Ich bin mir durchaus bewusst, dass manche Provokation nach hinten losgehen kann, aber wenn man sich das öffentliche Gebaren von Wladimir Wladimirowitsch Putin so anschaut, sind bei der Inszenierung als starker Mann, Heilsbringer und Sieger über alle Krisen doch deutliche Parallelen zu anderen Personenkulten des 20. Jahrhunderts zu sehen, die allesamt lupenreine Diktaturen waren. Putin auf dem Pferd (mit blankem Oberkörper und Flinte!), auf dem Motorrad, auf allen Kanälen, zu allen Fragen und zu allen Zeiten. Gibt es in Russland sonst keine halbwegs brauchbaren Politiker, oder ist der Mann doch das was er mir zu sein scheint: ein größenwahnsinniger, narzisstischer Kontollfreak? Falls das wirklich so ist, Gnade uns Gott, denn der Pfosten hat Atomwaffen…
Ich habe nichts gegen Russland, oder seine Bewohner. Man sollte sich stets vor Augen führen, dass dieses Land vom Zarenregime (der zu seiner Zeit rückständigsten Großmacht Europas) direkt in den Terror der Sowjetzeit übergeleitet wurden, dessen politische Kultur von mal mehr, mal weniger durchgeknallten Autokraten und Apparatschiks geprägt wurde. Um dann im Anschluss mit Glasnost ungewollt planlos in einen Prozess der „Demokratisierung“ zu taumeln, den keiner lenkte, den auch keiner so recht zu wollen schien und der die alten, vorgeblich kommunistischen Autokraten lediglich durch wiederum lupenrein kapitalistische Autokraten ersetzte. Die einfachen Menschen jedoch hatten überhaupt keine Zeit, sich an die Idee einer Zivilgesellschaft zu gewöhnen, in der man als Bürger seine Sorgen und Ansprüche zumindest artikulieren, manchmal sogar teilweise durchsetzen kann. In der die Justiz weder politisch beeinflusst noch käuflich ist. In der es legitim ist, gegen die Umstände öffentlich aufzustehen, wenn Anlass dazu besteht.
Doch die Russen sind im Bezug auf den Umgang mit diesen, auch ihnen theoretisch zustehenden Rechten ungefähr so weit, wie die Deutschen dies zu Zeiten der Weimarer Republik waren; gefangen in einem Dazwischen. Und zwar zwischen dem Wunsch, dass jemand sie führen und ihnen mit klaren Ansagen den „richtigen“ Weg in die Zukunft zeigen möge auf der einen Seite und dem aufkeimenden Gefühl, dass es so, wie es gerade läuft nicht weitergehen kann auf der anderen. Zwischen einem Mangel an Erfahrung im Umgang mit demokratisch-rechtsstaatlichen Verfahren und den damit einher gehenden Wahlmöglichkeiten einerseits und dem Gefühl, dass die da oben es schon richten werden und man ihnen folgen muss andererseits. Viele ahnen bereits, dass es auch anders geht. Aber eine vitale, Demokratietreue Zivilgesellschaft entsteht nicht durch Duck von außen, sondern nur durch einen langwierigen, von Rückschlägen gekennzeichneten, nicht selten schmerzhaften kollektiven Lernprozess, der zudem nie vollkommen abgeschlossen ist. So wie die Welt unterginge, wenn der Dom zu Köln jemals fertig würde, so ist auch eine Demokratie niemals fertig. Politik ist ihrem Wesen nach das Bemühen um gesellschaftlichem Ausgleich und so wie eine Gesellschaft und ihre Kultur nicht statisch sind, darf auch Politik dies nicht sein. Aber genau das müssen die Russen anscheinend noch lernen.
Auch Putin selbst ist nicht das Problem, er ist vielmehr ein Symptom. Das Bild, welches er von sich selbst geschaffen hat, holt ihn nun wieder ein, er gerät in Zugzwang, die Dinge im Fluss zu halten und dabei unangreifbar zu wirken, denn die Lawine der innenpolitischen Probleme – Wirtschaftskrise mit sinkenden Einkommen, Korruption, eine aus unternehmerischer Sicht unzuverlässige Justiz, politische Morde, eine überall marode Infrastruktur – würde ihn überrollen, wenn sich die Aufmerksamkeit des Volkes tatsächlich diesen Dingen widmen würde. Doch im Moment lassen sie sich mit nationalistisch-militaristischen Tönen, die man aus der Sowjetzeit ja zur Genüge kennt noch gut bei der Stange halten. Aber was wird er tun, wenn Säbelasseln alleine seine Machtlosigkeit gegen die oligarchischen Dämonen, die er selbst gerufen hat nicht mehr zu überdecken vermag? Glauben die NSA-Analysten tatsächlich noch daran, dass all sein Handeln rationalem Kalkül entspringt, oder wollen sie nur nicht wahr haben, dass der Mann langsam aber sicher von dem Bild getrieben wird, welches er selbst von sich gezeichnet hat?
Vor diese Kulisse ist auch Putins öffentlich demonstrierte Nähe zu einer ultranationalistischen Moped-Bruderschaft zu verstehen. Er bedient sich ihrer, um glaubhaft seine Vaterlandsverbundenheit zu zeigen; und ganz nebenbei hat er so auch Zugriff auf ein paar Hände, die für ihn Drecksarbeit erledigen. Zumindest ist so was denkbar, wenn vermutlich auch schwer zu beweisen. Diese Verbundenheit von Seiten des russischen Führers erklärt aber auch, warum russische Behörden so verschnupft auf die Visa-Annullierung für verschiedene Nazi-Biker reagiert haben. Ich finde das richtig so, denn an Putins Politik ist gegenwärtig NICHTS, was zu glorifizieren diese „Herren“ das Recht hätten. Und schon gar nicht hier in Deutschland. Unsere Vergangenheit mag stets ihre Schatten werfen, aber unser Staat hat sich seitdem erheblich weiterentwickelt; und ich bete, dass die Russen nicht noch mal einen Krieg brauchen, um endlich auch zur Demokratie finden zu können…