Ich könnte mich wegschmeißen, wenn ich meinen Spielgruppen beim Pläne schmieden zugucken darf. Da wird Stunde um Stunde lamentiert, das Für und Wieder dieses oder jenes Vorgehens erwogen. Man versucht auf Teufel komm raus, Szenarien im Vorfeld zu simulieren – oder etwas zu tun, dass dem nahe kommen soll; nämlich sie im Geiste durchzuspielen. Da lach ich mich kaputt, denn genau darauf kommt es doch an: das Durchspielen. Oder etwa nicht, heißt ja immerhin Rollenspiel?
Tatsächlich theoretisieren da eigentlich ja nicht die Spieler, sondern deren Charaktere, die sich ausmalen, was passieren KÖNNTE, wenn sie Aktion A umsetzen, oder lieber doch Aktion B… oder vielleicht doch eher Aktion C? Also quasi ein Traum in einem Traum. Klingt zu sehr nach „Inception“? Kann sein, aber genau das passiert am Spieltisch andauernd. Die Gruppe baut sich ein Szenario zusammen, wie sie eine – erwartete! – kritische Situation zu meistern gedenkt, was selten ohne Gezänk, viele „ABERS“ und einen Zeitaufwand von statten geht, der so manchen Projektmanager blass um die Nase werden ließe. Schaffen sie es irgendwann wieder Erwarten auch wirklich, ans Werk zu gehen, passiert meist Folgendes: der minutiös durchgerechnete Plan erleidet Schiffbruch, bevor die Sache so richtig losgeht.
Warum, wird Mancher jetzt fragen? Es gibt drei Hauptgründe. Erstens, einer der Spieler verkackt eine wichtige Fertigkeitsprobe, was dazu führt, dass eine Kaskade von Ereignissen, die eigentlich essentiell wäre, nicht in Gang kommt. Z.B. schafft der Hacker es eventuell nicht, dem Striketeam die Hintertür zum Quartier des Feindes öffnen. Da stehen sie nun in aller Pracht und müssen improvisieren. Zweitens, haben sie vielleicht doch nicht alle Eventualitäten bedacht, oder stellen sich schon mit den Details in ihrem Plan so dämlich an, dass man es einfach nicht laufen lassen kann, weil ein Erfolg nach den inhärenten Regeln des Settings schlicht unglaubwürdig wäre. Drittens, und das hat etwas mit der Notwendigkeit von Dramaturgie zu tun, muss der Spielleiter vielleicht einen Erfolg an diesem Punkt um der Gesamthandlung Willen sabotieren. Das klingt jetzt sicher nach Unfairness, kann aber in seltenen Fällen notwendig werden. Ich habe das bislang vielleicht maximal drei Mal gemacht und hatte jedes mal ein ungutes Gefühl dabei, aber es kommt vor.
Es gibt mit Sicherheit noch weitere Gründe, die ich vergessen habe, bzw. Kombinationen aus den Vorgenannten, die jedoch in der Regel allesamt zum selben Ergebnis führen: dem Einsatz von Plan X! Es ist ja nicht so, dass man sich einen solchen allerletzten Reserveplan tatsächlich zurecht legt. Da passiert mehr ein Impro-Happening, das einem Tanz ähnelt; wirft die Gruppe ALLES in die Wagschale und wagt Stunts, die eigentlich undenkbar sind, mit anderen Worten, wird sie in ihren Aktionen unvorhersagbar, steigen die Chancen auf einen Erfolg rapide. Es heißt zwar immer „erwarte das Unerwartete“, aber meine Erfahrung lautet, dass man gar nicht alles erwarten kann, was den Spielern in solchen Momenten gerade einfällt. Nicht selten habe ich bei solchen Gelegenheiten meine Kinnlade auf dem Boden wieder gefunden. Zumindest bildlich gesprochen.
Weder der Spielleiter, noch die Spieler haben üblicherweise einen Supercomputer für Simulationen zur Verfügung, noch hat man die Zeit oder Lust, alle Parameter genau zu analysieren und zu operationalisieren. Das ist hier aber auch kein wissenschaftliches Projekt, sondern Rollenspiel – auch wenn man sich in manchen Foren so benimmt, als bräuchte man tatsächlich wissenschaftliche Methoden, um es „richtig“ spielen zu können. (Kleine Anmerkung: Ich hoffe man merkt, das ich Rollenspieltheoretiker nicht besonders gut leiden kann!)
Dies führt dazu, das Pläne schmieden, auch wenn es den meisten Spielrunden offensichtlich genau soviel Spaß macht, wie Einkaufsorgien beim örtlichen Waffenhändler, zumeist auch genau so nutzlos ist. Denn kaufen sich die Charaktere dickere Wummen, dürfen sie automatisch damit rechnen, dass ihre Gegner über ungefähr kongruente Bewaffnung und Panzerung verfügen. Das ist ebenso ein stets gültiges Rollenspielnaturgesetz, wie die Fehleranfälligkeit von Schlachtplänen. Da gibt es übrigens interessante Analogien zur echten Welt.
Ich als Spieler versuche mittlerweile, nicht mehr so viel vorplanen zu wollen wie früher, weil die Nutzlosigkeit für mich in verschwendeter Spielzeit gegen gerechnet wird. Da mach ich lieber Charakterspiel – also die sozialen Interaktionen innerhalb der Gruppe und mit den Schlüssel-NSCs. Allerdings ist es dann und wann schwer, sich den Diskussionen am Spieltisch zu entziehen, insbesondere, wenn man meint, festgestellt zu haben, dass sich die Anderen gerade in was verrannt haben. Aber wir machen alle Fehler; dann kommt der gute, alte Plan X zum Zuge! Und ich alte Rampensau darf mal wieder alles rauslassen, weil wir da nicht anders rauskommen werden. YEEHAA! In diesem Sinne – always game on.