Postmoderne Gedanken N°4 – Navi kaputt…?

Es ist ebenso einfach, wie banal vereinfachend, die Moderne anhand ihrer technischen und politischen Errungenschaften zu beschreiben. Und doch machen die Menschen in ihren Köpfen Zeitalter insgesamt an solchen Ankerpunkten fest, die sie in Büchern, im Geschichtsunterricht, auf Discovery Channel, oder irgendeinem sonstigen, als bildungsförderlich verschrieenen Medium erfahren haben. Da werden mehr oder weniger plakative Ereignisse, von denen Historiker annehmen, dass sie einen Einfluss auf „die Geschichte“ gehabt hätten irgendwie beschrieben. In der Schule musste man sich sodann Namen, Zahlen und Fakten merken, um sie zum Zeitpunkt der Klausur regurgitieren zu können. Natürlich lernt der Mensch so nicht wirklich etwas. Und doch ist das eine oder andere Datum hängengeblieben.

Sowas nennt man gerne Allgemeinbildung und mokiert sich immer mal wieder darüber, dass diese langsam aber sicher flöten geht. Doch ist es relevant, wann und wo Karl der Große zum Kaiser gekrönt wurde, wer wann zu wem nach Canossa ging, wann die Vereinigten Staaten gegründet wurden, wann Napoleon von Elba entfleuchte oder an welchem präzisen Tag die Weimarer Republik ausgerufen wurde? Oder sind nicht vielmehr die Mechanismen dahinter, die zu weitreichenden Änderungen für eine Menge Menschen geführt haben, viel interessanter; und vor allem relevanter? Ohne Zweifel sollte man über einige der vorgenannten Ereignisse irgendwas wissen. Denn manches davon wirkt bis in unsere heutige Zeit nach. Doch die Vermittlung erzeugte nicht allzu selten hier nur enzyklopädisches Wissen ohne jeglichen Bezug zu unserer eigenen Lebensrealität. Und solche „Allgemeinbildung“ ist höchstens auf Stehparties relevant, wenn man sich im Lichte seiner Gelehrsamkeit sonnen möchte…

Heutzutage gibt es Apps, die einen zum Speed-Reader werden lassen sollen; meine Erfahrungen und Erkenntnisse über das Lernen lassen mich jedoch erheblich daran zweifeln, dass solche Techniken auch zu einem tiefgründigen Textverständnis helfen, wie man es z. B. für wissenschaftliche Texte benötigt. Abgesehen von dem Maß an Kontemplation, welches Lesen bei „Normalgeschwindigkeit“ in mir auszulösen vermag. Aber was weiß ich schon… Es ist ein Gefühl, dass ich jetzt natürlich mit Studien zu unterfüttern versuchen könnte; aber für mein privates Blog soll genügen, dass ich das krankhafte Effizienz-Steigern für extrem schadhaft für den Lernprozess und die Seele halte. Auch, wenn ich keine Achtsamkeits-Seminare verkaufen muss.

Da haben wir nun also jede Menge Menschen, die nutzloses – weil nicht vernetztes und mit lebensweltlicher, praktischer Relevanz aufgeladenes – Wissen anhäufen und dies mit echter Erkenntnis verwechseln. Ein weiterführender Beweis, warum es überhaupt möglich ist, einen Begriff wie „alternative Fakten“ zu lancieren, ist damit unnötig. Ich muss allerdings gestehen, dass jene, welche die Notwendigkeit dieser Erkenntnis beträfe, hier wahrscheinlich nicht mitlesen. Sei’s drum. In jedem Fall sind wir damit dem Postmodernen von einer anderen Seite näher gekommen. Denn so, wie die „Erfinder“ des Begriffes die Fehler der Moderne als Versprechen entlarven und dekonstruieren wollten, re-konstruieren sich wenig demokratische Kräfte nun eine neue Erzählung der Moderne, obwohl ihre Methoden diese hinter sich lassen.

Denn, obschon die Neu-Rechten, die Identitären, die AfD und die Faschisten ohne Sammelbezeichnung alles daran setzen, ein Bild von der „guten alten Zeit“ herauf zu beschwören, ist ihr Weg einer in eine neo-kapitalistische, neo-faschistische, neo-korporatistische und ganz und gar technokratische Zukunft. Die haben kein Interesse am „kleinen Mann auf der Straße“. Die wollen Macht akkumulieren, um ihre verqueren Vorstellung einer „guten neuen Zeit“ unter dem Deckmäntelchen der Tradition auf allen Ebenen durchzusetzen. Und wenn denen das gelingt… hängen Typen wie ich, die vor ihnen warnen und mahnen, am nächsten Laternenmast.

Unser soziales und politisches Navi scheint kaputt zu sein. Die Moderne ist vom Beginn an damit beschäftigt gewesen, das Ende ihrer eigenen Geschichte zu schreiben, weil der „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zwangsläufig auch die weniger charmanten Seiten des ungebändigten Homo Sapiens in die Freiheit entlässt. Ich will mit dieser Feststellung keineswegs Bestrebungen das Wort reden, dem Menschen seine Freiheit wieder zu nehmen, wie „konservative“ Politiker dies gerne tun. Man muss sich nur der Konsequenz bewusst sein: nämlich, dass die Moderne mit all ihren Errungenschaften irgendwann von ihrem Schöpfer wieder abgerissen wird.

Was wir als nächstes bekommen werden, weiß ich genauso wenig, wie irgendjemand anders auf dem Erdenrund. Wenn wir uns aber eine Chance auf die Bewahrung der bewahrenswerten Errungenschaften der Moderne erhalten wollen – Menschen- und Bürgerrechte, Demokratie, Rechtsstaat, Sozialversicherung, etc. – dann müssen wir auf dem öffentlichen Markt der Meinungen als freiheitlich denkende Menschen nicht nur die besseren Argumente haben, sondern diese auch vehement vertreten. Sonst werden die Kräfte, die behaupten, unsere Lebensform – was auch immer das meinen mag – zu bewahren, aber doch nur Macht besitzen wollen, alles, was mir als Demokrat lieb und teuer geworden ist, verschlingen und als braunes Depositum wieder auf diese Erde scheißen. Das werde ich nicht erleben. Schönes Wochenende.

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