachten, wie die Grundgeschichte interpretiert werden kann. Dann kann man sich unnötig Atemluft verschwendendes Verfilmungsbashing schon von vorn herein sparen – zwei VERSCHIEDENE Kunstformen! Klar soweit…?

Nun erzähle ich also hie und da Geschichten und selbstverständlich kommt es dabei, wie bei jeder anderen Form von Kommunikation auch, zu Missverständnissen. Wie jetzt, Geschichtenerzählen ist doch keine Kommunikation, oder? Oh doch, Watson, ist es, ganz sicher sogar! Indem ich etwas beschreibe, eröffne ich jedem Zuschauer/Leser die Möglichkeit, all jene zwangsläufig verbleibenden, ungefilmten/ungeschriebenen Szenen in seinem Kopf entstehen zu lassen. Indem ich eine Idee frei ließ – so sie denn stark genug war – bin ich mit dem Konsumenten meiner Geschichte in einen kreativen Dialog getreten, denn so oder so wird dieser Konsument seine Meinung irgendwem kund tun, vielleicht ein Fanboy/Fangirl werden, eigene dazu passende Geschichten entwickeln; oder zu einem ganz und gar entschiedenen Hasser meiner Art, Geschichten zu erzählen heranreifen. Egal wie’s auch ausgehen mag, wir haben angefangen mittelbar, vielleicht aber auch unmittelbar, miteinander zu kommunizieren. Und weil dabei unklar bleiben muss, welche Ideen ICH für die eben genannten ungefilmten/ungeschriebenen Szenen gehabt haben könnte, weil keiner in meinen Kopf kucken kann (und auf CT-Bildern habe ich schon Einiges gesehen, aber noch nie eine Idee), sind die Missverständnisse vorprogrammiert, weil es nämlich höchst unwahrscheinlich ist, dass irgendjemand anders auf exakt die gleichen kaputten Einfälle kommt, wie ich! Egal bei welchem Sujet…

Aber nicht nur inhaltliche Missverständnisse, auch weltanschauliche Kollisionen, differierende ästhetische Auffassungen und verschiedene Menschenbilder lassen einen die jeweilige Geschichte vollkommen unterschiedlich erleben. Daran ist eigentlich auch nichts Schlimmes, weil eben diese individuellen Merkmale unsere Persönlichkeit mit definieren und die Kunst als solche aus den resultierenden Spannungen ihren Charakter als ausgleichende Kraft in der Gesellschaft zugleich ableitet und entfaltet. Indem wir uns an künstlerischen Darstellungen, gleich welcher Machart entzweien, können wir nämlich etwas über unsere Gegenüber und uns selbst lernen; und das in einem üblicherweise gewaltfreien Raum. Zumindest zieht keiner der mir bekannten Menschen bei einem noch so hitzigen Verbalgefecht über irgendein Buch oder einen x-beliebigen Film eine Kalaschnikow und mäht seinen Diskussionspartner einfach um. Was nicht heißen soll, das diese Möglichkeit generell nicht bestehen könnte…

Wie dem auch sei, Geschichtenerzählen als wichtiges Hobby regt mich persönlich auch zum Nachdenken über die verschiedenen anderen Aspekte des Geschichtenerzählens als Kunstform an. „…und die Moral von der Geschicht’…“ ist für mich keine hohle Phrase, sondern trägt Sinn in sich, nämlich denjenigen, in den eigenen Erzählungen ebenso einen Sinn auffindbar machen zu wollen. Das heißt, man muss sich damit auseinander setzen, ob eine Geschichte eine Moral enthalten muss, ob sie spirituelle und philosophische Fragen berühren soll und wie viel Bezug sie zur aktuellen Lebensrealität der Konsumenten bzw. Kollaborateure haben darf. Diese Entscheidungen werden nie alt; oder besser, sie müssen jedes Mal auf’s Neue getroffen werden, doch darauf komme ich demnächst zurück. Beim nächsten Blick in des Märchenonkels Nähkästchen denke ich ein wenig über das Kollaborierende, also das miteinander eine Geschichte erzählen nach.

Begegnung mit dem Märchenonkel – Rollenspiel für Dummies #7

Nichts geschieht ohne Grund. Sagt man zumindest öfter mal so dahin, aber es gibt Kontexte, in denen das zumindest dem Anschein nach stimmt. Wenn man ein Buch liest und eine Person auftaucht, die mit mehr als nur einem Nebensatz gewürdigt wird, dann darf man sich eigentlich recht sicher sein, dass diese Person im weiteren Verlauf der Geschichte noch irgendeine Rolle zu spielen haben wird. Schließlich hat der Autor sich ja was dabei gedacht, als er diese Figur hat auftauchen lassen; immerhin kennt der Schreiber ja schon vor dem Leser das komplette Storyboard. Zwar gibt es solche Nebenfiguren, die nicht notwendigerweise eine wichtige Rolle spielen, die einfach mal auftauchen, um den Plot etwas zu verzwicken, den Leser auf falsche Fährten zu locken oder eine auflockernde, vielleicht auch humoreske Einlage liefern zu dürfen, aber irgendwie fügen sie sich in das Universum der Geschichte ein und erfüllen einen Zweck.

Im Leben ist das nicht so. Wir treffen Menschen in all ihren Darreichungsformen und oft genug hat das Schicksal damit vielleicht im Sinn uns zu verärgern, zu demütigen, zum sich sorgen zu bringen oder sonst was; positive Dinge geschehen natürlich auch, aber wir alle wissen, dass man sich an die negativen Dinge besser erinnert, als an die positiven. Jedenfalls wirken die meisten Begegnungen im wahren Leben, in der prallen Realität zufällig, unarrangiert, chaotisch und gelegentlich in der Breite des Spektrums schlicht überfordernd, so dass man nie genau weiß was man kriegt – Forrest Gumps Pralinenschachtel lässt grüßen. Den Zweck mancher Begegnung im Leben zu entschlüsseln ist kompliziert und bei manchen ist es auch unmöglich, weil dieses chaotische Gebilde des sozialen Miteinanders zwar Strukturen hat, wir diese jedoch nur selten zu erkennen vermögen, selbst wenn man darauf trainiert ist. Zwar sagt man auch hier dann und wann, dass Nichts ohne einen Grund geschähe; was aber damit gemeint ist, nämlich dass wir einander stets auf der Basis von Chance und Wahrscheinlichkeit begegnen und vielleicht Freundschaft, Feindschaft, Liebe, Nutzen und noch vieles mehr in einer einzelnen Begegnung liegen kann, dass realisieren wir immer erst hinterher. Weswegen es auch so verdammt schwierig sein kann, den richtigen Partner zu finden…

Im Rollenspiel verhält es sich auf den ersten Blick eher wie in einem Buch. Wenn der Charakter eines Spielers zum ersten Mal denen der anderen Mitspieler begegnet, weiß jeder, dass dieses Tänzchen darüber entscheidet, ob eine Gruppe funktionieren wird, oder eher nicht. Dieses Wissen darum, dass diese virtuelle Person auch eine wichtige Rolle in der Geschichte spielen kann bzw. spielen will beeinflusst natürlich den Ablauf der einzelnen Spielerhandlungen in dieser Phase. Schließlich ist Rollenspiel ein Gruppenerlebnis, dass auf Miteinander ausgelegt ist. Für die Antagonisten ist doch der Spielleiter zuständig, oder? Sagen wir mal so: auch zwischen Spielercharakteren wurden schon legendäre Feindschaften geschmiedet. Ebenso natürlich werden viele Dinge zwischen den Charakteren (zumindest in den Gruppen, in denen ich spiele oder spielleite) erst später ausgehandelt; und vor allem immer wieder neu ausgehandelt, denn auch diese virtuellen Figuren sind einer Entwicklung entworfen, die sich nicht nur in den Statistika auf dem Charakterblatt widerspiegelt. Insofern ist eher der Vergleich mit dem realen Leben angebracht, denn was aus der so genannten Gruppendynamik entsteht, kann kein Spielleiter vorher sehen. Muss er auch nicht, wenn er zumindest halbwegs passabel zu improvisieren versteht.

Nun führt der Spielleiter ALLE Nichtspielercharaktere ein und stets sind die Ohren der Spieler gespitzt, denn das, was sie als Erstes herauszufinden versuchen ist stets, ob es sich dabei um eine wichtige oder eine Nebenfigur, um einen Protagonisten oder ein Antagonisten handelt. Und ab diesem Punkt wird es lustig; zumindest für den Spielleiter! Natürlich nehmen Spieler gerne an, dass sie in der Lage sind, die Zeichen, welche eine virtuelle Person wie ein NSC aussendet auch korrekt deuten zu können. Oder vielleicht an Hand von Aussehen, Habitus, Herkunft sagen zu können, ob und wie bei dem was zu holen ist, ob er einen Auftrag hat, Informationen besitzen könnte, einem in die Suppe spucken will, oder einfach nur schmückendes Beiwerk ist. Wenn man es seinen Spielern einfach und langweilig machen will, nutzt man die aus den Unterhaltungsmedien der Populärkultur allseits bekannten Stereotypen in erwarteter Weise. Mag man es allerdings ein wenig bunter, scheißt man auf Stereotypen und bedient sich am überaus reichhaltigen Arsenal der Absurditäten, welches die Realität bereit hält, zuzüglich eines nicht zu knapp bemessenen Schusses kaputter Phantasie; und schon können die Spieler ihre NSC-Taxonomie nehmen und in der Tonne ablegen. Und genau darauf basiert pointenreiches, spannendes und witziges Spiel. Man muss dies ja nicht immer tun, wenn man seine Spieler nicht vollkommen zur Verzweiflung treiben möchte, weil wirklich nichts so ist, wie es scheint. Auch das wird auf Dauer irgendwann langweilig. Aber das gelegentliche auf den Kopf stellen solcher ungeschriebener Konventionen wie „der Auftraggeber bei Shadowrun ist ein aalglatter Anzugträger namens Mr. Johnson“ erzeugt Irritationen, die den Spielfluss erheblich beleben können. Schließlich will auch der Spielleiter seinen Spaß haben!

Aber auch die Spieler können mittels der Ausgestaltung der Persönlichkeiten ihrer jeweiligen Charaktere dazu beitragen, dass das Spiel interessanter wird. Ein Zwergenkrieger muss nicht gleich ein Zwergenkrieger oder ein Zwergenkrieger sein, so mit Bart und Axt und Lederklamotte und Kettenhemd und dem alten Lied „Gold, Gold, Gold, Gold, Gold!“ auf den Lippen; kann man machen, muss man aber nicht! Wie ich schon einmal sagte, findet sich in jedem Charakter, den man spielt, immer auch ein Stück der eigenen Persönlichkeit wieder, dagegen kann kaum einer an. Aber man muss diesen Teil eines Chars ja nicht dominant werden lassen. Außer man selbst und alle anderen haben ihren Spaß damit, dann ist es einfach OK. Aber eigentlich geht es beim Rollenspiel ja darum, mal jemand anders sein zu können, die Sau auf eine Art rauslassen zu dürfen, wie z.B. ich, aber auch so gut wie jeder Andere dies in Realitas nie könnte. Darum heißt es ROLLENspiel, nicht wahr? Also, auch weiterhin viel Spaß mit überraschenden Begegnungen – and always game on!

Märchenonkel sozial – Rollenspiel für Dummies #6

Jeder kennt solche Momente. Man steht irgendwo umher, signalisiert nonverbal, oder unter Umständen auch mittels Verlautbarung, dass man Kommunikationsbedarf hat und wird einfach ignoriert. Ob das nun in einem Elektronikladen stattfindet, wo offensichtlich immer alle so genannten Fachverkäufer verschwunden sind, wenn man nicht sofort einen Tausender auf den Tisch legt, oder in irgendwelchen Verwaltungen, Praxen oder sonst welchen halb-öffentlichen Orten, wo irgendein Telefonat oder der Kollege viel, viel wichtiger sind, als der Hufe scharrende Präsenzkunde; es ist ein Naturgesetz, dass man immer dann nicht zum Zuge kommt, wenn zum Zuge kommen am Allerwichtigsten wäre.

Nun ist es so, dass alle Kommunikation auf Übertragung von Zeichen beruht, unabhängig davon, welche Form diese Zeichen haben mögen und welches Medium sie zur Übertragung nutzen. Zeichen haben Bedeutungen; so gut wie jeder Mensch versteht zum Beispiel den nach oben abgespreizten Daumen als Symbol für „alles soweit gut / in Ordnung“. Den Zeigefinger senkrecht an die Lippen zu heben bedeutet, dass das Gegenüber still sein soll. Ich könnte noch viele weitere Beispiele nennen, aber es wird auch jetzt schon klar, dass wir tagtäglich Unmengen an durch Symbole kodierten Informationen verarbeiten, egal auf welche Art wir diese aufnehmen. Wir können das, weil wir uns vom frühesten Kindesalter an die Codes unserer Umwelt aneignen. Auch das ist Teil von Sozialisation.

Schade nur, dass dieser Teil unserer Persönlichkeit allzu oft schlafen geht, wenn wir uns an einem Spieltisch zusammen finden. Sowohl als Spielleiter, als auch als Spieler ist man auf Aktionspunkte angewiesen, also auf Orte und Personen im Kontext des Spiels, mit denen zu interagieren die Handlung voran bringen kann. Nun haben diese Orte oder Personen aber nicht, wie in irgendwelchen Computerspielen, ein goldenes Frage- oder Ausrufezeichen über sich schweben, dass sie als solchen Aktionspunkt ausweist. Damit verkomplizieren sich die Dinge allerdings; und zwar spätestens in dem Moment, da der Spielleiter der Meinung ist, die Spieler sollen gefälligst die Rolle spielen, also ihren Charakter darstellen, um an ihre Infos oder sonstewat zu kommen, immerhin heißt das Ganze ja Rollenspiel und die Spieler im Gegenzug aber einfach nur auf ihre Fertigkeit würfeln wollen. Das entgegen gesetzte Beispiel gibt es natürlich auch…! Doch nicht nur sich offenbarende Unterschiede hinsichtlich der Frage, wie das Spiel denn am Besten gespielt werden sollte, bringen hier Probleme mit sich. Das schlichte Ignorieren der einfachsten Prinzipien des Kommunizierens ist ein viel dickerer Hund, der hier ziemlich oft unter dem Tisch voller Papier, Stifte, Würfel und Fusti begraben liegt.

Man kann nicht NICHT kommunizieren. Wenn man kurz darüber nachdenkt wird klar, was damit gemeint ist. Auch ein ablehnender Gestus und ein Brummeln haben eine Bedeutung, nämlich „lass mich jetzt in Ruhe!“ Versteht eigentlich jeder, oder? Wenn man nun mit offenen Augen und Ohren durch die Spielwelt wandert, bekommt man jede Menge Dinge mit. Vielleicht ist nicht alles davon essentiell für die Geschichte, aber das muss ja auch nicht so sein. Parts der Erzählung, die zum Flair des Settings beitragen, oder Nebenschauplätze beleuchten, sind auch reizvoll. In jedem Fall aber ist Aufmerksamkeit gefragt! Besonders, wenn der Spielleiter eine Person oder einen Ort vielleicht etwas ausführlicher als das Drumherum beschreibt, darf man hellhörig werden, denn hier lauert eine Chance zur Interaktion … oder eben auch nicht, wenn man einfach dran vorbei latscht, weil man gerade SEIN Ding machen will. Kein Thema, wenn so was ein, zwei Mal am Abend passiert. Vielleicht enthält die Agenda dieses Spielers Enden, die sich mit dem, was man als Meister plant verknüpfen lassen. In aufwendigeren Kampagnen wird überdies irgendwann so gut wie jeder Charakter nebenbei noch sein eigenes Süppchen kochen, doch darauf gehe ich ein anderes Mal ausführlicher ein. Wenn allerdings nun immer wieder an solchen so genannten Plothooks – also Stellen, an denen man sich an den Plot hängen kann – vorbei marschiert wird, weil man gerade nix mitbekommen hat, oder meint, Anderes sei jetzt gerade wichtiger, kann das auf die Dauer die Geduld des Spielleiters auf eine harte Probe stellen.

Das funktioniert aber auch umgekehrt. Es gibt Settings, die von vorn herein so angelegt sind, dass die Spieler sie auf eigene Faust explorieren können und sollen. Solches Sandboxing kann sehr reizvoll sein, wenn es allerdings darauf hinausläuft, dass die Spieler immer wieder im Kreis laufen, weil sie einfach nicht erraten können, worauf der Spielleiter denn nun hinaus will, wird das irgendwann sehr öde. Wie auch im echten Leben braucht es Ziele, die man verfolgen kann. Natürlich kann das Ziel eines Spiels das nackte Überleben sein, aber wenn wir mal ehrlich sind: beim Zocken gehört zur Pain auch das Gain! Wenn nun der Spielleiter die Interaktionsinteressen der Spieler ignoriert, sie immer wieder, entweder aus Faulheit, Arroganz, oder falsch verstandenem Laisser-faire hinter den falschen Fährten herhetzen lässt, oder mit allen Mitteln versucht, sie auf seine, als einzig zulässig betrachtete Interpretation der Geschichte zu zwingen – oh, wie ich Railroading HASSE! – fährt der Spieldampfer ebenso auf Grund, denn irgendwann endet Ignoranz, egal aus welcher Richtung, in Unmut!

Man könnte schon sagen, dass es recht seltsam ist, dass so viele Spieler und Spielleiter aneinander vorbei reden, wo Rollenspiel doch ein soziales Spiel ist, oder? Allerdings muss man den Umstand betrachten, dass einfach viele verschiedene Persönlichkeiten und Temperamente am Spieltisch aufeinander treffen, was das Miteinander dort zu einem miniaturisierten Abbild des Miteinanders im großen, echten Leben macht. Zwar trifft man sich in der Regel mit Freunden, weil man seine Freizeit ja kaum mit jemandem verbringen möchte, den man nicht leiden kann, aber auch das schützt nicht vor Missverständnissen. Es menschelt also, aber wenn ALLE, also explizit auch der Meister, ein paar Regeln beachtet wird alles etwas einfacher:

1) Zuhören, wenn Andere etwas sagen!
2) Anderen NICHT die eigene Meinung / Interpretation aufzwingen wollen!
3) Versuchen der Charakter zu sein und nicht immer nur man selbst!
4) Zuhören, wenn Andere etwas sagen!
5) Einen anderen Spielstil als den Eigenen einfach akzeptieren – oder woanders spielen!
6) Die eigene Agenda zu Gunsten des Spiels, der Geschichte auch mal hintenan stellen!
7) Zuhören, wenn Andere etwas sagen!
8) Aufeinander eingehen!
9) Auch einfach mal Fünfe grade sein lassen!
10) Hab ich eigentlich schon erwähnt: Zuhören, wenn Andere etwas sagen?
11) …und immer schön locker durch die Hose atmen, wenn mal die Luft brennt!

Ich versuche stets, mich an diese Prinzipien zu erinnern und jedermann darf versichert sein, dass ich jedes Einzelne regelmäßig vergesse oder auch mal bewusst missachte, weil ich ein Mensch bin. Aber ein bisschen mehr davon und ein bisschen weniger auf die Kacke hauen macht alle am Tisch glücklich; in diesem Sinne: always game on!

Plan X – Rollenspiel für Dummies #5

Ich könnte mich wegschmeißen, wenn ich meinen Spielgruppen beim Pläne schmieden zugucken darf. Da wird Stunde um Stunde lamentiert, das Für und Wieder dieses oder jenes Vorgehens erwogen. Man versucht auf Teufel komm raus, Szenarien im Vorfeld zu simulieren – oder etwas zu tun, dass dem nahe kommen soll; nämlich sie im Geiste durchzuspielen. Da lach ich mich kaputt, denn genau darauf kommt es doch an: das Durchspielen. Oder etwa nicht, heißt ja immerhin Rollenspiel?

Tatsächlich theoretisieren da eigentlich ja nicht die Spieler, sondern deren Charaktere, die sich ausmalen, was passieren KÖNNTE, wenn sie Aktion A umsetzen, oder lieber doch Aktion B… oder vielleicht doch eher Aktion C? Also quasi ein Traum in einem Traum. Klingt zu sehr nach „Inception“? Kann sein, aber genau das passiert am Spieltisch andauernd. Die Gruppe baut sich ein Szenario zusammen, wie sie eine – erwartete! – kritische Situation zu meistern gedenkt, was selten ohne Gezänk, viele „ABERS“ und einen Zeitaufwand von statten geht, der so manchen Projektmanager blass um die Nase werden ließe. Schaffen sie es irgendwann wieder Erwarten auch wirklich, ans Werk zu gehen, passiert meist Folgendes: der minutiös durchgerechnete Plan erleidet Schiffbruch, bevor die Sache so richtig losgeht.

Warum, wird Mancher jetzt fragen? Es gibt drei Hauptgründe. Erstens, einer der Spieler verkackt eine wichtige Fertigkeitsprobe, was dazu führt, dass eine Kaskade von Ereignissen, die eigentlich essentiell wäre, nicht in Gang kommt. Z.B. schafft der Hacker es eventuell nicht, dem Striketeam die Hintertür zum Quartier des Feindes öffnen. Da stehen sie nun in aller Pracht und müssen improvisieren. Zweitens, haben sie vielleicht doch nicht alle Eventualitäten bedacht, oder stellen sich schon mit den Details in ihrem Plan so dämlich an, dass man es einfach nicht laufen lassen kann, weil ein Erfolg nach den inhärenten Regeln des Settings schlicht unglaubwürdig wäre. Drittens, und das hat etwas mit der Notwendigkeit von Dramaturgie zu tun, muss der Spielleiter vielleicht einen Erfolg an diesem Punkt um der Gesamthandlung Willen sabotieren. Das klingt jetzt sicher nach Unfairness, kann aber in seltenen Fällen notwendig werden. Ich habe das bislang vielleicht maximal drei Mal gemacht und hatte jedes mal ein ungutes Gefühl dabei, aber es kommt vor.

Es gibt mit Sicherheit noch weitere Gründe, die ich vergessen habe, bzw. Kombinationen aus den Vorgenannten, die jedoch in der Regel allesamt zum selben Ergebnis führen: dem Einsatz von Plan X! Es ist ja nicht so, dass man sich einen solchen allerletzten Reserveplan tatsächlich zurecht legt. Da passiert mehr ein Impro-Happening, das einem Tanz ähnelt; wirft die Gruppe ALLES in die Wagschale und wagt Stunts, die eigentlich undenkbar sind, mit anderen Worten, wird sie in ihren Aktionen unvorhersagbar, steigen die Chancen auf einen Erfolg rapide. Es heißt zwar immer „erwarte das Unerwartete“, aber meine Erfahrung lautet, dass man gar nicht alles erwarten kann, was den Spielern in solchen Momenten gerade einfällt. Nicht selten habe ich bei solchen Gelegenheiten meine Kinnlade auf dem Boden wieder gefunden. Zumindest bildlich gesprochen.
Weder der Spielleiter, noch die Spieler haben üblicherweise einen Supercomputer für Simulationen zur Verfügung, noch hat man die Zeit oder Lust, alle Parameter genau zu analysieren und zu operationalisieren. Das ist hier aber auch kein wissenschaftliches Projekt, sondern Rollenspiel – auch wenn man sich in manchen Foren so benimmt, als bräuchte man tatsächlich wissenschaftliche Methoden, um es „richtig“ spielen zu können. (Kleine Anmerkung: Ich hoffe man merkt, das ich Rollenspieltheoretiker nicht besonders gut leiden kann!)

Dies führt dazu, das Pläne schmieden, auch wenn es den meisten Spielrunden offensichtlich genau soviel Spaß macht, wie Einkaufsorgien beim örtlichen Waffenhändler, zumeist auch genau so nutzlos ist. Denn kaufen sich die Charaktere dickere Wummen, dürfen sie automatisch damit rechnen, dass ihre Gegner über ungefähr kongruente Bewaffnung und Panzerung verfügen. Das ist ebenso ein stets gültiges Rollenspielnaturgesetz, wie die Fehleranfälligkeit von Schlachtplänen. Da gibt es übrigens interessante Analogien zur echten Welt.

Ich als Spieler versuche mittlerweile, nicht mehr so viel vorplanen zu wollen wie früher, weil die Nutzlosigkeit für mich in verschwendeter Spielzeit gegen gerechnet wird. Da mach ich lieber Charakterspiel – also die sozialen Interaktionen innerhalb der Gruppe und mit den Schlüssel-NSCs. Allerdings ist es dann und wann schwer, sich den Diskussionen am Spieltisch zu entziehen, insbesondere, wenn man meint, festgestellt zu haben, dass sich die Anderen gerade in was verrannt haben. Aber wir machen alle Fehler; dann kommt der gute, alte Plan X zum Zuge! Und ich alte Rampensau darf mal wieder alles rauslassen, weil wir da nicht anders rauskommen werden. YEEHAA! In diesem Sinne – always game on.