Wertfragen für Anfänger!

"Ein Zyniker ist ein Mensch, der von allen Dingen den Preis kennt und von keinem den Wert weiß. Und ein Sentimentaler ist ein Mensch, der in allen Dingen einen lächerlichen Wert erblickt und von keinem einzigen den Marktwert weiß."
Oscar Wilde

Wann immer man sich im Internet umsieht, stolpert man recht bald, beinahe zwangsläufig über sogenannte Ratgeber, „Lifehacks“ und allerlei anderen kontextarm-sinnfreien Ausfluss sendungsbewusster Menschoiden. Zumeist generiert, um entweder noch eine dieser nutzlosen Möchtegern-News-Seiten mit angeblichem „Content“ zu füllen, oder aber (noch schlimmer!), um damit auf dem Rücken an sich selbst verzeifelnder Menschen Geld zu verdienen. Ist mein Blick auf die allermeisten Medienschaffenden vielleicht zu negativ? Ich denke nicht, denn am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles. In der Hinsicht bin ich ein Zyniker, da ich die Preisschilder an den Ratschlägen nur allzu gut zu erkennen vermag; jedoch – ich will dem gar keinen Wert beimessen, denn es hat keinen! Außer für moralisch verrottete, gierige, betrügerische, bigotte Arschlöcher Klicks oder Geld zu generieren; wobei Klicks im Web ja mit Geld gleichzusetzen sind. „Ooooh….“ höre ich es vor meinem inneren Ohr aufbranden „…aber, aber. Wie kann man nur so negativ, so bösartig auf Mitmenschen blicken, die halt irgendwie erfolgreich zu sein versuchen?“ Nun, ganz einfach: indem ich sie, wie eben getan, als exakt das bezeichne, was sie sind: ganz und gar auf Schein basierendes, wertloses Geschmeiss, das mir bitte vom Halse bleiben soll.

Ich hatte doch neulich mal darüber gesprochen, wie sehr es mich geflashed hat, dass eine ganz simple Kurz-Recherche zum Thema Coaching-Ausbildung mir eine wahre Flut von Bullenscheiße in meine Insta-Timeline gespült hat. Mittlerweile hat der Algorhythmus verstanden, dass er das bleiben lassen soll, aber da waren Gestalten dabei: unverblümt-direkte Ansprache, umgekehrte Psychologie, Sketche, Nachrichtensprecherei, Pep-Talk und Power-Posing und tatsächlich möchtegern-selbstkritisches Fishing for Compliments and Customers. YIKES! Was für ein Panoptikum oberflächlich-unseriösen Grusels. Auch die haben den Zyniker in mir hart getriggert, denn die Preise, die da für eine sogenannte Coaching-Ausbildung aufgerufen werden, sind schon mehr als saftig. Schönen Dank auch, kein Interesse. Immerhin hat es in mir ein paar Denkspiralen ausgelöst. In einem anderen Zeitalter war ich mit Selbstzweifeln ganz gut vertraut, heutzutage jedoch kenne ich – ganz ohne Zynismus und absolut Arroganzfrei – meinen Wert ebensogut, wie das Preisschild, welches ich an meine Arbeit hängen kann. Und ich mache KEINE Mondpreise. Wenn ich das aber so offensiv vertrete, bin ich dann noch ein Zyniker? Ein geläuterter Zyniker? Ist die Definition von Wilde am Ende vielleicht falsch? Oder drifte ich doch langsam zum Sentimentalen? Immerhin werde ich ja bald 50, da fangen viele Leute mit diesem fatalen „Früher war alles besser“-Gedöns an. Ich bleibe da lieber bei Jochen Malmsheimer, wenn er sagt: „Früher war nichts besser. Früher war vieles früher, das ist richtig!“

NEIN, ich bin kein echter Sentimentaler. Ich erblicke allerdings in mancherlei Dingen von Früher etwas, dass mir vertraut ist, dass in mir Emotionen zu wecken vermag, die der innere Zyniker allzuoft allzugut im Griff hat. Das mich zurückwirft auf ein Zeitalter, da zwar Selbstztweifel in mir eine wesentlich größere Rolle gespielt haben als heute, in dem ich aber unschuldig und mit frischem Blick auf die Welt schauen konnte; und nicht wie heute mit dem Gefühl, dass doch eh alles nur noch eine menschlich wertlose, durch und durch bigotte, kapitalistische Konsum-Show ist – eben als Zyniker. Nun wäre es an der Zeit darauf hinzuweisen, dass Wilde über Zyniker auch noch etwas anderes gesagt hat: nämlich dass sie enttäuschte Romatiker seien… und damit relativiert sich das möglicherweise bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Bild eines durch und durch vom Leben und den Menschen enttäuschten Wracks im absoluten emotionalen Tiefwinter. Nichts könnte der Wahrheit ferner sein, spüre ich doch sehr oft sehr intensiv, was in mir gärt und kocht, was der Welt und vor allem den Menschen in ihr ins Antlitz springen und sie anschreien möchte: „DENKT IHR DENN NOCH IRGENDWAS, ODER HAT DER KONSUM EUER LETZTES BISSCHEN HIRN ZERFRESSEN? SPÜRT IHR NOCH IRGENDWAS, ODER HAT EUCH DAS GEWITTER DER ÄUSSERLICHKEITEN VOLLKOMMEN TAUB UND STUMPF GEMACHT?“ Oh ja, da halte ich es mit Dr. Banner: „Wissen Sie Cap, mein Geheimnis ist – ich bin immer wütend!“

Ja, da ist ein Romantiker, der sich an Dingen erfreuen kann, die man, wenn man denn will, als feingeistig bezeichnen könnte. Und dieser Teil existiert in meiner Brust Tür an Tür mit dem incredible Hulk und einer weniger britischen Ausgabe von Dr. House; ich brauche auch kein Vicodin und keinen Gehstock. Dafür aber eine gehörige Portion Ambivalenz- und Ambiguitäts-Toleranz, denn die Jungs kämpfen manchmal auch miteinander. Und die drei, von denen ich bisher berichtet habe wohnen in meiner Seele nicht allein. Wir Menschen prägen im Laufe eines Lebens eine Menge Rollen aus. In meinem Fall wären das: Vater, Sohn, Freund, Feind, Chef, Untergebener, Berater, Beratener, Ehemann, Lehrer, Lernender… und noch viele andere. Und so selbstverständlich, wie wir – je nach Setting – die richtige Rolle so unbewusst und geschmeidig aktivieren, wie man einen perfekt passenden Anzug anzieht, so selbstverständlich sind die Echos aller mit den Rollen verknüpften Erinnerungen, Gedanken und Emotionen ein Teil von uns. Erst, wenn diese Echos vergehen, ist irgendetwas für immer kaputt. Ich wollte eigentlich nur eine saftige Glosse schreiben über diese scheinheiligen Arschgeigen, welche diese spezialisierte Ratgeber-Rubrik „Wie man sich von den Meinungen Anderer unabhängig macht!“ bespielen. Aber tatsächlich ist diese Aussage Käse, denn die Meinungen anderer haben – Kontextabhängig mehr oder weniger – einen Wert FÜR uns und damit Einfluss AUF uns. Kann man akzeptieren, oder auch nicht. Das ändert an der psychologischen Wirksamkeit überhaupt nichts. Und daher habe ich gerade über die Frage meditiert, ob ich schon vollends zum Zyniker geworden bin. Und jetzt denke ich, die Antwort lautet NEIN. Das ist doch schon was. Schönes Wochenende ihr flauschigen Flitzpiepen…

Auch als Podcast…

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