Gaza ist jetzt überall…

Es ängstigt mich, zu sehen, wie Menschen sowohl in Realitas als auch televerbal gewalttätig aufeinander losgehen, wie plötzlich uralte, vergessen geglaubte Reflexe der Xenophobie, der vom Unwort Leitkultur verseuchten ideologischen Aufladung und des unbedingten Willens zum Vertreten der eigenen Position jedweden Versuch eines sachlichen Diskurses vom Beginn an zu Nichte machen. Wie, als halbwegs aufgeklärt verstanden werden wollende, Wutbürger sich ereifern und doch dabei geifern, wie einst das kleine Männlein mit der hässlichen Frisur und dem markanten Bärtchen. Wobei sich die Produkte ihrer Äußerungen keinesfalls auf sein politisches Spektrum einengen lassen. Vom absoluten Bejahen des israelischen Rechtes auf die terminale Bombardierung Gazas, bis zum unterschwelligen Skandieren von „Treibt-die-Juden-ins-Meer“ ist alles dabei.

Gaza ist ein Stellvertreterkrieg; dabei wird gefochten zwischen den Angehörigen der jüdisch-christlichen Tradition und jenen des Islam. Obwohl doch alle drei abrahamitische Religionen sind. Doch diese historisch-theoretische Einteilung taugt kaum für das weitere Verständnis des Konfliktes zwischen den beiden Parteien. Und selbst das Verhältnis zwischen Juden und Christen ist – abseits eines gemeinsamen Schrifttums – wohl kaum als unbelastet zu bezeichnen. Dennoch scheinen sich die Menschen aus eher christlich geprägten Kulturkreisen fast Stammhirngesteuert mit dem jüdischen Staat Israel zu solidarisieren, wohingegen… nun ja, Muslimen mit Muslimen fühlen. Irgendwie ist es wohl auch ein Kampf darum, wie man seine Nächstenliebe unter Beweis stellen kann.

Doch eben sind wir schon über den ersten Denkfehler gestolpert, indem wir den Staat Israel als politisches Konstrukt mit dem Judentum gleichsetzen, was aus rein Verfassungsrechtlicher Sicht Quatsch ist, denn Israel ist ein Säkularer Staat und überdies ist mitnichten die gesamte Bevölkerung Israels dem mosaischen Glauben zugehörig. Das sind nur ca. 75%, von denen knapp die Hälfte sich als säkular bezeichnen – vulgo, sie sind dem Namen nach Juden, wie ich dem Namen nach Christ bin. Ich gehe übrigens weit öfter in Sakralbauten, um dort zu fotografieren, anstatt dort Andacht zu halten. Obwohl ich durchaus andächtig fotografieren kann. Aber ich denke, was ich sagen wollte ist klar. Israel ist nicht gleich Judentum, and vice versa! Die heutigen Staatsgrenzen sind eher Verwaltungstechnischer Natur, da das ehemalige britische Protektorat Palästina ein künstliches Konstrukt war.

Das Juden, Christen und Muslime dort über Jahrhunderte häufig erbittert miteinander um die Vorherrschaft gekämpft haben, scheinen die Meisten heute irgendwie vergessen zu haben. Andererseits stand Diplomatie damals nirgendwo allzu hoch im Kurs. Es bleibt aber festzuhalten, dass es einen souveränen Staat Israel erst seit 1948 gibt und das er sich ebenso wenig auf eine Jahrhunderte-, oder gar Jahrtausendealte Traditionslinie berufen kann, wie das zum Beispiel beim Nationalstaat Deutschland der Fall ist. Und doch kehren immer wieder Argumentationslinien zu einem angestammten Recht auf diesen Streifen Land in der Levante zurück, der einerseits gar nicht so hospitabel ist und andererseits verglichen mit anderen Staaten eher lächerlich klein; etwa so groß, wie das Bundesland Hessen. Womit man schon zu der Frage kommen könnte, warum sie denn um gute 20.000 Quadratkilometer Trockensteppe so einen Bohei veranstalten?

Da man aber natürlich weiß, dass letzten Endes aller Disput sich nur um eine Frage dreht, nämlich das von vielen Muslimen dort in der Region bestrittene Existenzrecht des Staates Israel als mehr oder minder offizielle Zuflucht für Juden, wird es schwer, auch nur irgendeine Art von rationalem Verhandeln anfangen zu wollen. Denn in diesem Streit dreht sich fast alles um Glauben. Und dem ist mit der Waffe der Logik nur sehr schwer beizukommen.

Die Einen glauben, sie wären schon immer da gewesen und die Anderen glauben, die hätten da noch nie was verloren gehabt. Wer hat aus dieser Sicht der Dinge den nun Recht; Alle und Keiner vermutlich. Doch weil sich niemand von seiner, aus der Tradition erklärten Sichtweise der Dinge ablenken lassen will, geschehen im Hier und Jetzt immer wieder Untaten; wird Unrecht im Namen der eigenen Sache am jeweils anderen begangen, ohne dabei zu bedenken, dass die einzig Leidtragenden in dieser Angelegenheit Menschen sind, die vermutlich zu einem nicht unerheblichen Prozentsatz vergleichsweise unpolitisch und undogmatisch waren. Waren! Doch das hat sich jetzt erledigt, womit der Kampf um die Wahrheit zu einem Circulus Vitiosus wird, den nur der Glaube an Frieden durch Friedlichkeit durchbrechen könnte. Doch wie wahrscheinlich ist das, nach Jahrzehnten der Gräuel aneinander? Wenn die nachfolgenden Generationen in dem Wissen aufwachsen, dass die auf der jeweils anderen Seite der Mauern die Feinde sind?

Und so wenig, wie es dort im Moment, oder auch nur in mittlerer Zukunft Frieden geben kann, so wenig kann und wird es Frieden und einträchtiges Koexistieren an den anderen Orten geben, wo sich die Anhänger jüdisch-christlicher Tradition und die der muslimisch geprägten Kulturen gegenüberstehen, ohne einander je zu verstehen – und vermutlich auch nicht verstehen zu wollen! Wo man einander mit Hass begegnet, anstatt mit Interesse. Bei uns wird dann immer die Kritik an „verfehlter Integrationspolitik“ laut, ohne dass allerdings jemand wüsste, wie erfolgreiche Integrationspolitik denn aussehen müsste. Denn Integration beginnt im Kopf eines jeden Einzelnen und vollzieht sich durch sein Tun; oder vollzieht sich eben nicht durch sein Unterlassen. Doch so lange wir immer nur damit beschäftigt sind, nach dem Vendettaprinzip „den Anderen“ die Schuld zuweisen zu wollen für unser eigenes Desinteresse, für unsere Feindseligkeit und unseren Egoismus, kommen wir keinen Schritt weiter. Weder in Mannheim, noch in Gaza. Schönes Wochenende noch…

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