Fresh from Absurdistan N°10 – Blockwart Ahoi!

„…du kannst einen -ismus einfach nicht bekämpfen!“ Jo, dem ist eigentlich nix hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass ich nie gedacht hätte, dass ich irgendwann mal Blockwartismus in nazi-esker Form wahrhaft erleben müsste. Nun ist es nicht so, dass ich selbst schon ausgegrenzt wurde, weil ich zu den „Systemrelevanten“ zähle. Ich hatte auch noch nicht die zweifelhafte Ehre, von der Polizei kontrolliert zu werden, weil sich Nachbarn, in wohlverdienter Erregung über die dauernden Qualmfahnen von meinem Balkon zur Denunziation bei den, eh schon überlasteten, Ordnungsbehörden entschlossen hätten. Und schließlich musste mich niemand auffordern, nur eine Packung Klopapier einzukaufen. Andere produzieren wohl doch mehr Scheiße als ich…

Und doch beschleicht einen das Gefühl, dass die Leute einander im öffentlichen Raum mit Misstrauen beäugen, sich anscheinend sehr genau überlegen, ob das Gegenüber (also ich) wohl gerade ein ächtbares Verhalten an den Tag legt; oder ob das schon OK ist, wenn der Typ im Waldpark spazieren geht? Vergessen die freie Gesellschaft, vergessen auch das Sommermärchen von 2006 und schließlich wurde auch das 2015er „Wir schaffen das!“ vergessen – die einzige Aktion, für die ich Frau Merkel wirklich respektiere. Es fühlt sich fast so an, als wenn diese Krankheit mit all den Maßnahmen, die gerade Gültigkeit haben, eine allzu dünne Schicht freundlichen Putzes auf dem, immer noch inhuman kalten, vom Ruch der Geschichte umwehten Zweckgebäude unserer Gesellschaft wegblasen würde, als wenn’s nix wäre.

Die Tage hatte ich – wie immer auf Fratzengedöhns, oder wie auch immer diese verdammte Zeitverschwendungsmaschine auch heißen mag – eine Diskussion um einen Artikel von Heribert Prantl, in dem er vor den möglichen Folgen eines prolongierten Lockdowns für unsere Demokratie gewarnt hat. Und natürlich kamen sofort eilfertig Leute daher, welche die „alternativlosen“ Argumente der Politiker Mantra-artig zu wiederholen begannen. Nicht dass mich hier jemand falsch versteht: die Maßnahmen an sich sind absolut sinnvoll! Und dennoch hat der Lockdown Folgen für unser Gemeinwesen, die jetzt noch nicht abzusehen sind; was die bange Frage aufwirft, ab welchem Zeitpunkt wir denn nun den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?

Ich möchte hier nicht als Cassandra auftreten (auch, wenn ich den Namen mag). Und doch lassen sich bereits jetzt Erosions-Prozesse unserer Demokratie wahrnehmen (wie eben der, Anfangs beschriebene, Blockwartismus), die mich zu folgenden, möglicherweise etwas verstörenden Fragen führen:

  • Wann wird die Zahl der Suizide durch zerstörte Existenzen und vernachlässigte psychisch Kranke höher sein, als die der Todesfälle durch Covid-19?
  • Wie viel – oder wenig – Zeit braucht es noch, bevor sogenannte „Gegenöffentlichkeiten“ den politischen Diskurs bestimmen können?
  • Wie sehr wird sich die Meinungsbildung durch die unverantwortliche Verkürzung und Vereinfachung von Sachverhalten polarisieren und radikalisieren?
  • Warum will die Bundeskanzlerin keine öffentliche Diskussion über Wohl und Wehe des Lockdowns und die Frage, wie lange dieser noch zu dauern hat?
  • Bis wann nehmen Bürger Repressalien, die im guten Glauben, „das Richtige“ zu tun verhängt wurden hin – und bis wann kann man diese wirklich schadfrei zurücknehmen?
  • Wer glaubt wirklich, dass Eltern Monate der Schulschließung überbrücken können, ohne dass unser Bildungssystem und damit ganze Jahrgänge nachhaltigen Schaden nehmen?
  • Was sage ich meinen Kindern, wenn sie fragen, warum man ihnen – subjektiv – einfach verbietet, zu leben, wie Kinder das eben tun, obwohl wir doch angeblich ein so freies Land sind? Und was macht das mit ihnen?
  • Polizisten, welche jetzt die Rechtsmaßnahmen rings um den Lockdown durchsetzen müssen: wer vertraut denen danach noch? Und was ist mit den Beamten, die genau jetzt jene repressive Macht schätzen lernen und diese vielleicht nicht mehr abgeben wollen?

Ein Haufen Fragen, dem so mancher sicher noch die eine oder andere beifügen möchte. Was mich betrifft: ich halte mich an die Ge- und Verbote, wohl wissend, dass über den Berg der Pandemie zu kommen viel, viel länger dauern wird, als bis zum 20.04. Warum die Politik solche Maßnahmen ergriffen hat, wurde ausführlich erklärt. Wer es bis jetzt noch nicht begriffen hat, dass Distanz zu wahren Leben rettet, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Und dennoch muss man die Diskussion um den Lockdown jetzt zu führen beginnen. Denn sonst nimmt unsere Gesellschaft, nimmt unsere Demokratie irreparablen Schaden. Und das kann ja auch niemand ernsthaft wollen. C U soon enough…

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