Aidoru – Vorbilder gefällig?

Ich hatte dieser Tage ein Gespräch mit meiner älteren Tochter. Eine Person aus ihrem weiteren schulischen Dunstkreis ist derzeit auf dem besten Wege in die ernsthafte Jugend-Delinquenz, und wir kamen in dem Zusammenhang natürlich auf die Frage, was dazu geführt haben könnte; und ob ihr das auch passieren könnte? Einer der Erklärungs-Ansätze bezog sich auf falsche Vorbilder. Lustigerweise wurden wir, während das Gespräch in unserer von mir chauffierten Familien-Droschke stattfand, von zwei Posern mit einer portablen Schwanzverlängerung überholt, welche einen Straßentunnel hier in der Stadt nutzten, um den Ferrari mal ordentlich röhren zu lassen. Auf die Frage, was Tochter Eins denn in diesem Kontext als falsche Vorbilder betrachten würde, kam wie aus der Pistole geschossen „Gangster-Rapper!“ Braves Kind. Wenn Sie in dem Alter schon in der Lage ist, hinter die Bling-Bling-Bumm-Bumm-Ficki-Ficki-Fassade eines nicht unerheblichen Teils dieser sogenannten Musiker zu schauen, muss ich mir zumindest über den Musikgeschmack keine Sorgen machen. Und für alle, die diese Art von Musik mögen: bei halbwegs intelligenten Texten, welche auf chauvinistische Erniedrigung von Frauen, das Dreschen von „Isch-bin-der-Babbo-du-Opfa“-Clichés und anderen machismoiden Quatsch verzichten, hör ich sogar mal rein. Versprochen.

Blick in die Weite – keine Vorbilder zu sehen…

Die zwei Typen in dem Ferrari entsprachen im Übrigen jedem denkbaren Cliché über Poser: jung, südländisch, auf diese spezielle Art gestyled, stets um Coolness bemüht. What was it, that seperated the boys from the men…? Ich denke, ich machte eine abfällige Bemerkung darüber, dass ich es für ziemlich unwahrscheinlich hielte, dass dieser Ferrari, so er sich denn überhaupt im Besitz des Fahrers befände, mit ehrlich erworbenem Geld bezahlt sein könnte. Das ist natürlich ein bösartiges Stereotyp. Vielleicht hat er im Lotto gewonnen, geerbt, arbeitet im spekulativen Finanzwesen, oder ist doch ein Tech-Startup-Genie; die Wahrscheinlichkeiten sind allerdings auf ganzer Linie gegen ihn. Wir bogen dann ab, während die Penisprothese – wie sich das in der Welt des Fahrers anscheinend gehört – unter lautem Getöse in die untergehende Abendsonne entschwand. Und ich fragte meine Tochter die Frage des Abends: „Hast DU denn Vorbilder…?“ Es dauerte einen Moment, und vielleicht lag es daran, dass wir schon fast zu Hause angekommen waren, dass sie mir entgegnete, dass ihr keine einfielen! Ich fragte dann noch, ob es denn Leute geben könnte, welche die Funktion eines Vorbildes einnehmen oder sie zumindest inspirieren könnten? Das wurde allerdings bejaht.

Wir waren auf Vorbilder gekommen, weil die anfangs erwähnte Person über sich selbst gesagt hatte, dass es dem Vater wohl egal wäre, in welchem Ärger sie gerade stecken würde. Und ich tat meine Analyse kund, dass dies ein Teil des Problems sein könnte, wenn es denn wahr wäre. Denn sich für DAS zu interessieren, was das eigene Kind tut oder lässt und Grenzen zu setzen, wenn man dies für angemessen und gerechtfertigt hält (auch, wenn das eigene Kind meistens anderer Meinung sein dürfte) vermittelt dem Kind ein Gefühl für die Konsequenzen des eigenen Tuns – und damit eine Selbstwirksamkeits-erfahrung. Beliebigkeit hingegen führt dazu, dass sich die Bemühungen, Aufmerksamkeit zu erlangen eventuell in eine pathologische Richtung entwickeln => et voilá: Delinquenz. Diese Analyse ist natürlich auf grund mangelhaften Detailswissens über die weiteren Umstände verkürzend und unvollständig. Aber Kurt Lewin, einer der Väter der modernen Sozialpsychologie – und bekannt für eines der ersten Modelle zu Führungsstilen – sagte ja bereits, dass Laissez-Faire die Abwesenheit von Führung sei; und nicht, wie oft fälschlicherweise dargestellt, ein Führungsstil, der den Geführten größtmögliche Freiheiten lässt. Abseits einer objektiv existenten Hierarchie, die ein Machtgefälle beschreibt (und so KANN man eine Eltern-kind-Beziehung auch charakterisieren) stellt sich immer die Frage, worin sich Führung konstituiert. Und da komme ich wieder zu Vorbildern…

Ein Vorbild ist – im positiven Sinne gedacht – ein Role-Model, an dessen Tun und Lassen sich Kinder und Jugendliche, aber auch Auszubildende oder Studenten orientieren können. Imitations-Lernen findet selbstverständlich auch (oder sogar vor allem) im Kontext von Sozialisation statt. Das Problem für eine pubertierende Jugendliche ist, in unserer von (anti)social media durchwirkten Welt herauzufinden, wer oder was tatsächlich als ein solches Role-Model taugt. Würde ich allerdings versuchen, ihr vorzuschreiben, an wem sie sich zu orientieren hätte, würde ich unter Garantie etwas völlig Anderes erreichen. Nur was, das lässt sich eher schwer vorhersagen. Wir Erwachsenen meiner Generation haben diesen Prozess ja alle selbst mal durchlaufen, leider aber offenkundig vergessen, wie schwer das alles ist! Und heute ist das noch viel schwerer als vor 35 Jahren, als es vielleicht 5 oder 6 Fernsehprogramme, kein Internet, keine social media und ansonsten vor allem die eigene Peergroup gab. Verdammte Axt…

Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine große Tochter, wenn sie eine Weile darüber nachgedacht hat, auf die Frage nach Vorbildern doch eine Antwort geben könnte. Vielleicht möchte sie diese Frage aber auch gar nicht beantworten, weil sie vielleicht befürchtet, dass ich ihre Vorbilder nicht gut finden könnte? Oder weil sie manches erst noch für sich selbst rausfinden muss/will? Und vielleicht wechseln diese Vorbilder auch noch dann und wann? Ich konnte meiner Frau die Frage, was in dem Alter meine Vorbilder gewesen wären, auch nicht wirklich beantworten. Vielleicht, weil es eine – in meiner Erinnerung – emotional sehr fluide Zeit war. Mein Fazit aus der Erfahrung ist, dass wir als Eltern vermutlich selbst als Vorbilder nur bedingt taugen und auch keine Ratschläge dazu geben sollten, wer als Vorbild taugen könnte. Vielmehr besteht unserer Aufgabe darin, unseren „Lieben Kleinen“ als Grenze, Brandmauer, sicherer Hafen, aber manchmal auch böser Papa so lange zur Seite zu stehen, bis sie selbst ein informiertes Urteil darüber treffen können, wer denn geeignet sein könnte. Ich sehe Tochter Eins da allerdings auf einem guten Weg. Ich muss mir allerdings mal dringend wieder Gedanken machen, wer meine Vorbilder waren und sind, falls sie mal zurückfragt. Ein Aidoru (Idol) ist sicherlich William Gibson; denn ich wäre auch gerne ein so lesenswerter und erfolgreicher Autor. In diesem Sinne – verdampft nicht. Hoch die Hände – Hitzewende.

Auch als Podcast…

Der Storyschreiner N°1 – Neues aus Kannitvastan

Geschichtenerzählen ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst; bei deren Alter sind wir uns zwar auch noch nicht so recht sicher, man kann aber sagen, das über viele Jahrtausende die einzige Möglichkeit, Geschichten für die Nachkommen zu konservieren darin bestand, sie von Generation zu Generation, von Barde zu Barde, Herold zu Herold weiterzuerzählen. Eine notwendige Gedächtnisleistung, die dazu führt, dass einem Manches an den überlieferten Liedern, Epen, Gedichten, Märchen, Fabeln, Dramen, Tragödien, Komödien, etc. heute formelhaft vorkommen mag. Weil diese großen Mengen an Content ja memoriert und aus dem Gedächtnis rezitiert werden mussten, war eine der wichtigsten Techniken, sich dabei vieler standardisierter Redewendungen zu bedienen, die zudem in das übliche Versmaß passen mussten. Die griechischen Tragödien zum Beispiel haben diese besondere Form, in welcher sie – über die jahrzehnte sehr zur Pein so manches Schölers – heute in den Reclamheftchen stehen, weil die Übersetzer versuchten, jene Versform ins Deutsche zu transponieren, in welcher sie zu ihrer Zeit in Altgriechisch dargeboten wurden. Die Verschriftlichung vieler Dichtungen fand ja erst lange nach dem Tod des jeweiligen Dichters statt.

Die Darbietung der derart memorierten Geschichten, also orales Storytelling war ein kollaborativer Akt, da zu jener Zeit durch die äußere Form der großen Geschichten das Denken sowohl der Erzähler, wie auch der Zuhörer strukturiert wurde. Wenn ich Gedanken nicht schriftlich niederlegen kann, sondern alles im Gedächtnis behalten muss und die Äußerung stets nur als flüchtige Momentaufnahme erfolgen kann (es gibt ja ohne Schrift auch keine Tonaufzeichnung), dann folgt jede Argumentationsstruktur notwendigerweise der inneren Logik der großen Erzählungen und bekommt so u. U. eine für unsere heutigen Begriffe eine eher rigide, teils redundante und/oder schablonenhafte Darreichungsform. Für jene, welche diese Geschichten in ihrer ursprünglichen Form erlebt haben, waren diese u. U. die Basis für ihr Verständnis der eigenen Kultur. Der Ausspruch, dass das Sein das Bewußtsein bestimme, bekommt in diesem Kontext eine ganz neue Bedeutung. Daraus folgt, dass eine neue Argumentation sich des vorhandenen Erzählungs-Kanons bedienen musste. Denn schließlich wurden nicht nur Geschichten erzählt, sondern auch kodifiziertes Gesetz, Erbfolgen, politische Entscheidungen; einfach alles, wofür wir heute mal eben eine Notiz machen, oder ein Dokument auf einem Computer erstellen, musste im Gedächtnis getragen und per Mund zu Ohr von Mensch zu Mensch übertragen (und hoffentlich auch verstanden) werden! [Wer sich mit dieser Betrachtung etwas näher vertraut machen möchte, dem empfehle ich Walter Ongs „Oralität und Literalität“, siehe unten]

Mir geht es vor allem um folgende Überlegung: ich betrieb Storytelling über Jahrzehnte nur im Hobbykontext als kollaboratives Medium, bei welchem ich die Story-Primer erzählte und verschiedene Plotpoints, Locations, Antagonisten, Sidekicks, etc. entwickelte, um diese nach und nach mit in die entstehende Geschichte einzuführen. Jedoch wurde erst durch die Teilnahme ALLER Beteiligten EINER der aus diesen Ingredenzien ermöglichten Verläufe der Geschichte im Prozess der Interaktion festgeschrieben – Pen’n’Paper-Rollenspiel in a nutshell. Heute jedoch interessiert mich auch noch eine andere Möglichkeit der Verwendung, nämlich als Einzel- oder Komplementär-Methode in verschiedenen Bildungsformaten und -kontexten. Ich habe allerdings mittlerweile auf Grund eines erweiterten Quellenstudiums und eigener Beobachtungen den Eindruck gewonnen, dass die Macht des gesprochenen Wortes, bzw. die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit eines Lehrsaalpublikums mittels einer Erzählung auf bestimmte Punkte und Inhalte zu lenken, einerseits hoch abhängig von der Übung des Anwenders im Geschichtenerzählen ist, und andererseits einer möglichst ablenkungsarm gestalteten Umgebung bedarf. Da wir jedoch nicht mehr bei Sonnen- und Fackelschein ohne Medieneinsatz unterrichten, kommt man da recht schnell an seine Grenzen.

Ich hatte ja bereits neulich erzählt, dass man beim Umherspazieren im Lehrsaal bei den SuS durchaus auf Tätigkeiten stößt, die mit dem aktuellen Unterrichtsgeschehen oder der gestellten Aufgabe eher wenig zu tun haben. Und wenngleich ich das zugegebenermaßen als Respektlosigkeit empfinde, ist mir bewusst, dass sich die Modalitäten der Medien-Nutzung in den letzten Jahrzehnten nochmals erheblich geändert haben. Was zu meiner Schulzeit üblich war, existiert heute heute oft genug höchstens noch als Legende. Die Ausgangslage für eine möglichst ablenkungsarme Umgebung muss damit als deutlich erschwert betrachtet werden. Bleibt also noch die Erzählkunst des Lehrers – der hier gegen Medien anerzählen muss, deren bunte Bildchen die jungen Erwachsenen im Lehrsaaal mit traumwandlerischer Leichtigkeit in andere Welten zu entführen vermögen. Man könnte sich jetzt darauf zurückziehen, dass Storytelling als Methode bei unseren übermediatisierten Generation-Z-Kindern nicht funktionieren könne. Wenn da nicht der Umstand wäre, dass ich mich neulich mit einer wirklichen Kennerin des Fachs austauschen durfte und ihre Erfahrungen eine andere Sprache sprechen! Es sei durchaus möglich, auch ein jüngeres Publikum mit einer mündlichen Erzählung abzuholen. Es käme auf die lebensweltliche Relevanz der Themen und die Zugänglichkeit der Sprache an – was mitnichten auf die Verwendung von Jugend-Sprech verweist, sondern die tradierten Topoi, welcher sich das mündliche Erzählen bedient; und welche die jungen Leute immer noch in der Schule kennenlernen. Die Klassiker können uns als Vorbild dienen. Danke, Reclam.

Ich befinde mich noch auf einer Reise durch Kannitvastan, da ich bestimmte Aspekte an oral storytelling, oder mündlichem Erzählen noch nicht soweit durchdrungen habe, dass ich mein Ziel einer Theoriebildung zur Verwendung als pädagogische Methode verfolgen könnte. Aber ich bin mir fast sicher, es immer besser zu durchdringen. Tatsächlich bekam ich von einem anderen ausgewiesenen Fachmann im Thema des Geschichtenerzählens den Ratschlag, mich auch ausdrücklich an meinen Erfahrungen im Pen’n’Paper-Rollenspiel zu bedienen. Ist vermutlich das erste Mal in meinem Leben, dass jemand von außerhalb meiner Rollenspiel-Bubble meinem diesbezüglichen Wissenschatz irgendwelchen Wert zuerkannt hat. Eine interessante Erfahrung. Wer übrigens Kannitvastan noch nicht auf der Karte gefunden haben mag: es ist jener magische Ort der Neugierde und Enttäuschung, der jenseits unseres Horizonts des bereits Gekannten liegt; manche nennen ihn auch „Kann nicht verstehen…“. Ich wünsche einen guten Start in die neue Woche.

Auch als Podcast…
  • Ong, W. J. (2016): Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes. 2. Auflage mit einem Vorwort von Leif Kramp und Andreas Hepp. Wiebaden: Springer Fachmedien GmbH
  • Ryan, M.-L. (Hrsg. 2004): Narrative across media. The Languages of Storytelling. Lincoln and London: University of Nebraska Press.

500 Gramm gemischter Hass zum Mitnehmen bitte…

„8 Seen, die Sie unbedingt gesehen haben müssen!“. „Die 10 schönsten Picknick-Locations rings um […]“. „Diese 5 Ausblicke auf […] dürfen Sie auf keinen Fall verpassen!“. Ich könnte im Strahl kotzen! Jede, wirklich JEDE VERSCHISSENE POSTILLE hat seit einer ganzen Weile Massen solcher Drecks-Artikel in ihrem Drecks-Portfolio. Genügt es nicht, dass Menschen den URBANEN Lebensraum der totalen Überfüllungsvernichtung unterziehen? Muss ich diese ganzen wohlstandsverwahrlosten Klimawandel-Ignoranten auch noch dahin locken, wo die vage Chance bestehen könnte, etwas Natur zu erhalten? Gleiches mit Urlaubs-Locations, die erst investiert haben, um attraktiver zu werden, und jetzt nicht selten rumjammern, weil so viele Touris kommen – attraktiv bedeutet anziehend, und mehr Anziehung bedeutet automatisch mehr Menschen = weniger Platz = mehr Müll = weniger schön und lauschig = irgendwann wieder weniger attraktiv; hat euch das vorher keiner erklärt, ihr Spackos? Oh Mann, wir Menschen haben es immer noch nicht verstanden, dass das Alt-Bundesrepublikanische Credo „Isses weit, oder können wir fahren?“ und dieser überall formulierte Anspruch auf drei Wochen all-inclusive Hautkrebs-Förderungs-Party-Saufen am Mittelmeerstrand (prolliges Ersatzprogramm für Urlaub) auf den „Müllhaufen der Geschichte“ gehören. Ebenso wie im Übrigen auch jene Nazidioten-Partei, deren Vertreter dieses Diktum schon selbst benutzt haben.

Ich betrachte mein eigenes Fortbewegungs- und Konsumverhalten mittlerweile unter Gesichtspunkten, die mir zugegebenermaßen vor einigen Jahren auch noch nicht in den Sinn gekommen wären. Und genau deshalb bin ich höchst dankbar, daran erinnert zu werden, dass wir noch eine Menge mehr tun müssen! Immer wieder höre ich da draußen „Unser Wohlstand wird schwinden! Wir werden am Hungertuch nagen! Wir werden unseren Lebensstandard verlieren! Es wird nie wieder so sein, wie in der guten alten Zeit!“ Dazu hätte ich ein paar Gedanken, die ich gerne teilen möchte:

  • Wohlstand: Unser Wohlstand besteht darin, arbeiten zu gehen, um Geld verdienen zu können, mit dem wir dann Dinge kaufen, die uns davon ablenken sollen, dass wir arbeiten gehen müssen, weil wir sonst kein Geld hätten für die Dinge, die uns von der Notwendigkeit des Arbeitengehens ablenken, weil… Hat IRGENDJEMAND da draußen sich mal die Frage gestellt, was er/sie/them WIRKLICH braucht von all dem ganzen unnützen, teuren, Energie verschwendenden SCHEISS, den wir Jahr für Jahr aus den Konsumtempeln in unsere ärmlichen Hütten tragen? Beispiel: NIEMAND braucht ein Smartphone für 1.500,00€. Die Aussage „Aber es hat die beste Kamera und die beste Performance“ sind nichts weiter als Feigenblättchen, welche nur unzureichend die Fakten überdecken, dass keine Sau diese Performance wirklich nutzen kann, und wir es halt haben wollen, weil es uns einerseits über die sonstige Leere in unserem Leben hinwegtröstet, Anderen zeigt, dass wir uns auch ein solches Smartphone leisten können (welches ca. 50% seiner Besitzer auf Pump kaufen müssen…!) und weil wir zu schwach, zu unreflektiert und zu dumm sind, um Werbung widerstehen zu können. Wohlstand ist eine Illusion, denn je höher seine Netto-Bilanz ausfällt, umso höher ist der erzeugte Netto-Schaden an unserer Welt, zu dessen Reparatur wir dann widerum mit unserer persönlichen Netto-Bilanz zur Haftung herangezogen werden. Die EINZIGEN, die dann daran Wohlstand erlangen sind jene, die schon VIEL MEHR ALS GENUG haben. Kommt endlich mal klar auf diese simple Gleichung. Denn Ressourcen sind NICHT unendlich!
  • Hungertuch: It’s as simple as that, und ich muss dafür nur an mir selbst hinuntersehen: Mehr als zwei Drittel von uns hier im globalen Norden sind ZU FETT! Weniger von allem wäre weder schädlich noch schlimm, sondern schlicht gesünder für sehr viele von uns. Weniger fett zu sein, würde übrigens auch bedeuten, Milliarden und Abermilliarden an Gesundheitskosten für Diabetes, arteriellen Hypertonus, Beschwerden des Bewegungsapparates, Krebserkrankungen, etc. einsparen zu können. Was hieltet ihr so von SINKENDEN Krankenkassenbeiträgen?
  • Lebensstandard: korrespondiert mit Wohlstand! Wir alle rennen immer noch diesem Mantra eines dauerhaft notwendigen Wirtschaftswachstums hinterher, weil die Art, wie wir wirtschaften viel zu viel Fiat-Geld erzeugt; und der Kapitalismus den Konsum braucht, wie das Feuer die Luft. Und ebenso hinterlässt der Kapitalismus, wie wir ihn heute betreiben, allenthalben immer häufiger nur noch verbrannte Erde, schlechte Luft, Tod und Verderben. „Die Grenzen des Wachstums“, Club of Rome, 1972. LESEN BILDET. Manche von uns wussten schon vor verschissenen FÜNFZIG JAHREN, dass es so nicht ewig weitergehen kann. Und wir? Laufen laut pfeifend durch den finsteren Wald, um jene Monster zu verjagen, zu denen wir lange schon SELBST GEWORDEN SIND!
  • Die gute alte Zeit: Welche ist damit gemeint? Nazi-Deutschland? Die Weimarer Republik? Das wilhelminische Kaiserreich? Der Vormärz? Die Rennaissance? Das Mittelalter? Oder denken die allermeisten dabei doch lieber an die Wirtschaftswunderzeit mit ihrer chauvinistischen Unterdrückung der Frauen, den ganzen Altnazi-Chargen an den Schalthebeln der Macht (man denke an einen Hans Filbinger hier in Baden-Württemberg), politischem Blockdenken und der dauernden Angst vor einem dritten Weltkrieg? Die man halt so schön durch das Erreichen eines besseren Lebensstandards und immer mehr Konsum betäuben konnte? Na vielen Dank auch…

Ich erlebe Menschen, die – obwohl sie noch keinerlei Berührungspunkte mit der „Letzten Generation“ hatten – Gewaltphantasien pflegen und sich in der Folge auf eine Art über deren Handlungen erregen, die in mir den Verdacht aufkommen lässt, dass sie das alles noch nicht so recht zu Ende gedacht haben. Wir nähern uns gerade dem Kapitalismus im Endstadium und erleben gleichzeitig den dadurch befeuerten Egoismus im Endstadium! Von Humanismus und Solidarität außerhalb der jeweils eigenen kleinen Blase keine Spur! Vielleicht wäre es doch besser gewesen, keine Kinder in diese Welt zu setzen, auch wenn ich meine wirklich sehr liebe…? Trübes Wetter, trübe Gedanken. Vielleicht bin ich im Moment einfach erschöpft von all den Forderungen, denen ich dauernd gerecht werden soll? Vielleicht ertrage ich die zunehmende Zahl egoistischer Arschfratzen da draußen und die untreflektierten, von wenig echter Fachkenntnis getrübten Ansagen mancher Menschen einfach nicht mehr? Vielleicht muss ich ein paar Forderungen solcher Menschen einfach mal eine Absage erteilen? Vielleicht muss ich mich auch mal auf eine Straße kleben, und darauf scheißen, was Andere darüber denken mögen? Vielleicht würde ich einem gewaltbereiten Autofahrer, der mir dann wehtut auch einfach wehtun? Einfach weil es so, wie es jetzt ist NICHT WEITERGEHEN KANN. Ich kann mich nicht länger ins Private zurückziehen. Ich habe das ein Jahr versucht und es bringt mich auch nicht weiter!

Ich habe keine Ahnung, wie viele Menschen meine zugegeben biestriger werdenden Rants zu Ende lesen. Und normalerweise wäre es mir auch kackegal, weil dieser so genannte „gesunde Menschenverstand“ doch lediglich ein synonym für kleingeistig-verspießtes Besitzstandswahrertum á la Dieter Nuhr ist. Aber dieses Mal würde ich mich freuen, mehr Reichweite zu bekommen. Bleibt mir wahrscheinlich, wie immer, verwehrt, weil nur selbstvermarktendes Hübschmenschen-Influenzerantes Insta-Huren-Gesindel Reichweite bekommt. Style over substance! SOS! Ich will hier raus. Ihr anderen – seid willkommen im gutgebräunten, sauber gestylten, Sinn- und Hirnentlehrten bundesdeutschen Sommer. Und Tschüss…

Auch als Podcast…

Das große Staunen N°4 – stur lächeln und winken!

Als wenn ich’s nicht gewusst hätte! Die letzten zwei Wochen sind an mir vorbei galoppiert wie’n Eichhörnchen auf Koks. Natürlich sagt man sich immer, dass man nach dem Urlaub erst mal langsam reinmäandern möchte, aber das ist eigentlich nicht mein Ding. Ich hasse es abgrundtief, wenn Dinge zu lange unerledigt rumliegen; und das ist nach zwei Wochen Absenz halt automatisch der Fall. Und musste mich dennoch dieser Tage schelten lassen, weil etwas so lange liegen geblieben ist, dass dies gewisse Probleme verursacht hat. Aufmerksamkeit ist schon eine merkwürdige Angelegenheit. Einerseits sind wir mit etwas Übung in der Lage, unfassbare viele kleine Dinge im Nahbereich beinahe gleichzeitig zu registrieren. Aber das große Ganze, oder auch ein Prozess, der nicht direkt vor unserer Nase liegt? Pfffft… aus den Augen, aus dem Sinn! Das ist wohl einer der Gründe, warum so viele Menschen nicht verstehen, dass auch ihr – zugegeben oft sehr kleiner – Beitrag zum Klimaschutz einen Wert hätte, wenn sie denn bereit wären, diesen zu leisten. Oder das Wählen gehen nicht nur ein demokratisches Recht ist, sondern gleichsam auch eine Pflicht, die Demokratie durch Legitimation zu stärken. Auch, wenn man nicht immer der gleichen Meinung sein mag, wie der schlussendliche Gewinner.

Gorges de Galamus

Ich versuche derzeit, meine Aufmerksamkeit so nah wie möglich bei den Dingen zu lassen, die MIR persönlich wichtig sind, weil sie mein Leben berühren; gleich, ob das jetzt primär meine Familie, meine Freunde, meine Studien oder meine Arbeit betrifft. Vorhin versuchte ich, etwas zu lesen, dass mir wichtig ist und für meine Studien hilfreich sein wird. Allerdings war ich so blöd, diesen Versuch auf meinem Handtuch, im Schatten eines Baumes an den Gestaden unseres bevorzugten Badesees zu unternehmen. An einem Samstagmittag im Frühsommer ist es da ja auch menschenler und total beschaulich, nicht wahr…? Kurz gesagt, nach fünf Minuten habe ich das Buch entnervt wieder weggelegt, weil die immer wieder zwischen Englisch und Deutsch wechselnde Konversation mehrerer Hardcore-Gamer in der Nähe mich brutal abgelenkt hat; wofür die natürlich nichts konnten, sie suchten ja auch nur Erfrischung im Grünen. Ich stelle einmal mehr fest, dass ich für bestimmte Tätigkeiten meine Solitude brauche. Das fickt mich auch immer wieder während der Arbeit. Ich sitze in meinem Büro und versuche mich gerade tief in einen Kaninchenbau hineinzudenken, auf der Suche nach einer Alice der Erwachsenenbildung – und alle verdammten fünf Minuten gibt’s irgendeine Ablenkung. So sehr ich die meisten meiner Kollegen:innen auch schätze und mag – ICH kann so NICHT arbeiten! Zumindest nicht an Projekten, die nach Hirnschmalz verlangen.

Der Input, den ich in meinem Job als Schulleiter abarbeiten muss, erfordert ein schnelles Hin- und Herfokussieren incl. Scharfstellen nach Auffinden der richtigen Brennweite, analog zum Gebrauch eines guten Reisezooms (in meinem Fall: M. Zuiko Digital ED 12-100mm F4 IS Pro). Das Problem ist, dass ich dabei – im Gegensatz zu meinen Knips-Sessions – nicht immer selbst darüber bestimme, wie viel Zeit ich mir für ein bestimmtes Motiv nehmen kann, weil es viele Stakeholder gibt, deren interessen ich im Blick behalten muss. Ist ein bisschen wie Jonglieren mit Fackeln, worin ich definitiv viel weniger geübt bin, als im Fotografieren. Daraus folgt, dass mein Job eine gewisse Fehleranfälligkeit bekommt, je mehr Prozesse unterschiedlicher Natur und Geschwindigkeit gleichzeitig am Laufen sind. Manche Menschen akzeptieren das als Entschuldigung, wenn mal was verrutscht ist, andere nicht, weil in der Geschäftswelt am Ende eines Quartals / Jahres nur das Ergebnis unter dem Strich zählt. Und ich verstehe das selbstverständlich, nehme ich meine Gesamt-Verantwortung doch durchaus ernst. Ich werde jetzt nicht behaupten, dass mich das nicht belasten würde; tatsächlich ist für mich persönlich meine erste und wichtigste Mission, sach- und fachadäquate pädagogische Qualität an die SuS / TN zu bekommen! Und ich höre in letzter Zeit immer wieder, dass es so, wie wir das täten zu teuer würde. Die ursprünglich ausgelobte Mission war jedoch eine andere. Die Parameter haben sich mittlerweile aber geändert, weil ambitionierte Projekte entwickelt werden. Geld wächst aber nicht auf Bäumen und Preise kann man genauso wenig beliebig erhöhen, wie SuS / TN-Zahlen. Das will man aber an gewissen Stellen nicht hören.

Ich will wieder dahin!

Wir bleiben nach wie vor, auch wenn das auf den ersten Blick anders wirken mag, beim Thema Aufmerksamkeit: wenn ich irgendwas anschaue, dann gibt es immer bestimmte Qualitäten eines betrachteten Objektes, die verschiedenen Betrachtern unterschiedlich stark augenfällig werden: meine beste Ehefrau von allen ist Goldschmiedin. Sie macht Dinge von erlesener Kunstfertigkeit, die nicht unbedingt zum Alltagsbedarf gehören. Nähere ich mich einem solchen Objekt, kann ich entweder die handwerkliche Arbeit und Expertise bewundern, die hineingeflossen sind, mich fragen, ob dieses Stück zu mir passen würde – oder ich hänge mich am Preisschild auf und fange an rumzunölen, dass das ja viel zu teuer sei. Das Material würde doch nur soundsoviel kosten. Die Gegenfrage ist dann immer, ob man, wenn man ein Auto bräuchte auch nur bereit wäre, die Materialien zu bezahlen, nicht jedoch das ganze Handwerk, welches sich in einem so komplizierten technischen Gerät realisiert. Viele Leute verstehen die Frage nicht, weil es ihnen vielleicht nicht an finanzieller Expertise gebricht – wohl aber an dem angemessenem Respekt für die Komplexität und das Know-How, welche es für die fragliche Leistung braucht. Wer Analogien zu meiner Tätigkeit findet, darf gerne darüber nachdenken.

Ganz ehrlich – ich hatte heute mit einem alten Freund eine kurze Konversation via Chat, die sich um die Frage drehte, ob ich nicht kürzer treten könnte. Mein Antwort war, dass das genau JETZT nicht der Fall sei, weil ich eben für bestimmte Dinge eine Verpflichtung habe, die ich erfüllen will, das Licht am Ende des Tunnels jedoch vom Jahresende aus schon langsam sichtbar wird. Und ich empfinde die eben erwähnte Verpflichtung – dies sei in aller Deutlichkeit gesagt – zuvorderst für meine Kollegen:innen und die uns anvertrauten SuS; nicht jedoch zwingend für meinen Arbeitgeber. DER muss sich langsam aber sicher genau überlegen, ob der eingeschlagene Kurs wirklich so gesund ist, wie man sich das derzeit einredet! Meine Antwort darauf ist mittlerweile leider ein klares „NEIN“! Und ich bin mittlerweile müde, dies durch die Blume zu sagen, um dabei, wie die Pinguine aus Madagaskar, stur zu lächeln und zu winken. Skipper kann mir mal den Buckel runter rutschen. Ich wünsche euch dennoch ein schönes Wochenende und viel Spaß bei dem guten Wetter. Genießen wir es, so lange es noch geht.

Auch als Podcast…

Erwachsen bilden N°47 – Der DEMOTIVATOR!

Klingt das Wort da oben etwa ein bisschen wie der DEMENTOR aus Harry Potter? Na ja, die Ähnlichkeit ist vielleicht gewollt. Als Lehrer in einer Berufsfachschule stehe ich nicht selten vor dem Problem, junge Menschen zum Lernen motivieren zu müssen. Man geht ja immer naiv davon aus, dass die alle im Unterricht nicht nur physisch, sondern auch psychisch präsent sind, weil sie sich ja freiwillig für diese Berufsausbildung entschieden haben. PUSTEKUCHEN. Geht man dann nämlich durch die Reihen, stellt man durchaus fest, dass da nebenher ganz andere Dinge eine Rolle spielen. Vielleicht, weil nicht jedes Thema jeden Menschen gleich stark interessiert. Was zunächst vollkommen legitim ist. Allerdings ist das ALLERMEISTE davon am Ende prüfungsrelevant. Aber das geht ihnen erst so ca. vier Monate vor Schluss auf – und dann gehen ihnen noch ganz andere Dinge; z. B. die Düse, oder der Arsch auf Grundeis. Fakt ist, dass man nicht JEDE:N zu ALLEM gleich gut motivieren kann. Aber zumindest kann man versuchen, Interesse zu erzeugen, denn Interesse hilft bei der intrinsischen Motivation (vgl. hierzu Krapp 1999, S. 400 ff).

End of the road…

Man könnte im Umkehrschluss sagen, dass schlechtes Unterrichtsdesign, vor allem aber auch schlechtes Aufgabendesign die Motivation der Schüler:innen vernichten, oder anders gespochen absaugen kann, so wie ein Dementor seinem Opfer alle Emotionen und Affekte absaugt und es psychisch verkrüppelt zurücklässt. Nun führt ein, oder auch mehrere nicht optimal gelaufene Unterrichte mitnichten dazu, Schüler:innen psychisch zu verkrüppeln. Wohl aber kann es mit der Zeit zu einer insgesamt sinkenden lernmotivation führen, die zu schlechteren Leistungen führt (wir müssen halt taxonomieren, also Noten geben), was widerum zu einer sinkenden Lernmotivation führt, was… der Teufelskreislauf ist leicht zu erkennen, wenn man denn möchte. Eines der großen Probleme hierbei ist, dass selbst bei hinreichend guter, ausgewogener, methodenpluralistischer Vorbereitung durch Pädagogen, wie bereits oben erwähnt, nicht alle Menschen auf die gleiche Weise zu packen sind. Nun haben junge Erwachsene zwar noch keine voll ausgereifte Selbstkontrolle, sind aber schon ein Stück des Weges gegangen; weshalb man die zumeist irgendwie auf die Spur bekommt. Bei Grundschulkindern ist dies jedoch NOCH nicht der Fall.

Ich bin nicht nur Pädagoge, sondern auch Vater. Und meine kleinere Tochter ist, wenngleich ein kluges, wortgewandtes, sportliches Kind auch ein ziemlicher Sturkopf – und unter dem ganzen Bohei, den sie verzapfen kann ein eher sensibler Mensch. Nun ist es so, dass die Grundschule hier in Deutschland nachweislich darauf angelegt ist, die Kinder zu normieren, in Schubladen zu packen und zur passenden pädagogischen Weiterbearbeitung an die „richtige“ Folgeschulform zu verweisen. Ich meine das nicht böse. Es gibt gewiss jede Menge Pädagogen:innen da draußen, die ihr Bestes geben, ihren Schülern:innen Spaß am Lernen zu vermitteln; aber das primäre und sekundäre Schulwesen in Deutschland sind – Marktwirtschaft sei Dank – darauf ausgerichtet, möglichst viele, möglichst reibungslos in den Arbeitsmarkt integrierbare Humanressourcen zu dressieren! Und nicht wenige Pauker:innen haben eben dies so sehr verinnerlicht, dass sie die Notwendigkeiten dieses „Dressierens“ bis zum bitteren Ende durchdeklinieren! Mit der Folge, dass Kinder wie meine kleinere Tochter an der Schule verzweifeln. Denn sie LÄSST SICH NICHT EINPASSEN!

Ja, da müsste ich in meiner Funktion als Lehrer und Leiter einer Berufsfachschule doch Jubeln – da kommen doch lauter super beschulbare Drohnen zu mir, oder? NÖ! Da kommen nicht selten Menschen, denen man das Lernen Wollen von Grund auf verleidet hat und denen, in der Folge, meine Kollegen und ich mit Mühe wieder beibringen müssen, für sich selbst und seine Ziele Eigenverantwortung zu übernehmen (ich verweise hier auf das Thema „Metakognitive Strategien“ stärken, über welches ich im letzten Post dieser Serie gesprochen hatte). Schaue ich nun auf meine kleine Tochter, könnte ich im Strahl kotzen, wenn ich z.B. höre, dass sie ein Referat mit einem frei wählbaren Thema halten darf/soll, allerdings erst im Nachhinein sehr spezielle Formatvorgaben gemacht werden und dann bemängelt wird, dass die Kinder sich nicht an diese Vorgaben gehalten hätten. Also ich sage mal, wie man das bei uns macht: für selbstorganisierte Arbeitsaufträge gibt es auch bei jungen Erwachsenen Vorgaben hinsichtlich Quellen, Zeitansätzen, Meilensteinen und Formaten, die zuvor transparent kommuniziert werden. Innerhalb dieser Vorgaben ist jedoch eine Menge Kreativiät möglich – und wünschenswert. Andernfalls bekomme ich nämlich keine Eigenleistung, sondern irgendwas – was bei einer 10jährigen dann vermutlich auch noch eine Menge Starthilfe von den Eltern benötigt, weil ein Kind in dem Alter in aller Regel noch nicht auf der formal-operationalen Stufe der kognitiven Entwicklung angekommen ist, die es aber braucht, um komplexe Zusammenhänge erfassen und darstellen zu können. Insbesondere, wenn man auch noch erraten muss, was der/die Pädagoge:in denn nun sehen möchte, oder auch nicht! Befasst man sich heutzutage in der Pädagogen:innen-Ausbildung nicht mehr mit Piaget, Erikson, Kohlberg…?

Ich las neulich Bob Blumes Buch „10 Dinge, die ich an der Schule hasse […]“ und ich musste leider bei sehr vielen Absätzen nicken und hatte dabei den schulischen Werdegang beider Kinder, vor allem aber den meiner jüngeren Tochter vor Augen. Mit deviantem Verhalten und originellen Denk- und Argumentationsstrukturen (ich habe beide Kinder vom frühest möglichen Zeitpunkt an mit Ironie gegängelt, damit sie mir jetzt ordentlich Kontra geben können – Gott wie ich das hasse, wenn ein Plan funktioniert…) können eine Menge Lehrkräfte offenkundig schlicht NICHT umgehen. Und nutzen daher ihre „Machtposition“, um das Kind zu disziplinieren. Und die Eltern am Besten gleich mit, damit die das Kind auch schön in Form pressen helfen. Bei uns funktioniert das nicht. Und ich gebe ehrlich zu, dass ich manchmal einfach nur nicke wie der Wackeldackel, mir mein Teil denke und tue, was ICH für richtig halte! Denn am Ende müssen das Kind selbst und ICH es den Rest meines Lebens miteinander aushalten – nicht die Pädagogen:innen, die es gerade mit Ansage verbocken! Daher ist mir deren Meinung – auch weil ich selbst Pädagoge bin – herzlich gleichgültig. In ein paar Wochen ist dieses Kapitel eh rum, dann kommt meine Kleine in die Sekundarstufe. Was dann passiert, wird sich weisen. Aber noch mal ganz ehrlich: am Ende fragt keine Sau mehr nach den Noten der 7., 8., 9. Klasse! Der Mensch, der dabei am Ende rauskommt soll eigenständig denken und lernen, kritisch sein, für sich selbst einstehen und trotzdem Spaß am Leben haben können! Dann haben wir als Eltern nicht alles falsch gemacht! In diesem Sinne – Urlaub rum, morgen ruft die Arbeit. Drauf geschissen. Euch ’ne schöne Woche!

  • Krapp, A. (1999): Intrinsische Lernmotivation und Interesse. Forschungsansätze und konzeptuelle Überlegungen. Zeitschrift für Pädagogik45(3), 387-406.
  • Blume, B. (2022): 10 Dinge, die ich an der Schule hasse und wie wir sie ändern können. München: Mosaik Verlag.
Auch als Podcast…

Bienvenue au pays cathare N°6 – À Bientôt Tautavel…

Verflixt und zugenäht! Es ist schon wieder rum! Die ganze freie Zeit dahin! Morgen früh brummt der Diesel und es heißt: Auf nach Hause! Und ganz, als wenn uns das Pays Catalan rausscheißen wollen würde, wurde unser reizender Ausflug heute Nachmittag zu den Gorges de Goleyrus von einem sachte einsetzenden Unwetter beendet, welches dann später zumindest zeitweilig die Dorfstraße geflutet hat. Nicht, dass die Region es nicht brauchen könnte, aber das kam dann doch überraschend! Zuvor hatten wir aber noch mal die Gelegenheit zum Genießen. Es ist so einfach, die Zeit zu vergessen, wenn die Dinge Freude bereiten. Oftmals tun sie dies ja unerwartet, aber dafür umso willkommener. Gerade die Überraschung, das Staunen sind es, die Genuß erzeugen. Ich las heute einen Artikel zum Thema „Spielen“, der sich tatsächlich nicht in der altbekannten Übung über Spielsucht, dem den Mainstreammedien typischen HATEN von Ballerspielen, irgendeiner Spielekritk oder einer Glosse über Zocker erschöpfte, sondern sich tatsächlich dem Mindset des Spielens widmete. (Leider wie immer hinter der Paywall).

Tolle Landschaft – und baden kann man da auch…

Man könnte den letzten Satz als Hinweis auf Menschen interpretieren, die entweder berufsmäßig zocken, oder aber süchtig sind (wobei letzteres als Artikelgegenstand für die Aufmerksamen ja schon ausgeschlossen wurde, nicht wahr…). Vielmehr geht es hier aber um den Einfluß, den freies, zweckungebundenes, nicht instrumentalisiertes Spielen auf die menschliche Psyche und Kognitionsfähigkeit haben kann. Kurz gesagt: Spielen tut beidem gut! Und der Text beinhaltet Hinweise darauf, dass Spielen auch für Erwachsene eine solche Flowerfahrung beinhalten kann, welche dem Geist Raum und Entspannung verschafft und gleichsam Platz gibt für neue Kreativität. Mihály Csíkszentmihályi, jener Psychologe, der sich dem Thema in den letzten Jahrzehnten am intensivsten gewidmet hatte, beschreibt Flow als völliges Eintauchen in eine Tätigkeit; und wenn ich so an meine Kinder, aber auch meine eigenen Erfahrungen beim Zocken denke, dann sehe ich hier deutliche Parallelen zu der Beschreibung des Spiel-Mindsets, auf welches die Autorin hinweist. Loslösung von der Welt, vom Müssen, von Notwendigkeiten, vom Erwachsensein. Ich hatte vorhin vielleicht keine Flow-Erfahrung, aber doch irgendwie dieses lockere Gefühl des Scheiß-Drauf, dieses „Nur noch ein Level“-Ding, wenn man früher Diablo gezockt hat; kurz – den flüchtigen Gedanken, einfach morgen früh NICHT loszufahren und den Rest irgendwie zurechtzubasteln.

Nun bin ich nicht der Typ für sowas – mal eben einen Kumpel zu Hause beauftragen, ’ne Krankmeldung zu besorgen und noch ein paar Tage auf gelben Urlaubsschein ranhängen? Passiert Anderen. Zumal ich dann auf’s Bloggen etc. verzichten müsste. Außerdem gibt es zu Hause in der Tat Dinge, auf die ich mich freue. Also bleibt nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass die Heimreise nicht zu stressig wird. Ich habe allerdings eine Menge Denkstoff bekommen und ein paar Dinge sind nun reif, so dass ich die Arbeit daran aufnehmen und alles zu Papier bringen kann. Manchmal braucht das Zeit und ein paar neue Blickwinkel – und die habe ich hier bekommen. Und vielleicht bin ich jetzt wieder in der Lage, die Dinge aus der Perspektive des Spielenden zu sehen: NICHT ALLES muss einem Zweck folgen! NICHT JEDER Moment muss in einem Plan wiederzufinden sein! NICHT JEDES Projekt wird automatisch ein voller Erfolg – aber KEINE ERFAHRUNG wird umsonst gemacht! Manchmal frage ich mich ehrlich, ob es eigentlich einen Unterschied macht, was ich hier schreibe, oder nicht? Heute ist so ein Abend. Denn ich hätte mich auch genausogut simpel auf die Couch im Ferienhaus setzen und dem Regen zuschauen können. Aber nun habe ich doch noch einen rausgehauen. HA, JETZT WEISS ICH WARUM – DAS IST MEINE ART, MIT EUCH ZU SPIELEN! In diesem Sinne – wir hören uns. Aber erst, wenn wir wieder in Deutschland sind. Und Tautavel – wir sehen uns auf jeden Fall wieder!

Bienvenue au pays cathare N°5 – Der Esel ruft!

Normalerweise ist Wetter was für den Smalltalk, wenn überhaupt. Ich meine, warum sollte man über etwas diskutieren, dass sich sowieso nicht kontrollieren lässt – obacht noch mal für die Klimawandel-Leugner: Wetter IST NICHT GLEICH Klima, ihr Spackos! Jedenfalls gibt’s keinen Knopf für Regen, Sonne, Wind, oder so. Gott sei Dank muss man wohl sagen, denn ansonsten gäbe es unter Garantie um DIESE Fernbedienung noch mehr Streitereien als um jene für die Klimaanlage im Großraumbüro! Jedenfalls sitze ich gerade in der Küche unseres Ferienhauses und schaue dem Regen zu. Heute Morgen hatten wir einen Ausflug gemacht, der uns zwecks einer Besichtigung ein paar Täler weiter Richtung Norden geführt hatte, und dort war auch bei der Abfahrt zurück noch eitel Sonnenschein. Doch je näher wir dann am Nachmittag unserem Tal wieder kamen, umso dunkler wurde der Himmel. Jetzt regnet es seit ein paar Stunden und eben konnte ich den kleinen weißen Esel rufen hören, der sich am Ortseingang eine Weide mit einem Pferd teilt. Ich kann nicht sagen, ob es klagend oder glücklich klang. Aber ich stelle mir halt vor, wie das niedliche Kerlchen so leicht bedrippelt aus der Wäsche kuckend auf der Wiese steht und sich fragt, was das jetzt soll. Na ja, wahrscheinlich macht es ihm weniger aus, als dies bei mir der Fall wäre.

Abbaye de Fontfroide, vom Garten aus

Hier in den Corbieren, die sich an der höchsten Stelle auf etwas über 1200 Meter erheben, bleibt das Wetter oft in einem Tal stehen. Man konnte das gestern ganz gut vom Strand bei Sainte-Marie-La-Mer aus beobachten, wie sich über den Pyrenäen und den Corbieren gewaltige Wolken türmten, während man selbst bei strahlendem Sonnenschein am Strand saß. Kenne ich so von zu Hause nicht. Jedenfalls kann die Region das Wasser vertragen. Und dem kleinen weißen Esel ist dann auch nicht ganz so warm. Man legt sich ja immer so darauf fest, dass das Wetter im Urlaub superdupertoll sein muss, damit man möglichst viel unternehmen kann; nur um dann feststellen zu müssen, dass die lieben Töchterlein das Murren anfangen. Wenn selbst die 10-Jährige irgendwas von „NIE kann man richtig chillen!“ murmelt, braucht man ein paar frische Tragbalken für den Familiensegen. Oder man macht halt doch mal einen Tag oder zwei nix, auch wenn auf der Besichtigungs-Wunschliste noch ein paar Punkte fehlen. Doch – fehlen diese Punkte einem wirklich? Ich meine, es ist ja nicht so, dass man nie wieder herkommt, oder? Zumindest reift so langsam der Plan in mir, in den nächsten Jahren wiederzukommen, um noch mehr anschauen und relaxen zu können. In einer so alten und vielfältigen Kulturlandschaft gibt es so unglaublich viel zu sehen, dass man bei 14 Tagen Aufenthalt zwangsläufig nur eine begrenzte Auswahl an Zielen besuchen kann.

Der Kreuzgang

Insofern galt der Ruf des Esels wohl doch mir; er wollte mir vielleicht sagen, dass ich stets willkommen wäre, auch hier in Südfrankreich nach dem Glück zu suchen. Worin auch immer es sich finden lassen mag. Wetter ist eine Äußerlichkeit. Eigentlich sind auch die ganzen Ausflüge zu schönen Orten nicht mehr als Äußerlichkeiten, denn es geht nicht unbedingt darum einen Ort im räumlichen Sinne zu besuchen, sondern einen Ort für die Seele zu schaffen, an welchem diese sich (neu…?) entfalten kann. Ich werde jetzt ganz gewiss nicht behaupten, dass die zumeist sonnige, auf dieses besondere Art duftende Landschaft und die alten Steine zum Knipsen, sowie das gute Essen und der Wein zum Genießen dabei nicht helfen; das wäre glatt gelogen! Denn ich bin wahrlich nicht der Typ für asketisches Kontemplieren in einer kargen Mönchszelle, oder auf einem einsamen Berg. Obwohl auch solche Momente in den letzten Tagen durchaus dabei waren. Also bin ich wohl selbst einer dieser Esel, die nicht gänzlich von ihrem Urlaubs-Konsum lassen können – weshalb mich der Ruf des echten Esels auch so zum Schmunzeln bringt. Der kleine Kerl sagt mir: nimm das alles nicht so ernst, lass Fünfe grade sein, schränk dich ein bisschen ein, dann darfst du gerne wieder vorbei kommen. Ich hoffe, dass ich das eines Tages wirklich beherzigen kann. Einstweilen wünsche ich mir, in den letzten Tagen hier noch ein bisschen was sehen zu dürfen – und euch eine gute Zeit. Wir hören uns.

Bienvenue au pays cathare N°4 – Bildungsreise?

Ich hatte die Tage ja schon mal auf das gute alte Stereotyp des Rotwein saufenden Bildungsbürgers abgehoben; ich meine zwar, dieses wäre damals, in der 80ern im Zusammenhang mit der neu entfachten Toskana-Wehmut vieler Studienräte:innen entstanden, aber hier in Okzitanien gibt’s ja auch leckeren Rotwein aus sonnendurchfluteten Landschaften, Häuser aus Naturstein und jede Menge Kultur zum Bestaunen. In dem kleinen Örtchen (ca. 800 Einwohner), in welchem wir derzeit logieren, gibt es z. B. ein archäologisches Museum, welches sich mit dem „Homme de Tautavel“, einem Hominiden von vor ca. 500.000 Jahren und dessen Lebensumständen / Fundstätte befasst. Man könnte also tatsächlich von einer Bildungsreise ausgehen. Aber das würde ja implizieren, dass wir vor allem der Bildung wegen hergekommen sind, so wie einstmals Goethe Italien bereiste. Er tat es wohl, um eine Schreibblockade zu überwinden. Doch wir sind vor allem hier, weil es hier schön ist, und weil es eine Menge Dinge zu erfahren und zu bestaunen gibt. Und ich meine damit definitiv NICHT, dass ich hinterher mehr über diese Dinge wissen MUSS, sondern ich nehme unintendierte, informelle Lerneffekte einfach mit und freue mich drüber, muss mich aber auch nicht grämen, wenn diese nicht eintreten. Und ich habe keine Schreibblockade…

Schier unendliche Weite, gesehen vom Château de Quéribus

Mich jetzt als jemanden zu bezeichnen, der an Bildung interessiert ist, wäre beinahe untertrieben! Ich liebe Bildung; außerdem bin ich intrinsisch motiviert, zu lernen und andere zum Lernen zu bringen. ABER mir geht es im Urlaub mit dem Lernen (müssen) so, wie dem Chefkoch, der nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt; der/die stellt sich auch nicht mehr hin und kocht sich ein Viergänge-Menü, sondern schiebt sich einfach ’ne Tiefkühlpizza in den Ofen! Wenn er/sie denn überhaupt noch Hunger / Appetit hat…? Denn irgendwann ist mit dem ganzen Content erstellen, Curriculi und Unterrichte planen oder überarbeiten, Recherchieren und Organisieren, etc. auch mal gut. Wenn sich auf unseren Ausflügen Wissens-Mitnahme-Effekte ergeben, sind diese willkommen. Ansonsten gilt: „Teacher out of order!“ Es ist schon so, dass mit dem STAUNEN vor Ort oft auch das FRAGEN kommt. Aber dieses FRAGEN erschöpft sich zumeist dann im Finden eher oberflächlicher Zusatzinformationen, denn alles was vom eigentlichen WAHRNEHMEN des Objektes der Begierde ablenkt, stört nach kurzer Zeit den Genuss; und unterbleibt folglich einfach. Schließlich gilt im Urlaub: „Alles kann – nichts muss!“

…aber manchmal öffnet sich doch eine Tür!

Wir sind eh oft damit beschäftigt, unser Französisch-Gedächtnis am Laufen zu halten, z.B. wenn zwei Herren mittleren Alters fragen, ob man das Lorelei-Gedicht von Heine noch erinnern könne (so geschehen beim Abstieg von der Quéribus, als man mitbekam, dass wir Deutsche sind). Der olle Romantiker steht wohl, dank seines langen Exils in Paris wegen seiner Sympathie für die Julirevolution 1830 auch bei den (gebildeten) Franzosen recht hoch im Kurs. Wir bekamen Teile des Textes dann zusammen hin und mussten allesamt lachen. Der dabei entstandene Lerneffekt: Kunst kann die Menschen über Generationen und Nationen hinweg verbinden. Das ist, warum ich eigentlich verreise: um den Menschen, die ich doch so oft und gerne schelte, und von denen ich immer wieder sage, dass ich die meisten von ihnen hassen würde (was manchmal glatt gelogen ist) verbunden bleiben zu können – und immer wieder auf’s Neue zu lernen, welche mannigfaltigen Formen und Kanäle des Verbunden-Seins es geben kann. Ich bin am Ende des Tages wohl doch kein solcher Misanthrop. Vielleicht ist meine Existenz dann auch doch eher eine Komödie, wie bei Molière? Hierzu habe ich eine schöne Erinnerung: ich durfte dieses Stück vor 30 Jahren als Abiturient auf Klassenfahrt in einer klassischen Inszenierung der Comédie-Francaise in Paris sehen. Vielleicht war das so was wie ein Omen zur Verbundenheit durch Kunst? In jedem Fall wünsche ich einen guten Start in die Woche.

Bienvenue au pays cathare N°3 – paint it…black…?

Andere Menschen. Du kannst nicht mit ihnen, du kannst nicht ohne sie. Sie sind überall. Und sie ziehen dir, während du dich mit ihnen befassen musst, eine Menge Energie ab! Also, ich meine jetzt diese Menschen, mit denen umzugehen ich mir NICHT explizit ausgesucht habe. Ich bin – das kann man wohl so sagen – eher pessimistisch bezüglich des Fortganges unseres humanoiden Evolutionsprozesses. Wie schlimm es um meine diesbezüglichen Erwartungen steht, soll hier keine Geige spielen. Nur soviel: ich MUSS endlich meine Augen aus den Kommentarspalten lassen! Tatsächlich ist mir neuerdings aufgefallen, dass ich einen nicht unerheblichen Teil dieses Pessimismus in die Geschichten projiziere, welche anderen Menschen zu erzählen ich, insbesondere beim Pen’n’Paper-Spielen die Stirne habe. Nur um dann dort nach ausreichender Katharsis ein Happy End geschehen lassen zu können, sofern die Spieler:innen durch ihre Charaktere eine Lösung finden, die eines herbeiführt. Manchmal klappt’s. Das gibt mir dann die Energie frei, im sonstigen Leben kein so schlimmer Schwarzmaler sein zu müssen. Nicht nur im Urlaub ist es eine ganz angenehme Erfahrung, das Dunkle durch eine Filterbrille sehen zu können, welche die Emotionen dämpft. Und hier in Südfrankreich tut das Land sein Übriges.

Sonnendurchflutetes Tal unterhalb der Burg Termes

Die Summe der Eindrücke ist so groß, dass mir Abends dieser Tage sogar die Energie und Lust zur Teilnahme an irgendwelchen Diskursen fehlte. Ich mochte einfach nur sein, die Bilder im Kopf (und auf der Speicherkarte) ordnen, meine Gedanken etwas träger laufen lassen, als ich das sonst gewohnt bin und mir Zeit nehmen mit einfach allem. Ich weiß, dass es Montag in 8 Tagen wieder Vollgas heißt; aber tatsächlich mal genug von dieser kostbarsten aller Ressourcen (nämlich Zeit) zu haben, um die eigenen Gedanken ruhig und nachhaltig reifen zu lassen, ist eine Erfahrung, die ich um nichts missen möchte. Es heißt ja immer, man kann die Erholung des Urlaubs, die Energie, welche einen währenddessen durchfließt nicht konservieren, nicht mit nach Hause nehmen um dann dort davon zehren zu können. Und meiner Erfahrung nach ist das irgendwie auch wahr. Am ersten Tag am Arbeitsplatz ist man sofort wieder in der Mühle, als wenn man nie weg gewesen wäre. Was daran liegt, dass die Welt, von der man sich mal eben für ein paar Tage oder Wochen entkoppelt hat, halt niemals stehen bleibt. Sie KANN nicht stehenbleiben, denn dafür müsste die ganze Welt auf einmal Urlaub machen… Und so stauen sich Anfragen, Probleme, Beschwerden aller Art, um einen an jenem berüchtigten ersten Tag nach dem Urlaub zu überfallen, niederzuringen und um die Erholung zu bringen. Aber es gibt nichts und niemand, dem man dafür die Schuld geben kann, denn die Welt ist, wie die Welt ist!

Ruine der Burg Termes

Denn das mit der Arbeit das wieder so eine Illusion, der wir aufsitzen, weil wir nicht verstehen können, dass sich die Welt nicht um uns, sondern um sich selbst dreht; und wir nur Passagiere sind, die noch nicht mal bestimmen können, wann und wo wir aussteigen wollen. Falls das jetzt irgend jemandem zu schlimm, zu fatalistisch oder zu resigniert klingt – so empfinde ich es nicht! Es ist einfach der Versuch des bewussten Annehmens der chaotischen Indeterminiertheit unserer Existenz, der Unberechenbarkeit des SPÄTER – und schließlich der Versuch, im JETZT zu leben! Denn gerade jetzt ist alles großartig! Und wenn es irgendwann in der Zukunft (vielleicht so ca. Montag in 8 Tagen…?) nicht mehr großartig sein sollte, dann wird danach gewiss bald wieder eine Zeitspanne kommen, in der es wieder großartig sein wird. Und zwischendrin ist es das, was es immer ist – LEBEN. Womit die Notwendigkeit, so etwas wie Erholung abfüllen und mitnehmen zu wollen entfällt. Genieße jetzt, das SPÄTER kommt und du kannst es erwarten, weil du es eh nicht ändern kannst, dass es kommt; oder, was es mit sich bringt… Meine beste Ehefrau von allen meinte die Tage, dass sie diesen Geruch nach südlichen Korniferen, Erde und Sonne gerne abfüllen und mitnehmen würde, weil doch olfaktorische Reize Erinnerungen besonders gut auslösen könnten. Und das ist eine Idee, die sich bei mir festgesetzt hat. Denn, wenn man das SPÄTER nicht kennen oder (nennenswert) im Voraus beeinflussen kann, sollte man wenigstens die Chance haben, diesem SPÄTER, wenn es zum JETZT wird besser begegnen zu können. Und da können Erinnerungen an schönes VERGANGENES sicher helfen. Reframing aus dem Duftfläschchen quasi – ich würd’s kaufen. In diesem Sinne, gute Zeit.

Bienvenue au pays cathare N°2 – Funny Bones

Oft, wenn man denkt, alles passt, dann – ja dann hat man ein bisschen Pech. Vielleicht sind solche Zufälle ja dazu angetan, uns daran zu erinnern, dass wir für die schönen Momente unserer Existenz auch dankbar sein sollten (kommt DIESES Thema vom letzten Post evtl. bekannt vor?). Ich weiß natürlich nicht, ob dem so ist. Theoretisch würde das allerdings voraussetzen, dass es irgendwo so etwas wie eine Karma-Polizei gibt, die stets darauf Acht gibt, dass wir auch ja nicht zu übermütig werden. Und dieser Gedanke ist widerum ein wenig widersinnig, denn wenn es sowas wie höhere Wesen gäbe, warum sollten diese sich dann ausgerechnet mit der unsinnigen Frage herumschlagen, ob wir Menschen auch ja nicht zu glücklich werden? Immerhin beweisen die Mitglieder unserer Spezies nicht selten ein unfassbares Talent dafür, sich selbst drastisch im Weg zu stehen, die Schuld dafür dann bei Anderen zu suchen, um dann auch noch ungehörig viel Energie darauf zu verschwenden, sich für dieses „Unrecht“ dass ihnen diese Anderen „zugefügt haben“ zu rächen. Oder sie gehen in die Kirche ihrer Wahl. Wir brauchen keine kosmische Polizei, die uns vom Glück abhält; DAS kriegen wir auch ganz gut alleine hin. Denn bei Licht betrachtet ist das alles doch nur ein kosmischer Witz aus Zufall, Leichtsinn, Wahrscheinlichkeit und Dummheit. Unsere Leben werden geschmiedet im kalten Feuer der Korrelationskoeffizienten – gehüllt in den Mantel der Ambivalenz. Kein Wunder, dass so viele mit dem Leben nicht klarkommen…

Forteresse de Salses

Ich sitze im Garten unseres Ferienhauses und sinniere darüber, dass es nicht genug war, dass mir der Rücken wehtat, wogenen ein echt kundiger Ostheoptat / Physiotherapeut aus einem Ort in der Nähe gestern etwas tun konnte; nö, heute beim Ausflug bin ich auch noch auf’s Knie gefallen, weil ich mir das Sprunggelenk verdreht habe. Man könnte sagen: meine Augen waren zu sehr auf das Objekt der fotografischen Begierde fixiert und zu wenig auf den Weg vor mir – klassischer Fall von dumm gelaufen (im wahrsten Wortsinn). Besichtigt haben wir dann trotzdem. Bezogen auf das im ersten Absatz Gesagte könnte ich jetzt auf irgendwen oder irgendwas fluchen; irgendeiner Instanz die Schuld für meine Ungeschicklichkeit geben. Das wäre, als wenn man sich einfach mal bei der GEZ beschwert – hat auch noch niemandem ernsthaft geholfen. Also irgendwie hat sich bei mir mittlerweile eine gelassene Indifferenz eingestellt, denn auch, wenn manche Teile meiner unteren Extremitäten noch etwas schmerzen, sitze ich unter der milden okzitanischen Abendsonne und muss mich mit nichts anderem befassen, als mich zu erholen. Neue Rezepte probieren (Cassoulet, war am ersten Tag schon ganz gut, aber mit einer kleinen Modifikation am zweiten Tag ist es Bombe geworden), alles mögliche erkunden und knipsen, im Mittelmeer baden (angenehm frisch, aber nicht zu kalt um diese Jahreszeit), Winzer im Ort besuchen (ja, da isser mal wieder, der typische, Rotwein saufende Bildungsbürger) und einfach sein. Machen wir mal eine kurze Genussgüterabwägung, würde ich sagen, die Habenseite liegt eindeutig vorn.

Ich habe ein bisschen hin und her überlegt, ob mir was Tiefsinniges einfällt, worüber ich schreiben möchte. Doch außer, dass ich anstatt zwei auch gerne vier Wochen hier zubringen könnte und der Gegegnd dann sicher immer noch nicht überdrüssig wäre, fällt mir in diesem Augenblick gerade nichts ein. Außer vielleicht dies: es wäre mal ernsthaft Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, was man wirklich will. Und damit meine ich nicht diesen ganzen Quatsch wie „MEIN Haus, MEIN AUTO, MEIN Boot, MEIN IPhone, etc.“, sondern was es WIRKLICH braucht, um die zufriedenste / glücklichste Version seiner/ihrer selbst werden zu können. Wer hier jetzt an lauter materiellen Quatsch denkt, dem kann ich leider auch nicht mehr helfen: Sorry, IHR müsst auswandern, denn mit Typen und Tussen wie euch ist dieser Planet nicht mehr zu retten. Kolonisiert euch bitte irgendwo eine zweite Erde und beutet die dann mit eurem unnötigen Konsum aus, ja…? Danke! Das, was ICH mir wirklich wünsche, ist übrigens mehr Zeit für mich, meine Lieben und die Dinge, die ich aus eigenem Antrieb tun möchte, ohne meinem Gehalt in abhängiger Lohnarbeit hinterher rennen zu müssen. Wird mir jedes Mal, wenn ich davon entkoppelt bin ein bisschen klarer. In diesem Sinne – schönen Abend aus Südfrankreich.