Es gibt Tage, an denen man bereits beim ersten Einsatz denkt, es wäre wohl besser gewesen, liegen zu bleiben, weil einem die offenkundig zur Schau gestellte Lebensuntauglichkeit der eigenen Klientel das letzte Fitzelchen Contenance abverlangt – und das womöglich mit zu wenig Koffein im Blut! Jeder, der den Job länger als ein paar Tage macht, wird unweigerlich mit dieser zeitgenössischen Melange aus „Ich wusste nicht, was ich bei Fieber machen soll, da habe ich halt 112 gewählt…“, „Also, die Verantwortung will ich nicht übernehmen!“, „Aber dem geht’s doch furchtbar schlecht!“ und „Ich will in die Klinik, habe aber kein Geld für ein Taxi…“ konfrontiert. Tagtäglich. Und ja, das geht auch mir gewaltig auf den Zeiger, nachts um 02:30 zu jemandem fahren zu müssen, der mir dann erzählt, die Flüssigkeit aus seiner Blase würde überall unter der Haut hochsteigen und er hätte schon Kopfschmerzen davon… selbst so erlebt.
All dieser Frust, den man sich bei der Arbeit holen kann, weil entweder unsere Mitbürger ein vollkommen überzogenes Anspruchsdenken an den Tag legen, Einsatzsachbearbeiter ihren Job nicht richtig machen (ich sitze auch an einer solchen Stelle und bestätige hiermit: auch das kommt manchmal vor!), oder der Mensch (meist Laie) vor Ort schlicht überfordert ist ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir dennoch berufen sind, sozial und sachlich adäquat mit jedem Einsatz umzugehen. Und aus unseren Fehlern zu lernen.
Mir ist wohl bewusst, dass die allermeisten Kolleginnen und Kollegen nach einem kurzen Blick auf bestimmte Meldebilder zumeist bereits ein Szenario im Kopf haben, dass von Stereotypen nur so strotzt. Natürlich kommt man auch zu dem klassischen „Dauerkunden“, zum Geronto-Sturz, zu „Leiden“, deren „plötzliches Auftreten“ eigentlich beim besten Willen nicht den Einsatz eines Rettungswagens rechtfertigt; aber bitte, es handelt sich dennoch um ein Hilfeersuchen, das halt abgearbeitet werden muss. So viel Berufsethos muss dann schon sein, meine Damen und Herren!
Und dann kommt das Nachrichtenmagazin „Report Mainz“ und sucht nach Menschen, deren Hilfe-/Transport-Ersuchen vom Rettungsdienst abgelehnt wurde – OH MEIN GOTT, WIE SCHLIMM! Wie können die nur beim heiligen Rettungsdienst Fehler suchen. Wenn ich mir die Kommentarspalten unter dem Aufruf auf Facebook so ansehe, möchte ich vor Scham ob der Äußerungen einiger Vertreter meines Berufsstandes im Boden versinken! NULL KOMMA NULL Selbstreflexion, keine Fehler-Sensibilität, mangelnde Sozialkompetenz, aber eine televerbale Goscherei, dass es einem schlecht wird!
Von Transparenz, Fehlerkultur, CRM/TRM und CIRS haben die offenkundig noch nie was gehört – oder alles falsch verstanden, so nach dem Motto: „Ja wir suchen natürlich nach Fehlern – bei den Anderen!“ Solches Verhalten, insbesondere unter Betrachtung der Diskussion um das Verhalten des Kollegen in Bamberg ist unprofessionell, dem Berufsbild nicht dienlich und schlicht eines Healthcare Professional unwürdig!
Ja, es gibt Patienten, zu denen wir mit unserem RTW hinfahren und die unsere Hilfe eigentlich gar nicht benötigen. Aber auch bei deren Begutachtung ist die gleiche Sorgfalt geboten, als bei einem, bereits auf den ersten Blick kritischen Patienten. Denn wir sollen, gestützt durch fundierte Aus- und Fortbildung, durch unsere Arbeit einen immer und überall vergleichbaren Mindeststandard der Akut-medizinischen Versorgung garantieren. Nur wenn wir diesem Anspruch gerecht werden und dennoch ungerechtfertigter Weise eines Fehlers beschuldigt werden, haben wir das Recht, uns zu wehren. Aber dies im Zweifel beweisen zu können, wird sehr schwer, wenn ich mich schon einer transparenten Begutachtung verweigere.
Genau das (plus die üblichen paar Prozent Effekthascherei für die Quote) tut Report Mainz. Anstatt also deren Anliegen von Anfang an mit Dreck zu bewerfen, sollten wir es begrüßen, dass jemand sich der Thematik überhaupt annimmt; denn ein tatsächlich Ergebnisoffen recherchierender Journalist wird dann schon beide Seiten sehen. Oder haben die werten Kolleginnen und Kollegen tatsächlich schon ein AfD-eskes Verhältnis zu den Medien? Denkt mal drüber nach. Guten Tag!