Ich las neulich in einem Buch von Schwarzen Schwänen! Es ging dabei nicht um Ornithologie, sondern um die Macht, welche unvorhersehbare Ereignisse auf unsere Welt haben, bzw. haben können. Auf Grund seiner Beschäftigung mit Statistik als Mittel zur Beurteilung finanzieller Risiken – was wohl eine Weile sein Beruf war – kommt der Autor zu dem Schluss, das alles Wissen um den normalen Ablauf der Dinge so gut wie gar nichts nutzt, um Schwarze Schwäne vorhersehen zu können; also Ereignisse die basierend auf einer Ex-Post-Betrachtung des bisherigen Verlaufs in der Historie des jeweiligen Kontextes nicht vorhersagbar sind.
Sein Beispiel ist der uramerikanische Thanksgiving-Truthahn, der das ganze Jahr über freundlich gefüttert wird – woher sollte der arme Kerl wohl wissen, das Ende November in dieser freundlichen Hand das Schlachtbeil auf ihn lauert? Eine wie ich finde durchaus bemerkenswerte Analogie.
Er schließt daraus allerdings auch, dass man das Zeitung lesen lassen sollte, weil alles Wissen um Standardabläufe kaum Auswirkungen auf die Wirksamkeit schwarzer Schwäne hätte; weil vielmehr der Konsum der Tageszeitung einen zu der törichten Illusion verleiten könnte, das Geschehen der Welt sei erklärbar, ja sogar kontrollierbar. Er meint in diesem Zusammenhang, dass es viel sinnvoller sei, mehr Bücher zu lesen.
Gewiss ist diese Argumentation bestechend – allerdings weiß man nicht erst seit 2007, dass Gesellschaften und damit auch die Ereignisse, welche sie hervor bringen können nicht tatsächlich von außen oder von oben steuerbar sind, sondern vielmehr die vielen einzelnen Subsysteme sich selbst steuern und dabei in Interaktion mit den anderen Subsystemen eine Art fließendes Gleichgewicht des Interessenausgleichs erzeugen. Zumindest in einem idealisierten Modell. Was aber für einzelne Gesellschaftsteile bezüglich ihrer Komplexität, Selbsterhaltung, Interessenvertretung und Selbstbestimmtheit gilt, lässt sich auch auf das Individuum herunter brechen.
Nun bin ich durchaus geneigt zuzustimmen, dass man beim Studium der Tagesmedien sehr sorgfältig auswählen muss und bei weitem nicht alles als von hohem Wahrheits- oder Informationsgehalt durchsetzt akzeptieren darf, was gedruckt steht oder über meinen Monitor flimmert. Dieser Umstand allein entwertet allerdings meine Lektüre keineswegs. Auch lasse ich mich dadurch nicht von der Illusion globaler Kontrolle einlullen. Vielmehr reflektiere ich mich an dem was ich lese und werde mir der Tatsache bewusst, dass meine ganze Existenz ein Schwarzer Schwan ist!
Mein Hiersein ist einer Verkettung höchst unwahrscheinlicher Ereignisse auf der sozialen Mikroebene zu verdanken und der Weg, den mein Leben bislang genommen hat, war zu keiner Zeit von irgendwem oder gar irgend einer höherem Macht vorgezeichnet. Diesem Gedanken folgend ist die Zukunft offen und vollzieht sich just in dem Moment, da ich sie durchlebe durch mein Tun oder Lassen. Wüsste ich, was mich erwartet, könnte ich vielleicht Risiken vermeiden, aber die Existenz würde dadurch nicht notwendigerweise perfekt, da es keinem Menschen gegeben ist, ein so komplexes System wie ein Leben in allen Ebenen und Möglichkeiten überblicken zu können. Womit alle Vorhersagesysteme imperfekt sind, da ich im Perfekt lebe; also in der just vollzogenen Gegenwart.
Ich lese trotzdem gerne Zeitung, denn so chaotisch Leben als solches auch sein mag, beeinflusst Wissen um die größeren Zusammenhänge dennoch in gewissem Umfang Entscheidungen, durch welche ich meine individuelle Existenz sehr wohl verändern kann. Ob die derart getroffenen Entscheidungen sich im Nachhinein als richtig, falsch oder ein bisschen von beidem erweisen, kann keiner vorher wissen…oder?
PS: Der Titel des Buches lautet „Der Schwarze Schwan“ von Nassim Nicholas Taleb