Bienvenue en Provence N°1

Zeit ist relativ. Manchmal relativ knapp, dann wieder relativ egal, oft relativ lang(weilig) und dann plötzlich vorbei, ohne dass man sagen könnte, man hätte sie wirklich wahrgenommen. Die Aussage Einsteins, dass Zeit einfach nur etwas ist, dass wir mit Uhren messen und dass der wahrgenommene Fluss der Zeit von der Position des Beobachters – oder auch des Messinstrumentes – relativ zur gemessenen Zeit abhängt, scheint also auch in der individuellen Betrachtung wahr zu sein. Selbst wenn wir die Schwingungsraten von Cäsiumatomen benutzen, um zu definieren, wie lange eine Sekunde denn nun dauert, bleibt Zeit etwas Unfassbares, Unwirkliches, manchmal auch Bedrohliches. Insbesondere, wenn man sich gedanklich der unüberwindbaren Barriere der nächsten Sekunde nähert.

Château Féodal in Boulbon

Nun muss man nicht in die Zukunft sehen können, um bestimmte Dinge einfach zu wissen: z.B., dass die wirklich schönen Dinge im Leben immer unerhört schnell vorbei sind, wohingegen die Wartezeit darauf sich nervenzerfetzend dehnen kann. Oder dass manche Rhythmen (wie etwa die Abfolge der Jahreszeiten, die Streiks der Bahnbeschäftigten vor den Feiertagen oder die Ausrufung des Unterganges des Abendlandes durch die CDU bei jeder politischen Äußerung durch die Grünen) stets gleich zu bleiben scheinen. Das ist ein Wahrnehmungsbias, der unserem unbewussten Bedürfnis nach Sicherheit entspringt. Kontinuität vermittelt Sicherheit – oder zumindest die Illusion davon. Eine Martinsgans wird ja auch jeden Tag von dem netten Menschen gefüttert. Wie soll sie da ahnen, dass irgendwann, kurz vor dem 11.11 eines gegebenen Jahres anstatt dem guten Futter ein scharfes Beil lauert…

Es ist das (zumeist ungerechtfertigte) Vertrauen in unsere eigene Fähigkeit zur objektiv-rationalen Abschätzung von Chancen und Risiken, welches uns diese Idee von Berechenbarkeit vermittelt. Nun will ich damit nicht unbedingt sagen, dass wir alle ahnungslos wie die Martinsgänse auf das Beil warten: jedoch wäre etwas mehr Realismus im Angesicht unserer beschränkten Fähigkeiten zur Voraussage der Zukunft manchmal hilfreich, um sich von allzu optimistischen Betrachtungen des evtl. Kommenden freizumachen. Und vor allem etwas mehr im Hier und Jetzt zu leben und die Dinge nicht immerzu kaputtanalysieren zu wollen/müssen. „Aber Zimbo, du wütend-depressiver Beobachter der Welt“, höre ich euch rufen, „ausgerechnet du müsstest doch…“ GAR NIX MUSS ICH – DEM SCHICKSAL SEI’S GELOBT! Zum einen, weil ich Urlaub habe und noch mal von südlicher Sonne kosten darf, die auch jetzt noch angenehm die Knochen wärmt. Und zum anderen, weil mir mittlerweile eines klar geworden ist: alles Streben, Schuften, Studieren und Schachern auf der Jagd nach Erfolg ist NICHTS im Vergleich zu der Zufriedenheit und Ruhe, welche das Schreiben dieser Zeilen in mir auslöst. Denn plötzlich ist da dieses Gefühl – es geht mir gut.

Niemals fällt alle Last vollkommen von einem ab. Niemals ist man als Leitungsperson vollkommen ohne Gedanken an die nächsten Schritte. Und doch… genau jetzt könnte mir jemand mitteilen, dass meine Arbeit der letzten Jahre zu Hause sich gerade in Rauch aufgelöst hat – und es wäre mir egal. Weil ich weiß, was ich wert bin, wer ich sein möchte und welche Wege mir offenstehen. Und das sind eine Menge Wege. Genau jetzt fließt die Zeit genauso, wie es richtig ist und genau dahin, wo sie hingehört: in die Dinge, die mir wichtig sind. Ich konnte neulich zurückblicken und feststellen, dass meine Wurzeln noch alle da sind und schaue jetzt nach vorne; und wenngleich ich weiß, dass diese Barriere, von der ich letzthin häufiger sprach, immer da ist, macht sie mir keine Angst mehr, weil sie neben ihrer Unüberwindbarkeit für meine primären Sinne auch stets ein Versprechen für meine Vorstellungskraft beinhaltet – dass ich frei bin, diese Sekunde, und jede andere, die noch kommen mag, zu gestalten, wie es mir in den Sinn kommt. Es mag dabei ein paar Grenzen geben (Nazis und andere dumme Menschen töten und im Wald verbuddeln, ist leider immer noch illegal), doch für mich ist es Freiheit genug, in diesem Moment kreativ sein zu können, ohne einem anderen Zweck dienen zu müssen, als meinem eigenen.

Das ist, was Urlaub tatsächlich bedeutet. Zweckfrei sein zu können. Zeit so nutzen oder auch mal vertrödeln zu können, wie es einem in den Kram passt. Die Dinge auch mal passieren zu lassen. Ist mit Kindern zwar nicht ganz so einfach, wie es klingt, aber ich habe Hoffnung. Und gutes Essen. Und gute Getränke. Und einen Ort, der Freude bereitet. Daher wünsche ich euch auch eine gute…Zeit…

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