Ein freier Tag…

Müßiggang. Eines dieser Hassthemen für so unendlich viele Leute. Weil sie alle immer noch glauben, dass es sowas wie ein Endziel gäbe; und dass mehr Leistung sie schneller dorthin brächte. Doch hinter jedem erreichten Ziel, hinter jeder Mauer, die ich so mühevoll überwunden habe, lauern doch nur immer weitere Wege – und mehr Mauern, die es zu überwinden gilt. Einer der unschönen Aspekte am Erwachsenwerden ist, erkennen zu müssen, dass dieser, auf den ersten Blick saublöde, Glückskeksspruch „Der Weg ist das Ziel!“ die einzige Art beschreibt, das Leben wahrnehmen zu können, ohne daran zu verzweifeln, dass jedes Ziel bestenfalls ein Wegpunkt ist. Ich hatte gerade vorhin eine längere Unterhaltung mit meiner 12-jährigen Tochter. Und für sie ist diese langsam heraufdämmernde Erkenntnis ein echter Dämpfer. Weil man Kinder erst langsam an den Dauerlauf namens „LEBEN“ heran führen muss.

Hier lauert eine derbe Ambivalenz. Denn einerseits müssen wir unsere Kinder natürlich daran gewöhnen, immer weiter zu gehen (wir müssen uns selbst ja auch immer wieder daran erinnern). Insbesondere dann, wenn’s gerade mal nicht so läuft, und es viel schöner wäre, die Tür zur Welt zuzumachen, um sich mit irgendwas schönem von seinen Problemen abzulenken. Im Hier und Jetzt gibt es dafür zu allem Überfluss (leider) auch noch unfassbare viele Möglichkeiten und Hilfsmittel. Andererseits mussten wir alle irgendwann lernen, dass es Phasen der Ruhe, der Erholung, des Müßigganges braucht, um diesen Dauerlauf besser durchhalten zu können. Und wenn wir ehrlich sind: eigentlich müssten diese Phasen ab einem bestimmten Alter jedes Jahr länger werden. Ich könnte mir z. B. sehr gut vorstellen, neben den üblichen, tariflich vereinbarten Urlaubstagen für jedes weitere Lebensjahr ab, sagen wir mal 45, einen zusätzlichen Urlaubstag pro Jahr dazuzubekommen.

Auf diesem schmalen Grat zwischen notwendiger Bewegung und (ebenso notwendiger) Prokrastination sind Unfälle aller Art natürlich vorprogrammiert. Insbesondere von Anderen verursachte, weil wir Deutschen daran gewöhnt wurden, einander die Butter auf dem Brot zu missgönnen! Wenn jemand etwa öffentlich schreibt, er/sie arbeite pro Woche jetzt nur noch 32h und käme damit super klar, weil trotzdem nichts liegen bliebe, dauert es zumeist geschätzte 17 Mikrosekunden, bis irgendein selbsternannter „Leistungsträger“ das entweder

  • a) als Lüge bezeichnet!
  • b) unterstellt, dass die Person dann vorher überbezahlt war!
  • c) dieses Modell ja eh nur für ganz wenige Branchen funktionieren kann, weil wer wischt denn Omi im Heim sonst den Hintern ab?
  • d) man keine Lust habe, die Faulheit anderer mitzufinanzieren (wo genau die Transferstöme gesehen werden, bleibt dabei zumeist im Dunkeln)
  • e) wir dann auch gleich den Sozialismus ausrufen könnten

Diese Liste ist natürlich weder vollständig, noch ist es überhaupt wichtig, sie weiter zu ergänzen. Die meisten Leute, die so kommentieren, haben entweder nicht verstanden, dass die vierte industrielle Revolution immer schneller dazu führt, dass in vielen Branchen und Sektoren Arbeit wegfällt – und dass es sinnvoll sein könnte, speziell den Bereich Care-Work auskömmlicher und attraktiver zu gestalten, weil es ansonsten in vielen Institutionen des Gesundheitswesens für deren Klienten tatsächlich alsbald zappenduster werden wird. Anzuerkennen, das jedwede Form von Arbeit prinzipiell gleichwertig ist, und wir nur auf Grund der strukturellen Verfasstheit unserer Gesellschaft unterschiedlich bewertete Preisschilder draufkleben, wird aber vermutlich für eben jene „Leistungsträger“ noch ein paar Äonen in Anspruch nehmen. Narzistische Egos schrumpfen nämlich nicht so schnell...

Ich habe meinen freien Tag, den ich mir genommen habe, weil ich mehr als genug Stunden auf meinem Arbeitszeitkonto habe, und heute überdies keine wichtigen Termine auf der Agenda standen, mal wieder gänzlich anders verbracht, als gedacht. Denn in meinen Träumen sitze ich mit einem guten Buch in der Sonne, nachdem ich ein Weile spazieren gegangen bin. In der Realität mache ich mir mal wieder öffentlich Gedanken über irgendsoein soziales Thema, nachdem ich eingekauft und Essen für meine Lieben gekocht habe. Und morgen ruft sie wieder unerbittlich – die Arbeit! Ein freier Tag extra dann und wann vermag nicht zu ändern, dass ich im Moment immer noch erschöpft durch den Sirup meiner Probleme wate – aber er bietet mir die Chance zum Innehalten und gleichzeitig ahnungslos in das Hineinleben, was auch immer gerade geschehen wollen mag. Ein Futzel frische Freiheit. Genau das wünsche ich euch allen da draußen auch. Bis die Tage.

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