Ich seh‘ überall Gewinner…

Es ist schon seltsam. Natürlich auch menschlich, aber trotzdem seltsam. Immerzu wollen wir uns selbst in einem guten Licht dargestellt sehen. Kein Makel, keine Schwäche, keine Kratzer im hochglanzpolierten Lack. Ich hätte zumindest, seit ich mich bewusster mit social media befasse nicht bemerkt, dass die Menschen eine besondere Tendenz hätten, etwas anderes als ihre Erfolge zu promoten. Zugegeben, es gibt Ausnahmen, aber die sind sehr, sehr selten; meistens sieht man allenthalben Gewinner!

Natürlich spielt dabei auch die Definition von Gewinnen eine Rolle. Für manche ist es schon ein Sieg, sich von der Couch zu erheben. Zum Beispiel mich, wenn es draußen heiß ist. Ich habe mich neulich dabei ertappt, wie ich ein Bild von einem Spaziergang am Rhein gepostet habe, mit der Unterschrift „Der Weg ist das Ziel…“ und erfuhr dafür tatsächlich Zuspruch. Ich dachte dabei an die inspirierende Solitude der freien Natur direkt am Ende meiner Straße. Das Setting hatte einfach was.

Nun sind Bilder aber eigentlich von Natur aus Interpretationsraum für den Betrachter. Jeder kann darüber denken, was er möchte, darin sehen, was er möchte. Manche Menschen denken, ein Bild von einem Baum ist einfach nur ein Bild von einem Baum. Ein Foto trägt aber neben dem abgebildeten Objekten oder Subjekten immer auch bereits einen Interpretationsversuch des Fotografen, dessen Intentionen und Gedanken in sich, ohne dass diese ausgesprochen werden. Und so wurde aus dem Foto vom Spazierweg am Rhein ein Symbol, in das jeder sich was r(h)ein denken konnte.

Man hätte zum Beispiel, um auf meine Eingangsworte zurückzukommen denken können: „Ah, der Zimbo bewegt sich endlich mal!“. Oder, etwas netter: „Och, da würde ich jetzt auch gerne hin!“. Vielleicht auch: „Mannheim ist doch nicht so hässlich, wie alle sagen!“. Ich mag es, wenn meine Fotos so weite Spielräume lassen. Wenn ich meinen Runtastic-Screenshot poste, sind die Interpretationsmöglichkeiten abseits von „Oh, wie langsam!“ bis „Oh, wie schnell!“ und „Da, läuft der lang?“ eher begrenzt. Weil auch hier (natürlich) eine Intention des Veröffentlichenden mittransportiert wird: „Seht her, ich kann!“

Wie bedauerlich das doch ist. Denn SCHEITERN ist eine Notwendigkeit des Lebens, ohne welche echte Persönlichkeitsentwicklung nicht stattfinden kann. Aus unseren Niederlagen, unseren Fehlern unseren Ausrutschern lernen wir wesentlich mehr, als aus unseren Siegen. Und vor allem lernen wir aus dem offensiven Umgang mit unseren Fehlern und Schwächen viel mehr über die Menschen, die uns umgeben. Denn Reaktionen auf offen kommunizierte Fehler und Niederlagen sagen viel mehr als die höflichen Ahs und Ohs, wenn wir – mal wieder – reüssiert haben. Das Fehlen von Reaktionen sagt natürlich auch etwas aus.

Reden wir doch noch mal über die Definition von Gewinnen. Ich persönlich betrachte es schon als Sieg, dass ich meinen Alltag gut hin bekomme. Familie Job, sonstige soziale Kontakte Studium (irgendwann folgt auch der Master), das alles bringt einen Wust an Verpflichtungen, Problemen, Arbeit mit sich, der manchmal macht, dass man sich Abends ins Bett legt und vor lauter Nachdenken erst mal eine Weile die Decke anschaut, bevor man dann, durch die Gnade der Müdigkeit doch wegdämmert. Aber ich stehe meinem Mann.

Andere definieren sich über Sport. Ist heute hip, an seinem Äußeren zu arbeiten und es alle wissen zu lassen. Ich vermute allerdings, dass jene, die das recht exzessiv betreiben, manchmal Abends genauso an die Decke kucken wie ich und das Polieren ihres Egos als eskapistische Strategie benutzen, so wie andere ihre intellektuellen Fähigkeiten rauskehren und wieder andere ihre Kochkünste… and so on… Die dabei entstehenden Erfolge optisch aufbereitet der „Öffentlichkeit“ zukommen zu lassen ist menschlich. Ich fände es aber schön ehrlich – vielleicht auch ehrlich schön? – wenn man die Niederlagen auch öffentlich machte. Diejenigen, die so etwas als Anlass zur Häme nutzen sind dumm und sicher keine „Freunde“. Aber die anderen, die neutral oder gar nett darauf reagieren, darf man zumeist als wohlmeinend betrachten.

Denn Scheitern ist unvermeidlicher Bestandteil unseres Daseins. Und so wie wir aus unsern Fehlern (hoffentlich) klug werden und mit unseren Aufgaben wachsen, so wachsen unsere (wirklichen) Beziehungen dadurch, dass wir diese Menschen auch tatsächlich an unserem Dasein teilhaben lassen. Wenn ihr also schon unbedingt posten müsst, was das Zeug hält, dann bitte nicht nur den Hochglanz-Schrott… Danke!

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