Unsere Gesellschaft sollte man als das verstehen, was sie tatsächlich ist, nicht als das, was wir uns gerne darunter vorstellen; sie ist kein Ort, an dem jeder die gleichen Rechte hat und genau so wenig findet hier jeder die gleichen Chancen vor. Soziale Erwägungen werden nicht aus sozialen Gründen getroffen, sondern aus pekuniären, so wie sich heutzutage fast jeder Aspekt unseres Lebens einer wirtschaftlichen Bewertung unterziehen lassen muss. Allem und Jedem wird ein inhärentes Kosten-Nutzen-Verhältnis unterstellt, egal ob es objektive Kennzahlen gibt, oder man diese erst erfinden muss. Wenn man Interessen hat, sollte man möglichst einer Gruppe angehören, die sich über die richtigen informellen Kanäle Gehör verschaffen kann, dann wird das schon. Und bei weitem nicht jeder hat Verständnis und Toleranz für Andersdenkende, Anderssprechende, Andersbetende oder überhaupt Andere. Oder kurz und knapp, der hingeworfene Quilt, den man meiner bescheidenen Meinung nach ganz gut als Sinnbild für unser Gemeinwesen nutzen kann, sieht nicht nur chaotisch aus, er ist überdies noch nicht mal besonders gut genäht. Perfekt geht anders!
Aus dieser Gemengelage, die sich zuvorderst durch Engstirnigkeit im Umgang mit den jeweils Anderen – egal ob die andere Partei, die andere Kirche, der andere Club, das andere Dorf – auszeichnet und in der man als würzende Beilagen Propaganda, Des- bzw. Uninformiertheit, zweifelhafte gedankliche Konzepte von diesem oder jenem, zumeist aber insbesondere von Politik, sowie eine gesunde Portion ungesunder Überzeugungen finden kann, entsteht schlussendlich ein Bild, das vage an eine Deutschlandkarte vor dem Reichsdeputationshauptschluss erinnert. Für all jene die von Geschichte keine Ahnung haben: selber googeln! Jedenfalls kann man sagen, dass von EINEM deutschen Staat und EINER deutschen Geschichte bis zur Ausrufung des wilhelminischen Kaiserreiches kaum eine Spur zu finden wäre. Vielmehr war es ein Flickenteppich – eben ein Quilt. Und mental ist es auch heute noch ein Flickenteppich. Wenn man sich dieses Umstandes gewärtig ist, kann man aber den ganzen nationalistischen Quatsch sein lassen und alle Menschen einfach als das betrachten, was sie sind: Menschen. Sie essen wie ich, sie kacken wie ich und vermutlich sieht das Kopulieren auch ähnlich aus.
Diesen Gedankengang im Geiste nähern wir uns nun der aktuellen politischen Lage und stellen fest, das die Schwarzen und die Roten um die Machtverteilung und Inhaltssetzung in einem Gebilde ringen, welches demnächst vermutlich als dritte Große Koalition in die Annalen der bunten Republik eingehen wird. Und vor der haben viele meiner Mit-Sozen brutal Angst, weil sie befürchten, das die SPD ein zweites Mal nach 2005 Merkelisiert wird und dann alle Chancen auf ein triumphalen Sieg in 2017 endgültig perdu sind. Sind sie sowieso, denn wenn man auf Personen und Bilder setzt, um Inhalte nachschieben zu können, muss man Personen und Bilder bemühen, die auch ziehen. Davon ab haben sich die Mehrheiten in unserem Land schon lange verschoben – immer weiter nach rechts.
Achtung jetzt wird es mal kurz Stammtischig, aber ich muss heute mal wieder polemisieren, darum ein paar Zitate: „Man wird ja wohl noch sagen dürfen…“; „Ich bin echt nicht Ausländerfeindlich, aber…!“; „Das Boot ist voll!“; „Was wollen DIE alle hier?“; „DIE nehmen uns unsere Arbeit weg!“. Eine kurze Replik: Man kann alles sagen, wenn man sich hinterher für den Mist entschuldigt. Wir alle haben gelegentlich xenophobe Tendenzen, das ist menschlich, ABER man sollte sie nicht ausleben, sondern überdenken, wenn sie aufkommen. Ja, die Boote auf dem Mittelmeer sind voll. ZU voll, daher sollte man sich einen besseren Weg ausdenken, wie diese Menschen sicher übersiedeln können. Oder endlich von den wirkungslosen paternalistischen Formen der Entwicklungshilfe zu echter Förderung der jeweiligen Stärken der Herkunftsländer so vieler Flüchtlinge kommen. Dazu gehört zum Beispiel auch, autokratischen Regimes den Hahn zuzudrehen. Und zwar richtig! Die Übersiedler nehmen uns übrigens keine Arbeit weg, weil man sie in Übergangswohnheime steckt und ihnen weder eine Aufenthalts- noch eine Arbeitsgenehmigung gibt und sie so zum Nichtstun zwingt, was nach einer Weile zur sozialen Verelendung führt. Im Übrigen bringen viele Asylbewerber Know-How mit, das hierorts gut nutzbar wäre. Die Arbeit wird weggenommen von den Lobbymächtigen Unternehmern, deren einziges Interesse der Shareholdervalue ist – vulgo schneller Profit! Nachhaltigkeit kennt KEINE Aktien! Und was diese Menschen hier wollen? Nun, einem sehr viel bittereren Elend entfliehen, als wir Bürger eines der reichsten Länder der Erde uns überhaupt vorstellen können oder wollen.
Auch wenn es auf die Stammtischparolen also offensichtlich sinnvolle Antworten gibt, verhallen sie meist ungehört, weil…; nun weil unser Land ist, wie unser Land ist. Ich habe es ja vor wenigen Augenblicken beschrieben. Ein Flickenteppich von Emotionen, Vorurteilen, Interessen und vielem anderem mehr. Darauf weiß aber unsere Politik klassischen parlamentardemokratischen Zuschnitts gegenwärtig keine Antworten, weil sie selbst so sehr in ihr Ringen um Proporz, Konsens und (Partei)eigene Identität verstrickt ist, das echte inhaltliche Fragen meist zu kurz kommen. Wir brauchen aber gestalterische Perspektiven mit Visionen, auch wenn Herr Steinbrück meint, die findet man nur in Kristallkugeln. Wir haben sie nie seit dem zweiten Weltkrieg bitterer nötig gehabt als jetzt!
Mensch Sozen, ergreift diese Chance – vier Jahre Mitregieren ohne die bevormundungswilden Dosenpfandidioten und die Soziostalgiker. Es muss nur noch irgendjemand den teildementen Riesenpfosten aus München entsorgen und alles wird gut. Vier Jahre Zeit, über alte Fehler nachzudenken und neue Ideen zu entwickeln. Vier Jahre, den Menschen wieder nahe zu kommen, die nicht mehr verstehen können, was Politik tatsächlich für sie leistet, weil es ihnen niemand richtig erklärt hat. Vier Jahre Koalition statt Panik. Es ist an der Zeit für einen echten Neustart. Und ICH will nicht erleben, was vier Jahre Schwarz-Grün aus diesem Land machen könnten. Denn mit einem so schwachen Juniorpartner macht die Pastorentochter, was sie will. Schönen Tag noch.