Der verwirrte Spielleiter N°37 – voll verkackt…

Ist mir jetzt tatsächlich drei Monate lang nix zu Pen’n’Paper eingefallen? Ne, ne, lass mal. Ideen hatte ich schon. Nur fast keinerlei Gelegenheit zum Zocken. Das bessert sich jetzt ein wenig, wobei solche Durststrecken ja schon mal vorkommen können. Ich habe mich damit jedoch anderweitig reichlich befasst. Hab ein größeres High-Fantasy-Abenteuer rings um eine Stadt mit einigem Potential geschrieben. Und an meiner aktuellen Kampagnenwelt Cavai gefeilt. Natürlich auch gelesen, Youtube geschaut, und mir so meine Gedanken gemacht. Immer wieder stolpere ich über Inspirationen, in deren Folge ich dann mechanische Aspekte meines Regelwerkes überdenke, verändere, ergänze. Und mir natürlich die Frage stelle, ob das alles so passt?

Man muss dazu Folgendes wissen: ich habe mein Regelwerk durchaus crunchy aufgebaut. Es nutzt jeweils unterschiedliche Würfel und Resolutionsmechaniken für die weltlichen und die magischen Fertigkeiten, sowie den Kampf. Es behandelt Attribute auch anders als Fertigkeiten. Das ergibt sich aus der Erfahrung mit, was weiß ich wie vielen Regelwerken über mehr als 30 Jahre SL-Tätigkeit hinweg; und den daraus resultierenden Erfahrungen. Ein Würfel für alles bietet zu wenig Realismus und zu wenige Failstates. Zu viele Regeln engen die Spieler-Freiheit ein. Zu wenige Regeln nötigen den SL zu mehr Arbeitsaufwand und mehr „on the fly rulings“. Ein goldener Mittelweg ist jedoch schwierig. Ich versuche diesen mit einem Hybrid aus Oldschool und Storytelling-System zu gehen. Nun habe ich erwähnt, dass ich durchaus crunchy arbeite. Daher könnte die folgende Äußerung verwirrend daher kommen: Meine Philosophie ist dabei, den Spielern*innen so viel Handlungs-Freiheiten wie möglich zu geben. Und den SL so viele Story-Freiheiten, wie möglich. Denn beide Seiten werden durch ein zu weites oder zu starres Regelkorsett – nach meiner persönlichen Erfahrung – vom Spielen abgehalten. Man mag mir entgegen halten, dass dies nur meine Partikularmeinung ist…

(c) by Monika Merz

Ich hole mal etwas weiter aus: viele Regelwerke lassen Anfänger-Chars ganz schön knabbern, weil man der Meinung zu sein scheint, dass es nur jene verdient haben, weiter zu kommen, welche zu leiden bereit sind. Nun ist das eine, der klassischen, dramaturgischen Erzählweise entlehnte Betrachtung. Helden müssen Katharsis durchleben, um zu wahrer Größe reifen zu können. OK with me! Anfangs wegen EINER einzelnen RVAG („Ratte von außergewöhnlicher Größe“) Angst vor dem Abkratzen haben zu müssen, erscheint mir aber doch etwas übertrieben. Insbesondere, wenn man davon ausgeht, dass die üblichen „Anfänger-Charaktere“ ja schon einiges an Fertigkeiten und Erfahrung aus ihrem bisherigen Leben mitbringen. Daher setzt mein System auf Chars, die von Anfang an Wumms mitbringen. Den sie auf Grund meines, nun ja, cineastischen Stils auch brauchen. Schwache „Anfänger-Chars“ haben nämlich auch mit Blick auf die dramaturgischen Erfordernisse der Erzählung einen erheblichen Nachteil: sie gehen zu schnell kaputt, wenn du ihnen einen echten Grund zum Reifen präsentierst. Ich brauche aber mehrere mögliche Ebenen des Scheiterns. Mit einem Trefferwürfel + KON-Modifikator ist da recht schnell Sense, wenn ich einen Kampf serviere.

Dafür haben Chars in meinem Regelwerk vermutlich keine ganz so steile „Lernkurve“, wie in anderen Systemen, wo z. B. pro Charakter-Level Dinge dazu kommen (etwa Trefferwürfel). Mein Regelwerk nutzt keine Level. Dennoch gibt es genug Möglichkeiten zum Wachstum und zur Differenzierung durch das Erlernen von Neuem; und das Verfeinern des Alten. Es gibt auch keine Archetypen / Klassen (Krieger, Kleriker, Barde, Magier, Dieb, etc.). Denn wenn ich mir etwa meine Berufsgruppe „Notfallsanitäter / Fachlehrer“ anschaue, existiert kein realweltliches Analogon zu einem Archetyp. Nur spezifisch ausdifferenzierte Sets von Kenntnissen und Fertigkeiten – eingebettet in das, was wir Persönlichkeit nennen. Oder etwa anders herum? Und mein Regelwerk nutzt keine Trefferwürfel. Denn der Trefferwürfel symbolisiert, wie viel ein Char einstecken kann und ist damit in vielen Systemen die wichtigste (teilweise einzige) Failstate-Steuerung => Je mehr du einstecken kannst, desto länger kannst du auch austeilen. Wenn es um taktisches Spiel und Monsterkillerei geht, ist das OK. Wenn es jedoch (auch) um die Geschichten gehen soll, ist das typische Schielen auf Erfahrungspunkte, um schnell hochleveln, min-maxen und etwas mehr aushalten zu können, einfach hinderlich. Denn es führt dazu, dass die Spieler die Probleme in der Geschichte, die Hindernisse auf ihrem Weg, mit den Werten auf ihrem Charakterblatt lösen wollen – nicht mit ihrem Hirn!

(c) by Monika Merz

Man möge mich bitte nicht falsch verstehen: in meinen Spielen wird AUCH gekämpft; aber es geht NICHT in der Hauptsache um’s Kämpfen. Physische Konfrontation ist EIN Mittel zum (erzählerischen) Zweck. Aber bei weitem nicht das Einzige. Und so, wie die Spieler mit ihren Chars – wenn man sie denn lässt (obacht Railroading!) – immer wieder viele höchst erstaunliche Wege gehen, erzeugt für mich die Mischung aus verschiedenen mechanischen Resolutionsmöglichkeiten auch eine Vielzahl an Möglichkeiten, auf diese Auswirkungen der Freiheiten meiner Spieler zu reagieren. Und sie auch mal scheitern lassen, ohne sie dabei gleich zu killen! Ein Charaktertod kann zwar ein ungeheuer starker erzählerischer Moment sein; und in den verbliebenen Chars Energien freisetzen, die ihre Spieler vorher selbst nicht für möglich bgehalten hätten. Aber das sollte etwas sehr Seltenes sein. Es sei denn, ich spiele „Aliens“ nach; da sind natürlich am Schluss immer alle tot. Mein Regelwerk kann, wenn es um den Kampf geht, und das Setting dies erfordert, sehr schnell sehr tödlich sein. Wenn das Setting jedoch mehr Heldenmut verlangt (etwa High Fantasy), lässt es auch durchaus den Einsatz cinematischer Stunts zu. Das ist, worum es mir geht – mit wenig Aufwand skalieren können und eine Basis haben, auf der on the fly rulings (also kurzfristig zu treffende SL-Entscheidungen über Regel-Interpretationen) konsistent zum jeweiligen Setting ohne langes hin und her getroffen werden können!

(c) by Monika Merz

Und was nun die Anwendung der verschiedenen Failstates anbelangt: JA, Chars müssen scheitern können! Scheitern darf aber nicht bedeuten, dass das Abenteuer oder sogar die Kampagne wegen eines verkackten Würfelwurfes zu Ende ist! Scheitern kann auch bedeuten, dass sich daraus Möglichkeiten für Charakterspiel ergeben, sogar Chancen, das Scheitern noch irgendwie zu verwerten – also quasi vorwärts zu scheitern (wie Matt Collville, das mal genannt hat). Denn Scheitern kann viele Gründe haben: schlechte Vorbereitung der SL, Fehlinterpretation der Infos, schlechte Ideen und / oder Pläne der Spieler für die Aktionen ihrer Charaktere, manchmal auch banales Würfel-Pech. Deswegen einzelne Chars oder gar die ganze Party zu killen, oder das Abenteuer entgleisen zu lassen macht niemandem Spaß. Und was am Ende keinen Spaß macht, hat am Spieltisch eigentlich nichts zu suchen. OBACHT: Drama gehört dazu. Und die meisten Spieler*innen lieben es, ihre Chars auch mal ein bisschen leiden zu sehen – wenn sie am Ende trotzdem die Helden des Tages sein können! Heute wird gezockt. Mal sehen, ob wir dieses Mal die Helden des Tages sein können, oder mal wieder vorwärts scheitern 😉 Wie auch immer – always game on!

Auch als Podcast…

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