Versucht euch auszumalen, dass ihr vorhabt, bzw. beauftragt werdet, ein kleines Unternehmen zu führen. Ihr seid Praktiker aus dem Fach- bzw. Dienstleistungsbereich, in dem das Unternehmen tätig ist, bzw. tätig werden soll. UND ihr verfügt nachweislich, neben der Fach-Expertise, auch über die Fähigkeit, analytisch-wissenschaftlich zu arbeiten. Was wird passieren, wenn ihr nicht auch zuällig Betriebswirt seid? Genau – irgendjemand, der Betriebswirt ist, wird euch erklären, wie ihr euren Job zu machen habt, damit man damit Geld verdienen kann. Das ist prinzipiell weder unmoralisch noch schädlich, denn Geld müssen wir alle verdienen, weil unser Wirtschaftssystem so beschaffen ist. Das Problem entsteht erst dann, wenn eure Primärziele (eine möglichst gute Dienstleistung erbringen) mit denen der Betriebswirte auf einer oder mehreren Ebenen konfligieren. Denn in aller Regel sind die Betriebswirte diejenigen, die in jedem Unternehmen darüber bestimmen, was wie wann getan werden soll – leider oftmals vollkommen fachwissensfrei oder gar systemagnostisch. Damit ist nicht die wirtschaftliche Betrachtung gemeint, sondern das ganze Drumherum, denn Menschen dazu zu befähigen, im beruflichen Kontext ihr volles Potential zu entfalten, braucht weit mehr als einen Paycheck: nämlich persönliche und systemische Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, sowie Wertschätzung. Doch viele denken da immer noch schwäbisch- ned geschennt isch g’nuug g’lobt – WAS FÜR EIN SCHWACHSINN!
Nun ja – In vielerlei Hinsicht sind Betriebswirte wie Ärzte – die glauben auch, nur weil sie ein Studium der Humanmedizin absolviert hätten, könnten sie alles: Personal führen, Projekte managen, Menschen unterrichten, Curriculi entwickeln, gesellschaftliche und systemische Entwicklungen beurteilen, etcpp; und ignorieren dabei völlig, dass man all diese Dinge üblicherweise von der Pike auf LERNEN / STUDIEREN MUSS. (Kleiner Hinweis – ein Handelsübliches Masterstudium Business Administration hat so um 120 CP – bei den meisten MBAs sind nur zwischen 10 – 15 CP davon in Human Ressources. Man darf froh sein, wenn die hinterher neben Schulz vonThun und vielleicht Watzlawick noch irgendwelche anderen Theorien GEHÖRT haben – von der PRAXIS will ich gar nicht erst anfangen… bei den Ärzten ist das übrigens nicht viel anders. Man erwartet, dass die Studierenden Social Skills mitbringen, bzw. während der Famulatur und des PJ schärfen; da das Tutoring jedoch bis heute – je nach Fakultät – Hit and Miss ist, wird das gelegentliche arrogante Arschloch, welches ohne soziale Eignung ins Studium drängt, viel zu oft hinterher immer noch eines sein!)
Besonders problematisch wird das Ganze, wenn irgendjemand auf die unselige Idee kommt, externe Berater in ein Unternehmen zu holen, weil irgendwas nicht so läuft, wie gedacht: denn deren häufigste Antwort auf finanzielle Schieflagen ist Cost-Cutting um jeden Preis. Vielen Dank dafür, dass dadurch nicht selten jede Initiative und Innovation im derart „beratenen“ Unternehmen erstickt werden. Ein artverwandter Bereich ist das sogenannte Coaching – eine Dienstleistungsbranche, die in den letzten Jahren auf Grund bedauernswerter Unterregulation (JA, SOWAS GIBT’S IN DEUTSCHLAND AUCH!) zu einem derart unübersichtlichen El Dorado windiger Abzocker, findiger Selbstvermarkter ohne kreative Substanz und waschechter Betrüger geworden ist, dass es schwerfällt, echte Hilfe/Beratung zu finden. Ich hatte mich neulich mal dafür interessiert, weil ich selbst mich gerne bilde. Allerdings habe ich davon Abstand genommen, weil es mir ehrlich gesagt ein wenig überzogen scheint, dass man selbst an staatlichen Hochschulen TAUSENDE von Euros dafür bezahlen muss, um als Pädagoge mit Grundausbildung und Berufserfahrung in den Bezugswissenschaften Kommunikations- und Kognitions-Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaft seinen Horizont noch ein bisschen erweitern zu dürfen. Hier läuft irgendwas falsch. Insbesondere, wenn hochtrabende Studiengangs-Bezeichnungen wie „Systemisches Coaching“ NICHT zu einer geschützten Berufsbezeichnung führen… (WÜRG, SPEI!) Zumal diese „Dienstleistung“ oftmals unnötig ist. Ja, es gibt Situationen, in denen ein frischer Blick von außen hilft. Dafür muss man aber nicht notwendigerweise irgendjemandem einen Haufen Geld in den Rachen werfen.
Ich fände es, ganz im Gegenteil, extrem erfrischend, wenn man den Fachleuten eines jeweiligen Bereiches, sofern sie denn ihr Gehalt wert sind, auch das Vertrauen entgegen brächte, sie tun zu lassen, wofür sie eigentlich da sind. Und ich rede da keiner vollkommen unkontrollierten Vor-sich-hin-Wurschtelei das Wort; aber, wenn jemand sagt, so kann man es machen, so jedoch nicht, weil das 2. „so“ vielleicht auf dem BWL-Papier gut klingt, in der Realität aber aus unterschiedlichsten Sachgründen einfach nicht funktionieren kann, dann sollten die „Money People“ einfach mal die eigenen Vorstellungen von der Beschaffenheit der Welt – und manchmal auch das eigene Ego – beiseite lassen, zuhören und nicken. DAS würde so vieles besser machen! Ich werde jetzt nicht behaupten, dass ich weiß, wie man alles besser macht. Aber ich denke, eine solide Vorstellung davon zu haben, was in meinem Fachbereich geht – und was nicht. Und ich hatte in letzter Zeit häufiger den Eindruck, dass ich einfach nur gut aussehen und jemand anderes Ideen verkaufen sollte. Was zwei Probleme mit sich bringt: a) ich sehe nach aktuellen Maßstäben nicht besonders gut aus und b) ich bin kein sonderlich guter Verkäufer, wenn ich vom Produkt nicht überzeugt bin. Was mich dahin gebracht hat, mich zu fragen, ob ich als mein eigener Chef nicht doch besser dran wäre. Was ich aus diesen Gedanken mache, wird die Zukunft zeigen. Gerade jetzt ist meine Motivation, am Montagmorgen wieder in die Tretmühle zu steigen, allerdings erheblich eingeschränkt. Mal schauen, was der letzte Urlaubstag so bringt. Haltet die Ohren steif…