Zufriedenheit N°4 – Rohe Weihnachten…

Erstaunlich aber wahr – ich freue mich auf die Festtage! Oft in den letzten Jahren waren sie der mentale Ort, an dem ich mal ein bisschen verschnaufen konnte und auch in diesen covidiesken Zeiten zeichnet sich wieder ein Bremsvorgang ab, den ich eigentlich schon seit Wochen herbeisehne. Immerhin ist aus dem, andauernd mit der Angst um eine mögliche Quarantäne-Order gewürzten Sprint der zweiten Jahreshälfte mittlerweile ein halbwegs gut verdaulicher Dauerlauf geworden. Und das Licht am Ende des Tunnels ist dieses Mal, wie’s aussieht, tatsächlich kein Zug. Aber warum ist das so?

Ich muss an dieser Stelle etwas gestehen: ich glaube, ich bin kein guter Christ. Also, in diesem Kirchgänger-Charitas-Normen-Sinn (für jene, die sich fragen, warum das da mit „ch“ steht: ich meine nicht den Wohlfahrts-Konzern, sondern das zu Grunde liegende lateinische Wort für Nächstenliebe). „Christliche Nächstenliebe“ hat ja oft diesen „Tue Gutes und lass es alle wissen!“-Charakter. Damit kann ich nichts anfangen. Ebenso wenig, wie mit Kirche als organisierter Institution zur Glaubensvermittlung. Schönen Dank, aber meinen Glauben, oder besser mein spirituelles Ich definiere und pflege ich selbst.

Was mich jedoch zufrieden macht, ist Zeit. Einfach mal Dinge tun oder auch lassen zu können, ohne sich den lieben langen Tag in diesem Hamsterrad der Nützlichkeit und Produktivität abmühen zu müssen. Ich habe dieser Tage abends mal mit der besten Ehefrau von allen geklönt und wir kamen überein, dass echte gepflegte Langeweile empfinden zu dürfen ein Privileg wäre. Selbst, wenn wir uns mal ein wenig gehen lassen, Dinge um ihrer selbst willen tun ; also Müßiggang betreiben, ist da immer dieses kleine Männchen im Hinterkopf, dass uns das Unbehagen des schlechten Gewissens einzuflüstern versucht, weil wir gerade NICHTS SINNVOLLES tun. Und genau da liegt die Crux: wer darf denn bitteschön für mich definieren, was sinnvoll und was sinnlos ist? Mein Boss? Mutter Kirche? Die Bundeskanzlerin? Meine Frau? Meine Kinder? Oder vielleicht ab und zu doch auch mal ich…?

Ich bin anscheinend in mancherlei Hinsicht doch schon so sehr ein Opfer dieser ganzen Selbstoptimierungs- und Work-Life-Balance-Kacke, dass ich nicht mal mehr zocken kann, ohne Unzufriedenheit auf Grund mangelhafter Produktivität zu spüren. Warum zum Henker blogge ich beispielsweise gerade? Weil ich nichts besseres zu tun habe? Oder weil ich als Macher wahrgenommen werden will. Ein – aber bitte günstiger – Psychotherapeut zur Klärung der Frage ist absolut willkommen. Ich weiß zumindest eines: meine Versuche, mich davon zu emanzipieren, sind noch nicht weit genug fortgeschritten. Wenigstens habe ich meine Nein-Schwäche mittlerweile etwas besser im Griff. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass dieses Ratgeber-Dauerfeuer zur Optimierung und Effizienzsteigerung des verdammten Lebens auf allen Social-Media-Kanälen seine Spuren hinterlassen hat.

Vor allem das Wort Lifehack kann ich nicht mehr sehen oder hören. Es macht mir Brechreiz. Wenn ich Hack will gehe ich zum Metzger! Wer braucht diese ständige Jagd nach Effizienz und Effektivität. Die meisten Leute können ja nicht mal den Unterschied benennen, ohne Google fragen zu müssen. Geschweige denn, dass sie wüssten, welche Formen von Effizienz unterschieden werden. Danke, aber NEIN DANKE. Ich habe davon die Schnauze gestrichen voll. Ich will Müßiggang und ich will diesen zu meinen Bedingungen. Ich will auch mal liegenbleiben dürfen, bis ich keine Lust zum Liegen mehr habe. Ich will tun – und auch lassen – was mir gerade in den Kopf kommt, ohne mich drum zu scheren, ob’s irgendwem nützt. Denn zumeist ist es ja doch nur der Nutzen Anderer, der durch dieses öffentlich zelebrierte Optimierungs-Brimborium erreicht werden soll. Arbeitsproduktivität. Für andere die Kohlen aus dem Feuer holen, Knete ranschaffen, den Laden am Laufen halten; und das am Besten für’n Taschengeld. Und was ist der Dank? WAS ZUM HENKER IST DER DANK?

Ich könnte darauf eine Antwort geben, aber sie wäre nicht allgemein gültig, könnte dem einen oder anderen Unrecht tun und zudem eher bitter ausfallen. Darum lasse ich es. Nur so viel: Es ist an der Zeit, über Zeit nachzudenken. Nämlich jene, die einem noch bleibt und was man damit für sich selbst anzustellen gedenkt. Und wenn jetzt jemand rumheult, ich sei der Anti-Altruist – mitnichten, meine Lieben… mitnichten. Ich habe aber erkannt, dass man als Mensch nur dann Zufriedenheit erfahren kann, wenn man sich auch im Nein-Sagen und im Nicht-Tun als Selbstwirksam erfährt. Denn ansonsten reißen die üblichen Verdächtigen einem auch weiterhin beim Reichen des kleinen Fingers den Arm am Schultergelenk raus. Denkt mal drüber nach. Rohe Weihnachten könnte heuer heißen: „Ich muss gar nix außer schlafen, trinken, atmen und ficken und nach meinen selbstgeschriebenen Regeln ticken“ Danke Großstadtgeflüster für diesen unfassbar wahren Satz. Schönen Abend noch.

Eine Antwort auf „Zufriedenheit N°4 – Rohe Weihnachten…“

  1. Stimme dir vollkommen zu. Zeit ist wertvoll. Vor allem die eigene auch mal alleine. Und die muss man sich nehmen. Solange dabei niemand anderer schaden nimmt ist alles gut.

    In diesem Sinne. Ruhige Tage??

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