The networked mode – what about groups?

Dieser Tage saß ich abends mit der besten Ehefrau von allen bei geistigen Getränken auf dem Balkon und wir parlierten so über dies und das. Irgendwann kam das Gespräch darauf, dass es mich ein wenig amüsieren würde, dass bei einer Fortbildungsveranstaltung in der Vorstellungsrunde alle TN auf ihre beruflichen Funktionen rekurriert haben, um sich den Anderen zu präsentieren. Und das es mich grundlegend irritieren würde, dass Menschen so sehr auf dieses Distinktionsmerkmal „Beruf“ fixiert seien. Die Replik meiner Gattin war eine Frage: wodurch sollten sie sich denn sonst definieren? Und so ganz unrecht hat sie damit ja auch nicht. Denken wir das ganze mal in Gruppenprozessen, geht es neben der Distinktion der eigenen Person von Anderen ja auch um die Zugehörigkeit zu einer Peergroup. Und da wir nicht mehr in marodierenden Nomadenstämmen durch die Gegend ziehen, um dann in Clans gegeneinander Krieg um Land und Vieh zu führen, ist die eigene Berufsgruppe als Platz der Zugehörigkeit ein dankbarer Ersatz. Man muss dafür halt auch niemandem den Schädel einschlagen…

Das Problem mit Gruppenprozessen aller Art ist, dass sie in der Folge nicht selten dazu verführen, um der Zugehörigkeit in der eigenen Peergroup Willen Dinge zu tun, die nicht ganz so schön sind. Eine auch heute noch beeindruckende Beschreibung solcher Prozesse lieferte Norbert Elisas in seinem (mittlerweile wohl als Klassiker der Sozialwissenschaften betrachteten) Buch „Etablierte und Außenseiter“ von 1965. Merkmale der eigenen Gruppe werden dabei als positiv stilisiert, Merkmale anderer Gruppen hingegen abgewertet, um einerseits den subjektiven Wert der eigenen Gruppe zu erhöhen und andererseits durch den daraus entstehenden Konformitätsdruck („Willst du drin sein, oder draußen?“) den Zusammenhalt zu steigern. Eine Gruppe wird so zu einem selbsterhaltenden sozialen System (Autopoiese), dass allerdings – sofern der oben beschriebene Mechanismus wirksam wird – die Betonung des Andersseins gegenüber anderen Gruppen für die eigene Kohäsion benötigt. In der Folge kann es z. B. zur Stigmatisierung der Mitglieder anderer Gruppen kommen. Insbesondere, wenn die Gruppe, von welcher diese Art von Aggression ausgeht, die Mehrzahl der Menschen in einem Bereich stellt.

Doch, was hat das nun wieder mit Netzwerken zu tun? Betrachten wir zunächst die Beziehungen innerhalb einer solchen Peergroup, weicht die Punktualisierung als zufällig emergierende soziale Verbindung mit u. U. unabsehbaren Auswirkungen und ungewisser Zukunft einer Ritualisierung, ja beinahe Formalisierung der Beziehungen – und in der Folge auch der genutzten Kommuniaktionsformen (Bro-Fist, Special Handshakes, Running Gags und Insider Gags, etc.). Ein weiterer möglicher Aspekt ist die Entstehung einer – vielleicht formellen, oft aber eher informellen – Rangordnung innerhalb der Gruppe. In der Folge kann es wiederum zu Machgefällen kommen, welche dazu führen, dass eine (Subjektive) „Elite“ innerhalb der Gruppe Macht über die anderen Mitglieder erlangen und schließlich Herrschaft über diese ausüben könnte. Nun kann man Herrschaft über andere Menschen allerdings üblicherweise nur dann ausüben, wenn die Beherrschten die Beherrschung selbst legitimieren. Da innerhalb einer Peergroup jedoch Konformitätsdruck herrscht, kann eine hinreichend gute Begründung (z.B. durch gemeinsame Feindbilder) für die eigenen Ziele so viel Zustimmung einwerben, dass der eben beschriebene Prozess in Gang kommt. Ein prominentes Beispiel ist die Vereinnahmung der AfD durch Nazis.

Gegenüber anderen Gruppen verändert sich dadurch natürlich das Auftreten. An die Stelle der (natürlichen) Suche nach Konsens mit anderen Gruppen durch öffentlichen Diskurs tritt die öffentliche Verneinung der Legitimation anderer Standpunkte ohne inhaltliche Diskussion; der eigene Standpunkt wird als „letzte Wahrheit“ verabsolutiert und alles andere als schädlich verworfen (=> Grünen-Bashing). Was Stigmatisierung mit anderen Menschen macht, kann man exzellent an der Diskussion um Intergration in unserem Lande sehen. Es wird immer wieder dieser widerliche Begriff „Leitkultur“ verwendet, bei dem nicht wenige Menschen so ein bestimmtes Bild im Hinterkopf haben: lauter weiße Menschen, Bierzelt, Schützenfest, Spanferkel „Mei, is des deitsch!“. Alternativ darf man natürlich die Reihenhaus-Vorstadt-Siedlung mit akkurat gestutzem Rasen und deutschem Markenfabrikat in der Auffahrt nicht vergessen. Was nicht in dieses Bild einer Mehrheits-Kultur passt, wird verachtet und demgemäß gedisst. Dass Kultur ein Prozess ist – nun ich habe es schon tausend Mal gesagt, und werde das gewiss noch tausend Mal tun – bedeutet jedoch, dass diese Bilder von der „guten alten Zeit“ eine Illusion sind. Ein Schritt von vielen in der Entwicklung unseres Landes…

ACHTUNG: Gruppenprozesse sind mitnichten immer böse! Dass sieht man am kameradschaftlich-altruistischen Handeln vieler, vieler Menschen in den von der Flutkatastophe betroffenen Gebieten. Aber die beschriebenen Mechanismen können eben genauso wirksam werden – und sie tun dies jedesmal, wenn jemand Facebook aufruft, weil der Algorithmus dies begünstigt. Da kann man noch so viele Anti-Hate-Crime-Gesetze auf den Weg bringen. So lange asoziale Medien nicht anders strukturiert werden (und damit unrentabel für die Betreiber werden, weil der Algorithmus Werbeeinnahmen generiert), bleiben sie asozial. Das ist nur ein Netzwerk-Aspekt, aber damit wollen wir’s mal gut sein lassen. Peace

  • Elias, N.; Scotson, J. 2002: Etablierte und Außenseiter. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Zwischenruf N°8 – Robuster Diskurs

Um es kurz zu machen: allenthalben kommen die Apologeten der Reinheit des Kanzlerwahlvereins – a.k.a. CDU – aus ihren Löchern gekrochen und beginnen ihr hysterisch-beleidigtes Gekreische: „Wir werden alle untergehen, wenn der Baerbock nicht sofort geschossen wird!“. „Nur wir können das WAHRE Deutschland vertreten!“. „Lieber tot als rot!“. „…mit den Blauen koalieren wir nur, wenn es gar nicht anders geht, an die Macht zu kommen…“ Ups. Sorry, das letzte haben sie ja (noch) gar nicht gesagt. Aber wenn der Kanzlerkandidat seinen nordrheinwestfälischen Staatskanzleichef Nathanael Liminski mitnimmt, haben wir einen astreinen Erzkatholiken mit Opus Dei-Verbindung in Berlin sitzen. Nimmt man dann noch (F)Laschets Unfähigkeit hinzu, sich vom unerträglichen Rechtsaußen Maaßen endlich richtig zu distanzieren, sehe ich hier eine Blaue Stunde heraufziehen, die sich gewaschen hat. Wo kriegt man nur all das Fressen her, dass ich gerade im Strahl kotzen möchte?

Klipp und Klar: Vertreter aller Parteien haben zu verschiedenen Zeitpunkten bei allen möglichen Gelegenheiten ihre Schäfchen ins Trockene gebracht, Seilschaften gebildet, unredlich gehandelt, das Wahlvolk nach Strich und Faden beschissen, und so weiter und so fort. Aber wenn unsere beste Antwort als Gesellschaft darauf lediglich ein müdes „…weiter so…“ für den größten Haufen Flaschen, Betrüger und Luftpumpen ist (JA, ICH MEINE DIE VERDAMMTE CDU, DIE VERDAMMT NOCHMAL ENDLICH DAS C DURCH EIN B ERSETZEN SOLLTE!), dann haben wir es nicht besser verdient, als bald wieder von stramm marschierendem Faschistenpack gepiesackt zu werden, während unweit von Köln kurze Zeit später neue Grundstücke mit Meerblick erschlossen werden können. Wenigstens müssen wir unsere Orangen dann nicht mehr aus Italien importieren, sondern können sie in der oberrheinischen Tiefebene selber züchten…

Aber Hauptsache, ICH kann auf Facebook die Grünen bashen, weil ICH Angst habe, dass ICH nach der „Machtübernahme“ dann nicht mehr mit MEINEM SUV durch die Stadt cruisend Radfahrer anpöbeln kann, welche die Frechheit besitzen, MEINE freie Fahrt als freier Bürger aufzuhalten. Und dann auch noch diese Parkgebühren, für Plätze, auf denen MEINE Scherbe von den Ausmaßen eines M2 Bradley gar keinen Platz findet. Empörend ist das, Menschen mehr Raum geben zu wollen, wenn ICH den doch für MEIN überteuertes, überschweres, übergroßes, übergefährliches Blech brauche. JA, MEINE wahre Freiheit kann es nur in einem extra-autofreundlichen Deutschland geben. Und weil es keine anderen Götter neben MEINEM Blech geben kann, sollen die Baumkuschler verdammt noch mal verschwinden – JAWOLL! Und überhaupt, MEINEN Lebensstandard für das Wohl kommender Generationen – was ist das überhaupt für ein bekackter Begriff, ICH lebe JETZT – auch nur ein Futzel zu senken, kommt ja überhaupt nicht in Frage. IHR nehmt MIR nichts weg, verstanden linksgrünversifftes Pack! [Für alle, die zu blöd sind, semantisch zu denken: das war IRONIE!]

Jeden Tag, an dem ich solchen Menschen ihre eigenen Denke präsentiere, muss ich mir diesen Schwachsinn anhören. Hey Leute, ich gehöre zur Generation X (klares Feindbild der FfF-Aktivisten, weil ich’s verkackt habe), und habe trotzdem verstanden, dass wir vom Gas runtermüssen, dass wir Ressourcen schonen müssen, dass wir uns zurücknehmen müssen, dass wir auf Bio, Öko, nachhaltig umstellen und weniger verbrauchen müssen. Und das die einzige Partei, die auch nur halbwegs in die richtige Richtung geht (und sich dennoch dem demokratischen Kleinklein des Kompromisses wird beugen müssen), sind halt die Grünen. Schmeckt mir auch nicht in allen Punkten. Aber weiter so ist keine Option! Gelber Marktliberalismus ist keine Option. Rotes „Wir wollen über alles mögliche reden, nur nicht über Ökologie“ ist keine Option. Und endloses, weltfremdes, dogmatisches Marxisten-Geschwafel ist auch keine Option! Und BLAU – HERRGOTT BLAU IST WEDER EINE OPTION, NOCH EINE ALTERNATIVE, SONDERN NUR FASCHISTENMÜLL! Ich bin gespannt, wie schlimm es wird, denn leider denken die allermeisten Menschen, dass grüne Politiker Ihnen etwas wegnehmen wollen. Wenn Sie sich für weiter so entscheiden, wird die Welt evtl. Ihnen, spätestens aber ihren Kindern und Kindeskindern noch viel, viel mehr wegnehmen. Wegen diesem verschissenen Egoismus, der heute als Maß aller Dinge gilt. Denkt mal drüber nach, Leute…

The networked mode – (anti)social media?

Bezogen auf den Umfang meines persönlichen Wirkens in den sozialen Medien, der durchaus nicht gering ist, müsste man annehmen, dass ich mich mit manchen Eigenheiten mittlerweile angefreundet hätte; vielleicht aber zumindest meinen Frieden gemacht. Au contraire, liebe Leser… au contraire! Wie im letzten Post bereits im Nebensatz angeklungen sein mag, ist der Gebrauch solcher Netzwerke für mich stets mit ambivalenten Gefühlen versehen. Einerseits versuche ich – so wie jede Oberflächenpolierte Influencer-Blödfliege auch – meine Reichweite zu steigern, indem ich meine Posts zum Beispiel auf Facebook teile, obwohl ich weiß, dass die Zuckerberg’sche Aufregungs- und Beleidigungsschleuder das Letzte ist und ich damit auch noch einen Anbieter unterstütze, der echte Partizipation und nachhaltiges Handeln mit Füßen tritt. Ich erweise der Demokratie also gerade einen Bärendienst. Andererseits wüsste ich nicht, wie ich sonst an mehr potentielle Leser kommen sollte, um Ideen für mehr Partizipation und bewussteren Umgang mit der eigenen Existenz zu streuen. Tolles, Dilemma, aber für SEO bin ich halt zu blöd. Oder zu wenig Verkäuferseele.

Folgen wir den Meta-Überlegungen zu Netzwerken, die ich im letzten Post angestellt habe, spiegelt mein Bemühen um Reichweite den Wunsch wieder, die Emergenz von Interaktion, also die Entstehung von Punktualisierungen anzuregen, zu beschleunigen, und bestenfalls sogar zu lenken. Das ist grundsätzlich weder unmöglich noch falsch. Andernfalls könnte ich zum Beispiel als Lehrer einpacken, weil alle Versuche der Lern-Ermöglichung für meine SuS bereits im Kern sinnlos wären. Aber dazu in einem anderen Post mehr. Indem ich also meine Sichtbarkeit steigere, vergrößere ich die Wahrscheinlichkeit der Konvergenz anderer Akteure mit mir, bzw. dem, was ich von mir preisgebe. Das Prinzip kennen wir auch aus der Werbung – in unnachahmlicher Weise vom „Seitenbacher-Mann“ auf die Spitze getrieben. Oder anders gesagt: man kann es auch übertreiben. Denn natürlich ist es möglich, dass ein bewusster Versuch, Konvergenz zu erzeugen als unerwünschtes Eindringen in die so genannte Intime Zone oder die Privatsphäre interpretiert und entsprechend unterbunden oder gar sanktioniert wird.

Dabei entsteht das Problem, dass speziell in der digitalen Kommunikation, die einerseits oft anonym, vor allem aber asynchron abläuft, die Wahrnehmung dieser Begriffe verschoben sein kann, oder aber diese von manchen sogar als schlicht irrelevant betrachtet werden, weil ja zumeist keine Face-to-Face-Gespräche stattfinden. Dieser soziale Aspekt von Kommunikation, den unter anderem Paul Watzlawick in seinem 2., 4. und 5. Axiom sehr präzise beschrieben hat, kann dabei vollkommen entkoppelt werden. Die Folgen können wir – höchst eindrucksvoll – in den Kommentarspalten auf Facebook betrachten. Und weil nur einen Stein werfen darf, wer ohne Sünde ist, sei hier angemerkt: auch meine Contenance ist gelegentlich erschöpft und ich begebe mich auf das televerbale Schlachtfeld des Nazi- und Querdenker-Bashings. Wenn man diese Knalltüten auf die richtige Art triggert, kann man sie danach sperren lassen. Jeder braucht halt ein Hobby und gelegentlich ist das für ein Stündchen mal ganz unterhaltsam. Mein Druck steigt dabei mittlerweile kaum noch…

Es ist jedoch diese – zumeist unbewusst vollzogene – Entkopplung von Kommunikation und echter Beziehungsarbeit (die unteilbarer Aspekt der Face-to-Face-Kommunikation ist), welche Phänomene wie Amok laufende Foren-Trolle und Influencer (ich sehe beides auf ungefähr der gleichen Evolutionsstufe) erst möglich macht. Indem ich mich beim Sehen, Hören, Schreiben, Posten in den (Anti)sozialen Medien mit meinen Äußerungen nur selbstreferentiell auf meine individuellen derzeitigen Emotionen beziehen kann, weil mir durch die Asynchronizität die tatsächliche Gemütslage meines Gegenübers verborgen bleibt, sitze ich in einer hausgemachten Echokammer. Dabei verkümmert einer der Hauptaspekte menschlichen Miteinanders vollkommen: die Empathie! Im digitalen Netzwerk werden Menschen sehr schnell zu Machiavellisten: der Zweck (andere zu treffen, herabzusetzen, die eigene Position zu stärken, etc.) heiligt die Mittel (des Internet-Trolls)! Und damit ist die Idee des Netzwerkes als Modell für soziale Beziehungen zur Disposition gestellt. Möchte man daran festhalten, muss man – mit Resignation – Soziale Medien als zumindest in nicht unerheblichen Teilen dysfunktionale Netzwerke betrachten. Ein weiteres Problem dabei ist, dass die, beim beschriebenen Mechanismus zu Tage tretenden Affekte der Protagonisten nur schwer zu kontrollieren sind.

Diesen Mechanismus der individuellen, aber auch der Kleingruppen-Selbstreferentialität bespielen die Apologeten der Anti-Demokratie (im Moment vor allem Rechte Gruppen) virtuos. Ängste werden getriggert und selbst ansonsten eher nicht diesem politischen Spektrum zuzuordnende Menschen teilen und liken übelste Propaganda, und posten auch noch ihren – leider allzu oft unreflektierten – Senf dazu, ohne zu verstehen, dass sie gerade hinterhältig manipuliert und instrumentalisiert werden, um eine Agenda zu betreiben, die ihnen am Ende noch mehr Schaden zufügen wird. Sogenannte Kleinbürger, welche die AfD als Besitzstandswahrer wahrnehmen und sie deshalb der SPD oder den Linken vorziehen (soziologisch gleichen sich die beiden Wählerklientel ziemlich!), würden ihr wahrhaft blaues Wunder erleben, wenn diese neoliberale Agenda zum Tragen käme. Aber dazu soll hier nichts weiter gesagt werden, es kann ja jeder das Wahlprogramm lesen – wenngleich ich befürchte, dass das vielen zu mühsam ist…

Was also in den (anti)sozialen Medien passiert ist, dass der Meta-Begriff „Netzwerk“ seiner Kommunikationskomponente „Empathie“ beraubt und stattdessen auf Ereiferung getrimmt wird. Insbesondere der Zeitaspekt spielt hierbei eine wichtige Rolle; die Ausbildung einer Punktualisierung braucht, wie letzthin gesagt, Zeit und bewusste Pflege; also ab einem bestimmten Zeitpunkt ein aktives Investment der Akteure in deren Erhalt. In ein Ereiferungs- und Wut-Netzwerk hingegen muss ich nicht mehr investieren, als ein paar Mikrogramm Adrenalin und Cortisol, sowie ein paar Mausklicks – und fertig ist der Hass! Ich wünsche einen schönen Tag – und die Muse, nachzudenken, bevor man sich äußert.

  • Watzlawick, P.; Beavin Bavelas, J.; Jackson, D. 2011: Pragmatics of Human Communiaction. New York: W. W. Norton & Company Inc.
  • Machiavelli, N. 2001: Der Fürst. Frankfurt/Main: Insel Verlag.

Zwangsentschleunigung

Wie ich die Tage so eine Straße in meiner Hood hinunter ging, fiel mir eine recht lange Schlange vor einem der Geschäfte auf. Ich hatte wohl gehört, dass der Inhaber sogar in den überregionalen Medien ein gewisses Echo erfahren hatte, aber das sah doch schon ein bisschen nach Hype aus. Sei’s drum. Was mich daran wirklich interessiert, ist der Umstand, dass wir wieder viel öfter zum Schlange stehen gezwungen sind. Und so sehr man auch in der Situation darüber fluchen mag, dass das soviel Zeit kostet, so sehr sollte man sich doch später fragen, was man denn mit dieser Zeit ansonsten angestellt hätte…? Ich meine, es ist ja nicht so, dass wir alle Beschäftigungen nachgingen, von deren schneller Erledigung Leben abhängen würden. Bei mir war das für eine lange Zeit meines Lebens der Fall (einen Rettungswagen ruft man manchmal tatsächlich in höchster Not); aber heute als Lehrer und Schulleiter ist das Gros der Anfragen an mich weder zeit noch kritisch.

Man könnte es auch anders formulieren: warum in Drei Teufels Namen glaubt jede:r/s , keine Zeit zu haben. FoMO? Auf wie viele Ereignisse oder Personen glaubt ihr denn, reagieren zu können, bzw. zu müssen? Mangelndes Selbstwertgefühl, weil man irgendwo nicht dazugehört, oder bei irgendwas nicht mitreden kann mag sich zunächst unangenehm anfühlen. Ich rate dennoch dazu, das Gefühl zu kultivieren und daran festzuhalten; denn das Gegenteil davon ist, zu allem und überall seinen Senf dazugeben zu müssen, egal, ob man tatsächlich etwas beizutragen hat, oder einfach nur seine Fresse aufreißen will. Das Ergebnis sind mit verbalem Dreck vollgespammte Kommentarspalten und ein Übermaß an televerbalem Hass, dass auch irgendein hastig zusammengeschustertes Gesetz nicht wird eindämmen können. Denn das Problem ist nicht juristischer, sondern sozialer Natur.

Wäre es nicht toll, wenn man im Internet auch erst mal Schlange stehen müsste, bevor man seinen Scheiß absondern kann? Man müsste erst den ganzen Text lesen, dann ein paar Verständnis-Fragen beantworten und dürfte erst fünf Minuten später kommentieren. Das ganze Erregungsgebäude der sozialen Medien würde wahrscheinlich in kürzester Zeit in sich zusammenfallen, weil die meisten Menschen weder die Geduld, noch die notwendige Sachkenntnis haben, zu den allermeisten Dingen irgendwas SINNVOLLES beizutragen. Also würde die Aufmerksamkeit zum nächsten „Snipet of Info to go“ shiften. Und ich bliebe von unfassbar viel Dummheit verschont. Wird natürlich kein Betreiber freiwillig tun, weil dauernde Erregung die Basis des ganzen verdammten Geschäftsmodells von social media ist. Da kann dieser selbstgefällige Weltverschlechterer Zuckerberg noch so telegen in die Linse grinsen – ohne die dauernde Aufregung würde sein Unternehmen nicht mal mit einem Bruchteil des Marktwertes von aktuell ca. 870 Milliarden Dollar gelistet! Und jeder dumme kleine Klick macht diesen riesigen Haufen Scheiße noch wertvoller!

Das Internet als Demokratisierungsmaschine? Stewart Brands „Whole Earth Catalogue“ bereitete bereits Ende der 60er, Anfang der 70er des letzten Jahrhunderts geistig den Weg für solcherlei Ideen. Dass diese schon vor 10 Jahren von vielen als tot betrachtet wurden, lässt sich in Evgeny Morozovs Buch „The Net Delusion“ gut ablesen. Ich bin mir immer noch nicht sicher, was ich von der Idee insgesamt halten soll. Aber ich glaube fest daran, dass wir gut daran täten, die Menschen zum echten Nachdenken zu zwingen, bevor wir ihnen die Erlaubnis geben, sich unreflektiert zu äußern. Ohne Zweifel lebt die Demokratie vom Diskurs auf einem öffentlichen Marktplatz der Meinungen; als solcher kann das Internet durchaus fungieren. jedoch folgt ein solcher Diskurs üblicherweise Regeln und beinhaltet – wenn auch nicht eine Übereinstimmung in den Sachfragen – so doch Respekt für das Gegenüber und das Anerkennen der Tatsache, dass es andere Meinungen neben der eigenen gibt und dass diese ebenso legitim sein können wie meine – sofern diese Meinungen begründet werden können!

Und mit dem letzten Satz sind wir bei den Leerdenkern angekommen. Die Begründbarkeit einer Meinung konstituiert sich nämlich nicht darin, dass andere diese teilen, sondern dass es objektive Tatsachen gibt, die diese Meinung plausibel machen; z.B. wissenschaftliche Erkenntnisse. Auch die Normen des Zusammenlebens (also z.B unsere Gesetze) geben gute Hinweise auf das Sag- und Denkbare. Man könnte jetzt entgegnen, dass neue Meinungen auf diese Art unterdrückt werden könnten, was undemokratisch wäre. Und diese Entgegnung ist nicht falsch, wie meine super-woken hipster-Nachbarn und ihr sauber dogmatisch imprägnierter eco-political-correctness-Habitus beweisen. Offenheit beinhaltet auch, sich unangenehmen Erkenntnissen stellen und gelegentlich eigene Positionen räumen zu müssen. Das können allerdings weder die eben genannten, noch die Leerdenker – die dogmatisieren, anstatt zu diskutieren. Und nähme man ihnen mittels einer Warteschleife den Wind aus den Segeln, fingen sie vielleicht mal an zu denken, anstatt zu tippen.

Aber wahrscheinlich erwarte ich zu viel. 10 – 15% Idioten kann ja jede Demokratie ab. Um die Leerdenker mache ich mir also keine Gedanken mehr. Die verschwinden irgendwann wieder in ihren eigenen Echokammern und geilen sich aneinander auf. Schlimmer sind die sendungsbewussten, weißen, urbanen, cisgender-Mittelschichtler, die genauso glauben, die Weisheit gepachtet zu haben, wie die Leerdenker. Die nehmen sich nämlich vielleicht die fünf Minuten, um an ihrem Text zu feilen… Schöne Pfingsten. Und in der Schlange bitte immer brav auf’s Drängeln verzichten, ihr Mitmenschoiden. Tschüss.

Zwischenruf N°4 – Alles dicht machen?

Da haben so ungefähr dreiundfickdich Kulturschaffende darauf aufmerksam machen wollen, dass manche von Ihnen den Querdenkern näher stehen, als dem gesunden Menschenverstand; ist ihnen gelungen! Danke Jan-Josef Liefers, dass du nun endlich auch für die tumbe Rechtsnationalisten-Postille „Tichys Einblick“ zitierfähig geworden bist. Würde ich political correctness so ernst nehmen, wie manches möchtegern-linksliberales Vorstadtgemüse (sendungsbewusste, trend-ökologische Ex-Hippster und so’n Gedöns), dürfte ich nie wieder eine Sendung anschauen, an deren Entstehung du rechts, links oder vor der Kamera beteiligt warst. Macht man neuerdings so. Pippi Langstrumpf ist ja jetzt auch kolonial-rassistisch… (sorry, Paywall).

Was erlaubt sich diese Bühnen-Bourgeoisie? Die machen doch nicht auf die Nöte Ihrer Zunft aufmerksam, sondern sie heulen ganz klar im Namen ihrer ganz persönlichen Partikular-Interessen rum. Typisch deutsch – Jammern auf hohem Niveau. Hätten sie mit ihrer teils enormen Reichweite eine Bühne für die Sorgen und Nöte derer gebaut, die unser Land tatsächlich am Laufen halten, wie etwa erst kürzlich Joko und Claas mit der überlangen Pflege-Doku, hätten sie aber nicht so schön ironisch in jene Kerbe schlagen dürfen, welche momentan die FDP und die AfD in unnachahmlicher Art bedienen! Angebliche Sorge um Bürgerrechte als Mäntelchen für das eigene Schäfchen, das noch ins Trockene muss. Verfassungsklage gegen die „Bundesnotbremse“? Dass ich nicht lache. Das Bremspedal wurde allenfalls sachte gestreichelt und die haben nichts besseres zu tun, als das auch noch kippen zu wollen? Müssen wir wirklich erst Leichen mit Militärlastern wegkarren, bevor die begreifen, was sie anrichten?

Mal davon ab dass dieses möchtegern-intellektuelle Bildungsfernsehen, welches speziell der öffentlich-rechtliche Rundfunk der BRD allzu häufig inszenieren zu müssen glaubt eh tot ist. Wenn’s nur darum geht, dass ihr damit eure Brötchen verdient, wie wäre es mit einem frischen Ansatz? Vielleicht solltet ihr lauten Nullnummern mal darüber nachdenken, dass es auf der Welt nichts beständigeres gibt, als den Wandel – und in der Konsequenz anfangen, sich mal mit zu wandeln. „Danke den Medien, das sie seit einem Jahr den Alarm oben halten“ (sinngemäß zitiert)? Herr Liefers – bist du so dumm, glaubst du das wirklich, oder entschuldigst du dich mal wieder mit dem wohlfeilen Argument der Satire, die alles darf? Ist mir egal, wie du diesen Scheiß begründest – ein einziges Mal noch ist es notwendig, diesen anderen Schlaubi-Schlumpf Nuhr zu zitieren: „Wenn man von irgendwas keine Ahnung hat – einfach mal Fresse halten!“

Ich habe es so satt, dass dauernd noch irgendein Hanswurst aus seinem Loch gekrochen kommt und meint, Politik machen zu müssen. Viel zu vielen Menschen in diesem Lande geht es offensichtlich trotz Krise immer noch viel zu gut. So sehr zu gut, dass sie vollkommen aus den Augen verloren haben, wie privilegiert und watteweich eingepackt sie sind, weil andere sich den Arsch dafür aufreißen, dass die ihr gepudertes Näschen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit in irgendwelche Kameras halten können. ES IST JETZT ENDGÜLTIG GENUG… und es ist für mich endgültig bewiesen: social Media ist der Fluch, der das Ende unserer Zivilisation besiegeln wird! Weil plötzlich wirklich jeder seine Meinung mit ungeahnter Reichweite versehen kann. Und weil manche, die schon Reichweite haben, diese ungeniert (und ungestraft) für ihre ganz persönliche Agenda missbrauchen können. Vielleicht wird die neue Woche ja besser. Bis bald.

Symbolik für Anfänger – Part 3

Gerade zu einem der höchsten christlichen Feste stehen Zeichen (und ihre jeweilige Bedeutung) natürlich hoch im Kurs. Interessant ist es dabei, festzustellen, dass viele Leute „ganz klassisch“ ein Osterlamm verzehren, ohne sich der Bedeutung (das Opfer Christi durch die Kreuzigung am Karfreitag) je tatsächlich bewusst zu werden. Die Semiose hat durch die Reflexion von Alltagsrealitäten für die meisten Menschen aus der Auferstehung Christi einfach 4 freie Tage am Stück zuzüglich leckerem Braten gemacht. Man mag sich über den Verfall des Glaubens aufregen, oder einfach feststellen, das christliche Symbolik heute keine so große Rolle mehr spielt, weil die Pluralisierung der Gesellschaft auch die Pluralisierung unserer Spiritualität voran getrieben hat – das ist allerdings genug Diskussionsstoff für einen anderen Post. Denn wir sind immer noch bei den Zeichen…

„Wenn Synonymisierungen im Privaten und in der Arbeitswelt eine so bedeutsame Rolle spielen, dann findet man sie doch sicher auch im öffentlich Raum, Sherlock? Oh, mein lieber Doktor Watson, sie ahnen ja gar nicht, auf wie vielfältige Art wir durch Zeichen belogen und behumst werden…“ Sagen wir mal so: alle Akteure im öffentlichen Raum arbeiten mit Vereinfachungen und Verkürzungen der tatsächlichen Sachverhalte; und zwar in der Annahme, dass eine Komplexitätsreduktion mit höherer Wahrscheinlichkeit zu breiterem Verständnis für das jeweilige Anliegen führt. Das dabei unter Umständen eben jene Aspekte unter den Tisch fallen, die als contra zur eigenen Position angeführt werden könnten, ist natürlich purer Zufall [Ironie aus]. Die eigentlich interessante Frage dahinter ist doch nicht, wie politischer Wille konstruiert wird (hierzu empfiehlt es sich Herman und Chomsky „Manufacturing Consent“ zu lesen) , sondern von wem er ausgeht? Diese Frage bleibt hier mit Absicht unbeantwortet!

Beschaut man sich, wie unterschiedliche Akteure im öffentlichen Raum Symbole nutzen, um ihre jeweilige Agenda zu betreiben, fällt als erstes auf, wie leicht Menschen sich durch die verwendeten Symbole triggern lassen und wie wenig es ihnen danach gelingt, hinter das Symbol zu sehen. Schauen wir uns dazu doch mal die Grünen an. Die weltweite Initialzündung für die ökologischen Bewegungen, aus denen später die heutige Partei hervorgehen sollte war der Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome. Die nüchterne Berichterstattung über die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen durch den kapitalistischen Raubbau, die bereits 1972 erstellt wurde, hat leider bis heute, fast 50 Jahre später kein Jota an Bedeutung verloren. Doch was nehmen wir von den Grünen wahr? „Verbotspartei!“ „Ökodiktatur!“ „Pädophilenpartei!“ Liest man sich die Artikel durch, bzw. macht man sich die Mühe, noch etwas tiefer zu graben, stellt man fest, dass die Schlagworte oft wenig mit der Realität zu tun haben.

Politische Gegner durch plakativ-polemisches Agieren (also die aktive Verwendung starker Symbolik) zu bekämpfen, zu diskreditieren, um Stimmenpunkte zu bringen ist Alltag des politischen Geschäfts. Interessant ist, dass insbesondere die AfD, die ja gerne austeilt nur schlecht einstecken kann. Insbesondere, wenn sie mit eigener Realität konfrontiert wird. Der Kabarettist Volker Pispers hat mal sinngemäß gesagt: „Wenn ich Angela Merkel lächerlich machen will, muss ich sie nur zitieren.“ Das Gleiche gilt für so gut wie jeden anderen Politiker, so gut wie jeder Partei (auch derer, die ich regelmäßig wähle). Das Problem, welches dabei allerdings entsteht, dürfte mittlerweile klar sein: unzulässige Synonymisierung von Propaganda / Agitation und Sachinhalt. Denn natürlich werden so manche Menschen irgendwann das öffentliche Framing des politischen Gegners durch die favorisierte politische Kraft so vollkommen übernehmen, dass dadurch auch eine mentale Imprägnierung gegen – u.U. auch legitime – Sachargumente des politischen Gegners entsteht. Oder einfacher: das oft dämonisierende Bild, welches MEINE Partei vom Gegenüber zeichnet, wird für mich zum Synonym für alles und jeden der ANDEREN Partei. Kann man ganz gut am Green-Bashing in Facebook ablesen.

Und damit sind wir am Endpunkt angekommen: Dogmatismus! Der Glaube an eine selbst gewählte Wahrheit, neben der keine anderen Argumente mehr existieren dürfen, ganz gleich, wie gewichtig diese auch sein mögen. Denn ICH darf keinen schnellen Verbrenner mehr fahren. Denn ICH darf nicht zwei Mal im Jahr nach Malle fliegen. Denn ICH soll auf meinen Fleischkonsum – meinen Konsum überhaupt – achten. ICH, ICH, ICH. Also ich sehe überall nur noch Egos, die verdächtig nach Vierjährigen klingen, denen man das Eimerchen und das Schäufelchen weggenommen hat – weil sie damit den anderen Vierjährigen verprügelt haben. Aber das Elend gehört natürlich ganz und gar MIR, denn es wahren MEIN Eimer und MEINE Schaufel. Hört ihr euch eigentlich reden? Wo habt ihr die zweite Erde versteckt, die wir benutzen können, wenn die hier kaputt ist? Ach, das interessiert euch nicht, denn dann seid ihr ja schon tot? Ihr habt also alle keine Kinder, ja…?

Es ist Ostersonntag, Fest der Auferstehung Christi. Könnte ein schönes Symbol sein, wenn wir doch in der Lage wären, es als dass zu Erkennen, was es ist: einfach ein Zeichen, dass uns daran gemahnen soll, dass jedes Ende auch ein Anfang sein kann! Wäre es nicht schön, wenn man zur Abwechslung mal wieder damit anfinge, einander zuzuhören, anstatt dauernd die eigenen Dogmen wie Monstranzen von sich her zu tragen und jeden zu verdammen, der nicht das gleiche Lied singt? „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“, hieß es mal. Ich habe in letzter Zeit mehrfach Leute entfreundet und blockiert, weil mir das symbolische Handeln ihrer Alter Egos im virtuellen Raum unerträglich wurde. Unerträglich dogmatisch, selbstgefällig und niederträchtig. Wäre es heute an der Zeit, denen zu vergeben? Ich fürchte nein. Denn selbst, wenn ich es könnte, zweifle ich das am anderen Ende an. Denn da habe ich fast nur noch Synonymisierungen und fast keine (Selbst)Reflexion mehr gesehen. Vielleicht trifft man sich in der realen Welt mal wieder, das fände ich spannend. Ansonsten bleibt mir folgende Erkenntnis: wir leben nun wahrhaftig in einem Zeitalter der falschen Götter und ihrer falschen Zeichen. Frohe Ostern…

Zwischenruf N°2

Ich stelle in letzter Zeit fest, dass, das Facebook kein guter Ort ist. Die Ambivalenz, die daraus resultiert, ist nervtötend. Denn einerseits habe ich dort eine gewisse Reichweite und nehme dadurch auch Netz-Nutzen mit. Andererseits ticken manche Leute, von denen ich das eher nicht erwartet hätte vollkommen aus und ich muss mir dann anhören, dass Grünen-Wähler genauso schlimmes Gesocks wären, wie „die Ratten, die der AfD hinterher laufen“ (O-Ton von jemandem, den ich eben entfreundet und blockiert habe). Anlass war eine Diskussion über einen Beitrag von Dieter Nuhr, den die Person geteilt hatte. Herr Nuhr benutzt hier die aus rechter Propaganda der letzten Zeit wohlbekannte Technik der Dekontextualisierung. Vereinfacht gesagt reißt man etwas aus dem übergeordneten Sinnzusammenhang (Kontext), der zum Verständnis aber notwendig wäre und verändert den Blickwinkel so, dass sich daraus eine negative Lesart konstruieren lässt. Machen in der Politik (und im Kabarett / der Satire) natürlich alle so.

Wenn man aber den Grünen den Drang nach Weltherrschaft unterstellt (das hätte in Deutschland ja Tradition), weil sie sich in ihrem Wahlprogramm ’21 zu dem Klimazielen des Pariser Vertrages bekennen, dessen Ratifizierung der deutsche Bundestag EINSTIMMIG zugestimmt hatte, ist die Grenze zum Tendenziösen mehr als überschritten. Hier wird der gesamten Partei implizit eine Nähe zum Faschismus unterstellt, die so sachlich unhaltbar ist und niederste Instinkte bedienen soll: der Tag ist ja so viel einfacher, wenn man ein schönes, ordentliches Feindbild hat, nicht wahr? Da drängt sich mir eigentlich nur eine Frage auf: Wann werfen die diese neoliberale Propagandaschleuder endlich aus dem Programm?

Dann kommen noch die üblichen Verdächtigen, wie das die Grünen den Deutschen das Auto (FALSCH) das Eigenheim (FALSCH) und das heimelige Kaminfeuer (FALSCH) verbieten wollen. Es wird lediglich darauf gedrängt, geltendes deutsches und EU-Recht endlich konsequent umzusetzen. Was im Übrigen auch während der grünen Regierungsbeteiligungen im Bund passiert ist. Man mag von Joschka Fischer halten, was man will (ich konnte ihn nie leiden, der ist ein arroganter S***): als Bundesaußenminister hat er in mancherlei Hinsicht jedoch eine bessere Figur gemacht, als Guido Westerwelle oder Heiko Maas. Aber das tut hier nichts zur Sache. Die Grünen haben Ihre radikale Anfangsphase überwunden und sind zu einer etablierten politischen Kraft geworden. Man mag auch die Lebenswege mancher grüner Politiker irritierend unkonventionell bis bizarr finden. Das ändert jedoch an den Beiträgen zur politischen Sacharbeit nichts.

Um das an dieser Stelle noch mal klarzustellen. Ich habe in meinem Leben schon mal grün gewählt. Ich bin aber immer noch Mitglied der SPD. Ich kann’s nur nicht haben, wenn a) irgendwelche bekannten Menschen ihre privilegierte Position als Medienmensch für – im Kern antidemokratische – Propaganda ausnutzen und b) Leute, die ihnen auf den Leim gehen mich dafür beschimpfen und beleidigen, dass ich versuche, ihren Blickwinkel für die Realität zu öffnen. Ich erwarte nicht, das irgendjemand meine Sicht der Welt übernimmt. So arrogant sollte kein Mensch sein. Aber akzeptieren zu können, dass andere Blickwinkel existieren, bei denen die Diffamierung einer ganzen Partei unterbleiben kann, wäre doch schon mal ganz nett. Ich habe es satt, Dogmatismus auf Grund mangelnder politischer Bildung ausgleichen zu müssen! Und tschüss…

Zwischenruf N°1

Um’s kurz zu machen: Thea Dorn ist KEINE Philosophin. Die Frau ist Krimi-Autorin, Moderatorin und ziemlich unpassender Weise von sich selbst überzeugt. An dieser Stelle sei betont: Richard David Precht ist auch kein Philosoph! Er ist ein ganz ordentlicher Speaker und geschmeidig lesbarer Autor populärwissenschaftlicher Titel; aber zum Format eines Habermas oder Luhmann fehlen ihm dann doch ein paar Meilen. Schwamm drüber. Wenn man sich aber, wie Frau Dorn, zu solchen Aussagen versteigt, wie in dem hier lesbaren Meme, muss man zur Einordnung einfach mal kurz wissen: DIESE FRAU IST UNWICHTIG! Ich würde mich total freuen, wenn wir endlich, nach einem Jahr, mit einem gesamtgesellschaftlichen Dialog darüber begännen, wie wir mit dem Rest des Lebens in, um und nach der Pandemie umzugehen gedenken. Der zitierte Imperativ: „Hauptsache gesund und lang sei das Leben.“ ist nämlich – hätte Frau Dorn das nur mal zu Ende gedacht – nichts weiter als eine Facette des kategorischen Imperativ, auf dem unsere gesamte Rechtsphilosophie fußt… und noch einiges mehr.

Was mich daran ärgert, ist nicht die Aussage an sich. Was mich daran ärgert ist, dass man Menschen in irgendwelche Studios lädt, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, dafür aber viel Meinung. So wie Frau Dorn. Natürlich ist das redaktionelles Kalkül. Wenn ich mir ein paar hübsche Dogmatiker in die Show hole, passiert wenigstens verbal was und die Leute erkennen die Insignifikanz des Formates nicht schon nach den ersten drei Minuten. Wenigstens in der Theorie. Man könnte argumentieren, dass den Dialog (oder auch mal den Streit) über kontroverse Themen anzuheizen eine Kern-Aufgabe öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei. Stimmt auch. Nur werden hier keine gesellschaftlichen Diskurse abgebildet (sofern denn überhaupt welche stattfinden), sondern medienwirksame Säue durch’s Dorf getrieben, so dass jeder mal seine fünf Minuten zum Aufregen hat. Wahnsinn, ich hol mir mal Popcorn…

Jetzt mal im Ernst: haben wir nix besseres zu tun, als Geld, Strom, Arbeitszeit, Schminke und erwärmte Luft zu verschwenden, damit ein paar Möchtegern-Feuilletonisten ihren Scheiß in unsere Wohnzimmer projizieren können? Vermutlich schon, dass will nur keiner sehen. Es wäre einfach ehrlich, wenn man das ganze nicht als Talkrunde mit gewissem Anspruch laufen ließe, sondern als das, was es eigentlich ist – verbalen Gladiatorenkampf. Dann dürften die Gäste auch mal mit Teilen der Einrichtung werfen, das ganze hätte also im Wortsinn Schmiss und die Zuschauer bekämen, wofür sie – wenn sie ehrlich wären – wirklich einschalten: geistlose Unterhaltung durch leidlich bekannte Mitmenschoiden. Schönen Sonntag.

…just my five cents…

Ich habe eine neue Abkürzung gelernt: BIPoC. Und bin immer noch nicht am Ende mit meinen Gedanken dazu. Konkret: wenn wir Rassismus tatsächlich bekämpfen wollen, warum benutzen wir dann immer noch Label, um Personengruppen zu kennzeichnen? Wäre es nicht viel sinnvoller, die Label endlich ganz wegzulassen? Ich weiß, dass die Frage aus mehreren Gründen naiv ist, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass die ganzen Diskussionen zum Thema an den Menschen vorbei gehen, die es eigentlich betrifft. Oder noch etwas anders formuliert, beschäftigen wir Weißen, von denen, der gängigen Definition nach, der Rassismus ausgeht uns momentan fast ausschließlich mit uns selbst, anstatt auf jene zuzugehen, die darunter zu leiden haben. Seltsam.

Ich las heute morgen auf ZON ein Interview mit Susan Arndt, in welchem Sie beklagt, dass wir uns der Stigmatisierung von BIPoC durch unsere Sprache nicht bewusst wären (true!), bzw. uns weigern würden, das Problem anzuerkennen (bedenkenswert!). Dann spricht sie davon, dass Kant und Hegel auch rassistisch gewesen seien… und da bin ich ein Stück weit ausgestiegen. Unsere heutige – aus einer langen Erkenntnis-Geschichte erwachsene -Sicht der Dinge eins zu eins auf das Verständnis von Menschen des 18. und 19. Jahrhunderts projizieren zu wollen ist – meinem innigen Wunsch nach der Gleichheit aller Menschen zum Trotze – Humbug! Natürlich waren Kant und Hegel Rassisten, weil so gut wie alle Weißen damals Rassisten waren – sie wollten es nicht besser wissen. Wenn allerdings irgend jemand dadurch deren philosophische Errungenschaften entwertet sieht, kann ich nur sagen: wie engstirnig! Denn die universale Anwendbarkeit der postulierten Prinzipien der Aufklärung ist längst erkannt. Wenn auch lange noch nicht umgesetzt…

Zweifelsfrei stigmatisiert der heutige Sprachgebrauch nach wie vor in unzulässigem Maße BIPoC. Allerdings stellt sich die Frage, ob hier nicht Wirkung und Ursache verwechselt werden? Denn die anhaltende Stigmatisierung der BIPoC entsteht nicht etwa durch den Missbrauch von Sprache, sondern der Missbrauch von Sprache ist eine mehr oder weniger direkte Folge des (auch deutschen) Kolonialismus, der BIPoC überall auf der Welt über Jahrhunderte zu Menschen zweiter Klasse erklärt und dementsprechend ausgebeutet hat und dies heute noch tut; denn wer glaubt, der Kolonialismus wäre zu Ende, sollte sich mal das Geschäftsgebaren global agierender Konzerne in Afrika ansehen. Auch der Kolonialismus wird im Artikel angesprochen, ebenso wie die absolut mangelhafte Aufarbeitung deutscher Verbrechen in Namibia (damals Deutsch-Südwest): nämlich den Genozid an den Herero und Nama. Hier besteht erheblicher Bedarf. Auch an einer vernünftigen Integration solcher Themen in den Geschichtsunterricht. Das wurde in meiner Schulzeit nicht mal im Nebensatz erwähnt, wohingegen die Kolonialverbrechen anderer Nationen durchaus unrühmliche Erwähnung fanden. Sowas nennt man selektive Wahrnehmungsgestaltung.

Es wäre hoch verkürzend, jetzt zu sagen, Frau Arndt hat Unrecht, weil sie Kant und Hegel herabwürdigt; ebenso, wie es Unsinn wäre, ihr uneingeschränkt zuzustimmen, weil wir Weißen tatsächlich bis zum heutigen Tage dazu neigen, Menschen die anders aussehen zu stigmatisieren, zu benachteiligen, ja sogar zu unterdrücken – und wir gehen dabei ziemlich Empathiefrei vor, weil es uns selbst an solchen negativen Erfahrungen mangelt. Insoweit gehe ich bei dieser Argumentation voll mit. Doch was ist die Konsequenz daraus? Geben wir einfach jedem Menschen die Chance, mal ordentlich unterdrückt und stigmatisiert zu werden? Es gibt solche Trainings, welche die Vorzeichen knallhart verändern, solche, die durch Diskussion zur Selbstreflexion anregen wollen, etc. Die Zahl der Modelle ist groß, der Erfolg jedoch schwer zu evaluieren. Einstellungsänderung ist nämlich eine komplexe Angelegenheit, die normalerweise nicht mit einem Wochenendseminar erledigt ist.

Oder wollen wir es vielleicht anders versuchen? Was mich immer wieder stört, ist die (Re-)Konstruktion dieser Dichotomie: WIR vs. DIE. SCHWARZ vs. WEISS. Natürlich kommen soziale Theoriegebäude nicht immer ohne Gegensatzpaare aus, und zwar um die Problemzonen definieren zu können. Doch die Schlüsse, welche aus den Erkenntnissen gezogen werden, führen zu oft dazu, dass man naiv versucht, an der ersten gefundenen Stellschraube zu drehen, bis etwas passiert. Oder Erkenntnisse aus einem anderen Land (USA) gefühlt sehr unreflektiert auf Deutschland übertragen zu wollen. Die Mechanismen der Benachteiligung sind nämlich mitnichten überall die gleichen. Überall gleich sind allerdings die daraus entstehenden Probleme für BIPoC: Machtlosigkeit gegenüber Behörden, schlechtere Chancen auf Bildung und Jobs, soziale Stereotypisierung, etc.

Ich glaube (das ist eine Meinung, die von Wissen unterfüttert ist, aber noch empirisch belegt werden müsste), dass wir besser daran täten, einfach alle Menschen zu sein . Und vor allem: ZUEINANDER MENSCHEN ZU SEIN! Klingt leicht, ist aber schwer. Gewiss beginnt es damit, die eigene Sprache zu überdenken, denn nicht umsonst gilt die Feder als mächtiger denn das Schwert. Sieht man an der vergiftenden Verrohung des öffentlichen Diskurses durch die AfD und ihre Nazi-Kumpane. Vor allem aber sollte man die BIPoC mal fragen, was sie denn gerne geändert sehen möchten. Sie aus der Opferrolle heraus holen, die wir Weiße ihnen mit all diesem Stigmatisierungs-Geschwafel so gönnerhaft-paternalistisch zuweisen; und damit ebenso rassistisch handeln. Ich fände es erfrischend, wenn mehr BIPoC tatsächlich empowered wären. Da würde ich auch mitarbeiten. Und ihr so…?

New Work N°2 – Was is’n da jetzt new dran?

Tja, also, wie soll ich das denn jetzt sagen, aber… New Work ist nicht neu. Ganz im Gegenteil. Der geistige Vater der Angelegenheit Frithjof Bergmann hat die Grundlagen schon in den 70ern und 80ern des letzten Jahrhunderts beschrieben. Und auch, wenn bei weitem nicht alle seiner Ideen schon umgesetzt wurden (oder dies bald erleben werden), wächst die Zahl derer, die zu der Überzeugung gelangen, dass wir Arbeit im 21. Jahrhundert anders denken müssen. langsam aber stetig.

Aber, was bedeutet das nun? Ich hatte in einem früheren Post angedeutet, dass es vordergründig darum geht, dass abhängige Produktionsarbeit mehr und mehr von Maschinen erledigt wird und daraus natürlich die Frage entsteht, wie diese Menschen zukünftig ihren Broterwerb bestreiten sollen. Solche Entwicklungen zeichnen sich nun seit Jahrzehnten ab. Bergmanns Antwort darauf ist eine Mischung aus bedingungslosem Grundeinkommen durch Umschichtung der Einkünfte aus Güterproduktion und einer zunehmenden Selbstversorgung mit den essentiellen Dingen des Lebens. Diese Darstellung ist allerdings verkürzend und gewiss gibt es in seiner Denke einige wenige Überschneidungen mit der Philosophie des Kommunitarismus; es lässt sich jedoch sagen, dass er versucht hat, ein mögliches Ende der klassischen, abhängigen Lohnarbeit zu denken. Es geht ihm dabei explizit nicht nur um die Arbeit als solches, sondern um Fragen der Teilhabe und Freiheit.

Heute wird unter New Work von den Meisten aber einfach nur alles verstanden, was beim Schuften nicht nach dem klassischen Muster abläuft: Home-Office, Mobile Work-Spaces, ungewöhnliche Arbeitszeitmodelle wie der 5h-Tag, digitaliserte Workflows, etc.; also zunächst mal Dinge, die nur mit Arbeitsorganisation zu tun haben. Tatsächlich greift, wenn man Bergmann aufmerksam liest, dieses Verständnis jedoch viel zu kurz. Arbeit, wie wir sie heute kennen, wird in vielen Bereichen in den nächsten Jahren fast ganz verschwinden, um in anderen neu zu entstehen. Die daraus entstehenden gesellschaftlichen Umwälzungen zeichnen sich schon lange ab. Andernfalls hätte die EU nicht schon früh den Begriff lebenslanges Lernen auf die Agenda gesetzt; wohl wissend, dass der Wandel von der Arbeits- zur Wissensgesellschaft unausweichlich ist; faktisch stecken wir mitten drin.

Wenn wir jedoch diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen, unser Verständnis von guter Arbeit und zu welchen Bedingungen diese stattfinden sollte gründlich zu überdenken, dann bleibt der heutige Gebrauch des Terminus „New Work“ auch zukünftig das, was er jetzt gerade ist: überstrapazierte und überflüssige Labersülze für selbsternannte digital nomadisierende Möchtegern-Eliten. New Work soll und will im Kern ein Gegenentwurf zur aktuellen Version des Kapitalismus sein, ohne dabei die Fehler des Sozialismus zu wiederholen; wird aber allzu oft von Apologeten dieser verfluchten „Leistungsträger“-Mentalität zu einer bloßen Re-Organisation von White-Collar-Arbeitsprozessen verzwergt. Denn die Angst, Arbeit tatsächlich neu zu denken, stellt gesellschaftliche Machtverhältnisse und damit letztlich viele der tradierten Sozialstrukturen in Frage. Wahrscheinlich wäre das der große Wurf, den wir eigentlich brauchen, zu dem wir aber noch nicht bereit sind.

Ob wir unter den gegebenen Zeichen tatsächlich in Richtung eines breiten Umdenkens in der Arbeitswelt kommen können? Im Moment bezweifle ich das. Allerdings ist der Leidensdruck der Lohnabhängigen anscheinend auch noch nicht so groß, dass sie in Massen auf die Straßen strömen, wie früher an jedem Ersten Mai. Solche Prozesse müssen immer erst eine kritische Masse erreichen, bevor sich etwas bewegt. Einstweilen begnüge ich mich also damit, zu beobachten und zu sehen, ob es nicht doch Innovationen gibt, die sich in meinem Arbeitsumfeld verlustfrei implementieren lassen. Immerhin bin ich bereits in einem der Wissensarbeits-Bereiche tätig. In jedem Fall werde ich hier auch in Zukunft weiter über das Thema nachdenken . Wir lesen uns also…