The weather outside is frightful…

Ich wähne mich fast immer einen wenig sentimentalen Menschen. Das ist natürlich falsch, denn es gibt sehr wohl Reize, die mich in besonderem Maße emotional triggern, so wie das bei fast jedem Anderen auch der Fall ist; man merkt es mir nur vielleicht nicht ganz so oft an, wenn ich das nicht möchte. Und natürlich hängt es vom jeweiligen sozialen Setting ab, was ich rauslasse und was nicht. Ich habe die Tage – einmal mehr – über Rollenübernahme nach George Herbert Mead gesprochen und dabei einen Vortragsstil gewählt, den ich schon öfter benutzt hatte, bin dieses Mal jedoch an einigen Stellen auf Grund des Zuhöhererkreises ein wenig tiefer eingestiegen. Dabei ist mir aufgefallen, dass es von den Dingen, die ich nicht explizit im Giftschrank meiner Seele eingeschlossen habe, nur Weniges gibt, womit ich hinsichtlich des Teilens mit Anderen ein Problem habe. Natürlich ist der Prozess dennoch selektiv, und ich erzähle gewiss nicht jedem Newbie im Arbeitsumfeld sogleich meine ganze Lebensgeschichte. Aber es wirft für mich eine Frage auf, die mich ein wenig unruhig macht: wenn ich manchmal schon Musik nutzen muss, um meine aufgestauten Emotionen rauslassen zu können, was ist dann da unten noch alles weggeschlossen?

Und dann ging ich gestern Abend nach einem Essen beim Italiener mit meiner besten Ehefrau von allen durch das Schneetreiben zurück nach Hause! Für unsere Gegend ein, in den letzten Jahren langsam seltener werdendes Ereignis, dass für mich jedoch immer ein Throwback in glücklichere Tage meiner Kindheit bedeutet. Eine Zeit, als ich die Last von Verantwortung und Verpflichtungen noch nicht kennengelernt hatte. Während meine Frau vor allem darüber besorgt war, wer am nächsten Morgen den Gehsteig würde räumen müssen, empfand ich einfach nur Freude. Denn für mich war es ein perfekter Abschluss eines schönen Abends, der quasi als Entschädigung für eine lange und anstrengende Arbeitswoche herhalten musste, in welcher die Zahl der aktuellen Probleme einmal mehr tendenziell eher zu- anstatt abgenommen hatte. Dieser Umstand macht manchmal zwangsweise aus meinem Herzen eine Mördergrube, weil ich eben nicht ALLES, was mich umtreibt zwanglos mit jemand anders diskutieren kann bzw. darf. Und da sind solche Momente, in denen die Sorgen kurz davontreiben dürfen, wie die Schneeflocken im Wind höchst kostbar und daher willkommen. Die Tatsache, dass ich dann heute Morgen den Gehssteig geräumt habe, tat dem keinen wirklichen Abbruch. Ich betrachte diese Wahrnehmung übrigens als Beweis, dass es im zuvor erwähnten Seelen-Giftschrank doch nicht ganz so schlimm aussehen kann, wenn etwas so einfaches und doch rätselhaftes wie Schnee mich glücklich machen kann. Was mich am meisten fasziniert, ist der akkustische Dämpfungseffekt. Die ganze Welt ringsum klingt irgendwie „eingepackt“ und damit weit weg, wenn Schnee in nennenswerter Menge irgendwo liegen bleibt. Ich interpretiere es so, dass dieses reduzierte Hören ein „Weit-weg“-Gefühl aufkommen lässt. Und seien wir doch mal ehrlich: wir alle wollen ab und zu einfach nur weit weg von alledem, was uns hier auf Trab, im Stress, zu beschäftigt zum leben hält – oder…?

Mittlerweile nutzen auch die Kinder den Wetterumschwung, und ich hänge wieder meinen Gedanken nach. Wie immer wollen einige Dinge erledigt, andere für die nächste Woche geplant werden, weil Bildungsarbeit oft kein Wochenende kennt. Aber just jetzt, wo ich die Bilder von gestern Abend noch einmal gesehen habe, ist der Entschluss gereift, dass ich das alles auch noch morgen tun kann. [Eine Anmerkung am Rande: ich bin wirklich positiv beeindruckt von der Qualität meiner Handycam! Die kommt natürlich in vielerlei Hinsicht nicht an die Abbildungsleistung meiner OMD heran, aber im Vergleich zu vor einigen Jahren kann man jetzt selbst im Dunkeln ganz achtbare Bilder machen.] Der Blick aus meinem Fenster offenbart immer noch ein Winterwonderland, dass mich lächeln lässt. Ich weiß gar nicht, warum dass so ist – und es ist auch vollkommen gleichgültig. Hauptsache, das gute Gefühl darf noch ein bisschen bleiben. Denn selbst mein eben erst abgelaufener Urlaub über Weihnachten und Sylvester konnte keine solche Stimmung zaubern, und ich will sie behalten! Natürlich wird die weiße Pracht angesichts der Örtlichkeit dank steigender Temperaturen bald verschwunden sein. Doch vielleicht konnten meine Lieben und ich bis dahin ein bisschen Winter tanken. So seltsam das auch klingen mag, gerade jetzt, brauchen wir das. Ich wünsche jedenfalls allen, die Schnee nicht mögen viel Langmut – und allen anderen ein schönes Wochenende.

Auch als Podcast…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert