Zuviel

Widersinn haut manchmal hin. Zumindest, wenn er eigentlich gar nicht so widersinnig daher kommt, sondern eher als kleiner Bastardbruder der Avantgarde. Man kann jetzt (noch) darüber streiten, ob FFF schon Mainstream oder noch Avantgarde ist, wenn so viele Menschen hingehen und tatsächlich anfangen, ihren Konsum zu überdenken. Ich nehme mich dabei übrigens nicht aus. Obschon mir manche Dinge schwerer fallen. Das mag an meinem Alter, meiner Sozialisierung, oder sonstwas liegen; ist auch egal. Im Ergebnis bedeutet es allerdings, dass ich nicht so konsequent handle, wie ich mir das gerne einrede. Und ich rede mir recht viel ein, wenn der Tag lang ist, auch mein Selbstbewusstsein ist schließlich nicht aus Eisen…

Ein wirklich guter Zeitpunkt, um die Inkonsistenz und Inkonsequenz des eigenen Tuns besonders intensiv zu erleben, sind natürlich die Feiertage. „Ich bin kein Kostverächter!“ war früher eine halbwegs elegante Umschreibung für „Ich fresse gerne bei jeder sich bietenden Gelegenheit wie ein Scheunendrescher!“. Und dafür ist Weihnachten halt prädestiniert. Es gibt immer von allem zuviel. Zuviel Essen, zuviel Alkohol, zuviel sonstiger Konsum, zuviel Rührseligkeit; und manchmal auch zuviel Streit. Gegen zuviel Rührseligkeit ist echt kein Kraut gewachsen. Zuviel Streit können wir selbst verhindern. Bei zuviel Konsum jedoch wird es haarig. Und ausgerechnet der muss doch auf den Prüfstand, nicht wahr…?

Sieht ja noch ganz OK aus. So’n bisschen Bio-Suppengrün halt…

Wäre ich Pinocchio und würde jetzt behaupten, dass unsere Verköstigung zu Weihnachten bisher ökologisch bewusst und sinnvoll war, hätte meine Nase jetzt gerade den Bildschirm meines Convertibles durchstoßen und ich hätte mich schon wieder in überflüssigem Konsum ergehen dürfen. Wobei… es ist eigentlich ja vor allem ein Arbeitsgerät. Wie dem auch sei; wir haben – wie wir das jedes Jahr tun – sowohl am heiligen Abend zu Hause, mit unseren Kindern, als auch am ersten Feiertag im Kreise weiterer Familie alles andere als sparsam getafelt. Totes Tier war auch dabei. Und schon geht sie los, unsere Öko-Terror-Polonaise…

…welches allerdings nur zur Verfeinerung einer Lammkeule gedient hat. Ist jetzt Teil der Soße.

Worauf ich hinaus will? Nun… die Menschen, die sich bestimmt darüber echauffieren, dass der Mensch, der nach eigener Aussage ökologisch angehauchter Sozialdemokrat ist, dann SO unverantwortlich mit dem Planeten umgeht. Meat-Shaming! Tierkinder-Mörder! CO2-Fußabdruck! Überfluss! Was ist mit denen, die nicht so viel haben? Sagen wir mal so: ich habe mir darüber durchaus Gedanken gemacht. Und tue es mit diesem Text immer noch. Weil es doch das eine oder andere zu bereden gibt, wenn wir über unser Handeln zum höchsten Christenfest nachdenken wollen.

Zum einen möchte ich dem möglichen Vorwurf bezüglich Bigotterie meines eigenen Handelns folgendermaßen begegnen: ich brauche, wie neulich gesagt, Traditionen. Das allein mag als Entschuldigung nicht genügen; ich wage jedoch zu sagen, das bestimmte Teile unseres kulturell bestimmten Handelns länger zum Wandel brauchen werden, als andere. Der Verzicht auf das dauerhafte, mobile verheizen fossiler Brennstoffe ebenso wie die Einschränkung des heimischen Energieverbrauchs und des eigenen Konsums gehen bei uns dafür ja voran. Ich sehe wohl, dass die Zeit drängt, die Zukunft für meine Kinder und die aller anderen Eltern zu erhalten. Was jedoch mitnichten bedeuteten sollte, dass wir unsere gegenwärtige Kultur einfach abschaffen müssen. Modifizieren wäre die passendere Herangehensweise.

…mit Herz ginge vieles besser…

Die Radikalität, mit der bestimmte Veränderungen eingefordert werden, überfordert den größten Teil der Menschen. Würde man sich stattdessen der Methoden des Change-Managements bedienen, wären die Erfolge weit schneller erzielbar. Das wahre Problem sind denn auch nicht die Menschen in der Masse, sondern jene, die Macht und Ressourcen haben und diese um jeden Preis behalten wollen. JEDEN PREIS! Die würden nicht absaufen, wenn die Kölner Bucht dereinst den Namen verdient. Sie hätten alle Möglichkeiten, da zu überleben, wo’s auch dann noch ganz nett ist und würden mit Wonne auf den Rest der Menschheit scheißen. So lange wir Gier-gesteuerten Manchester-Kapitalisten allen Einfluss auf die Politik lassen und uns als braves Wahl-Volk verhalten, wird sich daran auch nichts ändern.

Also zurück zum Festtagsbraten. Natürlich ist es ein Zuviel. Ein heilsames Zuviel für die Seele. Dadurch wird’s nicht gerechter oder ökologisch sinnvoller. Aber wir als Spezies haben da noch einen sehr langen Lernprozess vor uns. Auch wenn das FFF und die Leute bei Extinction Rebellion nicht wahrhaben wollen, wird es nicht schnell gehen. Deren Einzel-Aktionen erzeugen zwar nach und nach Öffentlichkeit und damit Verständnis für die Anliegen, solange der (höchst individuell zu sehende) Bogen dabei nicht überspannt wird. Doch eine Änderung der Welt als Ganzes werden Sie damit weder schnell noch nachhaltig hinbekommen. Doch, wenn auch nur einer deswegen sein Handeln ändert, hin zu mehr ökologischem Bewusstsein, sind wir auf dem richtigen Weg.

Man darf mich hier nicht falsch verstehen: ich finde, dass FFF und XR einen hohen Wert haben. Doch ich kenne den Mensch und die Gesellschaft gut genug, um zu wissen, dass man sich nicht einfach irgendwo hinstellen und schreien kann, damit alles gut wird. Und das wissen die Aktivisten in ihrem Herzen auch. Weihnachten sollte eigentlich eine Zeit des Friedens sein. Wir können das Private zum Teil auch politisch werden lassen; ein Stück weit war es das schon immer. Aber wir können niemanden dazu zwingen, das genauso schnell zu tun, wie FFF und XR das fordern. Weshalb ich meiner Familie an einem Tag im Jahr die Illusion schenke, dass Frieden herrscht und irgendwie alles gut wird. Es ist das beste Geschenk, dass ich machen kann. Und wenn’s das nächste Mal eine Lammkeule aus ökologischer Landwirtschaft wird, nicht eine, dass ich hastig besorgen musste (so, wie mein ganzes Leben derzeit subjektiv im Modus der Hast läuft), dann ist mein eigenes Gewissen auch besänftigt. Friede euch allen! Nach den Festtagen können wir wieder streiten…

Auch zum Hören…

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