Meinungshoheit?

Es gibt da einen Begriff in den Geistes- und Sozialwissenschaften, der immer mal wieder an das öffentliche Bewusstsein dringt: „Deutungshoheit“. Diese zu besitzen bedeutet, dass der Inhaber sich sicher ist, über ein derzeit unhintergehbares und damit vorläufig sicheres Wissen über einen Sachverhalt zu verfügen. Diese, dem Falsifikationismus verpflichtete erkenntnistheoretische Position wird im öffentlichen Diskurs allerdings ganz oft mit der dogmatischen Position verwechselt, über eine unumstößliche Wahrheit zu verfügen, die alle anderen Mitdiskutierenden verdammt noch mal anerkennen müssen…

Wenn also Menschen im öffentlichen Diskurs Deutungshoheit für sich beanspruchen, ist der tatsächliche Wahrheitsgehalt Ihrer Aussagen üblicherweise umgekehrt proportional zur Lautstärke und Überzeugtheit, mit welcher diese vorgetragen werden. Kommt dann, wie z. B. bei Donald Trump noch eine ordentliche Portion Dunning-Kruger-Effekt hinzu, ist der „Dogmatidiot“ (die gesellschaftspolitische Oberkategorie des Covidioten) perfekt. Denn Meinungshoheit für sich zu reklamieren bedeutet eben nicht – nicht mal im Ansatz – Deutungshoheit zu besitzen. Meist ist eher das Gegenteil der Fall.

Eigentlich sind diese Zusammenhänge so einfach zu erkennen, dass ich mir nicht die Mühe machen müssen dürfte, sie noch mal zu erklären. Und doch… doch gibt es immer noch genug Menschoide, die Wissen und Glauben verwechseln. Da gibt’s zum Beispiel diesen evangelischen (eigentlich evangelikalen) Pastor in Bremen, der gegen Homosexuelle und die Ehe für alle hetzt, weil er sich durch seinen Glauben im Recht dazu sieht. Mit Verlaub: was für ein ekelhafter Kognitionsamateur teilt da nominell meinen Glauben? Ich bin auch protestantisch getauft und selbst, wenn ich mein Bekenntnis nicht durch regelmäßigen Kirchgang praktiziere und zur Institution Kirche ein eher ambivalentes Verhältnis pflege, kann und will ich den Ansatz der Bremer Landeskirche, einen Dialog mit solchen Renegaten pflegen zu wollen nicht verstehen. Und auch nicht tolerieren.

Ich will, dass man dieses unwürdige Geschöpf seiner Weihen beraubt und ihn in Schimpf und Schande fortjagt; und zwar dahin, wo er hingehört: in jene Ecke der Geächteten, wo sich Nazis, Chauvinisten und anderes Gelichter tummeln, dass in unserer Gesellschaft keine Stimme mehr haben darf – weil alles, was diese Stimme verbreitet, Hass, Zwietracht und Stigma ist! Wann verstehen wir endlich, dass man diesen Leuten die Stirn überall bieten muss – auch und gerade im Glauben. Denn die Evangelikalen sind ein Hort der Neurechten im Schoss von Mutter Kirche. Doch seit Jahr und Tag hält man dort die andere Wange hin, während diese Möchtegern-Christen immer wieder mit Wucht guten, liebenden Christenmenschen in die Fresse schlagen. Was für ein Mist!

Es mag in der Natur des christlichen Glaubens liegen, Nächstenliebe auch zu den Feinden bringen zu wollen. Doch in diesem Fall ist das eine Verschwendung humaner Ressourcen, die mich irritiert zurücklässt. Wie lange möchte man solche Umtriebe noch hinnehmen? Insbesondere in politisch bewegten Zeiten wie diesen? In dem Wissen um die Nähe der Evangelikalen zum Rechtsextremismus? Müssen erst irgendwelche Prediger offen zur Wahl von Demokratiefeinden aufrufen, bevor man sich hierzulande zu erkennen wagt, welche Gefahr sich da in manchem Gottesdienst zusammenbraut?

Ganz ehrlich – was ich glaube und warum, geht nur mich etwas an. Ein wenig Spiritualität braucht vermutlich jeder Mensch in seinem Leben. Aber dieses braune Sauce infiziert Menschen auf der Suche nach ebendieser Spiritualität mit vermeintlich gottgerechtem Hass auf alles, was die nicht verstehen (wollen)! Und solchem Treiben muss man einen Riegel vorschieben. Und wenn man dafür auch mal einen angeblich evangelischen Pastor von der Kanzel runter verhaften muss, dann ist das halt so! Fangt endlich damit an. Schöne Woche noch.

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