[HINWEIS: ich spinne hier ein paar Gedanken von gestern andersherum, bzw. an ein paar Stellen noch etwas weiter. Wer den gestrigen Post also noch nicht gelesen hat, sollte dies zuvor noch nachholen. Danke…]
Es ist einer dieser Tage, an denen die Wetterlage draußen so gar nicht mit der Binnenwetterlage in mir korrelliert. Ich fühle mich körperlich kaputt. Eigentlich beste Voraussetzungen, um sich dem Schreiben zu widmen, denn der Geist ist ja trotzdem wach. Allerdings sitzt heute nicht Smeagoll auf meiner linken Schulter, sondern mein ÜBER-ICH (nennen wir ihn der Einfachheit halber „Fürchtegott-Justus“, oder FG), dass mich freundlich aber bestimmt darauf hinweist, dass man solche Tage nicht vergeuden darf, und verdammt noch mal mit den Lieben vor die Tür sollte. Und auf der rechten Schulter? Nun, mein ES (mit dem klangvollen Namen „Grimpfelgrumpf-SozAut“, oder kurz GS) ist sich ziemlich sicher, mit vollem Recht auf solche impliziten Verpflichtungen scheißen zu dürfen. Was mein ICH aus solchen Dilemmata macht, ist zumeist ein Kompromiss. Und manchmal gar kein so fauler… Der Ausdruck „zu seinem Glück gezwungen werden“ ist sicherlich den meisten geläufig; und in diesem Fall sogar wahr.
Wir waren also ein wenig in der Sonne unterwegs. Ich mag Sonne. Ich mag auch den Wald. Also sind wir gar nicht weit von hier eine Weile durch den Dossenwald gewandert. Haben Wildschweine und Auerochsen besucht. Nix besonderes. Und dennoch war unverkennbar, dass das allen gut tut. Sogar meinem GS. Er ist zwar jetzt ein wenig beleidigt, weil er nicht den ganzen Tag in seiner Höhle verbringen durfte, aber das holen wir ja schon gerade nach. Die eigentliche Friktion ist ja auch nicht, bei Sonnenschein (und für Februar viel zu hohen Temperaturen) durch den Wald gehen zu müssen; sondern dieser „unerträgliche Eingriff in meine Autonomie“. An dieser Stelle ist eine Anekdote fällig: Ich ging die Tage abends vom Bahnhof zurück nach Hause und an einer Straßenecke stand ein anderer Vater, der in aller Seelenruhe die ohrenbetäubenden Trotzensschreie seines etwa drei Jahre alten Kindes über sich ergehen ließ. Ich musste schmunzeln, weil jedes Elternteil mit mehr als drei Tagen Erfahrung das kennt. Weniger zum Schmunzeln waren die vorwurfsvollen Blicke anderer Passanten, so a lá „Jetzt gib dem Gör halt, was es will, damit WIR unsere Ruhe haben!“ Entweder keine Eltern, oder ignorante Idioten. Aber die besten Erziehungsratschläge bekommt man ja eh immer von denen, die keine Ahnung haben!
Mein ES ist so ein dreijähriges Kind. Vielleicht ist es manchmal auch schon 12 und damit gerade so geschlechtsreif. Jedenfalls ist es ein trotziger kleiner Pisser, der seine Grenzen regelmäßig gezeigt bekommen muss. Zum eigenen Glück gezwungen werden halt. Die Frage, welche damit allerdings unbeantwortet bleibt ist, wie viel ES wir eigentlich brauchen, um als Menschen nicht an der Verleumdung unserer eigenen Identität und der ihr innewohnenden Bedürfnisse zu Grund zu gehen? Vermutlich ist die Antwort darauf – wie so oft – höchst individuell. Womit meine für die meisten Menschen wahrscheinlich höchstens Unterhaltungswert hat. Macht aber nichts. Mir geht es damit so: ich habe heutzutage, vermutlich dank meiner depressiven Grunderkrankung, einen ganz guten Draht zu meinem INNEN. Niemand kann seine EMOTIONEN wirklich herbei denken, weil das allermeiste davon auf neurophysiologischer Ebene vorbewusst abläuft. Unsere AFFEKTE (Liebe, Hass, Gier, Ekel, Wollust, etc.) sind lediglich der für uns fühlbare Ausdruck dessen, was unser mesolimbisches System und die Amygdala so alles anstellen, wenn der Tag lang ist. Wir können allerdings lernen, mit unseren Affekten umzugehen. Zum Beispiel diesem unverschämten Idioten, der sich an der Kasse vordrängelt nicht einfach eine auf’s Maul zu geben, wie er’s eigentlich verdient hätte…
Allerdings habe ich gelernt, dass zu meinen Affekten auch die INTUITION gehört. Und weil meine kreativen Prozesse tatächlich oft sehr intuitiv ablaufen, kann ich diesen Teil meiner selbst gar nicht überhören. Denn ich würde etwas von mir verleugnen, dass mich einerseits sehr stark als Mensch definiert; und das andererseits auch einen erheblichen Anteil an meinen professionellen Erfolg hat! Das ist der Grund, warum ich manchmal vielleicht etwas tüddelig, abgelenkt, ja manchmal sogar eher abweisend rüberkomme. Wenn mein Gehirn JETZT gerne intuitiv etwas ausklabustern möchte, und mich aber dauernd jemand dabei stört, werde ich gelegentlich unwirsch. Denn mein Dreijähriger (vielleicht auch 12jähriger) GS wird dann trotzig, weil er nicht zu seinem Recht kommt, obwohl selbst FG weiß, dass dies jetzt gerade sein MUSS! Da könnte ich dann echt zum Wildschwein werden…
Es ist ja nicht so, dass ich’s gar nicht kontrollieren könnte. Aber nach einer Weile ist meine diesbezügliche Leistungsfähigkeit erschöpft. Dann muss ich mich zurückziehen und meinen Ideen, Plänen, Ausarbeitungen nachgehen können, ohne dass mich jemand unterbricht. Das ist im Arbeitsleben alles andere als einfach – außer wenn ich im Lehrsaal performen muss. Da kann ich nämlich die Rampensau sein, die mein 12jähriger gerne schon immer gewesen wäre! Im Büro jedoch ist es manchmal schwer, wenn Hinz und Kunz mit Fragen, Sorgen, Problemen vor mich hintreten. Einerseits, weil Hinz manchmal Kraft Amtes halt dazu berechtigt ist (Kunz vielleicht nicht unbedingt). Andererseits, weil ich so manchem Hinz oder Kunz ja auch gerne helfe. Mein FG ist nämlich ein verdammt höflicher und hilfsbereiter Fucker. Dann einen Ausgleich zu finden, ist selten einfach. Umso schöner ist es, dass ich mich die nächsten Tage ein großen Teil meiner Zeit eingraben und an Dingen arbeiten kann, die mir wichtig sind. OK Studium muss sein. Aber ich habe auch noch ein, zwei andere Projekte, die mich faszinieren. Denen werde ich mich auch widmen. Wenn also die Tage hier mein Dreijähriger spricht (oder mein 12jähriger 😉 ), ist das auch gut so. Zumindest für mich. Ich wünsche eine schöne Woche.