Gans gut…

Immer um den Heiligen Abend herum taucht eine Flut von Artikeln in den Online-Postillen auf, die sich mit der – jeweils pro Autor*in sehr subjektiv behandelten – Frage auseinander-setzt, was Weihnachten denn nun sei? Und ob man es überhaupt schaffen könne, im Angesicht häufig großer Distanz der sonstigen realen Lebenswelten als Familie friedlich miteinander zu interagieren – weil halt Weihnachten? Ich las selbstverständlich ein paar dieser Artikel, weil die frohe, präemptive Selbstbespiegelung mit Blick auf dräuende Traditionen und deren unheilige Auswirkungen auf meine Psyche zur Vorbereitung auf das Fest der Feste dazu gehört, wie der alljährlich wiederkehrende Diskurs Gänsebraten vs. Kartoffelsalat & Würstchen vs. muss jetzt alles vegan!

Schepp, wie der ganze Rest…

Ich bin – um das unumwunden zuzugeben – mal wieder im Christfest angekommen, wie so manche Geschenke aus dem Versandhandel: unpassend, wenig stimmungsvoll und gerade noch so auf den letzten Drücker. Und ich meine damit tatsächlich nicht den Stand meiner logistischen Vorbereitung. Die ist, wie stets, über jeden Zweifel erhaben. Der Braten grillt, der Baum funkelt, die Geschenke liegen parat und die Hütte sieht nicht mehr ganz so schlimm aus, wie noch vor ein paar Tagen. CHECK. Doch die ganzen Diskurse, die immer noch in meinem Hinterkopf ablaufen, die Sorgen, die Probleme, der ganze Müll, den wir ungefragt das Jahr über aufgeladen bekommen, der verschwindet dieses Jahr langsamer und weniger nachhaltig im existenziellen Hintergrundrauschen, als in den Jahren zuvor. Was nicht bedeutet, dass ich nicht bereit wäre, davon zu lassen; jedoch, es will noch nicht so recht gelingen. Denn auch, wenn allüberall dieses alte Weihnachtslied zitiert wird: Ich fürchte mich doch – jetzt schon vor dem Ende des Urlaubes.

Und dabei lasse ich mich noch nicht mal auf frische Diskussionen ein. Wenn jemand mich für meine Gans verdammen will, weil ich white middle-aged cis-gender male halt nicht von toten Tieren lassen kann, und damit die Welt noch ein bisschen weiter in den Abgrund treibe: BITTE beschimpft mich! Ich teile das dann dem Biohof im vorderen Odenwald mit, wo der Freiläufer aufgewachsen ist. Wenn jemand hingegen das Bedürfnis hat, mir mitzuteilen, dass Traditionen aber ganz doll wichtig sind und man ohne den Gang in die Kirche ein schlechter Mensch ist: ja dann schmore ich halt in der Hölle, auch wenn ich nicht an das ganze Brimborium glaube. Ich gehe normalerweise nur zum Knipsen in Kirchen. Und falls irgendein Menschoid meint, unser Geschenkestapel unter dem Baum sei zu groß, und wir erzeugen ja doch nur Konsummüll: Schenken erzeugt Glück – und zwar in beiden Parteien. Und wenn wir im Moment irgendwas ganz besonders brauchen können, dann ein bisschen Glück.

Der „Rite de Passage“-Aspekt der Festtage ist es, welcher mir ganz persönlich Probleme bereitet, weil ich mich und meine Projekte nicht an dem Punkt sehe, „auf das nächste Level gehen zu können“. Zu viele Prozesse sind offen geblieben, zu wenige Aufgaben konnten abgeschlossen und zu wenige Fragen beantwortet werden. Es ist dieses Gefühl des Unfertigseins, dass mich unruhig bleiben lässt, obschon ich Ruhe gebrauchen könnte. Ich bin immer noch nicht gut genug darin, die Dinge einfach mal liegen zu lassen, auch wenn ich genau weiß, dass ich im Moment eh nichts tun kann. Und ich denke, dass ich mit diesem Problem nicht allein bin. Doch wenn Weihnachten eines für uns tun kann, dann etwas schönes Geschenkpapier und glitzernde Schleifen um die wunden Teile unserer Seelen zu schlagen, einem lindernden Salbenverband gleich, indem es mit gütigem Glimmer den Aufruhr überdeckt. Das Sichdaraufeinlassen ist wohl die Kunst… Und da helfen die Freude der Beschenkten, prandiale Prächtigkeiten und ein nicht zu knapp bemessener Schuss Ethyltoxin einem alten Sack wie mir besser, als das ganze lithurgische Gefuchtel. Ich singe eh lieber was von Johnny Cash.

Lasst uns also nett miteinander umgehen. Denn die Krisen sind am Dienstag, oder in der 2. Kalenderwoche 2023 immer noch da, und mächtig. Ich will jetzt nichts mehr davon hören, sondern mich – einmal, ganz kurz nur – an der Illusion wärmen, sorglos sein zu dürfen. Und so sei euch allen da draußen ein friedvolles Fest gewünscht, ganz so, wie ihr euch eures vorstellen mögt. Wir hören uns.

Auch als Podcast…

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