Hartelijk welkom in Brugge…

Es ist nur eine Stipvisite, aber… Ach, beginnen wir die Geschichte doch einfach ein paar Tage früher. Zum Beispiel in dem Augenblick, wo ich merkte, dass mein Kopf gerade nicht so kann, wie er eigentlich müsste. Weshalb ich zwei Wochen draußen war. Also draußen aus diesem Prozess, den man Arbeitsleben nennt. Ich meine, ich war ja trotzdem häufig drinnen – also zu Hause in den eigenen vier Wänden. Außer, wenn ich draußen war, also weil ich ging, um den Kopf freizukriegen. Jedenfalls war zu dem Zeitpunkt unser Urlaub schon lange geplant, gebucht und bezahlt. Und weil die zwei Wochen Arbeitspause kombiniert mit den richtigen Gesprächen (vor allem mit den richtigen Leuten, auch Fachleuten) mich zwar wieder geerdet, aber nicht wirklich erholt hatten, hielten wir an dem Plan fest, jetzt wegzufahren. Nun haben wir dieses Jahr so etwas wie eine Rundreise geplant. Und die erste Station ist Brügge in Flandern. Wir kamen gestern Nachmittag hier an und haben seitdem eine Menge Eindrücke gesammelt, bevor es morgen früh weitergeht nach Cherbourg. Die Stadt ist… entspannt. Ja, natürlich ist an den Touri-Hotspots in Brügge auch an einem bedeckten Mittag mit gelegentlich leichtem Nieselregen die Hölle los. Wir haben immerhin (noch) Hauptsaison. Aber es ist immer noch nicht so wuchtig, wie an anderen Orten, die ich schon besucht habe. Und irgendwie ist alles überschaubar weit voneinander weg, was es hier irgendwie arg nett macht…

Es ist komisch, wie – aus großer Ferne betrachtet – all der Ungemach um all die kleinen Ränke und Spielchen, all das gelegentliche Tamtam (oft um nichts als eigene Eitelkeiten), all die überzogenen Forderungen plötzlich zusammfällt wie ein Soufflé, wenn man die Ofentür zu früh aufmacht. Die Probleme sind irgendwann im Rückspiegel so klein geworden, dass ich sie jetzt kaum noch auf einer Landkarte zu finden vermochte. Ja… wenn ich mich darauf konzentrierte, käme bestimmt wieder alles hoch. Aber wisst ihr was: f***t euch, einen Teufel werde ich tun! Morgen warten auf mich (und natürlich meine Lieben) wieder einige Hundert Kilometer Strecke und das Einschiffen nach Dublin. DAS ist es, worauf ich mich im Moment konzentriere. Und vielleicht darauf, diesen Text fertig zu schreiben 😉 aber auch das wird schon. Wenn man durch die Gassen geht, vorbei an all den alten Häuschen (wir wohnen in so einem), vorbei an den Kontoren, Kirchen, Plätzen und Waffelläden (ja wir sind in Belgien, was soll ich halt sagen), dann bleibt das Auge noch viel öfter hängen als die Zunge, dann wird der Auslöser meiner Kamera so oft benutzt, dass es irgendwann beinahe schmerzt… nein Scherz, so schlimm KANN es für mich nicht kommen. Aber die Summe der Eindrücke ist eindrücklich erdrückend. Man ist ganz plötzlich in einer ganz anderen Welt und nach einem witzigen (und höchst leckeren) Abendessen gestern war die Entkopplung vom Alltag schon beinahe komplett. Dem hat der heutige Tag bislang wirklich noch einiges hinzugefügt. An dieser Stelle ein Tipp: ja, die Bootsfahrten auf den Reien von Brügge (so nennt man hier die Kanäle, welche die Stadt durchziehen) ist zwar so ein Touri-DIng – aber total schön und für mich das Geld in jedem Fall wert.

Apropos Geld… ich stehe unterdessen auf dem Standpunkt, dass a) das letzte Hemd keine Taschen hat (ich habe schon viele Sterben sehen und bin durch diese Erfahrungen davon überzeugt, dass der Volksmund hier verdammt Recht hat), b) mein Leben daher also JETZT stattfindet, nicht jedoch erst, wenn ich in Rente gehe (denn es könnte auch schon vorher vorbei sein) und c) regelmäßig neue (sinnliche) Erfahrungen zu machen so ziemlich das einzige ist, wofür sich ein Kapitaleinsatz lohnt; zumindest wenn zuvor die existenziellen Bedürfnisse gestillt sind – UND NEIN! EIN VERSCHISSENES NEUES IPHONE IST KEIN EXISTENZIELLES BEDÜRFNISS! Man kann ein Leben nur leben, nicht kaufen… Jedenfalls bedeutet dies zusammengenommen, dass ich bei der Zusammenstellung der Reise im Rahmen unserer Möglichkeiten keinesfalls zur billigsten Variante gegriffen habe. Was auch für die Lustbarkeiten vor Ort gilt, denen hinzugeben wir uns noch aufmachen werden. Mir ist im Übrigen bewusst, dass diese Position privilegiert ist, da sich ca. 20% der Deutschen offensichtlich nicht mal eine Woche Urlaub leisten können. Aber ich werde ganz gewiss nicht die alte “Leistungsträgerleier” vom “mehr anstrengen”, “sparsam sein und Kapital aufbauen” oder derlei Quatsch herbeten. Vor 60, 70 Jahren konnte man mit eigener Hände Arbeit noch ein Vermögen aufbauen, weil die gesellschaftliche und soziale Situation eine andere war. Aber manche Menschen konnten auch damals schon NICHT auf einen grünen Zweig kommen, weil sie systemisch benachteiligt wurden und werden (im Grunde alle jene, die nicht den heteronormativen Familienvorstellungen der Konservativen entsprechen, welche bedauerlicherweise bis heute in erheblichem Umfang unser Land strukturieren). Eingedenk all dieses Wissens habe ich trotzdem keinen Schmerz, so zu urlauben, wie wir es tun. Denn der bescheidene Überfluss, welcher uns zur Verfügung steht, entsteht im wesentlichen in abhängiger Erwerbsarbeit. Und dafür, halt zur rechten Zeit die richtigen Entscheidungen getroffen und sich bis in die Erschöpfungsdepression geschuftet zu haben werde ich mich nicht entschuldigen, sondern den Umstand genießen, dass die Früchte dieses Tuns mir nun die Gelegenheit geben, mich von einer neuerlichen Depression zu erholen. Wir hören uns daher die Tage… nur dann schon wieder von woanders…

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