Es ist wieder so ein Sonntagabend. Gerade eben war ich noch absolut unbeschwert, habe mit meiner Gattin das Spiel-Wochenende mit Freunden reflektiert, Pläne für die nächsten Wochen geschmiedet und mich dann bei ihr empfohlen, weil ich morgen früh ganz unbeschwert ausschlafen wollte; da kommt ’ne Nachtschicht, direkt gefolgt von spezielleren Verpflichtungen in meiner neuen Funktion. Man öffnet Facebook… und unversehens wird es einem flau im Magen. Ich hatte dieses Jahr schon einen persönlichen Verlust zu beklagen, aber wir haben erst Halbzeit und da flattert schon die nächste schlechte Nachricht rein. Ein geschätzter Kollege und Wegbegleiter früherer Jahre musste allzu früh gehen. Ich weiß, er hätte keine ausufernde Laudatio gewollt – also muss ein schmerzvolles „Mach’s gut!“ genügen…
Ich pflege gelegentlich, mit meinen Patienten gemeinsam gegen den alten Gevatter Tod anzulachen, indem ich den Schnitter als letzte Gerechtigkeit stilisiere; als Gleichmacher, dessen Sense alle nimmt, egal, ob alt oder jung, ob arm oder reich, ob klug oder dumm… jeder von uns kommt irgendwann dran, keiner weiß präzise, wann es geschieht und das letzte Hemd hat – wie mein Vater immer sagte – keine Taschen. Er hatte damit verdammt Recht! Und doch ist mir natürlich bewusst, dass dieses Lachen ist, wie das Pfeifen des ängstlichen Kindes im Walde ob der heraufziehenden Dunkelheit. Denn natürlich weiß auch ich nicht, wann mein Stündlein geschlagen hat.
Ich könnte jetzt in Panik verfallen und mit hektischen Versuchen beginnen, meinen Lebensstil zu vergesunden. Ob das etwas ändern würde? Wer will das schon wissen? Für jenen Kollegen, den Gott zu sich genommen hat macht’s keinen Unterschied mehr. Und ich hoffe inständig, dass er jenen Frieden gefunden hat, der ihm zusteht! Das Leben ist für keinen von uns ein gerader Fluss ohne Überraschungen, sondern eher wie ein tosender Wildbach, der hinter jeder Kurve Überraschungen parat hält. Die von heute Abend war zugegeben sehr unschön. Andererseits bestätigt sie mich in meiner Annahme, dass wir Menschen gut daran tun, alle Tage mit mehr Leben anzufüllen, anstatt das Leben mit mehr Tagen. Ein Arzt, den ich mal kannte, meinte dazu nur ironisch, dass man die Tage, um die man sein Leben verlängerte eh im Fitnessstudio oder auf dem Sportplatz zubrächte…
Wie man es auch dreht und wendet: wenn ein Mensch geht, der das eigene Leben berührt hat – und dieser Kollege hat das zunächst getan, indem er mir auf den ersten, unbeholfenen Metern meines Arbeitslebens im Rettungsdienst in unnachahmlicher Art und vollkommen zu Recht in den Hintern getreten hat – dann beginnt man unwillkürlich, den gemeinsamen Teil des Weges zu reflektieren. Und weil unser Gehirn so ein wundersam soziales Organ ist, kramt es die guten Dinge hervor. Und mehr braucht es auch nicht! Was auch immer die anderen, die es betrifft denken und fühlen mögen – ich wünsche ihnen von Herzen die guten Erinnerungen an das gemeinsam Erlebte, viel Kraft für die nächste Zeit; und dass sie nie den Blick für das Wichtigste im Leben verlieren mögen: die Menschen, die uns begleiten. Gute Nacht.