Wenn du denkst, alles schon rum…

…flattert dir unversehens ein Zettel in den Briefkasten, und zwar von den „Freien Bürgern für Deutschland“, die sich gestern in Ludwigshafen treffen wollten und alle guten Deutschen herzlich dazu einluden, sich doch endlich auch mal zum eigenen Rechtsradikalismus zu bekennen… Natürlich stand das nicht genauso auf dem Zettel, dort war vielmehr die Rede von jüdisch-christlicher Kultur, Einwanderer-Strömen und Grundgesetz. Es ist ja schon fast anerkennend wahrzunehmen, dass diese braunen Arschmaden wissen, wie unsere Verfassung heißt, das war’s dann aber auch schon so ziemlich. Wenn sie mit unserer „jüdisch-christlichen Kultur“ den Jahrhundertealten und dennoch immerdar topaktuellen Antisemitismus meinen, liegen sie auch nicht vollkommen falsch; ich befürchte allerdings, dass das eher so ein Leitkulturding mit dem Evozieren tiefer Überfremdungsangst vor den, wie Heuschrecken über uns alle herfallenden, muslimischen Flüchtlingen werden sollte. Nun über mich persönlich ist noch keiner hergefallen, aber eine individuelle Einzelbetrachtung stellt natürlich keinen empirisch belastbaren Trend dar…

Kurz und gut, ich bin nicht hingegangen, obschon ich für einen kurzen Moment den masochistischen Drang verspürte, diesen Idioten ins Gesicht zu sagen, was ich von ihnen und ihrer Scheißhauspropaganda halte. Ich habe dann doch lieber mit den Kindern in unserem heimatlichen Garten abgehangen; war nicht nur sicherer, sondern auch sinnvoller. Menschen mit einer Mission kann man nur selten von ihrem Unglück abhalten. Ich habe keine Angst vor Nazis. Ich kenne selber Leute, die früher in dieser Szene waren. Und was die zu erzählen wissen, was sie darüber denken, was sie dabei empfinden, interessiert mich. Man kann Menschen nur verstehen, wenn man ihnen ehrlich zuhört.
Wovor ich allerdings Angst habe ist, dass die dummen Rechten sich von den intelligenten Rechten instrumentalisieren lassen, um unser Staatswesen, so wie es jetzt ist abzuschaffen. Die bunte Republik ist mit Sicherheit nicht perfekt, aber um einige Tausend Prozent besser, als alle Diktaturen, in denen linker und rechter Extremismus stets zu enden pflegen.

Die Randspektren des immer noch üblichen politischen Kompass sind einander im Dogma der eigenen Meinung und der Unterdrückung der Andersdenkenden so ähnlich, dass man beide als Faschismus bezeichnen könnte, auch wenn der Begriff vor allem für rechte Diktaturen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geläufig wurde. Den Denkern beider Strukturen ist zu eigen, dass sie eine geschickte mediale Manipulation der Massen nutzen, um ihre Meinung zur einzigen Meinung zu machen – zumindest in den Köpfen jener, die sich als beeinflussbar zeigen. Und das ist, in Ermangelung ausreichender Reflexionsfähigkeit leider ein nicht unerheblicher Teil. Wir Menschen sonnen uns gerne im Lichte unserer kognitiven Fähigkeiten, doch bei den meisten ist es lediglich Selbstbetrug, der aus 100 Watt einen Stadionscheinwerfer macht… Für jene, die’s immer noch nicht begriffen haben: wir sind nicht selten einfach zu dämlich, um erkennen zu können, dass wir selbst manipuliert wurden. Ich nehme mich da selbst keinesfalls aus.

Womit wir bei den echten Agitatoren wären, die dem nämlichen Rattenfänger gleich mit den süßen Flötentönen der Selbsterhöhung durch Stigmatisierung Schwächerer und dem Beschwören einer Volksgemeinschaft die Dummen (Ratten) und die Unerfahrenen (Kinder) aus ihren Hütten auf die Straßen und Plätze locken, damit diese sich dort schön indoktrinieren lassen können. Ich mag jetzt nicht schon wieder schreiben müssen, weshalb die Argumente der, nun lediglich mit einem neuen Namen verbrämten PEGIDIOTEN, vollkommener Käse sind. Und das wir als eine gesamte Gesellschaft gut daran täten, unsere Werte, unsere Ziele, unsere Ideen von einem sinnvollen Miteinander neu zu diskutieren. Denn eine Gesellschaft und ihre Kultur sind nichts Statisches, sondern etwas, dass sich, gleich einem Lebewesen immer weiter entwickelt; für jene, denen die Lebewesen-Analogie nicht gefällt, könnte man auch den Vergleich mit dem technologischen Fortschritt heranziehen. Dieser hat das Antlitz unserer Städte und Landschaften, die Art wie wir Dinge herstellen, miteinander kommunizieren und noch vieles Anderes unbestreitbar vollkommen verändert. Und in diesem Zuge auch unsere Kultur. Sowas passiert nicht mal eben an einem Nachmittag, oder in einem Jahr, sondern über Dekaden. Natürlich ist auch diese Analogie stark vereinfachend, weil alle Arten von Veränderung einzelner Teile in einem so komplexen Gebilde wie einer Gesellschaft einander gegenseitig beeinflussen. Aber zusammenfassend lässt sich sagen: Alle Aspekte unserer Umwelt unterliegen ständiger Veränderung. Anzunehmen, dass trotzdem alles beim alten bleiben könnte, ist schlicht grotesk – oder besser grotesk dumm!

Und was bleibt nun mit dem Zettel zu tun? Man könnte ihn achtlos wegwerfen, als Grillanzünder verwenden, die Rückseite den Kindern als Kritzelpapier geben – oder man nimmt ihn zum Anlass, sich selbst zu engagieren, gegen die Dummheit und Kurzsichtigkeit so vieler Mitmenschen.

Eines sei aber als Ausblick auf nächste Gedanken an dieser Stelle noch gesagt: mediale Manipulation findet mitnichten nur durch extremistische Agitatoren statt. Verschiedenste Techniken der Meinungsproduktion nutzen auch jene amtierenden Politiker, denen wir unser Vertrauen gegenwärtig ausgesprochen haben. Und es muss in Anbetracht der mannigfaltigen Verbindungen zwischen so genannten Lobbyisten und Politikern angezweifelt werden dürfen, dass deren Handlungen stets zum Wohle des Volkes gereichen sollen. Schönen Tag noch.

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