Ich habe mich geirrt

Eine Feststellung, die man auch mal treffen können muss, insbesondere, wenn man sich mehrfach anders geäußert hatte. Die Anhänger von PEGIDA rekrutieren sich nicht – auch nicht mal wenigstens zum Teil – aus der Mitte unserer Gesellschaft. Der Umstand, dass trotz Hitlerbebartetem Bachmann und immer offenkundiger werdender Nähe des rechten Flügels der AfD – in personam Frauke Petry – zu diesen kurzsichtigen, verbohrten, rassistischen Populisten immer noch so viele auf die Dresdner Cockerwiese strömten, hat mich endgültig vom Gegenteil überzeugt. Dieses Pack ist ein Affront für die Demokratie, deren Früchte sie selbst so reich geerntet haben. Allerdings glaube ich daran, dass man auch mit Menschen reden muss, die sich in etwas Falsches verrannt haben; denn so sehr ich die Scheiß-Nazis auch hasse, sie sind trotzdem – wenigstens irgendwie – noch Menschen… Also auf zu ein paar erklärenden Erwägungen.

Zweifelsfrei hat sich das Leben in den fünf Bundesländern, die einstmals das Staatsgebiet der DDR konstituiert haben im letzten Vierteljahrhundert sehr drastisch verändert. Manche Dinge abseits der, zumeist gar nicht so subtilen, Repression dieses Regimes, welche von den Bürgern durchaus als Gewinn empfunden worden waren, wie staatlich verordnete Vollbeschäftigung und kostenfreie Kinderbetreuung für alle verschwanden im Orkus der Geschichte. Doch, und das sei hier noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt, relativiert nichts von diesen Errungenschaften des „real existierenden Sozialismus“ das Unrecht, welches dieser Staat gegen seine Bürger begangen hat. Einsperrung, Bespitzelung, Folter und Mord, das klingt jetzt nach Nordkorea, war für viele DDR-Bürger jedoch ebenso bittere Realität, wie dort in Asien.

Das ausgerechnet dort, wo so viele derartige Ungerechtigkeiten erleben mussten jetzt die Wiege eines erneuerten Nationalismus entsteht, mag verwundern, sind Staatsfaschismus und Staatssozialismus in ihren Funktionen und Auswirkungen einander doch sehr ähnlich. Doch wie so oft hat „der Westen“, in diesem Fall im Gewande der alten BRD viele Versprechungen gemacht und nur wenig davon gehalten. EX-DDR-Bürger wurden hier mit Bürokratismen und Bigotterie empfangen, die sie doch sehr an den Staat erinnert haben müssen, den sie gerade hinter sich gelassen hatten. An der durch Jahrzehnte der Misswirtschaft entstandenen strukturellen Schwäche der Wirtschaft in den neuen Bundesländern haben alle „Bemühungen“ bis heute wenig ändern können. Mag auch daran liegen, dass man dazu einfach irgendwelchen Typen, die gesagt haben „Ich mach das für euch“ Geld in den Arsch geblasen hat, bis diese halbwegs saniert waren. Schönen Dank für die Verschwendung unserer sauer verdienten Steuern. Und schließlich hatte der Westen 1990 schon erheblich mehr Erfahrung mit Migrationskultur, als der Osten. Dass diese Migrationskultur den Namen nicht verdient, weil in der alten BRD „Gastarbeiter“ einfach ghettoisiert wurden, habe ich an anderer Stelle schon häufiger thematisiert, darauf gehe ich jetzt nicht noch mal ein.

Strukturwandel erzeugt, wie es scheint in kapitalistischen Systemen immer Gewinner und Verlierer. Wir leben im Kapitalismus. Man neigt manchmal dazu, zu vergessen, dass dieses ökonomische System nach stetigem Wachstum verlangt um funktionsfähig zu bleiben, dabei uns als Markt-Teilnehmer ebenso dazu nötigt, ständig nach „mehr“ zu verlangen und automatisch jene abkoppelt, die nicht in dieser Spirale aus Konkurrenz, Effizienz, Leistung, Konsum und Gewinn mitmachen können oder wollen. Die alte BRD hat neben einem wirklichen demokratischen System auch dessen eigentlich zutiefst undemokratischen Bastardbruder des entfesselten neoliberalistischen Kapitalismus auf das Gebiet der Ex-DDR exportiert. Es waren halt die 80er des 20. Jahrhunderts und Thatcher und Reagan hatten per Definition immer Recht. War ‘ne Scheißzeit für echte Demokraten und danach wurde es nie mehr so, wie es gewesen war, weil der Boden weltweit für nachhaltiges, reguliertes Wirtschaften verbrannt worden war. Die Zeche zahlt bis heute, wie stets, der einfache Bürger.

Man hatte den Bürgern der DDR von heute auf morgen den Kapitalismus aufgenötigt, ohne Chance, sich daran zu gewöhnen, damit zu wachsen, darin zu gedeihen; und das in einer Periode, in welcher die Friss-oder-Stirb-Mentalität der ungezügelten Zocker sich gerade mit aller Macht ihren Weg durch die Welt bahnte. Was für einen Eindruck das bei den Menschen hinterlassen haben mag, kann ich mir nur vorstellen, aber mit Sicherheit hatte es wenig mit dem zu tun, was in den Köpfen vorging, als die „Wir sind das Volk“-Rufe durch die Straßen hallten. Und ein Vierteljahrhundert, viele gebrochene Versprechen, Demütigungen und verlorene Träume später wundert man sich, wenn diese Menschen die Werte unserer Demokratie nicht schätzen gelernt haben? Wer hat ihnen denn gezeigt, was es zu schätzen gibt. Vielleicht jene Unternehmer, die aus dem Osten rausgeholt haben, was ging und sich dann vom Acker gemacht haben? Die vielen Westdeutschen, die sie als Schmarotzer beschimpft und nach einem Neubau der Mauer aus pekuniären Gründen gerufen haben? Oder unsere Politiker, die sich vor allem den althergebrachten neokorporatistischen Arrangements verpflichtet fühlen, in denen „der Osten“ bis heute bestenfalls die Dritte Geige spielt?

Spielt letzten Endes auch keine Rolle, Fakt ist, dass das wirtschaftliche System, welches in den Köpfen der Menschen die wichtigere Rolle spielt, weil ihre Existenz davon abhängt, in der Hauptsache Enttäuschung exportiert hat. Und in den Köpfen besteht immer noch diese Analogie zwischen dem politischen und dem wirtschaftlichen System, womit diese Enttäuschung auf den Staat reflektiert wird. In den Köpfen ist also die BRD Schuld an den Existenzängsten, ganz gleich wie viel reale Substanz die empfundene Bedrohung auch haben mag. Ein Kind nimmt man ja auch in Am, wenn es Angst vor den Monstern unter dem Bett hat…

Zum Staatssozialismus kann und will man nicht zurück, der war noch beschissener, aber die Rückbesinnung auf nationale Ideale, ja das klingt gut. Schmeißen wir doch einfach alle raus, die hier nicht her gehören, dann hört auch die existenzielle Bedrohung auf. Ist das wirklich so einfach zu erklären, was da in Dresden passiert? Ich denke schon! Und ich verweise nochmals auf das zuvor Gesagte – auch wenn jetzt nationalistisches, ja auch faschistisches Gedankengut unterwegs ist, enthebt uns das nicht der Verantwortung zum Dialog. Dass dieser Faschodreck weder bei den täglichen Problemen hilft, noch irgendwo anders hinführt, als in eine neue, andere Diktatur, kann, nein MUSS man den Pegidisten dabei in jedem Fall sagen.

Mon nom, ce n’est plus Charlie, parce-que…

Ja, ich habe auch so ein Bild gepostet, hat doch in der Woche jeder gemacht, was in der ersten Betroffenheit irgendwie auch erklärbar ist. Inzwischen ist man mit etwas Abstand wieder zum Tagesgeschäft übergegangen, in manchen Periodika sind noch Artikel über einzelne Betroffene zu lesen und immer mal wieder irrlichtert eine Meldung durch die Eilnachrichten-Ticker, das irgendwo in Frankreich oder Benelux abermals Terrorverdächtige inhaftiert worden seien. Vielleicht nicht ganz Business as usual, aber doch relativ nah dran. Denn seien wir doch mal ehrlich – tief im Herzen wissen wir alle, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis in Europa wieder Anschläge stattfinden würden. London und Madrid mögen hierzulande im Nebel des schlechten Gedächtnisses verschwunden sein, andernorts sind die Bilder immer noch präsent. Und das wir in Deutschland bislang von Attentaten solchen Ausmaßes verschont geblieben sind, ist mehr der Nachlässigkeit potentieller Dschihadisten zu verdanken, als den „Glanzleistungen“ unserer Sicherheitsbehörden. Vielleicht ist man ja nicht nur auf dem rechten Auge ein wenig sehbehindert…?

Ich werde gewiss nichts relativieren, die Morde in Paris waren schrecklich, sowohl aus menschlicher Perspektive, als auch hinsichtlich des Umstandes, dass mit dem Angriff auf eine Zeitungsredaktion sehr direkt auf ein Herzstück unseres demokratischen Selbstverständnisses gezielt wurde: nämlich unsere Meinungsfreiheit. Dass sich die Pegidisten dazu verstiegen haben, ausgerechnet der von ihnen so geschähten Lügenpresse zu kondolieren, bleibt eine zugegeben ekelerregend bigotte, aber dennoch im Gesamtzusammenhang eher unwichtige Randnotiz. Und auch wenn ich zunächst Deutscher, dann mit dem Herz Europäer und ebenso irgendwie auch Weltbürger bin, so liegen mir natürlich jene Ereignisse, die sich in relativer räumlicher Nähe zu meinem Zuhause abspielen gedanklich und emotional näher, als jene, die sehr weit weg passieren; von hier nach Paris sind es etwas mehr als 500 KM.

Was sich allerdings an Nigerias Grenze zu Kamerun, Niger und dem Tschad abspielt, jenes grausige Spektakel mit Namen Boko Haram, das sprengt die Dimensionen dessen, was wir in Europa als Terror erfahren mussten um ein Vielfaches und bleibt dennoch genauso eine Randnotiz, wie Pegida es eigentlich sein sollte. Möglicherweise Tausende getötet, schwer bewaffnete Milizen rücken auf Maiduguri vor, fordern die offensichtlich vollkommen überforderten Sicherheitskräfte Nigerias einmal mehr auf eigenem Grund heraus… und von alledem bekommen wir nur ab und zu ein Schnipsel präsentiert, obwohl sich dort eine politische und humanitäre Katastrophe zeitigt, deren Wurzeln der westliche Kolonialismus mit zu verantworten hat.

Nicht dass mich jemand falsch versteht: die Mitglieder von Boko Haram nennen sich vielleicht Dschihadisten, sind aber einfach nur Raubmilizionäre, wie so viele vor ihnen, ihre Einigkeit ist aus niedersten Beweggründen geboren und den Glauben nutzen sie lediglich als wohlfeiles Deckmäntelchen für ihr Menschenverachtendes Geschäft; wie im Übrigen auch Joseph Konys „Lord’s Resistance Army“, die im Namen „unseres“ Gottes seit Jahrzehnten Terror in Uganda und seinen Nachbarstaaten verbreitet. Doch den Boden solch schwacher Staatsgebilde, die es überdies leider allzu oft an echter demokratischer Legitimation vermissen lassen, haben die einstigen Kolonialmächte bereitet, indem sie erst vorhandene Strukturen zerstört, sich dann ungehindert bereichert und sich, als die Rechnung nicht mehr funktionieren wollte rasch zurückgezogen haben; und die derart destabilisierten Ex-Kolonien einfach sich selbst überließen. In den so künstlich geschaffenen Machtvakua brachen alte Konflikte entlang ethnischer und religiöser Grenzen, welche von den Kolonialmächten einfach mit Gewalt befriedet worden waren, mit Macht wieder auf.

Bedauerlicherweise konnte so mancher Staat in Afrika sich bis heute nicht von den Dämonen der Vergangenheit frei machen, was mannigfaltige Konsequenzen nach sich zieht. Zum einen bittere Armut, die zu bekämpfen sich heute ironischerweise Entwicklungshelfer aus eben jenen Länden aufmachen, deren Kolonialpolitik in der Geschichte viel dazu beigetragen hat, den furchtbaren Status Quo aufzubauen. Die daraus notwendiger Weise resultierenden sozialen Verwerfungen, denn wer glaubt bitte, dass jenes Geld, welches von der Weltbank oder anderen Gönnern auf die Konten autokratischer Regimes überwiesen wird, auch wirklich in Entwicklung oder soziale Projekte fließt…? Und schließlich die, bereits erwähnten, ethnischen und religiösen Unterschiede. Für viele Afrikaner ist der Klan oder Stamm kulturelle Heimat, nicht die Nation auf deren Boden sie leben, wurden die Grenzen doch oft willkürlich von den Kolonialmächten gezogen.

Ja, Terror in Europa ist wirklich schlimm! Aber Terror anderswo, zum Beispiel in Afrika ist ebenso schlimm und verdammungswürdig! Insbesondere, wenn man die Verantwortung der ehemaligen europäischen Kolonialmächte für den gegenwärtig instabilen Zustand vieler afrikanischer Staaten mit in Betracht zieht. Und genau deshalb ist Charlie Hebdoe für mich kein Thema mehr. Die Menschen, die davon direkt betroffen sind, haben mein Mitgefühl und meine Trauer. Aber ich war und bin nach wie vor entsetzt, wie wenig die gewaltigen Sicherheitsapparate, die zu unterhalten wir in den entwickelten Industrienationen der ersten Welt uns leisten, an der Terrorgefahr wirklich ändern können. Und ich bin ebenso entsetzt, wie in diesem typischen, reaktionär-konservativen Reflex des nutzlosen Glaubens an Überwachung wieder einmal nach einer Aufweichung unserer Bürgerrechte gerufen wird. Wie die üblichen Verdächtigen uns noch transparenter machen wollen, anstatt an der eigenen Transparenz zu arbeiten und sich endlich zu den wahren Werten unserer Demokratie zu bekennen. Wie hieß noch gleich das Motto der Franzosen: Liberté, Egalité, Fraternité: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Klingt gut, nicht wahr? Ich bin mir ziemlich sicher, wären das tatsächlich die Werte, die auch von der Politik gelebt würden, gäbe es nicht so viele junge Menschen, die sich radikalisieren lassen und im Namen falsch verstandener Religiosität Verbrechen begehen.

Bescheid-Wissen

Ich habe gerade festgestellt, dass ich schon viel zu lange nichts mehr gepostet habe. Ist ja nicht so, dass mich nix beschäftigt hätte, sowohl physisch als auch psychisch, aber irgendwie habe ich einfach den Arsch nicht hochbekommen. Die Charlie-Hebdo-Geschichte treibt mich zwar um, aber meine Gedanken waren noch nicht sortiert. Schon wieder was über die Nazi-Hinterher-Läufer aus Sachsen? Alter Hut, läuft sich gerade tot, weil der Aufstand der Anständigen mittlerweile aus jedem potentiell fremdenfeindlichen „Abendspaziergang“ ein Spießrutenlaufen macht. In einer Gesellschaft, die ihre Klassenkämpfe längst institutionalisiert hat, wird halt einfach die – wenn auch nur verbale – Andersdenkendenklatscherei ebenso zum Zeremoniell erhoben und schon hat man eine Konkurrenzveranstaltung zum rheinischen Karneval. Schwellköppe gibt’s an beiden Orten reichlich zu finden; und Narren sowieso.

Da sich medial, egal wo in Print oder im Weltgewebe schon lange alle mit ihren vorgefertigten Meinungen, ihrem undifferenzierten televerbalen Geschwurbel und ihren Pauschal-Dogmen in Stellung gebracht haben, gibt es auf diesem Acker nichts mehr zu bestellen. Dann verbringe ich meine Zeit lieber mit mir genehmen Zeitgenossen bei Spaß und Spiel, sauf abends gemütlich ‘nen Captain mit Cola und lass fünfe gerade sein. Auf Grund eines Jobwechsels bin ich gerade mit etwas mehr Freizeit gesegnet als sonst und man kann ja nicht den ganzen Tag über den Büchern für’s Studium hängen, schließlich hält Konzentration nicht ewig. Obschon das Thema, mit dem ich mich momentan diesbezüglich beschäftige wirklich interessant ist. Sozialstrukturanalyse und Gegenwartsdiagnosen. Sehr erhellend.

Ich kam dabei nicht umhin, einmal mehr meine eigenen Positionen zu überdenken. Nicht das jetzt jemand meint, ich sei von meinem Bekenntnis zur Sozialdemokratie bekehrt worden. Au contraire, meine Lieben, es muss nur gelegentlich mal gesagt sein, dass Sozialdemokrat zu sein und die SPD zu wählen heutzutage leider manchmal nur noch wenig miteinander zu tun hat. Danke Gerd, dass du die Ideale der Genossen entweiht hast. Wahrhaft traurig dabei ist aber eigentlich, dass Frau Merkel und ihre Gurkentruppe die Früchte jener als z.B. Hartz-Gesetze bekannt gewordenen und nach wie vor ungeliebten Reformen ernten. Denn Fakt bleibt, dass strukturelle Veränderungen und damit einher gehend auch Einschnitte in der Organisation staatlicher Transferleistungen nach der Maxime „Fordern und Fördern“ tatsächlich unumgänglich notwendig waren. Dass dabei handwerkliche Fehler gemacht wurden (zum Beispiel bei der staatlich geförderten Rentenversicherungen vom Riester-Typ, oder beim Bürokratie-Wildwuchs in den Jobcentern und sonst wo), man es überdies nicht geschafft hat, den Leuten zu erklären, warum das notwendig ist, was damit erreicht werden soll und man mit unangenehmen Notwendigkeiten natürlich auch keine Wahlen gewinnt, ist eine ganz andere Sache.

Und die große Koalition ergeht sich Geplänkel um Möchtegernreförmchen wie die Mogelpackung Mindestlohn und das Populismusmonster Maut; wer hat’s erfunden? Na klar, wie immer unseren südöstlichen Problembären der Weißwurstokratie. Jedes Mal wenn irgendeine Biertischscheiße zum Gesetz hochgejuxt werden soll, ist die CSU voll mit im Boot. Ach Mist, jetzt bin ich ja schon wieder bei der Politik gelandet! Na ja, was soll’s, wie Pispers in „Bis neulich 2014“ gesagt hat: er macht jetzt 30 Jahre Kabarett und das immer über die gleichen Themen. Dafür wird es ja wohl einen Grund geben, nicht wahr?
Was mich eigentlich an politischen Themen und deren Protagonisten reizt? Einfach alles!

Es ist schon ein paar Jahre her, da ließ ich mich bei einer Ausbildungsveranstaltung zu einem ganz anderen Thema dazu hinreißen, eine abfällige Bemerkung über Politiker zu machen, was der Dozent zum Anlass nahm, mich zu fragen, wer denn der Bundestagsabgeordnete meines Wahlkreises wäre und das falls ich da nicht wüsste, und mich nicht mit seiner Arbeit beschäftigt hätte ich ja kein Recht hätte, Politiker pauschal abzuurteilen. Für ihn war das eine willkommene Möglichkeit, die aus seiner Sicht vorhandene Überlegenheit seiner Argumentation zu demonstrieren, einfach weil der Typ ein arrogantes Arschloch war und im Übrigen immer noch ist. Er meint tatsächlich, er wäre wichtig, weil er sich in irgendeiner NGO hochgebumst hat und ein paar Verbindungchen zu Lokalschranzen hat; nun ja, jeder nach seiner Facon.

Ich habe daraus allerdings eine Lehre gezogen und für die sage ich: Danke Arschloch! Ich gehe nicht mehr unvorbereitet in irgendeine Art von sozialer Situation, die einen verbalen Schlagabtausch nach sich ziehen könnte, weil ich keinen Bock darauf habe, jemandem als Profilierungspunkt zu dienen, dessen Geltungsbedürfnis kein reelles Korrelat hat; oder weniger verklausuliert: der sich selbst viel zu wichtig nimmt. Außerdem hatte ich seitdem ja auch ein paar Tage Zeit zum Üben und wie wir wissen, ist die Zunge die einzige Waffe, welcher durch ständigen Gebrauch schärfer wird. Gilt natürlich auch für das geschriebene Wort. So oder so weiß ich heute Bescheid. Und frage mich immer noch, was die Kenntnis eines Politikers und seiner offiziellen Agenda mit den in der Politik unserer Zeit üblichen neokorporatistischen Arrangements und dem damit notwendigerweise einher gehenden Lobbyismus denn nun zu tun hat. Nix! Denn Namesdropping klingt schön, ändert aber an den Umständen, unter denen Politik tatsächlich zu Stande kommt eher wenig.

Ich vermute, dass er das auch weiß. Was es für ihn noch beschissener aussehen lässt, wenn er wider dieses Wissen gehandelt hat, indem er so tat, als wenn er um so viel besser Bescheid gewusst hätte, als ich. Damals vielleicht ein bisschen, heute sicher nicht mehr. Der Punkt, zu welchem ich hier eigentlich kommen wollte ist der: Bescheid zu wissen wird zum Bescheid-Wissen, wenn man mittels dieses Wissens einfach nur sein eigenes Ego feiert, anstatt es mit Engagement für wirklich wichtiges in die Waagschale zu werfen. So ein Jemand möchte ich nicht sein. Ich will in Wort und Tat zu meinen Überzeugungen stehen, weil sie wohl abgewogen habe und nicht um mich von irgendjemand bewundern zu lassen. Falsche Idole haben wir schon genug. Und Schluss!

Atomisierte Gesellschaft

Ich kann es nicht mehr hören: der ehemalige Innenminister fordert von Frau Merkel, sie müsse den rechten Rand des CDU/CSU-Klientels besser integrieren, er warnt vor einer Spaltung des bürgerlichen Lagers. Auf der anderen Seite wettert die Linke, dass die Union sich nicht hergeben dürfe als Sammelbecken für den rechten Rand, weil in deren Augen PEGIDA-Anhänger wohl irgendwie so was wie Undemokraten sind. Worte mit der Vorsilbe Un- haben heute anscheinend genauso Konjunktur wie in den Dreißigern des vergangenen Jahrhunderts. Die einen fordern mehr Integration, ohne genau zu benennen, wen sie wie in was integrieren wollen und die anderen sagen, das Boot ist voll, ganz im Stile der republikanischen Rechtsaußen. Na ja, Sin Fein ist ja auch nur der halbwegs salonfähige Teil der IRA… All überall in der Politik dominiert, ungefähr 25 Jahre nach dem Beginn vom Ende des letzten kalten Krieges das Blockdenken. Ganz so, als wenn sich auf den Straßen der jungen Republik tatsächlich Sozialisten und Kapitalisten immer noch unversöhnlich gegenüber stünden, Knüppel in der Hand, Kampflieder auf den Lippen, allzeit bereit, aufeinander loszustürmen. Deutschland im Winter 2014/15, das ist eine fatale Reminiszenz an den Klassenkampf, ein in seiner Verwutbürgerung entsetzlich lebendiges Museum überkommenen Gedankengutes.

Das bürgerliche Lager? Ja Herr Friedrich, was ist denn das, dieses von ihnen so bezeichnete Gebilde? Sind das die „klassischen“ Vater-Mutter-Doppelkind-Familien mit 1,5 gutdotierten Beschäftigungsverhältnissen, vulgo der Mittelstand, den die Lobbyarbeit des industriellen Komplexes so erfolgreich zu zerstören versteht? Oder vielleicht doch eher die Selbstständigen mit ihren kleinen und mittleren Betrieben, die das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden? Möglicherweise meinen sie ja auch die eher an Ökologie und Nachhaltigkeit orientierte Intelligenzia mit dennoch wertkonservativen gesellschaftlichen Vorstellungen? Auch der eine oder andere neoliberale Wirtschaftsmensch gehört wohl dazu und natürlich auch jene Menschen, denen alles Fremde und jedwede Veränderung des Status Quo ein Greul in sich selbst ist? Oder vielleicht irgendetwas dazwischen? Auf jeden Fall war Beharrungsfähigkeit im Antlitz nicht aufzuhaltender Veränderung immerhin 16 Jahre lang das Markenzeichen der Union. Vielleicht auch nur das von Helmut Kohl, aber das werde ich hier nicht diskutieren; meine Meinung zu diesem Menschen steht fest. Auf jeden Fall ist das mit dem Beharren nicht besser geworden.

Noch immer unterteilen Politiker die Welt in Einflusssphären, in Blöcke entsprechend einem von Kindesbeinen an gelernten Richtungsspektrum, das von ganz Links (immer schlimm) bis ganz Rechts (schlimm, wenn sie ihre Dummheiten öffentlich begehen) alles und jeden fein säuberlich in Schubladen einordnet. Also gut, dann ordnen sie doch bitte mal den hier ein: 40, verheiratet, zwei Kinder. Jung genug um soziale Gerechtigkeit immer noch als Kampfthema zu begreifen. Erfahren genug, um die Notwendigkeit bestimmter ordnungspolitischer Grundsätze anerkennen zu können. An nachhaltiger Zukunftsentwicklung interessiert und Willens, etwas dafür zu tun. Kritisch gegenüber der aktuellen Handhabung politischer Probleme. Fremden gegenüber aufgeschlossen und wissend, dass wir Zuwanderung brauchen. Dennoch davon überzeugt, dass die hiesige Justiz manchmal zu lasch urteilt, insbesondere wenn es um Personen von gewisser Bekanntheit/Wichtigkeit geht. Jederzeit bereit, seine Meinungen auch öffentlich zu vertreten – was er übrigens gerade tut. Denn dieser Typ bin ich. Nutzt man das übliche Schubladendenken, finde ich vermutlich mit bestimmten Aspekten in jeder Schublade Platz, aber das Complet zeigt an meinem persönlichen Beispiel auf, dass sich die Interessen der Menschen partikularisiert haben.

Die Wenigsten Menschen, die ich kennenzulernen die Ehre und das Vergnügen hatte entsprechen in ihren sozialen Praktiken und ihren gesellschaftlichen Ansichten den Blockbildern, in welchen die politischen Parteien sich nach wie vor abzubilden mühen. Ein Arbeiter wählt heute nicht mehr die SPD, weil er halt zur Arbeiterklasse gehört, weil es diese Arbeiterklasse in solcher Trennschärfe nicht mehr gibt. Vielleicht hat es sie nie wirklich gegeben, aber nun ist auch das Bild in den Köpfen am schwinden, weshalb es sehr schwer wird, so etwas wie eine Stammwählerschaft, auf die man sich in den 50ern, 60ern, 70ern noch eisern verlassen konnte, überhaupt zu finden. Dass die Union gegenwärtig so stabil bei über 40% steht, liegt nur daran, dass viele von uns bunten Bürgern über die letzten Jahre alternativlos in den Topor gemerkelt wurden. Ihre „Politik der ruhigen Hand“ ist wie ein riesiges Barbiturat-Raumspray, das auch den letzten Rest politischer Volksbeteiligung ausräumen soll. Ein Volk stört nämlich nur beim Regieren…

Deshalb reagiert man im politischen Berlin auch so verschnupft, vor allem aber irritiert auf PEGIDA. Mag sein, dass da auch rechte Wirrköpfe mit feurigen Gewaltphantasien mitmarschieren, von denen gibt es gewiss noch zu viele in unseren Landen – woanders aber ebenso. Das ändert aber nichts daran, dass dieses Phänomen, genauso wie übrigens auch die Krawallbrüder von der AfD nicht so richtig in das Schubladensystem passen. Und alles was da nicht reinpasst, ist übrigens neuerdings Rechts. „Nazi“ ist das neue „Störenfried“.

Unsere Gesellschaft ist nicht mehr so, wie zu Großvaters Zeiten, als man an Hand des Wohnvierteles ziemlich präzise vorhersagen konnte, wie einer so insgesamt tickt. Nicht nur unsere Wohnverhältnisse, auch unsere Ansichten, Werte, Ideale, Normen haben sich atomisiert. Ohne jetzt schon wieder mit Individualisierung kommen zu wollen, oder noch Mal das Zeitalter der Beliebigkeit postulieren zu müssen, ist recht leicht feststellbar, dass ehemals gültige soziale Unterscheidungskriterien ihre Kraft verloren haben. Das war beim Übergang von der Ständisch-bäuerlichen zur Industriegesellschaft der Fall und das ist beim Übergang von der Modernen in die Postmoderne Gesellschaft, den wir gerade im Begriff sind zu vollziehen genauso. Immer noch mit den Begriffen der klassischen Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts zu hantieren geht folglich also irgendwie am Ziel vorbei, Phänomene wie PEGIDA korrekt analysieren können zu wollen. „Das sind alles Nazis“ ist ein Reflex, geboren aus dem Unverständnis sozialer Wandlungsprozesse. Und diesem Irrtum sitzen nicht nur Politiker auf, sondern ebenso Vertreter unterschiedlichster sozialer Gruppierungen und der Medien. Traurig, wer sich da alles um so viel intelligenter als diese Mitläufer-Demonstranten wähnt…

Nicht nur die Erkenntnis, vor allem das Anerkennen der Tatsache, dass alte Schemata und Handlungspraktiken nicht mehr genügen, um in der postmodernen Gesellschaft die drängenden Fragen beantworten zu können, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ich kann das Wort Nazi nicht mehr hören. Ja, wir haben immer noch viel zu viele Menschen mit jeder Menge brauner Scheiße im Kopf hier rumlaufen, doch muss ein demokratisches Gemeinwesen mit extremen Meinungen jedweder Art leben, sie aushalten und durch Wort und Tat entkräften können. Doch wir haben verlernt, dass Toleranz Duldung bedeutet, nicht Umarmung. Ein Demokrat muss scheinbar Unzumutbares erdulden und trotzdem aufrecht voranschreiten können. Unsere Zukunft gestalten wir nur selbst, wer glaubt, dass die Politiker dies für uns erledigen, der tut mir leid. Die erledigen allerhöchstens noch den letzten Rest von Partizipation, wenn wir sie gewähren lassen!

Ich habe keine Sympathien für die Agitatoren von PEGIDA, ich kann aber verstehen, warum die Menschen ihnen hinterher rennen. Dies Verständnis in sinnvolle Handlungen umzumünzen ist das Gebot der Stunde. Einfach nur „NAZI“ schreien und nach Fackeln, Mistgabeln, Stricken suchen – selbst, wenn diese nur rhetorischer Natur sind – ist allerdings keine Lösung. Was wollen wir tun? Eine neue Partei der gesellschaftlichen Mitte gründen? Oder versuchen, die verkrusteten Strukturen unserer eigentlich recht tauglichen parlamentarischen Demokratie wieder aufzubrechen, um sie für alle zugänglich und nutzbar machen zu können? Lasst uns doch gemeinsam darüber nachdenken, vielleicht finden wir dann einen Weg, wenigstens einen Teil der atomisierten Gesellschaft zu (re)integrieren…?

Ich will keine guten Vorsätze!

Die sind für den Arsch. Menschen machen ja zu Silvester kuriose Sachen, wie z.B. Blei gießen, Unmengen lauter, bunter Lichter um sich schießen und saufen, bis die Rettung kommt. Na gut, das Letztere machen sie eigentlich das ganze Jahr über. Aber sich gute Vorsätze für’s kommende Jahr vornehmen ist, als wenn man sich nur einen Zehner mit zum Shoppen nimmt, aber die Kreditkarten nicht aus dem Geldbeutel legt; also, wie schon bemerkt, für den Arsch.

Ich verurteile Niemanden, wenn er zum Jahreswechsel ein bisschen übermütig wird. Mache ich ja selbst auch. Ist eine willkommene Abwechslung zum schmuddelig-dunklen Wettereinerlei und der überall stattfindenden Bilanz-Zieherei, quasi ein rezeptfreies Antidepressivum. Man trifft sich, lässt die Sau raus, am nächsten Morgen – na ja, vielleicht eher Mittag – ist wieder gut, alle gehen ihrer Wege und Alles bleibt beim Alten. Denn so sehr wir uns auch darauf versteifen, dass ein neues Jahr wie eine neue Chance für das eigene Leben ist, Wandel entsteht nur, wenn man sich selbst wandelt, anstatt dazusitzen und zu hoffen, dass 20xx es schon richten wird. Zeit vergeht. Sie vergeht nicht für jeden gleich, das ist auch so eine Wahrnehmungsgeschichte, aber zurückdrehen lässt sie sich niemals. Und weil es ziemlich einfach ist, am eigenen Tun oder Lassen irgendwas Negatives zu finden, fallen die oben erwähnten Bilanzen dann zumeist auch eher ernüchternd aus.

Dies oder jenes nicht geschafft, ja nicht mal in Angriff genommen; hier eine Chance verpasst, da eine schlechte Entscheidung getroffen. Selbstzerfleischung und die daraus unweigerlich resultierenden Selbstzweifel brauchen am Ende eines weiteren nicht allzu erfolgreichen Jahres ein Pflaster, woraus folgt: Silvester muss geil sein, prall gefüllt mit Action und guten Vorsätzen. Was muss nicht alles besser werden… Das allein das Fassen guter Vorsätze schon die nächste Silvesterpflasterwürdige Enttäuschung in sich trägt, wird dabei gerne geflissentlich übersehen. Menschen ändern sich langsam, mit zunehmendem Alter immer schwerer und eine realistische Selbsteinschätzung abgeben zu können ist etwas, dass unsere Spezies erst noch lernen muss. Das kann man gut beobachten, wenn man mal seinen Kollegen bei der Arbeit und dann bei ihren Berichten davon während formloser Anlässe, zum Beispiel am Wasserloch zusieht. Die dabei zu beobachtende Inkongruenz zwischen der tatsächlich erbrachten Leistung und dem Bericht darüber ist mir persönlich schon zu oft negativ aufgefallen.

Da sitzt man nun also in der Silvesternacht oder am Neujahrsmorgen in unerfreulicher Selbstbeschau und um die Geister der vergangenen Weihnacht zu verjagen, beschließt man, ab jetzt aber auch so richtig alles anders zu machen. Besser, größer, schöner, ehrlicher, und so weiter und so fort. Weil drunter geht es ja in unserem Zeitalter nicht. Und rumms, keine zwei Wochen später, wenn es überhaupt so lange dauert, ist man in eines der selbst ausgelegten Bäreneisen getreten. Zunächst versucht man noch verzweifelt, den eigenen Zielvorgaben gerecht zu werden, aber spätestens im Frühling beginnt sich das Gefühl auszubreiten, dass man ja noch jung ist und es dieses Jahr mal wieder etwas ruhiger angehen sollte. Es kommt ja wieder ein neues Silvester. Und was lernen wir daraus? Gute Vorsätze sind ein Selbstbetrug auf Zeit mit 100% Enttäuscht-werden-Garantie. So was brauch ich und will ich nicht!

Mir wäre es lieber, wenn man immer mal wieder über sich selbst und seine Beziehungen, über das was man für sich und andere erreicht hat, das was man noch erreichen will und die möglichen Wege dorthin nachdenkt, vollkommen unabhängig davon, ob Silvester ist, oder nicht. Diese Nacht ist ein Rite de Passage, sie markiert den Umkehrpunkt, ab dem der Lebenszyklus durch die Jahreszeiten von neuem beginnt. Würden wir den Jahreswechsel Ende Juni begehen, hätten wir trotzdem in einer Mittwinternacht ein Fest, welches dieses Ereignis begeht. Schließlich braucht man einen halbwegs glaubwürdigen Grund zum Feiern. Feiern ist auch in Ordnung, aber bitte nehmt euch keine guten Vorsätze vor, sondern denkt lieber öfter mal über euch und euer Leben nach, das bringt viel mehr. Und zusammen einen saufen kann man eh immer, wenn einem danach ist.

Sozialpuzzle – oder warum Pegida-Mitläufer nicht der Teufel sind…

Hübsches Wort oder? Ist mir die Tage so eingefallen und eine kurze Googlesuche hat mir eröffnet, dass noch niemand es anscheinend in dem Zusammenhang benutzt hat, der mir jetzt gerade vorschwebt. Unsere (post)moderne Gesellschaft ist wie ein Sozialpuzzle. Viele Teile greifen auf unterschiedliche, jedoch je einzigartige Weise ineinander. Ich könnte jetzt wieder Systemtheorie zitieren, oder von dezentraler Kontextsteuerung reden, aber für die Angelegenheit, mit der ich mich auseinandersetzen möchte, ist das Bild vom Puzzle mit seinen unterschiedlichen Teilen vollkommen ausreichend. Doch zunächst ein paar Gedanken zum Thema:

Jedes Teil symbolisiert ein Subsystem unserer Gesellschaft, zum Beispiel Verwaltungseinheiten wie städtische Ordnungsämter, oder verschiedene nicht-stattliche Organisationen, die sich an der Gestaltung von Gesellschaft beteiligen, wie etwa Gewerkschaften, Interessenverbände, Bürgerinitiativen und Ähnliches. Nicht jedes Puzzleteil ist gleich groß, aber nur zusammen ergeben sie ein sinnhaftes Gesamtbild. Das bedeutet, dass man nicht einfach ein Teil wegnehmen kann, weil jedes Subsystem auf die Anderen um sich herum einwirkt. Ein gutes Beispiel sind Tarifabschlüsse. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände verhandeln und wenn sie nicht im Guten zu einem Ergebnis kommen, dann wird durch Dritte Druck aufgebaut, in aller Regel durch Streiks. Dann nehmen weite Teile der Gesellschaft davon Notiz, dass ein Konflikt schwelt, was Handlungszwang aufbaut, der üblicherweise den wirtschaftlichen Interessen der Arbeitgeber folgt. Mindereinnahmen, Imageverlust, etc. sind unübersehbare Folgen, die man nicht allzu lange tolerieren kann. Gäbe es keine Gewerkschaften, müsste man wohl davon ausgehen, dass es um die Arbeitnehmerrechte nicht so gut bestellt wäre. Ein Blick in Staaten, in denen es keine oder kaum Gewerkschaften gibt, wirkt da sehr erhellend. Oder der Blick auf Solidarnosz, jene polnische Gewerkschaft, die an der demokratischen Wende 1989 in wichtigem Maße beteiligt war.

Das Sozialpuzzle ist ein Sinnbild für die gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit verschiedener sozialer Systeme. In der Systemtheorie ging man zunächst davon aus, dass jedes Subsystem den Zustand der Autopoiese erreicht, sich also zuvorderst selbst erhält und dann seine Funktionen erfüllt. Doch ein Blick in soziale Realitäten sagt uns, dass kein Teilsystem unabhängig von den Anderen agieren kann, weil in einer funktional hoch differenzierten Gesellschaft, in der jede Funktion, wie zum Beispiel die Schulbildung, oder das Gesundheitswesen ihre eigenen Spezialisten hat, alles miteinander zusammenhängt. Ohne Schule gibt es kein Ausbildungswesen, gibt es keine Industrie und kein Handwerk, gibt es keine Energieerzeugung, gibt es keine Infrastruktur gibt es keine Schule. Und solche, als Interdependenzen bezeichneten, Zusammenhänge gibt es in jedem gesellschaftlichen Teilbereich. Das Puzzle ist also nur dann sinnvoll zu betrachten, wenn es zusammengesetzt bleibt.

Eine Eigenheit, die gleichzeitig einen großen Unterschied zu „normalen“ Puzzles bildet, ist die Veränderlichkeit. Manche Teilsysteme, oder besser Puzzleteile gewinnen im Lauf der Zeit an Wichtigkeit, andere verlieren, manche verändern ihre Position, relativ zu den anderen Teilen, neue entstehen, wenn alte einfach verschwinden. Weil das Gesamtbild sich stets weiterentwickelt, da wir ja nicht einfach auf einem technologischen, kulturellen, oder politischen Niveau verweilen. Der Wandel ist offensichtlich ein Grundzug unserer menschlichen Natur und so wenig, wie wir stehen bleiben, tut es die Gesellschaft, in die wir eingebettet sind. Aber nicht alle auf die gleiche Weise. Womit einsichtig wird, dass die tatsächliche Geschwindigkeit des Wandels und die Geschwindigkeit, mit der sich unser je persönliches Bild von Gesellschaft, also das individuelle Sozialpuzzle ändern nicht zwingend gleich, ja nicht einmal ähnlich sein müssen. Ein altes Chinesisches Sprichwort sagt: „Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Schutzmauern und die anderen Windmühlen.“ Danke Tante Google! Für jene, die’s mal wieder nicht kapiert haben: Die Anpassungsfähigkeit an den Wandel, der einen unveräußerlicher Teil unserer Natur und damit auch unserer Gesellschaft darstellt, ist NICHT in jedem Menschen gleich entwickelt! Und das zeitigt jede Menge Probleme…

Diese waren vor allem sozialer Natur. Die neoliberalistische Entfesselung der Märkte in der 80er und 90er Jahren des voran gegangenen Jahrhunderts, die wirtschaftliche Globalisierung, der radikal schnelle technologische Fortschritt, all das zusammen hat alte Bedeutungszusammenhänge entwertet; alte Ideale, Werte, Normen taugten plötzlich nicht mehr in der schönen neuen Welt. Die Folge waren und sind immer noch, oder besser immer mehr, soziale Verwerfungen, die wir heute allenthalben spüren. Während aber alte Gewissheiten verloren gingen, hat so gut wie nichts diese bis heute ersetzen können. In der Folge fühlen sich Menschen nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht existenziell bedroht, denn so mancher kann dem nun herrschenden Anpassungsdruck nicht standhalten, was den Verlust beruflicher Qualifikation und somit nicht allzu selten auch des Einkommens bedeutet. Auch das soziale Prestige, welches sich nicht nur durch Einkommen sondern auch durch die Zugehörigkeit zu Peergroups realisiert, ist in deren Augen bedroht; weil der eigenen sozialen Gruppe vielleicht kein gesellschaftliches Gewicht mehr zufällt. Und dieses Gewicht ist wichtig für das Selbstwertgefühl.

Und dann treten auch noch die Zuwanderer auf den Plan und werden als zusätzliche Konkurrenz um knappe Ressourcen wie Arbeit, daraus resultierendes Einkommen und staatliche Transferleistungen wie ALG2, Kindergeld usw. wahrgenommen; „die kommen hier her und nehmen uns unser Geld weg!“ Gewiss sind unsere Sozialsysteme umlagefinanziert, was bedeutet, alle zahlen ein und jene, die brauchen bekommen dann etwas aus dem Topf – abzüglich der Tatsachen, dass a) alle Regierungen seit 1949 auf die eine oder andere Weise Geld zum Kauf von Wählerstimmen verschleudert haben und b) unsere Gesellschaft überdies rapide altert. Es ist einfach nicht unendlich viel da.

Da sind „die Ausländer“ immer ein willkommener Sündenbock für den Fehler, zu glauben, dass überkommene ordnungspolitische Prinzipien heutzutage noch einen Pfifferling wert sind und dass Manager tatsächlich Unternehmen führen. Aber anstatt sich ehrlich vor das Volk hinzustellen und ihnen zu sagen, wie der Hase läuft, nämlich dass man in einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft Kompromisse machen muss, nicht beliebig viel umverteilen kann, weil sonst auch das leistungsfähigste Unternehmen irgendwann den Geist aufgibt und wie die Kosten-Nutzen-Rechnung der Zuwanderung tatsächlich aussieht, stellt man sich verschnupft, beschimpft all die wütenden und ängstlichen Menschen als Nazis und hofft, dass keiner merkt, wie tief man den Karren selbst in die Scheiße geritten hat. Das unzählige Medienschaffende dankbar auf den satirischen Zug aufspringen und durch das billige, unreflektierte Abqualifizieren dieser Leute Lacher generieren, finde ich ehrlich gesagt zum Kotzen. Wir wurden endgültig in den Schlaf gemerkelt.

Noch ein letztes Mal für alle: Pegida ist nicht das Problem, sondern ein Symptom. Und symptomatische Therapie kann in der Medizin kurzfristig hilfreich sein, ersetzt jedoch nicht die kausale Therapie. Und die wäre auf „die braune Soße aus Leipzig“ bezogen, die Leute aufzuklären, den Populisten das Wasser abzugraben und selbst vor irgendwelchen halbgaren Äußerung erst mal lange nachzudenken. Aber wahrscheinlich sind die meisten Menschen in meinem Sermon nicht mal bis hier gekommen, wie kann ich da erwarten, dass sie komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge verstehen und entsprechen handeln können. Ach was soll‘s, macht doch, was ihr wollt, ihr Narren!

PS: Ich Simpel habe tatsächlich Leipzig und Dresden verwechselt… mea maxima culpa!

Mein unglaublicher Hulk…

Ich hatte dieser Tage ein sehr erhellendes Gespräch mit einem lieben Bekannten, der mir offenbarte, an etwas zu leiden, dass auch mich selbst bis heute immer wieder heimsucht; nämlich eine tief greifende Wut. Nicht diese Art von Ärger, die einen immer nur dann heimsucht, wenn alle Autofahrer mal wieder aus Bad Blödingen zu kommen scheinen, die Servicefachkraft unhöflich oder schlicht inept ist, man etwas beobachten muss, dass zumindest auf den ersten Blick furchtbar ungerecht ist, oder einfach nur überall zu viele Menschen vor einem genau jetzt genau das gleiche wollen, wie man selbst. Sondern vielmehr dieses unauslöschliche, weißglühende Feuer, dass bestimmte Menschen vor sich her treibt und dessen mächtige Energie manchmal nur durch blinden Aktionismus kanalisiert werden kann. Man kennt den Ausdruck, dass jemand ein Getriebener sei; Bruce Banner treibt den Sachverhalt mit folgenden Worten auf die Spitze: „Mein Geheimnis ist: ich bin einfach immer wütend…“

Nun offensichtlich teilt dieser Mensch das sich getrieben fühlen mit mir. Das äußert sich mal auf charmante Art, wenn ich die Arbeit für meinen Boss oder auch für meine privaten Projekte wie ein Maniker durchpeitsche; oder in weniger gefälliger Form, wenn ich – viel zu oft wegen Nichtigkeiten – platze wie ein Haubitzengranate. Es gibt bei solchen Eruptionen durchaus unterschiedliche Stärken, vergleichbar mit der Richter-Skala. Doch weder ich, noch Menschen, die mich wirklich gut kennen, haben bis heute ein Frühwarnsystem entwickeln können. Es ist nämlich mitnichten so, dass ich immer wegen der gleichen Sache abgehe, wie ein rotes Moped. Reizend auf der Klaviatur meiner Emotionen zu spielen, ist daher nicht berechenbar, sondern eher wie Pogo-Hüpfen im Minenfeld, wenngleich im Lauf der Jahre zumindest auf der cholerischen Seite etwas ruhiger geworden bin. Das Feuer, oder besser mein innerer Hulk als Triebfeder für meine Produktivität und Kreativität, das lodert hingegen immer noch hell – oder vielleicht auch immer heller…?

Der Volksmund spricht gerne von dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Nun war ich zwar psychisch erkrankt, im Sinne einer Depression, welche sich allerdings, wie ich mit Freude zu vermelden weiß auf stetem Rückzug befindet, aber von Wahnsinn im klassischen Sinne findet man bei mir keine Spur. Mit Bedauern jedoch muss ich vermelden, dass ich auch kein Genie bin, sondern lediglich ein Typ, der versucht über den Tellerrand zu schauen und alles, was er dabei so zu Gesicht bekommt überdenkt und des Öfteren auch kommentiert. Wenn man aber die Schwarzweißbilder mal bei Seite lässt, gibt es natürlich Gradationen von Genie und Wahnsinn, die dem Volksmund empirisch durchaus dabei helfen, seinen nicht sonderlich guten Leumund hier ein wenig aufzupolieren. An dieser Stelle noch mal der Hinweis auf das ebenfalls dem Allgemeinsprech entnommene Bild vom Getriebenen.

Bleibt man bei dieser Denkweise, dann ist mein halbwegs wacher, jedoch stets vom Feuer angetriebener Intellekt eine, na sagen wir mal, weniger leistungsfähige Unterform des Genies, sozusagen also der Bruce Banner in mir. Und mein manchmal herausplatzender Hulk das dazu passende Pendant auf der Wahnsinn-Seite. So gesehen ist meine Bilanz, wenn auch auf niedrigerem Niveau dennoch durchaus ausgeglichen. Die guten und die schlechten Eigenschaften des Getriebenen halten sich die Waage. Doch was kann alles passieren, wenn genau das nicht (mehr) der Fall ist. Mein Bruce Banner wurde nämlich sehr depressiv, er legte sich hin und ließ einfach alles passieren, wie es gerade kam; es war im einfach egal. Was dazu führte, dass auch meine Produktivität und Kreativität abgestürzt sind. Anscheinend kann ich das eine nicht ohne das andere haben und alles in allem bin ich darüber nicht mal böse oder enttäuscht.

So, wie ich die Sache sehe, muss ich mich eben damit arrangieren, dass dieses Feuer mich verzehren kann, wenn ich mich ihm vollkommen hingebe; andererseits fühlt es sich aber granatenmäßig beschissen an, überhaupt nicht vorwärts zu kommen, weil man gar keinen positiven Zugang zu seiner Energie mehr hat. Paradoxerweise machte mich das überdies fuchsteufelswild. Will heißen, während Bruce sein Jammertal durchschritt, fing mein unglaublicher Hulk an, mich richtig unschöne Dinge tun zu lassen. Es wurde… schwer kontrollierbar. Das war nicht schön, dennoch habe ich es als heilsamen Warnschuss wahrnehmen gelernt, gleichsam meinem Bruce immer mal eine schöne Pause zu gönnen und meinem Hulk genug Auslauf zu geben, so dass beiden Seiten meines Naturells genüge getan sei. Fällt immer noch schwer, sich in den richtigen Momenten zu bremsen – dafür gönne ich es mir, an anderer Stelle bewusst und mit Lust die Sau rauszulassen. Ist möglicherweise nicht nur für mich ein Modell. Und man muss ja nicht gleich einen Purge-Day einführen. Obwohl…?

PEGIDA: PErsönlich Getroffene Individuen Dürfen Alles?

Um es gleich vorweg zu nehmen: NEIN dürfen sie nicht. Allerdings darf man als Beobachter und Kommentator auch dann, wenn eine gewisse Nähe verschiedener Personen aus dem Umfeld dieser so genannten Bewegung zu rechtsnationalen Kreisen nur schwer zu leugnen ist, nicht einfach jeden, der da auf der Straße mitläuft als Nazi skandalisieren oder gar kriminalisieren. Denn damit entzieht man sich auf allzu billige Art der Verantwortung, eine eigentlich lange überfällige Diskussion um die Themen Migration und Integration endlich in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Nicht wenige Menschen, die da auf diesen, zugegeben fälschlicherweise auf die so genannten Montagsdemonstrationen Bezug nehmenden „Abendspaziergängen“ mitgehen, stammen nämlich von dort; eben aus der Mitte der Gesellschaft. Und das bei diesen Kundgebungen kaum überhörbare Maß an gefährlichem Un- bzw. Halbwissen, welches hier emotional hoch aufgeladen als Wahrheit verkauft wird, darf nicht einfach unwidersprochen bleiben! Belässt man es dabei, diese Menschen einfach zu diffamieren und alles Gesagte als Nazigeseiere abzutun, wie das von offizieller Stelle mittlerweile mehrfach getan wurde – aber unser Bundesjustizminister hatte sonst ja auch bislang kaum Gelegenheit, sich zu profilieren – dürften sich viele aktuelle Pegida-Anhänger nicht zu Unrecht in ihrer Demokratiemüdigkeit, ihren Ängsten und Vorurteilen bestätigt fühlen. Bravo! Billiger kann man die Wählerstimmen kaum von der Wahlurne weg, oder noch schlimmer, zum rechten Rand treiben!

Interessant ist dabei der Umstand, dass sich unglaublich viele Menschen unterschiedlichster Couleur dazu bemüßigt fühlen, etwas ÜBER PEGIDA und seine Mitläufer zu sagen. Den Diskurs MIT diesen Menschen hat aber, soweit ich das beurteilen kann, noch kaum einer gesucht. Und die typischen Polit-Talkshows, in denen man ja bekanntlich immer jemanden einlädt, um ihn bzw. sie öffentlich vorführen zu können zählen hier auch nicht als ernsthafte Versuche. Dafür nimmt der Zentralrat der Juden in Deutschland den Islam in Schutz, Politiker aller Parteien bezeichnen die Demonstranten einfach mal pauschalierend als Nazis, und die AfD… tja die suchen den Schulterschluss, im pathetischen Versuch, ihre langsam aber sicher – Gott sei Dank – schwindenden Krawallprozente wieder mit einem schön demagogisierbaren Thema aufzufüllen. Soweit im Osten nichts Neues.

Doch PEGIDA und die AfD sind zwei Phänomene unserer Zeit, die eigentlich nicht durch Ignoranz-getränktes Aussitzen gelöst werden können, offenbaren sie doch einen viel tiefer gehenden Bruch in unserer Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen offenbaren, so man sich die Mühe macht, sie zu lesen einen unheiligen Zusammenhang zwischen, als bedrückend empfundener sozialer Ungleichheit und dem Aufflammen nationalistischer Gesinnung. Es handelt sich dabei um einen Prozess sozialer Schließung, der weniger etwas mit tatsächlichen kulturellen oder religiösen Differenzen zu tun hat, sondern mit der Angst vor dem Verlust von pekuniärer und sozialer Sicherheit. Die Zuwanderer werden als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und beim Erhalt staatlicher Transferleistungen betrachtet und dann auf Grund ihrer andersartigen kulturellen Identität stigmatisiert, obschon die tatsächlichen Unterschiede zwischen „DENEN“ und „UNS“ gar nicht so groß sind, wie man sich das vielleicht gerne einreden möchte. Dennoch lässt sich vieles von dem, was da zum Beispiel in Leipzig skandiert wird, auf diese soziale Verlustangst zurückführen.

Das wahre Problem sind nicht die Populisten, die mit der vordergründigen Angstmache gegenüber dem Fremden auf Stimmenfang gehen. Das Problem ist auch nicht, dass das Boot voll wäre. Wer die Studie von Prof. Dr. Bonin vom ZEW halbwegs aufmerksam gelesen hat – sie wurde von der Bertelsmann-Stiftung beauftragt und in den Medien publiziert – weiß, dass diese Behauptung schlichter Humbug ist. Das Problem ist, dass unsere Politiker die sich in der BRD immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich schönreden, allesamt die, der FDP immer so schön vorgeworfene, Lobby- und Klientelpolitik betreiben und die daraus resultierende Unruhe pauschal als undemokratische Auswüchse bezeichnen; bei PEGIDA sind dann all diese Menschen, die meistenteils einfach Angst vor dem Weg ins soziale Abseits haben dann also plötzlich alle Nazis…

Ich gestehe, dass ich von unserer gegenwärtigen Politikergeneration nicht mehr allzu viel erwarte, aber hier muss dann mal Schluss sein damit, einfach jeden, der nicht der Frau Pastorentochter nach dem Munde redet, wahlweise als Depp, Clown oder Nazi hinzustellen. Sinnvoller wäre es, das Gespräch direkt dort zu suchen. Sich die Sorgen der Menschen anzuhören. Ihnen anschaulich zu erklären, was es tatsächlich mit Zuwanderung und Asyl auf sich hat. Ihnen zu zeigen, dass ihre Angst diesbezüglich unbegründet ist. Aber ernst zu nehmen, dass sie sich existenziell bedroht fühlen und herauszufinden, was dagegen getan werden muss. Das würde allerdings im Umkehrschluss bedeuten, dass man sich von Doktrinen und Dogmen verabschieden und tatsächliche Sozial- und Integrationspolitik betreiben müsste und sich nicht nur das Mäntelchen einer Integrationsbeauftragten mit Migrationshintergrund umzuhängen. Integration in einer pluralistischen Gesellschaft bedeutet nämlich nicht nur Islamkonferenzen und Israelbesuche. Dazu zum Abschluss noch eine Buchempfehlung für jene, die noch nicht Lese- und Denkfaul geworden sind. Das Buch ist zwar schon 17 Jahre alt, aber immer noch hochaktuell:

Von Wilhelm Heitmeyer 1997 herausgegeben: Bundesrepublik Deutschland: Was hält die Gesellschaft zusammen? (Band 2). Erschienen im Suhrkamp-Verlag. Ansonsten eine gute Zeit.

Heute schon das Selbst optimiert?

Ja, ja, ja, ich kann’s nicht mehr hören,

auf alles was sie tun, wollen sie schwören.
Sie hauen richtig rein und schaffen doch nix,
es zählt nur wichtig sein und das am besten fix.
Doch am Ende vom ackern und plagen,
muss man sich dann doch mal ernsthaft fragen:
Von wo kommst du her, wo willst du hin?
Und macht das Ganze denn wirklich einen Sinn?

Ich weiß ja nicht, ob das in diesem Zusammenhang was verloren hat, aber findet die McDonaldisierung eigentlich auch in Burger King Filialen statt? Oh je, jetzt hat er vollkommen den Verstand verloren, oder wie? Mitnichten darf ich antworten, im Gegenteil fühle ich mich so fest im Sattel meines Seins, wie schon lange nicht mehr. Und um den Gedanken gleich zu erklären, der Begriff der McDonaldisierung stammt von dem amerikanischen Sozialwissenschaftler George Ritzer. Vereinfacht gesagt geht es dabei um das Eindringen des Effizienzdiktats in verschiedenste Bereiche unseres Lebens, wobei die Firma McDonals als Sinnbild für eine Unterordnung aller anderen Aspekte eines Sachverhaltes unter das Primat der Effizienz steht; zum einen, weil dort zuerst alle Aspekte der Lebensmittelherstellung und Distribution im Hinblick auf maximalen Ertrag bei minimalem Aufwand durchorganisiert wurden und zum andern, weil man dort auch damit begonnen hat, alle Prozesse so zu organisieren, dass in jedem Franchise eine gleichartiges Erlebnis erwartbar wurde. Will heißen, ein Burger vom Mäkkes schmeckt überall gleich, weil er überall auf die gleiche Art aus den gleichen Inhaltsstoffen hergestellt wird. Die Restaurants sind überall zumindest ähnlich aufgebaut und die Bedienungen agieren überall fast gleich, wenn man gewisse kulturelle Unterschiede beispielsweise zu Asien mal kurz bei Seite lässt. Geht man zu McDonalds, weiß man, was man kriegt…

Nun geht es nicht allein um den Umstand, dass Fastfood – zumindest aus der Sicht der Markeninhaber – effizient und damit profitabel hergestellt werden muss, sondern auch um die gesellschaftlichen Folgen des sich darauf Einlassens durch die Konsumenten. Die Marke, die hier als Namensgeber herhalten musste, steht ja mit ihrem Agieren am Markt nicht allein da, wie meine eingangs, zugegeben nur halb im Scherz gestellte Frage schon illustriert hat. Es geht nicht mal in der Hauptsache um Fastfood, sondern vielmehr um die Frage, was eine derartig an Effizienz orientierte Strukturierung unseres Daseins für Folgen haben kann. Denn was mit dem griffigen Wort McDonaldisierung gemeint ist, bezieht sich ja nicht auf ein Unternehmen, oder auch eine Branche alleine, sondern auf alle Bereiche unseres Lebens. Durch die Illusion von Qualität, welche durch die Gleichförmigkeit des Erlebens der Waren einer bestimmten Marke erzeugt wird, entsteht gleichsam ein Verlangen nach der fiktiven Sicherheit, welche mit diesem Erlebnis einhergeht. Bezogen auf Fastfood bekomme ich immer und immer wieder konsistent und zuverlässig den gleichen Geschmack am Gaumen angeliefert, was mir mit der Zeit vorgaukelt, dass nur DAS der einzig wahre Geschmack eines solchen Produktes sein kann. Doch der Bezug zu anderen Wirtschaftszweigen ist einfach herzustellen; man denke einfach mal an IKEA.

Das zu Grunde liegende Prinzip ist ebenso einfach wie ubiquitär: ich kaufe die Illusion einer bestimmten Qualität, weil es meinen persönlichen Ressourceneinsatz zumindest scheinbar schont und weil viele Andere es genauso machen. Es mag an dieser Stelle verwundern, dass ich tatsächlich so platt mit dem menschlichen Herdentrieb argumentiere, doch ein kurzer Blick durch die eigene Wohnung und die Heimstätten einiger lieber Freunde offenbart, dass ich – im Übrigen nur Mr. Ritzer folgend – wohl doch nicht ganz falsch liege. Das Problem am Konsum vorgefertigter Erlebnisse und Produkte ist, dass ich mich damit zumindest teilweise des authentischen Erlebens meiner Umwelt entziehe, indem ich die auf Konsumanregung ausgelegten Trugbilder der mannigfaltigen Anbieter einer vorgeblich effizienten Lebensgestaltung für wahr annehme. Denn eigentlich kann ich erst dann wissen, ob der Hamburger vom goldenen M tatsächlich DIE Qualität hat, wenn ich mich selbst mal daran versucht habe, welche zu machen. Wenn ich das tue, entziehe ich mich bereits ein Stück weit der selbstauferlegten Sinnesdeprivation, die der Drang nach schneller, weiter, mehr, effizienter in mir hervorruft.

Man könnte nun argumentieren, dass der bloße Konsum von Fastfood, oder der straff durchorganisierte Pauschalurlaub, oder die Schwedenmöbel doch an sich auch schon authentische Erfahrungen sind; allerdings bleibt hierbei anzumerken dass ein auf erwartbar identisches Erleben getrimmtes Produkt alles abseits der Erwartbarkeit abscheidet; um den Konsumenten einerseits mit dem Versprechen der Sicherheit durch Berechenbarkeit und andererseits der Illusion des Ersparens von Kosten und Mühen auf das Wiederkehren einzuschwören. Es geht dabei niemals um den Kunden, sondern immer um den Umsatz. Das einzig wahrhaft authentische an derlei Erlebnissen ist der Schwund im Geldbeutel. Das wahrhaft perfide daran aber ist der subtile Druck des selbst Effizient werden Müssens auf das Individuum, welches durch unsere heutige Welt wandert und all die perfekt gestylten Oberflächen auf sich einstürmen sieht und mit dem Gefühl zurück bleibt, dass alle anderen „es besser drauf haben“ als man selbst. Alle machen alles so schnell und mühelos und, man hat es schon geahnt, effizient! Die Selbstoptimierung als Zwangsverhalten wird als einzig gangbare Lösung aus dem Dilemma der eigenen Unzulänglichkeit offeriert. Strampel dich ab, werde besser, dann wird auch DEIN Leben besser! Dieses sinnlose Mantra wird überall wiederholt, allein schon, weil es sowohl für die Anbieter der schönen Illusionen als auch für die Arbeitgeber einen kostenlosen Mehrwert mit sich bringt: während wir Idioten uns abstrampeln, um immer effizienter zu werden, schöpfen sie den Rahm ab.

Ich pfeife auf den Selbstoptimierungszwang. Wenn ich mir etwas aneigne, ganz gleich ob im Kontext meines Studiums, aus rein privatem Interesse, oder für meinen Job, geht es dabei natürlich auch um die Verbesserung meiner Performance; aber nicht um der Verbesserung Willen, sondern im Interesse derer, an denen ich meine Kenntnisse und Fähigkeiten später einsetze. Und einem dauernd in allem noch effizienter werden müssen setze ich ein klares NEIN entgegen, denn es geht nicht darum, bei allem im Leben mit möglichst wenig Ressourceneinsatz möglichst großen Benefit zu erzielen. Das wäre mir zu sehr Homo Oeconomicus. Es geht darum zu leben; und während man lebt authentische Erfahrung zu sammeln und weiterzugeben. 70% Einsatz reichen dafür, denn wer die ganze Zeit mehr zu geben versucht, brennt erst aus und dann ab. Es gibt Situationen, in denen High Performing notwendig ist, aber ansonsten gilt Galama – ganz langsam machen. Diese Balance zu beherrschen ist wahre Effizienz. Und Schluss!

BeliebICH

Stromgitarren. Ich meine Musik mit Stromgitarren, also am besten zwei davon, dazu ein Strombass, ein Schlagzeug und, falls unbedingt benötigt ein Keyboard; fertig ist ein Ensemble, dass mein Herz zu gewinnen vermag. Ich bin dabei nicht auf eine spezielle Richtung von Stromgitarrenmusik festgelegt – wie ich schon häufiger festgestellt habe, bin ich kein großer Freund von Dogmen – vielmehr gibt es Vertreter unterschiedlichster Stilrichtungen die mich faszinieren. Ich höre auch andere Musik aber zugegebenermaßen ist Stromgitarrenmusik so richtig mein Ding. Immer noch! Und diese Feststellung ist hier wichtig, mich durchzuckte nämlich kürzlich der Gedanke, dass der landläufigen Meinung zufolge der Musikgeschmack ebenso einem Reifungsprozess unterworfen sei, wie alles andere auch. Und dass folglich die Zeit für Stromgitarren vorbei sein müsste, wenn man so richtig erwachsen würde. Was mich ängstigte, weil ich doch meine Stromgitarren so mag und mir eigentlich geschworen hatte, niemals ein Fan von Marianne und Michael zu werden. Ich hab nix gegen die als Menschen, weil ich sie ja gar nicht persönlich kenne, aber dieses schunkelselige Humptata geht mir halt auf den Sack. Und so manches andere auch…

Da ich aber immer noch nicht zum Liebhaber von Volksmusik geworden bin, begann ich mir so zu überlegen, dass das mit dem Musikgeschmack großer Käse ist, denn habe ich ihn einmal entwickelt, ändert er sich wohl nicht mehr so leicht. Zudem kannten wahrscheinlich meine Vorgängergenerationen das mit den Stromgitarren noch nicht so gut und taten es als kindischen Quatsch ab, weil es ihren, unter anderen Einflüssen sozialisierten, Wahrnehmungsschemata zuwider lief. Aber jetzt gibt es Menschen meines Alters und auch so manchen deutlich darüber, der trotz sonstiger Reife (Kennzeichen hierfür sind eine feste Partnerschaft, Kinder, eine feste Bleibe, Schulden und eine gewisse Abgeklärtheit im Umgang mit dem Leben und seinen Stromschnellen an sich) immer noch Stromgitarren mag; was mir erhebliche Hoffnung bereitet, so im Bezug auf Marianne und Michael!

Aus einem anderen Blickwinkel könnte man aber auch sagen, dass die Zahl der Optionen dessen, was wir als unseren persönlichen Stil und unsere Vorlieben definieren zum einen zugenommen hat; die Verfügbarkeit unterschiedlichster Medienangebote und die damit zunehmende Informiertheit nicht nur im sozialen und politischen, sondern eben auch im kulturellen Sinne hat uns ein Vielfaches dessen an Wahlmöglichkeiten beschert, was zwei oder drei Generationen vor mir möglich war. Zum anderen hat sich der Umgang mit Individualität an sich verändert. Früher war es durchaus üblich dass kulturelle Vorlieben und Praktiken tradiert wurden, also von einer Generation auf die nächste übergingen. Die soziale Gruppe, der man zugehörig war, hatte in diesen Belangen Vorrang vor dem Individuum. Heute indes genießt das Individuum Vorrang und lebt diese hinzugewonnene Freiheit auch aus. Was sich eben unter anderem im Musikgeschmack äußert. Überdies spielt seit den späten 60ern die persönliche Distinktion durch differierende Kulturpräferenzen auch bei der Ablösung vom Elternhaus eine weitaus größere Rolle, als dies früher der Fall war. Und der – natürlich je nach Peergroup sehr unterschiedliche – Musikgeschmack wurde hierbei zu einem wichtigen Merkmal so gut wie aller Jugendkulturen.

Was die Zugehörigkeit zu Jugendkulturen angeht, so bin ich mir nicht sicher, wann und auf welche Art heutzutage tatsächlich noch ein für jeden abschließender Übergang ins Erwachsenenleben stattfindet. Der Eintritt ins Erwerbsleben könnte einen solchen Rite de Passage darstellen, doch tatsächlich ist das Ablegen des für Jugendkulturen je typischen Habitus anscheinend auch dabei nicht obligat. Ich selbst grüble immer wieder über die Frage, ob ich mich eigentlich erwachsen fühle, und was das hinsichtlich meines Verhaltens bedeuten müsste. Ich meine, ich übernehme Verantwortung; für meine Familie, meine Arbeit, etc. Falls das genügt, dann bin ich erwachsen; ich fühle mich allerdings nicht so… alt.

Man könnte nun unterstellen, dass das Zeitalter der Beliebigkeit es hat unnötig werden lassen, so richtig in allen Belangen erwachsen zu werden. Aber das greift mir zu kurz, denn einerseits sind unsere Leben nicht so beliebig, wie mancher Soziologe das gerne behauptet; unser familiäres Umfeld ist immer noch eine wichtige Sozialisationsinstanz. Allerdings hat sich der Umgang mit Peergroups verändert. Heute ist die Durchmischung gesellschaftlicher Schichten in der Jugend größer als früher, sind grundlegende kulturelle Präferenzen und Praktiken näher beisammen und Freundeskreise im späteren Leben rekrutieren sich aus einem breiteren gesellschaftlichen Querschnitt, anstatt hauptsächlich aus der eigenen Herkunftsschicht (aus wissenschaftlicher Sicht verkürze ich hier unzulässig, aber das hier ist MEIN Blog, gelle!). Überdies haben sich die Lebenserwartung und die Chancen, sich optisch seine Jugendlichkeit zu bewahren deutlich vergrößert. Womit es nicht wundert, wenn man sich mit 40 eigentlich noch nicht erwachsen fühlt, obschon man doch mit beiden Beinen fest im Leben steht.

Ich mag das Mehr an Optionen, denn so darf ich auch mit 40 noch Stromgitarren mögen. Ein Hinweis auf Beliebigkeit im soziologischen Sinne ist das aber aus meiner Sicht nicht, denn zum einen habe ich sehr wohl ein gefestigtes Set weltanschaulicher Ideen, Normen und Werte; und zum andern muss Beliebigkeit nicht unbedingt mit einer negativen Konnotation einhergehen. Viellicht bedeutet es auch eine größere Wahlfreiheit. Und eine Wahl zu haben ist eines der entscheidenden Kennzeichen von Demokratie, oder? Also bleibe ich BeliebICH… und gehe jetzt ganz dringend was mit Stromgitarren hören.