Voll von der Rolle

Ich war gestern mit der besten Ehefrau von allen und den „lieben Kleinen“ in einem der städtischen Parks. Man muss dazu wissen, dass hierorts die Stadtverwaltung den, ansonsten kostenpflichtigen Eintritt derzeit aus Gründen der sozialen Ruhe umsonst gestattet, dafür aber eine Tagesobergrenze für die Besucherzahl verordnet hat (ob DAS tatsächlich dem sozialen Frieden dient, weiß der Teufel). 2500 dürfen in den kleineren der zwei Stadtparks (ein Gelände von ca. 21 Hektar), was dazu führte, dass sich der Besuch ziemlich ruhig angefühlt hat. Fand ich OK, Menschenmassen gehen mir eigentlich immer auf den Sack. Es war sonnig, beinahe frühlingshaft (noch mal zur Erinnerung – heute ist der 21.02! Februar als kältester Monat und so…) und wir hatten unseren Spaß: Spielplatz, Viecher, Latte Macchiato, Liegestühle – läuft.

Wie ich so in dem Liegestuhl tat, wofür der gemacht ist (nämlich liegen), wies mich meine Frau irgendwann darauf hin, dass ihr aufgefallen sei, dass da viele kleine Mädchen Fußball spielen würden. Tatsache. Sie taten dies übrigens nicht nur mit ihren Vätern, weil die halt keine Söhne bekommen hätten (das sagte ich mehr so im Scherz dahin), sondern auch mit ihren Müttern. Ich begann nachzudenken, und zwar über Rollen. Was ist heutzutage ein Mann? Das generische Maskulinum wird nach und nach aus dem Duden verschwinden, allenthalben wird über Frauenquoten o. Ä. diskutiert und Frauen dringen in alle Domänen ein, die Männer einstmals für ihre Selbstdefinition requiriert hatten. Kann man mit einem „Gut so, weitermachen!“ abtun, und weiter rumliegen, aber dann bleibt immer noch diese Frage: Was ist heutzutage ein Mann? Oder besser: worüber definiert Mann sich als Mann?

Lassen wir erst mal den Umstand beiseite, dass das mit der Gleichberechtigung leider noch eine Illusion ist, deren Erfüllung in weiter Ferne liegt. Dennoch hat sich das Rollenbild des Mannes bereits nachhaltig geändert. Aber es gibt sie ja eigentlich gar nicht diese eine Rolle „Mann“. Ich habe z. B. Vater, Lehrer, Schüler, Chef, Untergebener, Freund, Feind, Kollege, Ehemann, Mentor, Spaßvogel, Sohn und noch ein paar mehr drauf. OK, Sohn nicht mehr wirklich, da ja beide Elternteile mittlerweile beim großen Manitou sind. Falls es tatsächlich ein Jenseits geben sollte, möge hen Schöpfer:inx ihren Seelen gnädig sein. Und mir das auf die Schippe nehmen des Genderns verzeihen. Ich denke ja, SIE ist schwarz… Was jedoch nun das Thema Rollenrepertoire anbelangt, müsste eigentlich jedem klar sein, dass die Rolle „Mann“ viele unterschiedliche Anteile aus den weiter oben genannten in sich vereint. Und keinesfalls ein statisches Konstrukt ist. Aber auch darüber habe ich schon so oft gesprochen, dass es fast langweilig ist.

Wie ich also gestern den jüngeren Vätern zusah, dachte ich so bei mir, dass meine Kindheit so vollkommen anders war – und doch irgendwie gleich. Weil das, was von außen auf uns Männer projiziert wird und das, was tatsächlich in uns stattfindet nicht selten aber auch gar nichts miteinander zu tun haben. Ich glaube ja, dass dieses Rollenbild „Mann“ eine Schimäre ist, die sich aus falschen Vorstellungen, Idealbildern, Träumen, aber auch Verachtung und Neid, etc. zusammensetzt, und letztlich immer eine Projektion von außen bleiben muss. Das Teuflische daran ist, dass nicht wenige Männer den Trugbildern erliegen und dann meinen, tatsächlich so sein zu müssen, wie es den durchgemixten Gehirnficks verschiedenster Menschen mit Sendungsbewusstsein entspricht. Kopieren war halt schon immer einfacher, als selber machen. Das Ergebnis? Männer die sich komisch verhalten, weil sie denken, dass ihre Männlichkeit von anderen – nämlich DEN MÄNNERN (wer auch immer das sein mag?) – definiert werden muss und Beobachter unterschiedlichster Geschlechts-Identitäten, die sich fragen, was das soll…

Zur Klärung: ich bin ein weißer Cis-Gender-Mann etwas über Mitte 40. Also wirklich bestes Material für den Absturz in eine Midlife-Crisis und das Absondern verachtender Kommentare zu komplexen Geschlechts-Identitäten und deren noch komplexerer Abbildung in unserer Alltagssprache. Vielleicht liegt es tatsächlich daran, dass es immer weniger Orientierungspunkte gibt, die einem zumindest eine vage Idee davon geben, was Mann sein für einen selbst bedeuten kann. Man bekommt ja heute – ganz Beck’sche „Risiko-Gesellschaft“ – von Kindesbeinen an einen medialen Gemischtwarenladen vor die Nase gehalten und soll am Besten alleine und möglichst schnell rausfinden, wer und vor allem was man ist. Zum Teufel, ich bin heute noch nicht so weit und ich bin schon 46! Was soll die Scheiße? Um es weniger verschwurbelt auszudrücken – die Kerle taten mir irgendwie leid. Gefangen in der Ambivalenz des „Dazwischen“ versuchten sie selbst ihr Zeichen zu setzen und gleichzeitig die Zeichen der anderen zu interpretieren, ohne dabei in irgendein politisch unkorrektes Fettnäpfchen zu treten. Da haben wir’s wieder, das gute alte Pogo-Hüpfen im Minenfeld…

Und die Mädchen mit den Fußbällen? Nun, ich hoffe, dass sie irgendwann zu Menschen heranreifen, denen es leichter fällt, sich in einer noch komplexer werdenden Gesellschaft zurecht zu finden, und den Männern ihrer Zeit helfen, die besten Männer zu werden, die sie dann sein können. Einstweilen versuche ich – genau wie hoffentlich noch ein paar meiner ungefähr gleichalten Geschlechtsgenossen – nicht zu viele Fehler zu machen, der Midlife-Crisis auch weiterhin auszuweichen und irgendwann wirklich herauszufinden, wer ich bin, warum und falls ja wie viele. Wird nicht einfach, aber hey – ich bin doch Manns genug… 😉

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