Grow up, Mashup-culture!

„Wir mixen und tricksen, wir collagieren, kopieren, interpretieren und bastardisieren uns unseren eigenen Blick auf unsere Welt zusammen. Wir schei#en auf den Wertekanon vorangegangener Generationen und lassen uns aus dem Scherbenhaufen, den die Zerschlagung des Alten hinterlässt etwas Neues, Anderes, Geileres entstehen…“

Keine Ahnung, ob das irgendjemand tatsächlich so oder ähnlich expliziert hat, aber es könnte der Schlachtruf so manches kontemporären Kulturschaffenden sein, dem Adornosche Kritik an der Kulturindustrie und der von leidlich verstaubten – überdies allzu oft selbsternannten – Bildungsbürgerelitisten angeprangerte Werteverfall herzlich gleichgültig sind. Ich schrieb vor einer Weile mal über Recyclingkreativität und tatsächlich ist davon bei halbwegs genauer Betrachtung, insbesondere des Internets Einiges zu sehen. Bei weitem nicht alles davon ist unorigenell, minderwertig, uninspiriert oder schlicht geklaut, auch wenn bestimmte bildliche und sprachliche Symbole mittlerweile ein wenig an Übergebrauch leiden. Allerdings muss die Frage nach dem Sinn und Zweck dieser „Kreativitätswoge“ gestellt werden.

Wir Menschen, sind – bewusst oder unbewusst – mehr oder weniger immer auf der Suche nach ein bisschen Sinn in unserem Leben; und in der Tat ist der Akt des Kreativseins, selbst wenn er nur das Remixen und Neuvercoden bereits gedachten und erschaffenen Materials beinhaltet, ein solcher Sinnhaftigkeitsgenerator. Etwas zu erschaffen, lässt uns, zumindest gedacht, an dem erhabenen Gefühl teilhaben, welches wahrhaft kreative Köpfe – wie z.B. unsere Devotionalbüsten der klassischen Literatur, vulgo Goethe, Schiller, Heine, et. al. – bei ihren Schaffensakten verspürt haben müssen. Zumindest kann man sich dann beim Zusammenkleistern einer Photoshopcollage einreden, das ein bisschen schöpferischer Genius auch in einem selbst schlummert.

Da die technischen Werkzeuge der Kreativität heutzutage für schmales Geld – oder im Zweifelsfall auch für lau, wenn man über ein wenig kriminelle Energie verfügt – ubiquitär verfügbar sind, ist es ein Leichtes, sich der Illusion hinzugeben, man sei selbst Kunst- oder wenigstens Kulturschaffender. Technisches Know-How alleine macht allerdings noch keinen schöpferischen Akt. Selbst unser sprödes Urheberrecht kennt den Begriff der „Schöpfungshöhe“, der gewisse Ansprüche an die Novität und Originalität eines schützenswerten Produktes, gleich ob technischer oder künstlerischer Natur stellt. Vieles, was im Internet als Produkt kulturellen oder künstlerischen Schaffens zu finden ist, würde jedoch an dieser Hürde scheitern, müsste es sich denn an ihr messen lassen.

Man kann ja fast alles online stellen, wenn man sich die „richtige Stelle dazu auswählt. Auch übler Schund, miese Propaganda und lausige Pornographie finden im Netz der unbegrenzten Idiotie dankbare Abnehmer. Tatsächlich gibt es allerdings auch im Internet Räume, wo quasi selbstkonstituierende Peer-Review-Systeme die Aufgabe einer Basis-Kunstkritik übernehmen und allzu schlimme Verfehlungen aussortieren. Foren für die Darbietung eigener Ergüsse unterschiedlichster Natur gibt es zuhauf und manchmal schaffen diese es sogar, als Regulativ zu wirken. Dennoch wächst der virtuelle Müllberg unaufhaltsam.

Es könnte bei meinen Worten der Eindruck entstehen, dass ich es schlecht finde, wenn mehr Menschen durch das Web dazu ermächtigt und auch ermutigt werden, mit ihren „Werken“ an das Licht der Öffentlichkeit zu treten, doch tatsächlich liegt nichts der Wahrheit ferner. Es ist faszinierend und inspirierend und zugleich auch bedrückend und erschreckend, aber all das sind eben Facetten des Menschlichen, unserer Gesellschaften, so wie sie heute sind – unfertig, von Perfektion stellar entfernt, ungerecht, unförmig und voller Gewalt; aber eben auch voller Schönheit, Poesie, Schaffenskraft und Hoffnung. Diesen Widerspruch müssen wir aushalten können, auch wenn er bedeutet, dass das Netz nicht all unsere Hoffnungen einlösen kann, denn derzeit wird es einfach überschwemmt von einer Woge der Selbstdarstellung, vom Wunsch nach Entertainment, von Eitelkeiten, Biestigkeiten, Blendern, Betrügern, vor allem aber von Suchenden. Und sie suchen nicht etwa einfach nur nach Videos, Rezensionen, Hackinganleitungen und Kochrezepten, sondern oft genug irgendwie nach ihrem individuellen Rezept für ein besseres Leben, für ein bisschen Sinn und Anerkennung. OK, manche suchen auch „nur“ nach dem schnellen Geld…

Aber wenn wir beim Sinnsuchen bleiben; das hat der Mensch schon immer getan, heutzutage nutzt er nur ein neues Medium dazu, dass allerdings wie kein Anderes zuvor Selbstdarstellung begünstigt. Wir haben noch nicht ausgehandelt, wie man die neuen Medien wirklich sinnstiftend nutzen kann und während wir uns immer mehr darüber den Kopf zerbrechen, vergessen wir in der Zwischenzeit viel zu oft, dass das wahre Leben immer noch in der realen Welt stattfindet. Und wie sehr wir uns auch vernetzen, uns von Comments, Likes, Dislikes, Sharing und Clicking beeinflussen lassen, das alles ändert nichts daran, dass die tangible Realität, gleichwohl vielerorts von der „digitalen Revolution“ durchdrungen sich langsamer ändert, als das ganze Cyberbrimborium uns gerne Glauben machen möchte.

Diesen Umstand im Hinterkopf betrachte ich manche Auswüchse des Web als dass was sie für mich sind: nichts weiter als die zumeist höchst irrationalen Ausbrüche eines Kindes auf der Suche nach sich selbst. Denn auch das Netz hat seinen eigenen Zweck noch lange nicht gefunden. Bis es eventuell soweit ist, schaue ich, mal mit Wonne, mal mit Schaudern den mannigfaltigen Mashups zu und lasse mich inspirieren.

Lebenspflichten?

Eine unserer vornehmsten Aufgaben ist es, zu lernen und zu lehren. Es macht zumindest auf meiner Agenda zu einem nicht unerheblichen Teil unseren Sinn als Mensch aus. Die zwei Seiten dieser Medaille sind untrennbar miteinander verbunden, auch wenn die Wenigsten Beides halbwegs gleich gut können – oder auch nur eines richtig gut. Dies im Hinterkopf könnte man mit dem Sprichwort „Gut gedacht, aber schlecht gemacht!“ gehen, das uns unter Anderem sagen will, dass alles Engagement und aller Wille unter Umständen von mangelnden Fähigkeiten oder Begabungen ausgebremst werden können. Und sicher kann ein jeder von uns von grandios gescheiterten Bemühungen der einen oder anderen Art berichten. Aber entbindet dass all jene, die sich „nicht berufen“ fühlen, tatsächlich davon, es noch mal zu versuchen, um es besser machen zu können? Diese Frage gilt im Übrigen nicht nur für das Lehren und Lernen sondern auch für fast alle anderen Lebenssituationen. Aber hier wollen wir nur von der Wissensansammlung und -vermittlung sprechen.

Wir akkumulieren Wissen. Dies ist eine einfache Wahrheit und sie ist leicht erklärt, da die allerwenigsten Menschen unter einer Käseglocke, also entkoppelt von ihrer Umwelt leben. Selbst jene, die kaum Zugang zu Bildungsangeboten haben, lernen im Laufe ihres Lebens eine ganze Menge. Für uns Kinder der entwickelten Industrienationen jedoch ist Wissensaneignung mittlerweile quasi zu einem zweiten Selbst geworden, unter anderem, da wir googeln wie die Weltmeister. Nicht alles, was man dabei aufnimmt, ist „wertiger Content“, aber trotzdem bleibt durch dieses Tun und die im Vergleich sehr guten Bildungsangebote hierzulande Wissen in einem Umfang hängen, von dem frühere Generationen nur hätten träumen können. Und das mehr oder weniger für Lau. Aus einem solchen Geschenk erwächst – auch, wenn das jetzt vermutlich wie ein Spruch aus dem Glückskeks klingt – eine Verantwortung.

Es ist ebenfalls ein Allgemeinblatz, dass die Summe des Wissens von Generation zu Generation wächst, obwohl wir ja irgendwie bemüht zu sein scheinen, uns als „überkommen“ geltendes Wissen mit Gewalt zu vergessen. Doch welche Instanzen entscheiden eigentlich über den „Restwert“ von Wissen? Es gibt ja kaum ein Gremium aus grauen Eminenzen, welche sich im Hochtempel der Bildung treffen – wo auch immer ein solcher zu finden sein möchte – und darüber entscheiden, was im Kanon des Allgedächtnisses bleibt und was nicht. Auch wenn eine derartige Vorstellung für eine Fantasygeschichte reizvoll erscheinen mag, ist es doch eher ein komplexer sozialer Prozess, an dem wir letztlich alle unterschiedlich stark beteiligt sind, der darüber entscheidet, welche Daten und Erkenntnisse erhalten bleiben und welche im Orkus der Nichtmehrnutzung verschwinden.
Ist man sich dieser Tatsache einmal bewusst geworden, kann man sich eigentlich kaum noch den daraus erwachsenden Implikationen entziehen; nämlich das wir alle, sozusagen jeder sein eigenes, kleines Bisschen dafür verantwortlich sind, dass möglichst viele Dinge nicht in Vergessenheit geraten und neue Erkenntnisse möglichst vielen Zuteil werden können. Denn nur Wissen versetzt uns in die Lage, zu verstehen, was jene, welche Macht in Händen zu halten glauben gerade aus welchen Gründen tun; und natürlich auch, welche Mittel uns dagegen zu Gebote stehen, wenn damit einmal mehr das Gemeinwohl gefährdet wird. Welches bestimmte Wissen dabei entscheidend sein wird, lässt sich kaum vorhersagen, daher wäre es clever, möglichst viel davon so zu bewahren, dass es für möglichst viele frei und einfach zugänglich bleibt.

Man muss dazu kein Geek oder Nerd sein, denn die neuen Medien haben natürlich die Wissensverbreitung – allerdings leider auch ihre bösen Stiefschwestern Propaganda und Desinformation – für Viele sehr vereinfacht. Allerdings ist die Schärfung durch Nutzung des eigenen Verstandes dafür unerlässlich. Aber wer sich mit vielen „snipets of information“ auseinandersetzt, überblickt alsbald ganz automatisch größere Zusammenhänge und kann so lernen, den Wert spezifischer Informationen recht genau einzuschätzen. Es ist dafür nur ein bisschen Zeitaufwand und recht wenig Know-How nötig, aber wenn nur ein paar Menschen mehr Solches tun, bringt das unserer Gesellschaft viel weiter, als alle Castingshows auf dem Planeten zusammen das je könnten. In diesem Sinne, lernen sie wohl!

Perspektiven…

…bekommt man nicht nur, wenn man aus dem Fenster schaut. Wenngleich der Blick aus so manchem Fenster vielleicht nicht unbedingt zum geduldigen Betrachten einlädt, lässt er doch für den halbwegs geisteswachen Beobachter erahnen, dass der Begriff mehr enthält, als oberflächlich augenscheinlich wird. Durch die Art, in der ein großer Teil medialer Produktion zur Zeit designed wird, sind wir zwar – auch wenn dies von manchen „Experten“ gerne stets geleugnet wird – dazu erzogen, zuallererst auf das Außen, den Schein, das Image zu schauen; doch lässt schon ein Minimum an gesundem Menschenverstand wenigstens einige von uns ahnen, dass die Verpackung nur einen ziemlich dünnen Teil des Gesamtpaketes ausmacht. Manchmal so dünn, dass die Dürftigkeit des Inhaltes sich ohne Weiteres abzeichnet. Die Analogie zwischen so genannter Partymode und gebräuchlicher Wahlkampfrhetorik ist hier geradezu frappierend.

Gewiss lässt der eben genannte gesunde Menschenverstand auch ersichtlich werden, dass es eigentlich immer mehr als einen Blickwinkel auf so manchen Sachverhalt gibt und es selbstverständlich im Interesse des jeweils Darstellenden liegt, seine Perspektive als die im Kontext Maßgebliche zu präsentieren – womit wir wieder bei Schein und Sein wären. Man kann das flächendeckende Wachstum prekärer Arbeitsverhältnisse mit, in direkter Folge, steigenden Belastungen für die öffentlichen Haushalte durch die Inanspruchnahme von staatlichen Transferleistungen natürlich auch als notwendige Maßnahme zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in Zeiten verstärkten globalen Wettbewerbes betrachten. Und anfügen, dass dadurch das Abwandern von Unternehmen aus dem Inland verhindert wurde. Oder man fragt sich vernünftigerweise, wie all diese Midi- und Minijobber jemals genug ansparen sollen, um später wenigstens auf eine Minimalrente hoffen zu dürfen.

Es ist zwar kaum zu verleugnen, dass alle aktuell angetretenen politischen Parteien schon so Einiges verbockt haben und in der einen oder anderen Konstellation an Entscheidungen beteiligt gewesen sind, die sich im Nachhinein als ungeschickt oder schlicht falsch heraus gestellt haben. Dennoch lassen wir uns immer noch und immer wieder von Bildern blenden, die geschickt suggerieren, das einzelne Personen, die irgendwie als Identifikationsfiguren taugen sollen – manche schaffen dies mehr, manche eher weniger und mache aber so gar nicht – unsere Probleme gelöst hätten und dies auch in Zukunft tun würde. Wahlversprechen sind nicht selten wertlose Sicherheiten, welche Politiker jeglicher Couleur uns dafür anbieten, dass wir ihnen noch einen Kredit des Vertrauens gewähren sollen, den sie dann rasch in Macht ummünzen und recht oft platzen lassen, noch bevor die Tinte auf dem Wahlzettel trocken ist. Ich sehe immer mehr leere Hüllen, die mit ihrem Gebrabbel arme, wehrlose Worte vergewaltigen, ohne auch nur ein Jota konzeptuelle Arbeit zu leisten, geschweige denn der Lösung verschiedenster Probleme auch nur nahe zu kommen.

Aber diese Homo Sapiens Politicuus reden halt so schön und versprechen einmal mehr, das ja alles beim Alten bleibt und sogar wieder besser wird, obwohl ihnen doch klar sein müsste, das gar nix gut ist und auch nicht so schnell wieder gut werden kann, da wir immer noch in einer mächtigen Krise stecken, die weder in ihrem wahren Ausmaß noch in den möglichen Folgen von irgendeinem F(l)achmann überblickt wird.

Sich selbst eigener Perspektiven zu bemächtigen, sich also ein Bild davon zu machen, welche Dinge hier wann und wie und durch wen geschehen, ist nicht etwa ein Luxus für Bildungsbürger, die ja eh nix besseres zu tun haben, als sich dicke Bleiwüsten ohne schöne bunte BILDer rein zu ziehen, sondern eine nicht vernachlässigbare Pflicht für jeden, der sich als Bürger dieses Landes bezeichnen dürfen möchte. Ich mag dann und wann auch schönen Schein, aber ein bisschen mehr als ultrakonservative Meinungsmache, Sport, Titten und den Wetterbericht möchte ich schon zu lesen, zu sehen und zu hören bekommen. Probieren sie’s doch auch mal!

Entwicklungsstau…?

Allüberall ist die Rede vom Stau: Investitionsstau, Bildungsstau, Verkehrsstau und natürlich auch Entwicklungsstau. Gemeint ist damit üblicher Weise ein sehr stockendes Vorankommen. Woraus sich spontan – zumindest für mich – die Frage ergibt, was sich wie schnell in welche Richtung zu bewegen hätte? Und wer das bestimmt?

Wenn ich zum Beispiel ein technisches Projekt zu betreuen hätte, dann wären bestimmte Dinge, wenn auch nicht im Detail so zumindest grob, durch denjenigen vordefiniert, der dafür bezahlt; Dinge wie etwa die benötigte Dauer, das Budget, die Zahl der Personen, die daran arbeiten sollen, sowie deren mindestens notwendige Qualifikationen und noch so einiges anderes. Allerdings zeigen technische Projekte uns in schöner Regelmäßigkeit die Grenzen unserer planerischen Fähigkeiten, die damit zu tun haben, dass es eben Menschen sind, welche die Planung machen und so genannte weiche Faktoren wie eben die Eigenarten, der Umgang miteinander und je die eigenen Ideen der Beteiligten zwar dispositorisch unbeachtet bleiben aber dennoch ihre, gelegentlich durchaus unheilvolle, Wirkung entfalten. Die Elbphilharmonie, der Flughafen Berlin-Brandenburg oder Stuttgart 21 sind schöne Beispiele dafür, wie wenig Weitblick so genannte Experten bei ihrer planerischen Tätigkeit tatsächlich besitzen. Überschreitet die Zahl der an einem Projekt beteiligten Personen und Institutionen eine gewisse Menge, laufen die Dinge mal mehr, mal weniger schnell aus dem Ruder – so sicher wie das Amen in der Kirche!

Ich finde es faszinierend, wenn Menschen anfangen, Diagramme und Tabellen und anderes lustiges buntes Zeugs an die Wand zu projizieren, welche Bedarfspläne und statistische Schätzungen repräsentieren sollen. Esmeralda und ihre Kristallkugel hatten wenigstens ein bisschen mystisches Flair, doch bei solchen Veranstaltungen versucht man die vom Schamanen geworfenen Knochen als wissenschaftlich zu verkaufen. Und ich hasse Verkaufsveranstaltungen aller Art, denn es gibt kaum einen (guten) Verkäufer, der es nicht versteht, die Wahrheit ein wenig aufzupolieren. Schließlich ist das sein Job. Ich mag meine Wahrheit allerdings lieber unpoliert und authentisch.

Und die unpolierte, authentische Wahrheit, an der ich mich zu orientieren pflege ist, dass wann immer Menschen miteinander in Interaktion treten, irgendwann deren individuelle Ideen, Vorstellungen, Werte, Ziele, Wünsche, etc. miteinander konfligieren werden. Und da nicht nur sprichwörtlich jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, beginnt das Karussell der Winkelzüge, kleinen Schummeleien, taktischen Vornahmen oder Unterlassungen im Namen des eigenen Vorankommens; und zwar so lange, bis die Wellen vieler kleiner Einzeltaten beginnen, einander zu verstärken. Was bei sich gegenseitig verstärkenden Wellen passiert, sieht man gut in dem alten Filmchen über die Tacoma Narrows Bridge. Physik ist also auch im mundanen Leben zu etwas nutze.

Ein Entwicklungsstau entsteht also nicht, weil sich die Gehirne nicht bewegen, oder weil sich Werkstoffe und Geld nicht bewegen (lassen), oder weil die Umstände gerade ungünstig sind, denn die werden durch das Wunder des sich selbst organisierenden sozialen Systems ungünstig gemacht. Ein Entwicklungsstau ist stets hausgemacht, so lange man immer und immer wieder die – gedacht – Erfolgreichsten (oder aber die besten Schleimscheisser) mit den größten Projekten betreut, denn diese so genannten Erfolgreichsten (oder besten Schleimscheisser) sind in aller Regel die am wenigsten bescheidenen, menschlichen und teamorientierten Individuen. Für sie gilt nur das eigene Vorankommen. Kultiviert man solcherlei Denken in einem Projekt, wird es entweder gleich ganz sterben, oder aber sehr viel teurer, oder sehr viel weniger erfolgreich als gedacht.

Eine kleine Randbemerkung: Was ein Projekt ist, oder auch nicht, soll jeder für sich selbst entscheiden. ich meine damit nicht nur diese großen Dinger, die ich vorhin als Epic-Fail-Examples genannt habe. Auch im Kleinen geht verdammt viel daneben, weil Selbstherrlichkeit, Alleingestaltungsansprüche, Sturheit, Ignoranz und grenzenlose Überschätzung der eigenen Fähigkeiten die gestalterischen Maximen sind. Ich sehe genau das auch in meinem persönlichen beruflichen Umfeld und es macht mich krank!

Ich glaube allenfalls an die Existenz eines Entwicklungsstaus der sozialen und emotionalen Intelligenz des Menschen, denn den bekomme ich tagtäglich demonstriert. Aber man soll die Hoffnung auf die Entdeckung intelligenten Lebens auf unserem Planeten noch nicht aufgeben. Einstweilen wäre es ein Anfang, wenn man einen Algorithmus fände, nach dem man Menschen mit echten Führungsqualitäten bestimmen kann und endlich mal aufhörte, ALLES nur noch und ausschließlich nach wirtschaftlichen Aspekten organisieren zu wollen. Sind ja nur die zwei größten Aufgaben der Menschheit, kriegen wir die in den Griff, wird alles Andere (fast) ganz von selbst besser werden; davon bin ich überzeugt.

In meinem Interesse…?

„Es muss doch in ihrem Interesse sein…?“ Bla, Bla, Bla! Ich kann diese Floskel nicht mehr hören, macht sie doch lediglich unmißverständlich klar, dass der Sprecher eine klare Vorstellung davon hat, was seine Interessen sind und dass es ihm sehr gelegen käme, wenn ich diese auch zu meinen machte. Man könnte es aber auch so verstehen, dass er schon durchschaut hat, was meine Interessen sind und mir unterstellt wird, dass ich einfach nur zu blöd bin, diese zu erkennen.

Nun ist dieser Begriff sehr vielschichtig, meint die lateinische Wurzel doch das dazwischen, bzw. dabei sein, also die Anteilnahme an Sachverhalten und Personen, oder nach neueren Theorien aus der Soziologie und Psychologie vielleicht doch eher den Grad der Verstrickung in Interaktionsprozesse, also wie sehr wir uns mit einer Sache oder einer Person bzw. einer Gruppe von Personen beschäftigen. Das beinhaltet allerdings auch die Verknüpfung von bestimmten Zielen mit dem jeweiligen Grad an Anteilnahme, also z.B. beim Wunsch nach einer festen Beziehung, in deren Erreichen und Erhalt wir u.U. erheblichen Aufwand investieren (müssen), dass wir folglich im Gegenzug auch auf einen Benefit hoffen – eben im aktuellen Beispiel den Partner, der genau so viel in die Beziehung hinein steckt, wie man selbst.

Natürlich habe ich den Sachverhalt jetzt etwas vereinfacht, aber im Großen und Ganzen bedeutet Interesse vermutlich, stets abhängig vom jeweiligen Fokus, eine irgendwie geartete Investition, an die sich die Hoffnung auf irgend eine äquivalente Form von Reward knüpft. Dieser Reward kann in pekuniärem Erfolg bestehen, aber ebenso in sozialem Erfolg wie Zuwendung, Prestige, Anerkennung o.Ä. Dieses Verständnis des Begriffes unterstellt allerdings, dass man sich seiner Bedürfnisse und Ziele bewusst sein und die Bereitschaft aufbringen müsste, dementsprechend konsequent zu handeln.

Aber wohin führt uns das? Relativ einfach gesagt zu dem entscheidenden kleinen Unterschied zwischen dem so genannten Otto-Normal-Verbraucher und jenen, die das Sagen haben, bzw. sich das Sagen- und Tun dürfen einfach heraus nehmen, weil es ihnen gelungen ist, sich in eine Position zu manövrieren, die für eben genannte Otto-Normal-Verbraucher weder erreichbar, noch angreifbar ist: sie können ihre Interessen nicht nur präzise artikulieren, sondern sie verfügen auch über die Fähigkeit, ihre Ressourcen und die anderen Menschen um sich herum so zu instrumentalisieren, diese Interessen auch durchzusetzen und ihre sowieso schon vorhandene Macht so zu mehren. Es wirkt vielleicht auf den ersten Blick wie ein Zeitgeistproblem, dass gerade jene, welche über die Fähigkeiten und Möglichkeiten dazu verfügen, selten sonderlich altruistisch oder Gemeinwohl-orientiert zu handeln scheinen. Doch tatsächlich ist genau das eine Handlungsfigur, die sich wie ein roter Faden durch unsere Geschichte zieht.

Folgt man der Argumentation der Autoren des Buches „Warum Nationen scheitern“, so ist einer der wichtigsten Faktoren, die darüber entscheiden, ob eine Fraktion dazu im Stande sein kann, Macht über die anderen vorhandenen Interessengruppen zu erlangen, der Grad an Pluralismus, den eine Gesellschaft zu erlangen im Stande war/ist. Doch genau dieser gesellschaftliche Pluralismus, der letzten Endes als eine Art Dämpfer gegen autokratische Bestrebungen Einzelner wirken kann, ist sowohl in seiner Entstehung als auch seinem Erhalt von einer Menge Zufälle abhängig. Ich werde mich davon allerdings nicht noch mehr desillusionieren lassen, als dies das Leben eh schon besorgt hat. Vielmehr ist es mir ein Ansporn, die Dinge eben nicht dem Zufall zu überlassen, sondern vielmehr meinen Beitrag zu Erhalt und Wachstum von Pluralismus zu leisten.

Das was die Autoren, denen es in ihrem Buch in erster Linie um die Entwicklung von Volkswirtschaften unter unterschiedlichen institutionellen Bedingungen geht, als inklusiv Bezeichnen, also als das Gros der Gesellschaft in den Wirtschaftsprozess einschließend, nennt man anderswo Gesellschaftliche Teilhabe. Und die Erkenntnis, dass ein hoher Grad an Teilhabe möglichst vieler Gesellschaftsgruppen und der Erfolg des Gemeinwesens als Ganzes einander zumindest befördern können, ist ein alter Hut! Hier werden vielen Staaten der sogenannten ersten Welt inklusive Institutionen attestiert, also ein großer Grad an Teilhabe, doch gerade in diesem Augenblick einer nach wie vor virulenten Weltwirtschaftskrise müssen wir erfahren, dass weite Teile gerade dieser angeblich so erfolgreichen Gesellschaften von wesentlichen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind, weil die aktuell mit unseren Interessen betrauten Politiker lediglich die Interessen jener im Auge haben, die entweder wirtschaftliche Macht in Händen halten, oder angeblich wissenschaftlich fundierte Deutungshoheit für sich reklamieren. So viel zur gegenwärtigen Wirksamkeit des Pluralismus…

Bitte verstehen sie mich nicht falsch, der Pluralismus existiert, er ist sogar noch deutlich gewachsen seit jenen Tagen, da unser Staatswesen jung war. Er hat jedoch auf Grund der wachsenden Entkopplung der administrativen Institutionen von ihrer Legitimierung durch eine echte – und vor allem ehrliche – Vertretung der Interessen dessen, was man landläufig „Volk“ nennt deutlich an Einfluss verloren. Im Grunde regieren die Regierenden für sich selbst und jene, die über genug Gewicht verfügen, sich Gehör zu verschaffen. Der Rest darf so sehr pluralisieren, wie er möchte, es nutzt nur nichts; oder zumindest nicht viel. Bevor also noch mal einer anfängt, von „…in meinem Interesse…“ zu schwadronieren, möge er bitte erst seine Glaubwürdigkeit genau überprüfen, oder noch besser einfach die Klappe halten.

Ich mache mir einstweilen weiterhin Gedanken, wie man es möglich machen kann, den existenten Pluralismus wieder in die Politik zu tragen. Spannende Sache, aber nur, wenn man seinen Kopf auch mal zum Nachdenken benutzt, seine Interessen benennen kann und schließlich obendrein noch bereit ist, für diese einzutreten. Harte Hürde, aber ich werde es weiter versuchen. Versuchen sie’s doch mit!

A snipet of uncertainty

Unwägbarkeiten, also jene Sachen und Sachverhalte, auf die man persönlich keinen nennenswerten Einfluss ausüben kann, die aber sehr wohl Einfluss auf einen selbst oder aber zumindest die mehr oder weniger unmittelbare Lebensumgebung haben können, bereiten uns Unwohlsein. Manchmal sogar blanke Angst, obschon wir doch eigentlich wissen sollten, dass das Ungewisse seit Anbeginn des Menschendaseins zu unseren ständigen Begleitern gehört.

Als Pädagogikstudent muss ich mich, wie jeder angehende Geistes- und Sozialwissenschaftler mit Statistik herumschlagen. Obwohl jedem, der mal das Vergnügen hatte, sich in Literatur zur Anwendung statistischer Methoden auf soziale Sachverhalte einarbeiten zu müssen alsbald klar werden dürfte – zumindest, sofern er oder sie nicht schon vollkommen „Fachblind“ geworden ist – dass man bei der Menge an Vereinfachungen, die man für ein auch nur einigermaßen umsetzbares Modell hinzunehmen hat, kaum erwarten darf, allgemeingültige Ergebnisse zu bekommen. Man muss/soll nach den Lehrbüchern soviel Dynamik wie möglich amputieren, damit man danach ein amputiertes Modell eines dynamischen Sachverhaltes bekommt. Ich muss da durch, aber ich empfinde es als großen Unfug.

Ohne Frage finde ich es spannend, neue Erkenntnisse über die Prozesse sozialer Interaktion zu erlangen, aber ich glaube dabei mittlerweile mehr an das aufmerksame Beobachten und die Analyse mittels des gesunden Menschenverstandes, anstatt an Sigma, Korrelation und Normalverteilung; denn wenn ich mir mein persönliches Umfeld genau anschaue, komme ich immer wieder zu der einen, für mich jedoch mittlerweile alles entscheidenden Frage: warum sollte ich überhaupt versuchen, ein Wesen in eine normierende Klassifizierung zu fassen, dass sich in seiner Komplexität, Dynamik und Vielfalt mit unseren aktuellen Mitteln (noch) überhaupt nicht darstellen lässt, nämlich den Menschen? Und überdies – wohin führt es, wenn man versucht Menschen nach Schablonen zu erfassen? Was kommt danach, wenn man schließlich glaubt, alle Unsicherheit eliminiert zu haben? Wird den einzelnen Schablonen dann ein rangskalierter Wert zugewiesen? Der Gedanke lässt mich schaudern, wäre es doch nicht ohne Präzedenz…

Ich lebe lieber mit Unwägbarkeiten, auch hinsichtlich Derer, mit denen ich täglich zu tun habe, denn der Input, die Spannung, die Herausforderung sind für mich als Individuum ein unverzichtbarer Teil vom Sinn meines Lebens. All die Widersprüchlichkeiten, die Dynamik und die Notwendigkeit zur Einbeziehung neuer, anderer Aspekte in mein Denken und Tun machen mich erst lebendig, lassen mich eben zu jenem sozialen Wesen werden, dass man Mensch nennt.

Transparency Personal?

Mit gewissem Amüsement konnte ich letzthin beobachten, wie sich Menschen unterschiedlichster Couleur darüber ereiferten, wie schlimm und unerwartet und überraschend und vollkommen unrechtmäßig und Vertrauen vernichtend und überhaupt und Blalabarberschwurbel man den Umstand kommentierte, dass sich die USA bzw. deren vermeintliches Hauptüberwachungsorgan NSA überall reingehackt haben, wo sie nur reinkommen konnten. Da dachte ich so bei mir, dass der Sinn Nachrichtendienstlicher Tätigkeit die HEIMLICHE Gewinnung von Informationen ist und wenn ich diesen Umstand im Bewusstsein behalte, muss es doch wenig verwunderlich sein, dass sie genau das getan haben, so gut sie konnten. Und bei DEM Budget konnten sie halt schon ziemlich gut…

Wenn man auf der anderen Seite beobachtet, mit welchem Enthusiasmus Menschen wiederum unterschiedlichster Herkunft ihr Leben „verdaten“, also einen unter Umständen verdammt großen Teil ihres täglichen Lebens mit den unterschiedlichsten Methoden aufzeichnen, nicht selten auch noch im Internet – Entschuldigung, ich meine natürlich die Cloud! – speichern und gegebenenfalls auch noch Dritten zugänglich machen, muss man sich nicht wundern, wenn sich andere Menschen zu den unterschiedlichsten Zwecken an diesem Datenreservoir bedienen. Zweifellos ist das Internet eine Art unendliches Gedächtnis, sofern man die auch heute noch existierenden technischen Grenzen der Datenspeicherung für einen kurzen Moment bei Seite lässt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Selbstverdatung als eine Art virtueller Unsterblichkeit ein vordergründig recht charmanter Gedanke. Und ich stimme Christian Heller, dem Autor von „Postprivacy“ insofern zu, als wir es noch nicht geschafft haben, uns mit der schönen neuen Welt hinsichtlich einer funktionierenden Definition und Umsetzung unserer Persönlichkeitsrechte sinnvoll zu arrangieren. DAS heißt aber mitnichten, dass ich im Umkehrschluss einfach auf Privatsphäre verzichten MUSS.

Jedoch drängt sich mir irgendwie doch verstohlen das Wort Bigotterie auf, wenn man auf der einen Seite allüberall gegen die bösen, bösen Amis wettert und auf der anderen Seite trunkenheitsselige Partyfotos auf Facebook einstellt, die im Übrigen auch der Personalchef des nächsten potentiellen Arbeitgebers eventuell interessant findet. Wir Menschen haben nun mal, wie man bei aufmerksamem Studium der Historie ganz gut sehen kann, des Öfteren das Problem, dass die Geschwindigkeit, mit der wir unsere technischen Errungenschaften machen unsere Fähigkeit, mit den Tücken der jeweils neuen Objekte umzugehen lernen bei weitem übertrifft. Mit so mancher „alter“ Technologie wie z.B. der Nukleartechnik kommen wir bis heute nicht richtig klar; und wir probieren es immerhin schon gute 70 Jahre…

Wenn man es von dieser Warte aus betrachtet, ist es vielleicht einfach noch nicht an der Zeit, dass wir unsere Privatsphäre – oder das, was man in Zukunft darunter verstehen wird – in Einklang mit den Möglichkeiten und Problemzonen der Neuen Medien bringen können. Allerdings erscheint es ratsam, diesbezüglich einfach mal mit etwas mehr Umsicht zu Werke zu gehen, bevor man Menschen dafür attackiert, dass sie einfach nur das getan haben, wofür der Staat sie bezahlt. Egal welcher Staat! Was mich dazu führt, einmal mehr darauf hinzuweisen, dass bestimmte Rechte, die wir als selbstverständlich betrachten, wie etwa die Unverletzbarkeit der Wohnung, das Fernmeldegeheimnis, oder auch das Recht auf freie Meinungsäußerung im Namen der Sicherheit des Staates ausgehöhlt werden könne, wenn wir als Bürger uns nicht explizit dagegen zur Wehr setzen; Stichwort „Vorratsdatenspeicherung“. Wie viel ein jeder von sich Preis geben möchte, ist sicherlich gegenwärtig (noch) eine individuelle Entscheidung, aber diese Freiheit kann uns auch ganz leicht aberkannt werden. Denken sie mal drüber nach, bevor sie ausgerechnet bei Facebook mal wieder irgend einen Unsinn posten…

A snipet of Identity?

Begriffe sind toll – man hat ein Schlagwort, welches auf einen Streich so viel sagt, so viele Assoziationen freisetzt, so viel Bedeutung in sich trägt, dass man sich weitere Worte sparen und sofort zum Wesentlichen kommen kann. Und übersieht dabei, dass die wenigsten komplexen Begriffe frei von Widersprüchlichkeiten sind und je nach Betrachter und Blickwinkel auf äußerst unterschiedliche Art interpretiert werden können. Wie eben das schöne Wort „Identität“…

Die Identität ist ein Teil unserer Persönlichkeit, welcher deren unvermeidliche Verstrickung in soziale Netzwerke unterschiedlichster Größe repräsentiert. Eben durch dieses Eingebettetsein in das Soziale werden wir als Individuen erst real, bekommen wir erst einen Sinn und eine Bestimmung, die sich wiederum zu einem nicht unerheblichen Teil aus unserer Identität speist. Bedenken wir hier zum Beispiel das Identifikationspotential eines Fußballfans mit „seinem“ Verein. Jeder von uns ist Teil von Vielem, somit ein soziales Wesen und definiert sich als Individuum über dieses Teil-Haben als Teil-Sein. All diese Teile bilden unseren Anker im Hier und Jetzt, irgendwie den Boden, auf dem unsere Persönlichkeit wächst.

Doch der Begriff Identität lässt sich eben wegen dieses, für jeden von uns fühlbaren Anteils, den er an uns hat sehr gut missbrauchen. Es ist zumeist nicht Problembelastet, wenn wir uns ein Stück weit mit unserem Arbeitgeber, unserer Jugendkultur, unserem Verein identifizieren, doch in dem Moment, da Politik ins Spiel kommt, wird die Begrifflichkeit Identität problematisch. Die Instrumentalisierung einer so genannten „kulturellen Identität“ ist die Wurzel des Übels.

Denn indem ich durch den rhetorischen Kunstgriff, anstatt des Sozialen die Kultur zur Basis der Identität zu machen, aus etwas indivudellem ein Unterscheidungsmerkmal für Gruppen konstruiere, kann ich andere Menschen, die vielleicht auch noch von woanders kommen ganz erstklassig ausgrenzen, ihnen ein „Unmensch-Sein“ andichten, das berechtigen soll, sie zu stigmatisieren und zu verfolgen, wobei die Wahl der Mittel zunächst im Dunkel verborgen bleibt. Das macht derlei Tun aber nicht richtiger, denn Identität bleibt etwas individuelles, soziales und darf nicht, weil es jemandem – wie z.B. den „Identitären“, die ja immer so schön betonen, sie seien nicht rechts – in den Kram passt zu einem wohlfeilen Indikator für WIR gegen DIE gemacht werden.

Ich persönlich beziehe meine Identität nicht aus der Zugehörigkeit zu einer Kultur, denn Angehöriger eines stets im Gange befindlichen Prozesses zu sein, ergibt für mich irgendwie nicht so recht Sinn. Oh, ich bin durchaus verschiedensten sozialen Gruppierungen zugehörig und empfinde diese Beziehungen als mal mehr, mal weniger Sinn stiftend für meine Existenz; und sicherlich beeinflusst mich Kultur bzw. der Umstand, dass mein Sein einerseits in diesen Fluss eingebettet ist, ihn andererseits aber auch verändert, so dass man von Reziprozität sprechen könnte. Aber ich bin nicht so sehr von der Idee der Kultur als Heimat durchdrungen, dass ich mich von dem rassistischen Geschwafel jener mitreißen ließe, die Identität von etwas individuellem zu etwas kollektivem umgestalten wollen, um Menschen so beeinflussen zu können. Man hüte sich vor „Identität“ als Schlagwort, vor allem in Einheit mit „Heimat“ und „Kultur“; da ergießt sich braune Brühe in leere Köpfe… Selber denken und selbst seine Identität finden macht frei, unabhängig und stark. Aber über Stärke reden wir ein anderes Mal!

Auf dem Entschleunigungsstreifen…

Sonnendurchflutete Hügellandschaften, bewachsen mit allerlei südlichem Laubgehölz umfrieden ein Natursteinhaus, hinter welchem man einen kleinen Pool finden kann, der sich allerdings am Hügel knapp unterhalb eines auf charmante Art dezent verwilderten Renaissancegärtchens findet. Das klingt nach einem Ort, der durchaus zum Verweilen einlädt, insbesondere wenn man den Umstand in Betracht zieht, dass der Besitzer des Anwesens sich nicht nur die Freiheit nimmt, Teile des Hauses – natürlich gegen ein Entgelt – zum Bewohnen auf Zeit anzubieten, sondern überdies auch ein recht ordentlicher Winzer zu sein scheint.

Abzüglich der üblichen Urlaubsimmanenten Missgeschicke und Reibungsverluste doch ein ziemlich hübscher Entschleunigungsstreifen, auf den ich meinen müden Geist gebracht habe. Langsamer zu leben bedeutet allerdings nicht unbedingt, langsamer denken, oder gar unproduktiv sein zu müssen, obschon ein gutes Stück echter Müssiggang – und für Solchen bedarf es ebenso genuiner Tiefenentspannung – natürlicher obligater Bestandteil der Erholungszeit von der Drangsal der Lohnarbeit sein sollte. Sonst braucht man keine Arbeitsunterbrechung!

Das Leben solcher Art zu entschleunigen bedeutet auf der Verlustseite, keinen bzw. nur sehr eingeschränkten Internetzugang, kein Fernsehen, keine Tageszeitung und wenig tiefer gehende soziale Interaktion abseits der eigenen mitgereisten Verwandschaft und gelegentlicher Bekanntschaften zu haben. Auf der Gewinnseite steht Zeit; Zeit zum (lustvollen!) Lesen, Zeit zum Erkunden neuer Orte, Zeit zum Genießen und schlussendlich Zeit zum Nachdenken. Und die brauchte ich in letzter Zeit reichlich!

Man hört häufig davon, dass Leute, zumeist solche, die ein wenig bekannter sind als ich auf Reisen gehen, um sich selbst (wieder?) zu finden; was in mir die Frage aufwirft, ob man sich denn erst richtig verlieren muss, um sich wiederfinden zu können, oder ob man sich auch dafür qualifizieren kann, indem man nur ein bisschen vom Weg abkommt, welcher Weg das auch immer sein mag…? Und ist das, was man so zu finden hofft im Erfolgsfalle zwingend besser als dass, was man vorher an sich hatte? Ehrlich gesagt hab ich diesbezüglich für andere Menschen bestenfalls eine Ahnung, aber keinen Ratschlag. Was jedoch mich betrifft, so weiß ich sehr genau, was ich an mir habe und was nicht, wobei das Haben und das Nichthaben jeweils sowohl positive, als auch negative Seiten besitzen. Ich muss demnach zumindest nichts wiederfinden, sondern habe vielmehr Dank der Entschleunigung Rechenleistung für aktuelle Problemstellungen frei, die sich ergeben haben.

Immer wieder im Leben kommen wir an Scheidewege; entweder, wenn sich durch neue Kenntnisse und Erlebnisse unsere Prioritäten verändern, oder wenn sich die persönlichen „Umgebungsparameter“ durch äußere Einflüsse mehr oder weniger nachhaltig verändern. Derlei zwingt uns zumindest, das bisherige Vorgehen zu Überdenken und gegebenenfalls zu ändern. Wenn wir uns dann allerdings geliebter Gewohnheiten entledigen müssen, schlicht weil deren Basis nicht mehr existiert, tut das trotz des Wissens um die Dynamik weh. Solcher Schmerz kann allerdings auch klärend auf den Geist wirken und in mir ist die Erkenntnis gereift, dass es an der Zeit ist für Veränderungen. Wenn man nach Jahren des Stillhaltens, Duldens und Hoffens auf besseres Wetter endlich bemerkt hat, dass man bestimmte „Umgebungsparameter“ trotz aller Bemühungen nicht zum Positiven wenden kann, ist es wahrscheinlich an der Zeit, die Umgebung zu wechseln und auf bessere „Parameter“ zu hoffen…

„Should I stay, or should I go…?“