Der verwirrte Spielleiter N°66 – Gaming with myself

Ich habe, teils weil ich mich, bedingt durch eine depressive Episode auf nichts besseres konzentrieren konnte, teils weil ich seit Monaten dauerunterspielt bin (eine Runde pro Monat mag anderen genügen, für mich ist das knapp unter meinem spielerischen Existenzminimum), noch mal darauf eingelassen, mit ChatGPT als DM zu spielen. Und weil es dafür halt das meiste Referenzmaterial online gibt, entschied ich mich für DnD 5e als Basis. Die physischen Bücher stehen seit Jahren im Schrank und werden nur höchst selten genutzt, weil wir zumeist mit anderen Regelwerken arbeiten (derzeit Dragon Age, Starfinder und mein eigenes). Lag also nahe, es nochmal auf diese Art zu probieren, nachdem der letzte Versuch eher durchwachsen gelaufen war. Ich gehe an sowas zumeist mit eher geringen Erwartungen und vor allem forensischem Interesse ran, weil ich, obschon halbwegs geübt im Umgang mit LLMs (dem, was der Volksmund halt so als KI bezeichnet), wie gesagt beim ersten Mal nach kurzer Zeit eher ernüchtert von dem Vorhaben abließ. Dieses Mal etablierte ich relativ früh einige Anforderungen und ließ mich ansonsten überraschen. Eine kurze Vorbemerkung noch – ich habe die komplette Konversation auf Englisch geführt. Warum erkläre ich später. And so, without much further adoe, here is, what happened:

  • Setting: ChatGPT entschied sich dafür, ein Kampagnensetting zu designen, welches stark auf meine Charakterklasse zugeschnitten ist. Es orientiert sich bislang oft an “Generic Fantasyland”, was aber aus meiner Sicht für eine “shared vision” der Spielumgebung kein Nachteil ist. Das mit dem Zuschnitt auf meine Klasse ist natürlich schon schön, wurde mit der Zeit jedoch etwas redundant, so dass ich die Maschine daran erinnern musste, dass diese Welt auch noch andere Dinge enthält, als Barden (ja, ich kanns nicht lassen. Aber keine Sorge, mein Char ist nicht stereotypisch promisk und nymphoman). Insgesamt war es bisher aber durchaus stimmig und auch stimmungsvoll. Allerdings schwurbelt dieser spezielle DM bei seinen Beschreibungen gelegentlich schon arg umher…
  • Crunch: ohweiohwei… ich hatte echt noch keinen DM, der so oft irgendwas bullshittet, meine Agency missachtet, weil er jetzt einfach durcherzählen will, es meinem Char im gleichen Atemzug trotzdem (zu) einfach macht, Regeln vergisst oder welche erfindet, wenn er Bock drauf hat. Zumindest anfangs… allerdings reagiert die Maschine auf meine Richtigstellungen umgehend und angemessen. Auch verliert die Maschine bei Kämpfen mit mehreren Kombatanten schnell den Überblick über Initiativereihenfolge und Positionen. Aber auch hier – ein kurzer Hinweis und es fuppt wieder! Regeln werden dann sauber befolgt. Es war aber schon ein Stück Arbeit, verschiedene Regelaspekte immer wieder klarzustellen und deren Einhaltung einzufordern… aber ich habe den Eindruck gewonnen, dass es unterdessen geschmeidiger klappt. Und… lebendige DMs in der realen Welt machen auch jede Menge Fehler; ask me… 😉
  • Story: Natürlich gibt es Anleihen aus verschiedenen verfügbaren Medien und es tauchen bekannte narrative Figuren auf (gleich als erstes mal eine Damsel in Distress als Falle für mich). Dennoch macht ChatGPT hier vieles richtig: Hot Start (AUS einer Taverne), Tone of Voice (NPC-charaktergerecht), Story Mood (düster, mysteriös, bedrohlich), alles wird sofort mit Namen benannt, und es gibt (zumeist sinnvolle) Antworten auf alle Fragen. Wir wollen des Lobes hier nicht zu voll werden, denn natürlich ist vieles Hausmannskost (schon mehr als einmal dagewesen) und manche Erzählfiguren wiederholen sich, insbesondere bei NPC-Interaktionen. Und… ChatGPT hat manchmal digitale Amnesie, wodurch Inkonsistenzen im Erzählkontinuum entstehen können, wenn man nicht gleich interveniert. Aufmerksames Lesen ist also King! Dennoch hat man den Eindruck, einen DM vor sich zu haben, der gerne erzählt. Und einiges habe ich (mit menschlichen DMs) auch schon schlechter erlebt.
  • Technik: nach einer Weile wird der Thread langsam, weil sich ChatGPT anscheinend zumindest kursorisch gegenliest (wir reden allerdings von 200+ Seiten Din-A4. Und die kommen ratzfatz zusammen). Ich bin dazu übergegangen, dann einen Textdump zu ziehen, mir eine Campaign-Bible erstellen zu lassen, alles in einen neuen Thread zu laden (PDF) – und die Maschine nochmal ein bisschen zu erziehen; denn bestimmte “Verhaltensweisen” ergeben sich bei längeren Threads aus der bisherigen Konversation. Da muss man beim Umstellen auf einen neuen Thread nicht nur die Story rekapitulieren. Ich konnte hier zwischen GPT 4o und 5 bislang übrigens keine erheblichen Unterschiede hinsichtlich des Handlings und der Textqualität feststellen.

Wenn ich die Erfahrung mit einem Wort zusammenfassen müsste, so lautete dieses: befriedigend. Nicht mal im Sinne einer Schulnote, aber hinsichtlich der Möglichkeit eine Stelle zu kratzen, die schon eine Weile juckt – nämlich selbst wieder mehr spielen zu wollen. Und ich tat das in Englisch – also der Muttersprache von ChatGPT – weil mein Kalkül war, dass es dort lyrisch wertvollere Beiträge zum Spiel liefern würde. Und die Maschine hat mich diesbezüglich nicht ettäuscht. Natürlich ist das nur Rollenspielmethadon, denn nichts kann die interpersonale Dynamik am Spieltisch ersetzen. Aber als Snack für zwischendurch werde ich das beibehalten. Vielleicht kann ich ein paar Ideen ja sogar selbst als SL verwerten. Wenn ihr Fragen habt – nur Mut. Und ansonsten – always game on.

Auch als Podcast…

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