Und worum geht’s nun überhaupt – wer oder was ist hier „stuck in the middle“? Gott, Teufel, der Autor, alle und niemand? Auch auf diese Frage kann ich keine allgemeingültige Antwort geben, sondern nur eine hoch individuelle – und die ist zunächst nur für mich selbst gültig. Ob irgendjemand anders damit auch nur ein MÜ etwas anfangen kann, ist von so vielen Kontextfaktoren abhängig, dass ich darüber nicht sinnieren möchte. Aber ja – ICH bin „stuck in the middle“, gefangen ohne Chance auf Entkommen. Man nennt das Gefängnis übrigens Leben; oder anders gesagt, meine aktuellen Lebensumstände. Aber keine Sorge, das wird hier weder Ergotherapie auf Kosten der Leserschaft, noch eine weitschweifige Midlife-Crisis-getriggerte Laudatio auf den Verlust der Jugend. Der Lack is ab – damit bin ich fein! Denn ich habe dafür jede Menge Erfahrung erworben, die ich um nichts missen möchte. Die Kids werden langsam größer, selbstständiger und diskussionsfreudiger; auch das ist halt so, ich musste ihnen ja unbedingt schon früh zeigen, wie Ironie funktioniert – Karma ist auch für mich ein Bumerang. Mit der besten Ehefrau von allen läuft alles schön. Was mich derzeit hart fickt: (a) Dass ich so blöd bin, meine Selbstwirksamkeits-Erwartung immer noch an meine Kreativität koppeln zu wollen, wenn ich für meine Bosse doch nur noch ein finanzdirigierter Verwaltungsheini bin. (b) Dass ich langsam wohl doch akzeptieren muss, dass man Menschen insgesamt nur sehr sehr schwer ändern kann, ohne ihnen harte Gewalt anzutun. (c) Dass mein Ventil, um all diesen Dingen wenigstens ab und an zu entkommen momentan offen gestanden viel zu selten geöffnet werden kann – ich bin dauerunterzockt! An (a) könnte ich vielleicht etwas ändern, wenn ich wollte. Lieber wäre mir aber eine Veränderung des Aufgabenprofils oder ein anderer Job, der meine Kreativität tatsächlich fordert. Über (b) werde ich mich noch ein bisschen ärgern, bevor ich es irgendwann in den nächsten zwei bis drei Jahren vielleicht doch annehmen kann. Wir werden sehen. Aber (c)… da muss was passieren, sonst drehe ich hohl. Denn wie die letzten zwei Posts dieser Serie hoffentlich sehr klar herausgstellt haben, brauche ich JEDES Futzel frischer Energie, um dieser gequirlten Scheiße an jedem neuen Tag wieder entgegentreten zu können.
Aber woher kommt dieses „stuck in the middle“-Gefühl? ich habe neulich an einem Seminar teilgenommen und die Trainerin interpretierte das Eisbergmodell auf eine Art, die mich an alte Überlegungen erinnert hat: wenn wir uns an Freud und seine drei Instanzen der Psyche (das ES, also unsere Triebe, das ÜBER-ICH, also unsere Moral und das ICH als vermittelnde Instanz zwischen den zwei Extremen und Ausdruck unserer Persönlichkeit) erinnern mögen, so wird uns schnell klar, dass große Teile dessen, was in uns tagtäglich passiert vollkommen natürlich vor dem Zugriff der restlichen Welt verborgen bleiben müssen; und was hassen wir manchmal jene Menschen, die ihr Herz unbekümmert auf der zunge vor sich hertragen… und bewundern sie gleichsam für ihren Mut. Auch wenn dieser Mut manchmal einfach nur fehlinterpretierte Gleichgültigkeit, Unbesonnenheit oder Dummheit sein mag. Was aber bei einem genaueren Blick (unten findet sich eine Grafik dazu) ins Auge fällt, ist Folgendes: unsere Bedürfnisse und unser Wille, diese auch irgendwie umgesetzt zu sehen gründen auf einem diffusen Geflecht aus Emotionen, Trieben, internalisierten Ritualen, kulturellen Praktiken, Träumen. All das haben wir erworben durch unsere verschiedenen Sozialisationsinstanzen und unsere Bildung. Beides steht in engem Austausch miteinander, denn kulturelles und soziales Kapital wie Pierre Bourdieu dies nennt entstehen im Austausch mit unserer Familie und unseren Peergroups; je mehr an diesen Orten Wert auf Bildung gelegt wird, desto wahrscheinlicher wird ein eigener Bildungserfolg im Sinne akademischer Abschlüsse mit höherem Wert auf dem Arbeitsmarkt. Und damit automatisch sozio-ökonomischer Status. Das bedeutet aber, dass bestimmte Teile unseres Selbst von der Natur gegeben und andere Teile sehr früh erworben werden. Die Grundmauern eines Hauses lassen sich aber nur nich sehr schwer verändern, wenn es erst einmal steht…
Ich bin also „stuck in the middle“, weil wesentliche Teile von mir einfach schon Mensch Level 50 sind; und damit meine ich nicht meine Knie oder Schultern (die sind manchmal gefühlt eher Level 90…). Meine Erfahrungen, meine Sozialisation, meine Erziehung haben Errosionsspuren in meinem Hirn hinterlassen, die sich nicht so einfach glätten oder umbauen lassen; und das geht allen Menschen so. Wir können uns nicht beliebig schnell, beliebig oft an beliebig viel Neues anpassen, weil weder unsere Hirnstruktur noch die darauf basierende Psyche dazu in der Lage sind. Allerdings lernen Menschen mitnichten ab einem bestimmten Alter nichts mehr dazu; der Spruch „Einem alten Hund kannst du keine neuen Kunststücke mehr beibringen“ ist Quatsch, denn die Neuroplastizität (die Fähigkeit unseres Hirns, neue synaptische Verbindungen zu bilden) bleibt bis ins hohe Alter erhalten, außer sie wird durch neurodegenerative Prozesse (wie etwa Alzheimer-Demenz) eingeschränkt. Neues Wissen und vor allem neue Verhaltensweisen müssen jedoch in den vorhandenen Bestand einsortiert werden. Je mehr Biographie angehäuft wurde, desto größer ist der Widerstand der durch die Neuigkeit überwunden werden muss und desto größer ist die interne Koordinationsleistung, diese Neuigkeit mit allem anderen in Einklang zu bringen – oder ggfs. sogar Altgekanntes zu ersetzen. Es ist ist eben diese Anstrengung (nämlich von der Couch in der Komfortzone vertrieben zu werden), die viele Menschen (instinktiv oder bewusst) davor zurückschrecken lässt, sich mit Dingen abseits ihrer bisherigen Lebens- und Erfahrungswelt auseinanderzusetzen. And here I am, thrown in a world of constant change… and the change gets faster all the time, while I stand still, overwhelmed by the challenges imposed on my unwilling self; hoping it’ll all be over soon. But it won’t! Never!
Ich verstehe gut, warum Menschen sich lieber von ihren Blasen einfangen lassen, in denen sie gesagt bekommen, dass alles gut wird, dass sie sich nicht anstrengen müssen, dass es schon nicht so schlimm wird, dass sie sich nicht ändern müssen, das gar nichts sich ändern muss. Es sind ja nicht nur unredliche Politiker, welche auf diese Art ihre Macht zu sichern suchen. Typen und Tussen mit Heilsversprechungen gibt es da draußen mehr als genug. ANGST? STOLZ? EIGENNUTZ? Schon mal davon gehört in letzter Zeit? Heute, im Zeitalter der antisozialen Medien umso mehr, wo es so einfach geworden ist, mit einem hinreichend verlockenden Versprechen, einem bisschen geschicktem Marketing und einem MÜ Charisma fast jeden Scheiß verkauft zu bekommen – einfach weil unsere tiefe Binnenpsyche es will! Die will verarscht werden, wenn sie (und damit ich als Ganzes) sich dadurch gut fühlen kann. Daniel Kahnemann hat alles aufgeschrieben, was man dazu wissen muss. Die Frage bleibt, was man dagegen tun kann. Denn solange es immer wieder Menschen mit rein egoistischen Absichten gibt (man könnte die auch Verbrecher nennen), wird sich immer jemand finden, der unsere neurobiologische und neuropsychologische Verfasstheit als Menschen für den eigenen Vorteil ausnutzen wird. Sich dagegen zu imprägnieren bedarf es mehrerer Schutzschichten. Eine davon ist Bildung; nicht jedoch die Druckbetankung mit kontextlosem, trägem Wissen. Eine weitere ist Haltung der Ehrlichkeit, Kritikfähigkeit (aktiv wie passiv) und Wertschätzung, die sich aus dem kritischen Umgang mit Welt nährt und durch Bildung vorbereitet wird. Eine dritte ist ein humanistisches Menschenbild und der damit einhergehende Altruismus, der uns Menschen eigentlich (bis auf wenige Ausnahmen) von Natur aus zu eigen ist. Die Vierte jedoch ist die Bereitschaft, diesen Feinden des Gemeinwesens die Stirn zu bieten, wo immer dies möglich und notwendig ist; und mit ALLEN zu Gebote stehenden Mitteln. Genug für jetzt, ich wünsche noch einen schönen Tag – bis bald…
- Kahnemann, D. (2011): Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler Verlag in der Verlagssgruppe Random House.