Stress vs. Angst…?

Es ist seit Ulrich Beck’s Diktum von der Risikogesellschaft ein Allgemeinplatz, dass die steigende Komplexität unseres sozialen Umfeldes die Menschen ängstigt. Weniger – und vor allem auch weniger prägnante – Landmarken, höhere Anforderungen, eine schnellere Taktung; all das fordert unsere Sinne tagtäglich heraus, lässt unser ARAS (Aufsteigendes reticuläres Aktivierungs-System) heißlaufen und gibt unserem Hirn bisweilen mehr Futter, als es zu verarbeiten in der Lage ist. Erst, wenn wir eine Situation oder einen Sachverhalt als bedrohlich empfinden und außerdem feststellen, dass wir zu wenig, oder gar keine Ressourcen zur Verfügung haben, damit umzugehen, wird aus der Anforderung Stress.

Doch es gibt natürlich auch eine Feedbackschleife (in diesem Modellbild blau). Diese erlaubt es uns, aus bisher erlebtem Stress zu lernen und resilienter gegenüber später auftretenden Situationen zu werden. Das ist der Grund, warum High-Risk-Teams unter (weitestgehend) realen Einsatzbedingungen trainieren. Denn auch unsere individuelle mentale Resilienz ist – zumindest teilweise – wie ein Muskel, den man aufbauen kann. Doch man kann sich nicht auf alle Situationen vorbereiten. Es gibt viele soziale und politische Rahmenbedingungen, auf die wir keinen Einfluss haben und an denen wir primär nichts ändern können. Den daraus entstehenden Stress zu ertragen lernen funktioniert zwar auch durch Exposition; jedoch nur begrenzt.

Angst hingegen ist eine Grundemotion, die üblicherweise mit einer physischen (sympatho-adrenergen) Reaktion einhergeht und zumeist einen klar benennbaren Auslöser hat. Neuere Forschungen zeigen, dass es wohl einen physiologischen Zusammenhang zwischen Stress und Angst gibt; allerdings ist dieser noch nicht vollständig entschlüsselt. Wohl aber darf man davon ausgehen, dass ständiger Stress mit pathologischer Angst einher geht. Sehr individuell ist jedoch die Frage, was als Stressor auf uns wirkt. Es gibt verschiedene Theorien, die auch Einstellungen und andere sozialpsychologische Dispositionen in die Genese von Stressoren einbeziehen. Letztlich geklärt ist diese Frage nicht.

Wie komme ich überhaupt darauf? Nun, ich las dieser Tage mal wieder Zeitung und stolperte über einen Artikel, der die Geschichte rechtsextremistischen Terrors in der BRD seit Ende des zweiten Weltkrieges beleuchtet. Für sich betrachtet interessant, aber jetzt nichts ultimativ Neues. Interessant fand ich jedoch die Diskussion, die sich um die Eigenart rechten Terrors dreht, dass es eigentlich fast immer Lone-Wolf-Täter waren, die sich zudem so gut wie nie öffentlich zu ihren Taten bekannt haben, wie man das z.B. von der RAF oder der Action Directe kannte. Und das man gegen den allein operierenden Terroristen eigentlich nichts tun könne. Was leider eine korrekte Annahme darstellt.

In der Darreichungsform ist islamistischer Terror also von rechtsextremistischem Terror nicht zu unterscheiden. Beide Tätertypen radikalisieren sich zumeist alleine, heutzutage im Online-Umfeld und betätigen sich aus intrinsischer Motivation heraus als Verbreiter von Gewalt. Interessant daran ist, dass beide Gruppen jeweils eine tatsächliche Wahrnehmung der Realität des anderen vollkommen ausblenden und nur das Gegner-Klischee verinnerlichen. Die menschliche Grundfähigkeit Empathie wird – im Hinblick auf den vermeintlichen Feind – quasi abtrainiert. Der Stress beim Anblick dieses – für wahr genommenen – Zerrbildes nimmt zu, kann nicht mehr verarbeitet werden und kulminiert in dem Bedürfnis, zu zerstören, was einen ängstigt.

Es gibt für den Begriff „Terrorismus“ keine eindeutige Definition; die allermeisten von uns verstehen darunter aber üblicherweise hinterhältige, unvorhersehbare Gewaltakte gegen ein Gemeinwesen, mit dem Ziel, die Menschen darin in Angst und Schrecken zu versetzen, um so bestimmte politische Ziele durchsetzen zu können. Und die Frage, die mich seit dem Lesen umtreibt ist folgende: Haben wir uns mittlerweile so sehr an Terror gewöhnt, dass uns das hasserfüllte, rassistische, durch und durch verachtende Treiben und Skandieren des rechten Mobs einfach nicht mehr kratzt? Hat uns die Erfahrung tatsächlich so sehr gegen die Angst vor einer Wiederholung der Geschichte imprägniert, dass wir das alles nurmehr als riesige Reality-Soap begreifen?

Denn der Stress im Umgang mit den anderen, die Ängste, die daraus entstehen, sind ja durchaus ernst zu nehmen. Denn Angst als solches manifestiert sich für diejenigen, die unter dauerndem Stress stehen als vollkommen real. Ich unterstelle jetzt nicht jedem Rechten oder Nationalkonservativen eine Psychopathologie im Sinne einer Angst-Störung. Jedoch scheint mir der Mechanismus ähnlich. Und ich frage mich, wie wir als Gesellschaft diesen Kreislauf durchbrechen können, um wieder zu einem normalen Miteinander zu kommen. Denn wenn die Verrohung des Umgangs weiter zunimmt, kommen wir irgendwann an einen sehr finsteren Ort. Einen Ort, an dem ich nicht leben will. Denken wir doch mal gemeinsam drüber nach…

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