Nur nicht untergehen!

Seit ein paar Wochen versuche ich mich wieder an mehr Bewegung. Meine Struggles mit der Masse meines Selbst gehen mittlerweile ins zweiunddrölfzigste Jahr und irgendwie ist Progress mit Blick auf die richtige Richtung des Zeigers an der Wage nur sehr spärlich zu verzeichnen. Joggen ist mit ’nem kaputten Sprunggelenk und dem Ausgangsgewicht aus orthopädischer Sicht ein No-Go, Crosstrainer würde bedeuten, dass ich extra noch ein Fitnessstudio-Abo abschließen müsste, worauf ich auf Grund eines Teils des Klientels dort nicht wirklich Lust habe; aber Schwimmen – ja Schwimmen ging schon immer. Und wenn man dann noch die Gelegenheit hat, um kurz nach 06:00 mit eher wenigen anderen zusammen in ein überdachtes, beheiztes Becken zu steigen… Ja okay, die Uhrzeit bereitet mir JEDES EINZELNE MAL wieder Brechreiz. Ein Frühaufsteher werde ich in diesem Leben nicht mehr. Aber wenn du dann endlich im Wasser bist und losschwimmst – musst du aufpassen, dass du nicht von irgendwelchen Hobbyolympioniken untergepflügt wirst. Mein Motto ist „Bitte nicht untergehen und irgendwie 1.500 Meter überstehen!“ Deren Motto ist anscheinend „Stirb du Wal, du bist im Weg!“ (ich habe hier, um der Dramatik Willen, natürlich ein klitzekleines bisschen übertrieben…) Hey, ich habe damit meinen Frieden gemacht und tatsächlich ist der Körper danach vielleicht müde, aber der Kopf ist tatsächlich frei. Also bleibe ich dabei. Geht aber auch nur ein Mal die Woche, öfter haben sie leider nicht so früh auf.

Es fällt mir derzeit auch aus anderen Gründen schwer mehr Bewegungseinheiten in meinen Alltag einzubauen, einfach weil unter der Woche Nachmittags schon so verdammt viel passiert ist und ich oft nicht mal körperlich sondern eher emotional so erschöpft bin, dass ich mir irgendwas Unterhaltendes suche und Fünfe gerade sein lasse. Da bin ich ganz Mensch… An den Wochenenden schaffe ich es wenigstens öfter mal, ein paar Kilometer spazieren zu wandern. Mir ist dabei aufgefallen, dass viele Leute, denen ich währenddessen begegne immerzu mit irgendwelchen Kopfhörern unterwegs sind. Ob Ganzschale oder In-Ear ist dabei vollkommen unerheblich, denn es handelt sich dabei sehr oft augenscheinlich, dem technologischen Trend folgend, um Noise-Cancelling-fähige Geräte. Diese Menschen blenden also bewusst einen ihrer Primärsinne aus. Warum die das tun, weiß ich nicht, aber ich habe dazu zunächst eine Meinung: einerseits ist das, insbesondere wenn man gerade im Straßenverkehr unterwegs ist sträflich dumm, weil es ein erhebliches Gefahrenpotential darstellt, nichts anderes hören zu können, als die Musik, das Podcast oder wasweißich auch immer da gerade läuft. Andererseits ist es für mich eine traurige Vorstellung, die Welt ausgerechnet dann ausblenden und ganz bei sich sein zu wollen, während man in dieser unterwegs ist; es wirft für mich die Frage auf, ob diese Menschen nicht mehr in der Lage sind, ohne irgendeine Form der Dauerberieselung zu existieren? Wahrscheinlich urteile ich da gerade zu hart, denn ich war gerade vorhin auch draußen unterwegs und dabei kam mir folgender Gedanke…

Wenn es stimmt, was Freud, Mead und andere formuliert haben, nämlich dass es drei Instanzen unserer Psyche, unserer Persönlichkeit, unseres Rollenverhaltens gibt, die aus zwei Extrempolen und einem vermittelnden Fließgleichgewicht in der Mitte bestehen, dann sind jene Menschen, die man heutzutage so gerne als neurodivers bezeichnet vermutlich eher von der ungebändigten, kreativen, zügellosen Seite des ES oder des I geprägt – das bedeutet nicht, dass das ES (wie Freud es nannte) oder das I (wie Mead es bezeichnete) uns den lieben langen Tag irgendwelche abseitigen, übergriffigen, absolut hedonistischen Dinge tun lässt. Wohl aber macht uns das rast- und ruhelos, lässt uns dauernd nach neuen Projekten und Idee, nach neuen Kicks und neuen Erfahrungen streben. Manchmal bis zu dem Punkt, dass wir unsere Sinne bewusst überladen, um überhaupt einen Fokus finden zu können. Ich erlebe das nicht so, weshalb ich wohl getrost sagen kann, dass meine Depressionen mir genügen und ich nicht auch noch über irgendeine – wie auch immer geartete – Form von Neurodivergenz an mir nachdenken muss. Ich konnte das aber schon in anderen Menschen beobachten. Und diese Beobachtung relativiert dann die Gedanken von vorhin insofern, als es wohl tatsächlich möglich ist, dass manche dieser Menschen, denen ich bei meinem sonntäglichen Spaziergang begenet bin einfach nur versuchen, ihre inneren Stimmen zum Schweigen zu bringen. Die Teilnahme am Straßenverkehr macht es dann allerdings immer noch riskanter als unbedingt notwendig.

Ich habe auch innere Stimmen; nein, keine von denen summt dauernd die Melodie von Tetris, aber nicht selten klingt mein innerer Monolog, den ich SO GERNE als „normale“ Selbstreflexion betreiben würde eher wie eine politische Talkshow, die (wie in der Realität auch) allzu oft in Satire abgleitet, weil die Protagonisten sehr „interessante“ Ansichten haben. Aber ich kann das meistens bewusst moderieren und bis zu einem gewissen Grad durch körperliche Aktivität sogar abschalten. Deshalb dauert es mich auch so sehr, dass ich es nicht öfter hinbekomme, mehr Bewegung besser in meinen Tagesablauf zu integrieren. Bevor jetzt irgendsoein Schlaubi-Schlumpf daher kommt und seinen „Ja, da musst du halt einfach mehr Sport machen“-Senf absondert (in dem Fall ist die Assoziation mit Kinderkacke, die ich bei Senf oft habe echt passend!): Fick dich! Mach meinen Job! Hab mein Leben, mein krankes Hirn und dann reden wir noch mal, Digga! Ende der Durchsage. Ich bemühe mich echt, aber manchmal (eigentlich zu oft) scheitert die Mühe an der normativen Kraft des Faktischen. Also muss man das Faktische ändern – also dier ealen Lebensbedingungen. Und DAS ist nicht so einfach, Wie dem auch sei, versuchen wir auch in der kommenden Woche einfach nicht unterzugehen und den Kopf so gut freizukriegen, wie es geht – jedes Menschlein auf seine Weise. Bis bald.

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