Das große Staunen N°7 – Rituale

Nicht durchknallen, sich nicht vom Stress der Vorweihnachtszeit mitziehen lassen, sich nicht dem Wahnsinn der Anforderungen ausliefern, die so viele Menschen gerade jetzt an einen zu haben scheinen, nur weil mal wieder ein Jahr zuende geht und alle ganz entsetzt feststellen, dass heute der verf****e erste Advent ist! Es ist diese Zeit im Jahr, in der neben dem typischen Resümieren des sterbenden Jahres auch immer die höchst verlegene Kontaktaufnahme mit den sterbenden sozialen Beziehungen auf den Schirm kommt – jene Verbindungen, die ansonsten im Huzz und Buzz des Alltags untergehen, ohne dabei besondere Aufmerksamkeit zu erfahren; „hab ich XYZ eigentlich zum Geburtstag, zur Rente, zur Hochzeit/Scheidung, zum neuesten Kind, etc. gratuliert…?“ Wobei natürlich mit Blick auf die eben heruntergebetete, absolut unvollständige Liste die Frage erlaubt sein muss, ob es wirklich Sinn ergibt, jemandem zu etwas zu gratulieren, dessen Erreichung sich mehr oder weniger vollkommen seiner/ihrer Kontrolle entzieht? Muss jeder selbst wissen. So oder so bewegen wir uns im finsteren Tal der vergessenen Details, geplagt von der bangen Frage, wann der Karma-Bumerang wohl zurückkommt, um uns umzuhauen…?

Braucht es einen spezielle Ort für ein Ritual…?

Der Erhalt menschlicher Beziehungen baut oft auf ener Tausch-Logik auf, die dann teilweise äußert bizarre Züge annimmt, wenn Menschen anfangen, abschätzen zu wollen, wie viel ein Geschenk eines Gegenübers wohl gekostet haben wird, um den Wert der eigenen Gaben daran auszurichten. Immer wieder erlebt. Letztenende ist dieser Tanz um das Austauschen von Geschenken auch eine Art Ritual; allerdings keines, dass ich als wert- oder sinnvoll empfinde. Ich schenke, was und wann ich das angemessen finde und damit hat sich’s. Ob mir jemand was schenkt, ist mir weitestenteils egal, weil ich mir jene Dinge, die ich unbedingt haben will, oder zu brauchen glaube (und so viele Dinge sind das gar nicht) in aller Regel selbst kaufe. Ich lasse mich allerdings gerne mit Kleinigkeiten überraschen, die jenes große Kind in mir ansprechen, dass im gerade letzten Jahr allzu oft viel zu kurz gekommen ist. Ich brauche dazu allerdings auch keinen vorgeschriebenen Ritual-Termin, wie etwa Heiligabend oder meinen Geburtstag. Wenn ich etwas ritualisieren möchte, dann sind das andere Dinge, die mit Konsum eher wenig zu tun haben!

Ich habe beschlossen, mein eigenes Achtsamkeitsprogramm aufzubauen. Dabei sind Rituale wichtig, denn sie bieten zumeist der Seele und dem Herzen jenen Raum, welchen der Geist schon hat. Der Geist findet sein Gefäß in Denkanstößen aus Büchern und anderen Medien, in kleinen Gadgets für, bzw. rings um die Arbeit und in 1000 kleinen, oft hoch individuellen Angewohnheiten, die das Denken und die Kreativität fördern. Doch das Herz kommt dabei oft zu kurz, weil wir in diesem ganzen Selbstoptimierungswahn vergessen, dass die Achtsamkeit, welche wir der Psyche auf rationaler Ebene entgegen bringen auch den Emotionen, der Spiritualität und unseren Träumen gebührt. Und der Ort, an dem wir dies tun können, ist das Ritual. Ich meine damit natürlich keinen Hexensabbat, bei dem wir Ziegen opfern und Satan anbeten – obwohl ein Feuer zu machen, bzw. wenigstens eine Kerze anzuzünden schon dazugehören darf. Nur das mit den Messern und den Ziegen…, das bitte nicht!

Ein Ritual ist eine wiederkehrende Handlung, die der Seele jene Kontinuität schenkt, die sie braucht um gesund bleiben zu können. Dabei geht es nicht darum WAS wir tun, sondern DAS wir es immer wieder unter den gleichen – positiven – Vorzeichen tun. Eine Kerze anzünden und ein kurze Weile an nichts denken (nennt es meditieren, aber das ist mir schon zu hoch gegriffen). Die erste Tasse Tee oder Kaffee des Tages in Ruhe und ohne Ablenkung zu uns nehmen. Nachmittags oder Abends zum Runterkommen etwas Bewegung in die eigene Physis bringen. Tagebuch schreiben. Oder das, was einem gut gelungen ist, und das was einem nicht gut gelungen ist, oder wofür man keine Zeit hatte, und das was einem an unfertigen Ideen eingefallen ist aufschreiben und den Zettel in ein dafür gedachtes Glas legen. Oder 100 andere kleine Dinge, die man ohne Stress, ohne größere Anstrengung und ohne dafür großartig etwas aufwenden oder auf etwas verzichten zu müssen in seinen Alltag einbauen kann. Schlechte Angewohnheiten und ein trauriges Herz sterben langsam; es braucht Zeit und etwas Geduld mit sich selbst. Aber wann soll man damit anfangen, wenn nicht jetzt, wo das alte Jahr uns gemahnt, was wir alles erdulden mussten! Zeit, mit einem herzlichen „Drauf gesch****n!“ loszulassen und in die Zukunft zu blicken. Und wenn Rituale dabei helfen, bei diesem Blick weniger bang zu werden, dass haben sie ihren Zweck schon erfüllt. da brauchts keine bunten Päckchen für, in denen allzu oft eh nur unnützer Tand und schreiend hässliche Pullover stecken. Daher: besinnlichen ersten Advent, ihr Menschen(s)kinder.

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