Fresh from Absurdistan N°30 – Gesinnungsdiktatur?

Frisch zum Fest – auch wenn’s noch ein paar Tage hin sind, wird schon wieder überall um Fragen des Konsums, des Verzichts und deren Notwendigkeit gestritten. Man könnte einfach mal ein unperfektes Weihnachten feiern, wird auf ZON getitelt. Da hätte ich mal ’ne Frage: WAS ZUM HENKER IST EIN PERFEKTES WEIHNACHTEN? Und falls es sowas überhaupt geben kann, wer schreibt MIR mit WELCHEM RECHT vor, wie MEIN perfektes Weihnachten auszusehen hätte? Hm…? Eigentlich wollte ich nicht jammern, aber ein paar zu viel reden jetzt schon wieder von Gesinnungsdiktatur, weil sich Menschen über die Fehler unserer Gesellschaft Gedanken machen. Wir sollten alle mal wieder etwas lockerer werden!

Das, was ich letztes Jahr am zweiten Feiertag schrieb, ist ein Jahr später, wenn auch von von aktuellen Ereignissen überschattet (man erinnere sich: PANDEMIE UND SO), für mich nach wie vor gültig. Wir brauchen unsere Rituale, um uns daran zu erinnern, dass wir, allen Widrigkeiten zum Trotz, immer noch Menschen sind. Und zu diesen Ritualen gehört für viele Menschen eben auch, einander zu beschenken. Traditionen sind durchaus, wie jedes andere kulturelle Artefakt auch, einem Wandlungsprozess unterworfen. Dieser Wandel hat üblicherweise allerdings die Geschwindigkeit kontinentaler Plattendrift. Was in der Folge bedeutet, dass sich Bedeutung und Art des Feierns auch im Bezug auf das Weihnachtfest im Lauf der Zeit ändern.; aber meist so langsam, dass es uns immer erst hinterher bewusst wird. Mal davon abgesehen, dass unsere Weihnacht- so christlich sie heutzutage auch im Gewande daher kommen mag – von heidnischem Brauchtum, nämlich dem Sol-Invictus-Fest abgeleitet ist. Wer’s noch nicht weiß, sollte sich mal mit der Religionspolitik Konstatins des Großen (römischer Kaiser) befassen.

Wie viel es denn nun braucht, um jemanden glücklich zu machen, darüber kann man gerne diskutieren. Auch wenn ich denke, dass es da wie mit dem individuellen Geschmack ist: eigentlich verbietet sich Streit darüber, denn die Ansichten sind, wie eben schon gesagt hoch individuell. Doch genau da fangen die Probleme an. Schaut man sich nämlich mal die Kommentarspalte unter dem oben verlinkten Artikel an, fallen einem zwei Dinge auf: erstens, dass Aufrufe zum Konsumverzicht zu Weihnachten schon selbst eine gewisse Tradition haben und trotzdem viele, Leute jedes Jahr auf’s Neue auf die Palme bringen. DOGMATISMUS AHOI! Und zweitens, dass physical distancing aus Pandemie-Gründen und das eben erwähnte Konsum-Bashing hier in unzulässiger Weise verknüpft werden.

Ich würde mich ja drauf einlassen, wenn jemand sagte, dass das persönliche Überreichen von Geschenken aller Art im weiten Familienkreis dieses Jahr eine blöde Idee sei (ist es nämlich, weil, PANDEMIE und so…). Was nicht bedeutet, dass man sich nicht trotzdem was schenken dürfte. Auch das es möglicherweise dämlich ist, jedes Jahr seinen Scheiß auf den letzten Drücker besorgen zu müssen, zeugt jetzt nicht gerade von guter Planung, wer an einem normalen 23.12 durch deutsche Innenstädte geht, weiß schon, was ich meine. Dieses Jahr ist es nun eben der 15.12 – nur viel schlimmer, weil daraus ein Superspreading-Event par excellence wird. Man könnte auch ein bisschen auf Amazon schimpfen, weil die schiere Größe des Unternehmens mittlerweile den stationären Einzelhandel an vielen Orten existenziell bedroht; und das auch, wenn gerade nicht Corona ist. Jeff Bezos hat vermutlich mittlerweile einen Geldspeicher wie Dagobert Duck… Und grundsätzlich ist Weihnachten als prandiale Konsumattacke auch ein Anschlag auf meine eh schon bescheidene Figur. Verzicht ist so verdammt viel schwieriger, wenn’s auch noch dauernd was Leckeres gibt.

Aber was haben die Dinge miteinander zu tun? Konsumieren wir tatsächlich noch mehr, um uns über ein Jahr des Verzichts trösten zu können? Falls wirklich irgendjemand das glaubt, empfehle ich eine präzise, individuelle Selbst-Analyse folgender Frage: WER HAT WANN UND WARUM AUF WAS VERZICHTEN MÜSSEN? Ich verstehe, dass es Menschen gibt, die durch die Maßnahmen gegen die Pandemie ihre Existenz bedroht sehen – so wie ich Menschen sehe, die durch die Pandemie an Leib und Leben bedroht sind, bzw. schon dadurch umgekommen sind. Und Ersticken ist kein schöner Tod; soviel hat mich meine Tätigkeit im Rettungsdienst gelehrt. Aber bei Fragen wie den Folgenden könnte ich schreiend davon laufen :

  • „Ich konnte nicht dahin reisen, wo ich hin wollte!“
  • Ja, ging mir auch so, aber ich habe meinen Frieden damit gemacht.
  • „Ich konnte nicht feiern gehen!“
  • In den letzten Monaten hatte ich vor lauter Arbeit eh keine Zeit zum Feiern.
  • „Ich darf niemanden mehr treffen!“
  • Doch, dürft ihr, aber dabei ist Vorsicht angesagt.
  • „Ich konnte nicht einkaufen, wann und wie und was ich wollte!“
  • Herrgott, wie hat dieses Volk nur mit den alten Ladenschlusszeiten, wie ich so noch aus meiner Kindheit kenne überlebt? Da war um 18:30 Schicht!

Und so geht das in einer Tour. Das Einzige, was für mich immer mehr offenkundig wird, ist die egomane Degeneration unserer sogenannten „Gesellschaft“. Mehr nicht; weniger leider auch nicht. Es ist vollkommen egal, ob draußen eine Pandemie unterwegs ist, oder die Klimakrise, oder eine radioaktiv verstrahlte Riesenechse, die Häuser verspeisen kann: ICH WILL MEIN FÖRMCHEN! Ein riesiger Haufen sturer 4-Jähriger beherrscht den öffentlichen Diskurs. Oder soll ich besser „das sinnentleerte öffentliche Dissen und Rumschreien“ sagen? Wenn es etwas gäbe, dass ich mir für Weihnachten wünschen dürfte (neben den wenigen materiellen Wünschen, die sich auf ’ne Buddel guten Schnaps und hochwertige Küchenutensilien beschränken), dann wäre das wirklicher Frieden. Dass die ganzen sturen 4-Jährigen einfach mal ein paar Wochen die Fresse und sich selbst an die Anti-Pandemie-Maßnahmen halten!

Ja, wir werden uns, vor allem aber unseren Kindern etwas schenken. Ja, ein paar wenige Stücke davon wurden auch bei Amazon bestellt, schuldig im Sinne der Anklage. Ja, wir haben einen echten Baum (aus dem Schwarzwald, der Verkäufer steht jedes Jahr hier im Viertel). Ja, wir werden viel zu viel essen (Bio-Freiland-Gans aus Hessen zum Beispiel) und trinken (die Buddel Schnaps…?). Und ja, wir werden zu Hause bleiben, sanft entschleunigen und sehen, dass wir etwas Ruhe finden in unruhigen Zeiten. Und wir werden Freunde treffen – via Zoom-Call. Und ganz ehrlich – damit wird dieses Weihnachten wahrscheinlich nicht sehr viel anders, als die davor. Weil nicht wichtig ist, was geschenkt oder gegessen oder getrunken und womit geschmückt wird – sondern mit wem ich die Festtage verbringe; nämlich mit den Menschen, die mir gut tun und nicht mit jenen, denen ich mich aus irgendwelchen unwichtigen Gründen verpflichtet fühle. Reduce to the MAX and RELAX! Schönen Lockdown…

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