Wie man es auch drehen und wenden wollen würde – das Jahr galoppiert jetzt mit immer schnelleren Schritten auf sein Ende zu. „Wie so viele davor!“ sagt der Fatalist. „Wie so manches, das noch kommen wird!“ fügt der Realist hinzu, um vom Optimisten mit „Und das Kommende wird GEIL!“ übertönt zu werden. Der Pessimist beschäftigt sich derweil mit dem Umstand, dass mein Körper gerade nicht so will, wie mein Geist. Auch das ist jetzt für die Jahreszeit eher wenig ungewöhnlich; den positiven Signalen der letzten zwei Wochen zum Trotze. Ich könnte also auf der Habenseite abseits der physischen Schlappheit und des Krankheitsgefühls der letzten Tage einbuchen, dass es auf einigen Baustellen mit einem Mal relativ zügig vorangeht und Wiederstände sich in Commitment verwandeln. Ich bin zwar ob mancher Aussagen noch ein wenig skeptisch und doch von mildem Optimismus getragen. Aber es ist noch lange nicht Zeit für ein Fazit. Das kommt erst am 31.12, am frühen Nachmittag. Und bis dahin habe ich kaum Gelegenheit, den Blues zu bekommen, ganz egal, wie physisch und psychisch anstrengend dieses verfickte Jahr bisher auch gewesen sein mag.
Ich bin kürzlich in einem beruflichen Kontext gefragt worden, ob ich von einer bestimmten Sache zu überzeugen wäre. Und ich habe sinngemäß geantwortet, dass ich von etwas nicht überzeugt sein muss, um es zu vertreten, wenn mir der Sinn dahinter verständlich ist. Und ich mein(t)e das vollkommen ernst. Oft im Leben haben wir Aufgaben zu erledigen, die wir tun, weil es halt sein muss, Entscheidungen zu treffen, bei denen eher die Suche nach dem kleinsten Übel uns antreibt, denn das allzu oft allzu große Wort „Überzeugung“. Spätestens mit Bourdieu ist mir dann klar geworden, dass Überzeugungen oft nichts weiter sind, als Illusionen, die wir nutzen, um uns selbst im Nachgang davon zu überzeugen, dass diese oder jene Entscheidung korrekt war – selbst wenn die nagenden Zweifel im Hinterkopf eine vollkommen andere Sprache sprechen. Das gilt im Privaten ebenso, wie im Geschäftsleben, auch wenn man sich gerne einredet, beruflich immer sachmotivierte Entscheidungen zu treffen. Wie schwierig bis nachgerade unmöglich das wird, zeigt sich dann, wenn divergierende persönliche Interessenlagen mit der theoretisch sachlichen Lösung konfligieren und plötzlich aus Nebenkriegsschauplätzen zentrale Schlachtfelder werden. Ich kann es gar nicht oft genug sagen: wir Menschen handeln insbesondere dann, wenn wir das behaupten, alles andere als rational!
Ich bin ein großer Freund davon, nach den Motiven der Menschen zu suchen. Denn viele Entscheidungen werden – gleich, ob man das gut oder schlecht findet – noch immer von Menschen getroffen. Und deren Entscheidungsfindung ist, wie wir seit Kahnemann wissen, alles andere als rational. Und wie bei der Tätersuche im Krimi ist die Frage nach dem Motiv des Gegenübers meistens der Schlüssel zu allem. Um Menschen hinreichend interpretieren zu können, braucht es allerdings – ganz im Gegensatz zum Krimi – mehr als nur eine kurze Beobachtung. Ich bin nämlich nicht Sherlock Holmes. Und wenn es so jemanden da draußen tatsächlich gibt, so hoffe ich, der Person nie zu begegnen. Ich möchte nämlich, dass MEINE Geheimnisse verdammtnocheins geheim bleiben! Aber selbst ohne Holmes’sche Beobachtungs- und Kombinationsgabe findet man, je besser man Menschen kennenlernt, umso besser heraus, was diese antreibt. Das dies auch für die anderen im Zusammenhang mit der eigenen Person gilt, muss einem dabei natürlich klar sein. Niemand hat ein so gutes Pokerface, dass man gar nichts lesen kann. Auch das gibt es nur im Film.
All dem zuvor Gesagten zum Trotz sind wir – manche etwas mehr, viele etwas weniger – zumeist in der Lage, das Gegegnüber einzuschätzen. Was man dabei herausfindet wirkt sich Entscheidungs- und damit Handlungsleitend auf unser Leben aus. Auf das Alltägliche mit seinen vielen kleinen Kooperationsaufgaben genauso, wie auf das Berufliche, wo mich allzu häufig Koordinationsaufgaben betreffen. Das bringt eine administrative Position so mit sich. Dennoch glauben wir immerzu, bei Entscheidungen nur unserem eigenen Denken verpflichtet zu sein. Das ist riesengroßer Unfug. Manchmal genügt eine kleine Geste, um das Gegenüber zu …interessanten… Dingen zu bringen. Die Intention hinter Geschenken oder Freundlichkeit z.B. sollte eigentlich nicht sein, Menschen zu etas zu bringen, denn dann wäre das Manipulation; sondern vielmehr ihnen meine Dankbarkeit oder meine Wertschätzung auszudrücken. Es gibt da einen sehr schmalen Grat zwischen Manipulation und ehrlicher Wertschätzung, von dem allzu oft in die falsche Richtung abgewichen wird. In jedem Fall ist so manche Entscheidung um Klassen „gefühliger“ motiviert, als wir uns das eingestehen wollen!
Genauso gut oder schlecht kann man auch negative Mindgames spielen, um Menschen zu spiegeln, wie man ihr Verhalten empfunden hat. Oder wie man glaubt, das andere (Dritte Beteiligte) dieses fragliche Verhalten empfinden könnten. Hat man vor einer Weile mit mir gemacht und ein kleiner Teil von mir ist darüber immer noch stinksauer. Da schwingen nämlich oft irgendwelche impliziten Unterstellungen mit, die mir nicht gefallen. Um eines klar zu sagen: wir ALLE lassen uns gelegentlich manipulieren, mal zu unserem Vorteil, mal zu unserem Nachteil. Muss man akzeptieren. Was man NICHT akzeptieren muss: Ich habe keine Lust auf Spielchen – und ich werde das auch in Zukunft ganz klar sagen. So, wie ich immer noch keine Zeit für den Blues habe, obwohl es verschiedene Gründe dafür gäbe, habe ich auch keine Zeit für vollkommen unnötiges Drama. Und es ist meiner Meinung nach unnötiges Drama, wenn sich Menschen in gewissen Positionen dünnhäutiger zeigen, als meine Teenager-Tochter. Das ist unwürdig, denn unsere Zeit und ihre Herausforderungen verlangen nach der Fähigkeit zum robusten Diskurs und nicht nach Schneeflöckchen! Ich denke, dass ich noch oft anecken werde, da ich, wie bereits weiter oben gesagt nicht im Mindesten bereit bin, mich von Dingen überzeugen zu lassen, die ich als unsachgemäß, überemotional, unterdurchdacht, überdurchdacht, oder unangemessen betrachte. Und ich werde ganz sicher nicht servil nicken und „JA“ sagen, wenn ich klar den Kopf schütteln und „NEIN“ sagen muss, weil ich der Sache verpflichtet bin, und nicht irgendwelchen Personen. Vielleicht würde es helfen, wenn sich manche Protagonisten der Tatsache erinnerten, dass nicht sie als Person wichtig sind, sondern das große Ganze. Aber als white middle-aged cis-gender-male muss ich bedaurlicherweise sagen, dass viele meiner Altersgenossen (aber auch jüngere/ältere) diesbezüglich noch enormen Selbstreflexions-Nachholbedarf haben. Ach wisst ihr was: drauf gesch****n. Freut euch auf den (F)Rohen ersten Advent. Tschüss.