Fresh from Absurdistan N°6 – Pictured Life

Situationskomik. Ein Mensch aus meiner Facebook-Wolke postet ein Bild von einem hübsch hergerichteten Frühstückstisch und ich denke „Joa, könnte auch bei uns daheim sein, sieht nur viel ordentlicher aus.“ Seine beste Ehefrau von allen postet etwas weiter unten im Thread, dass die abgebildeten Eier noch roh waren – ich hätt‘ mich wegschmeißen können. Semiose in Reinkultur. Das Bild funktionierte exzellent als Darstellung idyllischer Heimeligkeit mit Frühstücksei; man denkt bei so einem feinen Ei an den Geschmack – und diese Interpretation wurde durch einen lässigen Einzeiler zerrissen! Fast wie im Action-Film, dessen Dialoge heute ja fast nur noch aus lässigen Einzeilern bestehen. So gesehen sind Action-Filme infektiös, weil der Wortschatz aus linguistischen Einzellern besteht; man muss sogar nur einen Buchstaben austauschen.

Wo war ich? Ach ja, genau – Zeichenwirkungen! Denn so’n Bild auf Facebook ist ein (visuelles) Zeichen. Es hat für denjenigen, der’s postet eine Bedeutung und es hat für die Leute, die es rezipieren (sollen) auch eine Bedeutung. Muss nicht die Gleiche sein, aber das tut für meine Betrachtung nix zur Sache. Denn der Poster (nicht das Poster) beabsichtigt mit seinem Bild etwas. Hier zum Beispiel die Darstellung eines – mehr oder weniger – perfekten Frühstücks daheim, in Zeiten von Corona. Und wird hinterrücks von der eigenen Gattin der Inszenierung überführt – die Realität wurde kuratiert, um einem bestimmten Ideal zu genügen.

So wie sich Influenzer (im Gegensatz zu Influenza) unfassbar viel Mühe geben, Fotos „casual“ aussehen zu lassen, obwohl sie ’ne Stunde rumprobiert haben, den richtigen Winkel, die richtige Mimik, die richtige Beleuchtung zu treffen, um danach dann an dem einen „Schnappschuss“ (von ca. 100) nochmal eine Stunde rumzuphotoshoppen, damit das Ergebnis auch ja „casual perfect“ aussieht. Nun unterstelle ich dem oben erwähnten Menschen nicht unbedingt ein so schlimmes Geltungsbedürfnis. Aber man muss sich schon die Frage stellen, warum man sich soviel Zeit nimmt, ’n rohes Ei auf dem Tisch zu drapieren, obschon man vielleicht gar nicht die Absicht hat, es zu kochen?

Ich bin ja nicht ohne Sünde. Ich zeige manchmal meinen Mini-Kugelgrill auf unserem Balkon. Nicht unbedingt, weil ich alle zum Besuch einladen will, sondern eher, weil ich ich es lustig finde, darauf hinzuweisen, dass ich ein echter Barbecue-Fanatic bin. Ob die Bilder kuratiert sind? Nö, man sieht darauf, was es später zu essen gibt. Man kann erkennen, dass ich die Beplankung unseres Balkons mal wieder erneuern müsste und dass mein Grill evtl. auch nicht der Allergepflegteste auf dem Erdenrund ist. So what? Was ich darstelle, ist die leicht angejahrte Hinterhof-Romantik meines Heims. Objektiv betrachtet bin ich damit nicht besser, als der beschriebene Kasus aus dem ersten Abschnitt. Nur anders.

Die meisten Menschen behaupten zwar ganz gerne, dass es ihnen Wumpe ist, wie Andere sie sehen. Faktisch ist das Bullshit; zumindest, wenn man sich Facebook mal genauer anschaut. Denn wenn man in Betracht zieht, wie viel Mühe sich Menschen dort – ohne jedwede Bezahlung – geben, ihr Leben gut aussehen zu lassen (vielleicht sogar besser als meines, oder deines, oder ihres…?) , dann hat meine Spezies so einiges zu kompensieren. Facebook-Bildchen dieser Art sind der (auswertbare) Beweis für die Existenz eines kollektiven Minderwertigkeitsgefühles der Nutzer dieser Plattform. Und ich bin schuldig in allen Punkten der Anklage. Vielleicht wäre es doch ganz gut, dass mal zu bedenken, wenn man irgendwelche Memes, Sharepics oder sonstigen virtuellen Käse teilt, liked, oder sonstwie promoted.

Wir treten viel zu oft in die Stolperfallen, die unsere eigene Geltungssucht uns im virtuellen Raum auslegt und sind dann immer ganz betreten, wenn wir auch noch öffentlich erwischt werden. Wie wäre es zur Abwechslung mal, ebenso öffentlich authentisch zu sein, dass Kuratieren bleiben zu lassen und die Dinge genauso einfach, schäbig, mundan, ungeschminkt, etc. zu zeigen, wie sie bei den Allermeisten von uns sind? Ich fände das extrem angenehm. Ein bisschen virtuelle Ehrlichkeit stünde uns allen gut zu Gesicht. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine schöne neue Woche im Lockdown. C U soon.

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