Schwächen hat jeder…

…ob es allerdings auch sinnvoll ist, sie zu offenbaren, ist in den Augen der meisten Menschen höchstwahrscheinlich vom jeweiligen sozialen Kontext abhängig. Neulich hat jemand, den ich kenne sich ein wenig darüber belustigt, dass eine deutsche Zeitung dazu aufrief, bei Bewerbungsgesprächen doch auch auf seine persönlichen Defizite einzugehen; ich habe den betreffenden Artikel nur überflogen, würde jedoch meinen, dass dies einen Aufruf zu mehr Ehrlichkeit im Umgang mit Dritten konstituieren soll. Quasi eine Erinnerung daran, dass es Tugenden gibt, die mit den rein ökonomischen Aspekten des Arbeitens nichts zu tun haben. Kant würde sagen, dass es nur dann ein moralisches Handeln gibt, wenn man sich der Pflicht dazu hingibt, richtig zu handeln und nicht wenn man es tut, weil es einen voran bringt. Und richtig handeln bedeutet in Kant‘schen Kontext, jeden Menschen auf Grund seiner angeborenen Würde als vernunftbegabtem Wesen Achtung entgegen zu bringen – wozu eben auch gehört, sein Gegenüber nicht zu belügen.

Eigentlich kann ein Aufruf zu mehr Aufrichtigkeit speziell bei Menschen in leitenden Positionen doch nie verkehrt sein, würde man im ersten Augenblick denken. Doch ich denke, es ist oft nicht so sehr ein echter Mangel an Tugend, der dem einfachen Ottonormalverbraucher einen Chef als… nun sagen wir mal von Grund auf Suspekt erscheinen lässt. Wir neigen nur einfach dazu, Menschen mit höherem Einkommen (und übrigens auch mehr Verantwortung) Unaufrichtigkeit in Reden und Handeln quasi als Grundvoraussetzung für das Erreichen einer höheren Position zu unterstellen. Ich weigere mich das zu glauben. Weil wir Menschen entgegen der Hobbes’schen Philosophie nicht von Grund auf schlecht sind; wir haben vielleicht die Tendenz, uns durch verschiedene Anreize korrumpieren zu lassen, aber auch dabei gilt, dass es schwächere und stärkere Charaktere gibt. Aber jemand, der eine gewisse Position erreicht hat, kam dort in den meisten Fällen durch harte Arbeit hin und erwartet – nicht ganz zu Unrecht, wie ich meine – für seine Leistung respektiert zu werden. Das tun wir alle auf die eine oder andere Weise. Aber bei jemandem, der zumeist eine gesellschaftlich höhere Position innehat, sträuben wir uns dagegen, das anzuerkennen, weil wir, aus welchen Gründen auch immer – Neid käme aber wohl durchaus in Frage – das Recht auf diese Position bezweifeln.

Von daher verwundert es nicht, dass ein solcher Artikel, der eben nach mehr Aufrichtigkeit verlangt unsere populistischen Instinkte anspricht: „JA, zeig schon her, was mit deiner ach so weißen Weste alles nicht stimmt!“. Nun ja, was soll ich sagen, Stammtischparolen waren mir schon immer fremd. Ebenso bezweifele ich aber, dass jeder Personaler diesen Kandidaten sofort als untauglich abhakt, nur weil er zugibt, einen menschlichen Makel zu haben. Zugegeben entspräche genau das dem allzu stereotypen Bild, welches wir von der Unmenschlichkeit der Arbeitswelt haben, doch auch hier empfiehlt es sich, nicht alle über einen Kamm zu scheren. Vielleicht ist das Zugebenkönnen ein erster Schritt hin zu einem achtungsvollen Umgang miteinander, wie ihn Kant uns angemahnt hat?

Natürlich lässt sich kaum verleugnen, dass unsere Arbeitswelt einem entmenschlicht vorkommen kann, verglichen mit den Gutsherrenzuständen, wie sie vor 100 Jahren geherrscht haben, geht es zumindest in unseren Gefilden heute jedoch ziemlich gesittet zu. Und nur weil man im Umfeld der Erwerbstätigkeit, wie allerdings auch überall sonst, vielleicht noch nicht an einem Ziel wie dem Diskurs auf Augenhöhe zwischen allen Beteiligten angekommen ist (der zumindest gegenwärtig gar nicht möglich ist, weil eben nicht alle Menschen als gleich anerkannt sind), bedeutet das nicht, dass es sich nicht lohnt, darauf hin zu arbeiten. Auch wenn der Weg noch lang sein mag.

Was nun die Aufrichtigkeit bei Personalgesprächen angeht, habe ich keinen Ratschlag. Ich würde aber vermuten, dass es sich mittelfristig als eher nachteilig heraus stellen könnte, wenn man tatsächlich vorhandene Defizite verschweigt. Ich persönlich empfinde Aufrichtigkeit als einen Wert an sich, dem ich mich verpflichtet habe, weil ich die Menschen um mich herum respektiere – natürlich nur, sofern sie dies auch tun. Aber zum einen findet man das mit ein wenig sozialem Geschick recht schnell heraus. Und zum anderen dürfte diese Einschränkung umgekehrt genau so gelten…! Schöne Woche noch.

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