Veggie-Bashing

Zunächst ein Bekenntnis: ich mag Fleisch. Kann sein, dass dies heutzutage bereits einen Grad an politischer Unkorrektheit konstituiert, für den mich irgendwer maßregeln möchte, aber zum einen ist das hier tatsächlich weitestgehend noch ein freies Land und überdies scheren mich in diesem Punkt üblicherweise anderer Leute Meinungen recht wenig. Nicht etwa, weil mir die Verbrechen, welche in der Lebensmittelindustrie an Tieren begangen werden egal wären, sondern weil ich mir des Umstandes bewusst bin, dass erst der Verzehr von Fleisch die Hominiden zum Homo Sapiens hat reifen lassen. Und auch, wenn so manche „Errungenschaft“ des Menschen besser unentdeckt und auch unverwirklicht geblieben wäre, so bin ich doch recht glücklich damit, ein halbwegs intelligentes, empfindungsfähiges Wesen zu sein. Andererseits wüsste ich vermutlich nicht, was mir fehlte, wenn ich’s nicht wäre, also was soll‘s…

Mir ist allerdings in letzter Zeit ein Trend aufgefallen, ausgerechnet mir, der von Trends so viel Ahnung hat, wie eine Kuh vom Fliegen. Aber tatsächlich scheint es derzeit en vogue zu sein, Vegetarier eher aber noch Veganer generell mit dem Verdacht des rechthaberischen Dogmatismus und der Arroganz zu strafen. Ich will gestehen, dass ich schon Vegetarier kennengelernt habe, die ein geradezu zwanghaftes Sendungsbewusstsein hatten. Aber diese waren in der Minderzahl und die üblicherweise pragmatisch, sachlich und freundlich vorgetragenen Argumente der anderen Fleischverschmäher waren für mich stets verständlich. Ich teile deren Standpunkte zwar nicht, habe aber Verständnis; und was die Massentierhaltung angeht: Discounterfleisch versuchen wir langsam aber sicher durch Bio zu ersetzen. Man isst heute eh tendenziell zu viel Fleisch.

Was aber nun das Veggie-Bashing an sich angeht, habe ich den Verdacht, dass es dem Feuilleton im Moment einfach an guten Feindbildern fehlt. Die Griechen werden schon von den Kollegen der Politik- und Wirtschaftsressorts abgearbeitet, gleiches gilt für TTIP (wenn sich überhaupt jemand dafür interessiert), die ganze Streikerei, und so weiter. Man kann sich ja nun aber nicht immer nur mit Hochkultur befassen, oder Kunst- und Kulturschaffende beleidigen, die nicht der Kritik schmeicheln, also generiert man eine schöne Leinwand, auf die man ein bisschen selbstgerechten Hass projizieren kann. Veggies bilden nämlich eine gesellschaftliche Minderheit, bestimmte Stereotypen, die man mit ihnen in Verbindung bringt, taugen zur Stigmatisierung, et voilá, fertig ist das Feindbild. Schon seltsam, dass ausgerechnet Menschen, die sich im Grunde für eine bessere Welt engagieren, so leicht zur Blaupause einer Hassfigur werden können, nicht wahr…?

Alles halb so wild, werden jetzt andere abwinken. Lasst die Journaille doch ein bisschen die Veggies bashen, tut keinem weh, kostet kein Geld extra, ist irgendwie auch ein bisschen lustig, oder? Nö, ist es nicht! Es mag kein Geld kosten und im ersten Moment wirken manche Artikel unterhaltsam und irgendwie richtig. Denkt man aber einen Moment länger darüber nach, entdeckt man billigen Populismus übelster Machart. Töne, wie sie die AfD anschlägt. Denn dumpfe Feindbilder erzeugen Hass, der das Denken vernebelt, die Wahrnehmung manipuliert und unser Land zu einem noch etwas schlechteren Ort macht. Aber Toleranz nicht nur buchstabieren, sondern auch leben ist wohl eine Fähigkeit, die uns immer mehr verloren geht. Wie dem auch sei, ich es jetzt erst mal ein vegetarisches Gyros. Probiert’s doch auch mal, erweitert den Horizont.

Idiotie am Arbeitsplatz

Es ist, bei Lichte betrachtet, ein ziemlich schmaler Grat zwischen noch halbwegs charmanter Prinzipientreue und dogmatischer Phrasendrescherei. Ich selbst bin ein kleiner arroganter Drecksack, wenn es darum geht, eine persönliche, aus langer Erfahrung kondensierte Meinung zu vertreten. Ich tue dies allerdings auch nur selten vordergründig; es ist viel einfacher, die sokratische Mäeutik zu benutzen. Und ich versuche meistens nicht, meine Meinung anderen aufzudrängen. Mag sein, dass der eine oder andere mich dennoch für einen besserwisserischen Idioten hält, aber zum richtigen Klugscheißen muss man halt auch klug sein. Ist man dies nämlich nicht, entsteht Ablehnung vielleicht aus eigenem Unvermögen oder Unverständnis? Wie dem auch sei, ich bin mir meiner vielen Fehler bewusst und dennoch schaffe ich es recht oft, nicht so furchtbar daher zu kommen wie jene, die ihre eigene Meinung für das Maß aller Dinge halten, eben weil ich meine Fehler und die daraus zwangsweise resultierende Fehlbarkeit meines Intellektes anerkenne. Außerdem bedeutet Recht zu haben nicht zwangsläufig auch, Recht behalten zu müssen – vor allem nicht um jeden Preis! Es sei denn, andere Menschen sind einem wirklich vollkommen gleichgültig.

Unterwegs auf dem schmalen Grat stolpert man manchmal. Das ist bei schwierigen Wegen nun mal so. Manche aber machen sich entweder bewusst, oder weil sie ihre eigenen Fehler nicht erkennen können, auf den Weg abseits des Grates. Und weil die saftige Wiese der Besserwisserei, vulgo des Dogmas nun mal viel einfacher und hübscher zu beschreiten ist, als der karge, rutschige Hang der Selbstreflexion, begegnet man den allzu selbstgefälligen, von der Richtigkeit ihres Redens und Tuns unbedingt Überzeugten andauernd. Im Privatleben kann man derartige Begegnungen oft elegant abkürzen, indem man den oder diejenige meidet, einfach woanders seine Lebensnotwendigkeiten und Dienstleistungen einkauft, oder die Nervtöter straight forward darauf hinweist, dass die Grenze eben erreicht wurde. Wenn das auf der Arbeit doch nur auch so leicht wäre.

Natürlich kann man dort nicht so einfach vermeiden, wie im privaten Sektor und eine direkte Konfrontation muss nicht unbedingt klärend wirken, sondern kann auch im Gegenteil dauerhafte Probleme wie Mobbing, Denunziation, negative Halo-Effekte und manch anderes bewirken. Davon hat man wirklich eine lange Zeit und es kann einen so weit treiben, dass man davon arbeitsunfähig wird. Wie immer bei sozialen Beziehungen spielen hier eine Menge individueller Faktoren eine Rolle, so etwa die persönliche Resilienz gegen Stress, die jeweiligen kognitiven Ressourcen, die Verträglichkeit der eigenen Person usw. Doch auch, wenn man unterstellt, dass es unterschiedliche Persönlichkeiten gibt, die auch unterschiedlich gut mit dem Stress am Arbeitsplatz umgehen können bleibt immer der Umstand übrig, dass in jedem Job ein paar von diesen Typen gibt, die einfach jeden Morgen erst mal eins in die Fresse verdient haben, damit sie sich einen ruhigen Platz suchen und nicht nerven; und mindestens einen, der die Welt, wenigstens aber ein paar Kollegen brennen sehen will. Und sei es nur, um selbst ein bisschen besser dazustehen.

Ich habe neulich – nicht zu irgendjemand speziellem, sondern eher so ganz allgemein in den Raum – gesagt, dass ich mich auf der Arbeit nicht mehr anschreien lasse. Die entsprechende Person dürfte mit körperlicher Züchtigung rechnen. Danach würde ich einfach die Schlüssel auf den Tisch legen und mir was Neues suchen. Ich habe noch mal kurz darüber nachgedacht, aber irgendwie stehe ich dazu. Wahrscheinlich würde ich nicht körperlich werden, sondern verbal, aber der Bullshitmorast, durch den ich, speziell bei Diensten in einem Großraumbüro abseits meines eigentlichen Arbeitsplatzes waten muss, ist zu zehrend, als dass ich mich in einer SITUATION mit dogmatischen Phrasendreschern noch sonderlich zurücknehmen könnte – oder wollte! Ich gebe, was ich habe und lass jedem seinen Sandkasten, erwarte aber im Gegenzug, dass man mir auch meinen Sandkasten lässt, sonst reagiere ich unter Umständen auch mal harsch. Schönes Leben noch!

Interessenkonflikt?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Reisen in mir ziemlich oft ambivalente Gefühle auslöst. Nicht immer, aber zumindest häufig, wenn ich es alleine tue; bzw. alleine tun muss. Das mit dem alleine müssen hat mit meinem Studium zu tun, so dass es letzten Endes einem Zweck dient, der die Mittel zumindest ein Stück weit rechtfertigt. Aber darum soll es hier gar nicht gehen, denn mit den kleinen und großen Problemen, die das zeitigt, will ich hier keinen langweilen. Nun ist Ambiguität allerdings ein Thema, welches mich brennend interessiert. Einerseits, weil ich es aus psychologischer Sicht brutal spannend finde, in welch unglückliche Lagen unser Gehirn uns manchmal unverhofft bringen kann; andererseits, weil ich denke, dass die Spannungen, welche ambivalente Gefühle in uns erzeugen können, gleichsam einen Motor zur Innovation darstellen. Zumindest, wenn man es versteht, diese Energie für sich nutzbar zu machen.

Widerstreit im Geiste erwischt uns immer dann, wenn wir uns unserer Selbst und folglich auch unserer Einstellung zu irgendeiner Situation, Sache oder Person nicht sicher sind. Meiner persönlichen Erfahrung nach ein nicht allzu selten auftretender Umstand. Tatsächlich bilden wir uns ja gerne eine, Meister unseres Schicksals zu sein, jedoch entlarvt die Realität dies öfter als Illusion, als uns lieb ist. Viele Prozesse, die unser Tun oder Lassen zum Teil entscheidend mitbestimmen, laufen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle ab, also unbewusst und automatisiert. An diesem Ort unseres Geistes regieren die Stereotypen und die Heuristiken. Also Schemata und Prozesse, die sich durch eigene, voran gegangene Erfahrungen, durch die Ideen und Informationen Anderer, die in uns wirken und durch unsere tiefsten Emotionen erschaffen, manchmal verändert, aber im Lauf der Zeit vor allem verfestigt werden. Und die unsere Wahrnehmung, unsere oberflächlichen Empfindungen, unser Denken und damit zwangsläufig auch unser Handeln strukturieren. Ich würde nicht sagen, dass wir dem hilflos ausgeliefert sind, aber wissenschaftlich erwiesenermaßen üben diese Automatiken des Geistes einen nicht unerheblichen Einfluss auf uns aus.

Zurück zur Ambiguität ließe sich sagen, dass sie somit ein wesentlicher Bestandteil unserer mentalen Welt wird, weil die Idee, welche wir von uns haben, das Selbstbild, welches wir zu entwerfen wagen, ebenso zwangsläufig häufig von Verhalten torpediert werden wird, dass nicht unseren bewussten Intentionen entspricht. Immer und immer wieder. Denn unser Bestreben, eine sinnhafte Geschichte unserer Identität zu erzählen, wird dabei durch eigenes Tun untergraben. Die Folge sind innere Konflikte, deren Auflösung uns um die eine oder andere Nacht Schlaf bringen kann. Oder uns dazu nötigt, uns mit dem Gedanken auseinander zu setzen, dass wir gar nicht so clever, so großartig, so intellektuell gewandt oder wissend sind, sondern ganz schlicht nur Menschen… Menschen, die gleich ob es ihnen gefällt oder nicht, allem Wissen und allen Fertigkeiten zum Trotz regelmäßig in die Emotionsfalle tappen.

Ich habe mal gesagt, dass ich nicht klingen möchte, wie irgend so ein Ratgeberbuch, weil die meisten Machwerke dieser Coleur mir ein Graus sind; unausgegoren, einseitig, dogmatisch, und was weiß ich nicht noch alles. Für die meisten Autoren geht es doch nur um einen schnellen Euro, also schmieren sie mal geschwind ein Buch hin, kann ja jeder. Jetzt habe ich mich selbst in die – ambivalente – Zwickmühle manövriert, behauptet zu haben, dass man diese innere Zerrissenheit in Energie ummünzen kann und blieb bisher die Ausführung schuldig, wie das denn gehen soll. Ich kann aber nur beschreiben, wie ich das angehe. Ob es so auch bei anderen funktioniert, weiß ich nicht.

Ich selbst lasse meinen Emotionen in solchen, zumeist anspannenden Situationen kurz freien Lauf – zumindest, sofern die Art der Empfindung dies erfordert – und konzentriere mich danach sofort auf eine halbwegs anspruchsvolle Aufgabe. Die Zeitspanne des Dampfablassens sollte dabei nicht länger als drei bis fünf Minuten sein, so dass noch Drive da ist. Während dieser Zeit wird der Emotionsüberschuss kanalisiert, bei Wut zum Beispiel, indem ich eine stilisierte Sorgenpuppe, die meine Frau mir mal geschenkt hat in die Ecke pfeffere, gerne auch von einer unartikulierten Verbaläußerung begleitet. Es ist meines Erachtens nämlich Irrglaube, sich immer schön still verhalten zu müssen. Manchmal lasse ich auch kurz Heavy Metal laufen und poge dazu einen Song lang durchs Zimmer. Und dann fange ich sofort an, etwas Produktives zu tun. Klingt einfach, ist aber schwer, klappt nicht immer und braucht im ersten Moment Kraft; danach profitiere ich aber von frei gewordener Energie.

Ich finde diese Strategie dann und wann hilfreich, man sollte aber eines nicht vergessen: Egal, wie man es angeht, es sind diese Interessenkonflikte mit sich selbst, die man bereinigen muss, bevor man sich mit jenen beschäftigen kann, die andere Menschen betreffen. Und gelegentlich kann man dabei das eine oder andere schlechte Stereotyp über Bord werfen.

Ein kurzer Zwischenruf zum Fall Tugce.

Ja, ja, die Justiz ist ja so lasch! Hängen sollte man diesen Sanel! Oder habe ich da was falsch verstanden, wie ich mir mal den selbstgerechten Furor so mancher Menschoiden im Netz, oder auch die Differenziertheit deutlich vermissen lassenden Auslassungen nicht weniger Journalisten so ansehe? Was hat man denn erwartet? Die Geschichte ist schon eine Weile her, die Leumunds-, vor allem aber die Tatzeugen wurden von Anfang an durch tendenziöse Berichterstattung einzelner Medien mit jedoch hoher Reichweite so sehr polarisiert, dass ihre Aussagen kaum von hohem Erkenntniswert für das Gericht gewesen sein dürften. Und der Beweis für die objektive Schuld des jungen Mannes – ein grieseliges Überwachungsvideo der Tat – zeigt so Manches, leider jedoch nicht die kausale Ursache für das zweifellos dumme, aggressive und in der Konsequenz furchtbar tragische Ausrasten von Sanel M.

Ich weiß, dass weder juristische noch soziologische Betrachtungen den meisten Menschen in so einem Fall genügen, weil es in ihnen ein atavistisches Verlangen nach Rache gibt, dem limbischen System sei Dank. Nehmen wir aber mal an Tugce hätte Sanel umgehauen und tödlich verletzt. Hätte das bundesweites Aufsehen erregt? Ich denke nicht, denn Sanel ist kein, als hoch engagiert und gut integriert darzustellendes Mädchen, mithin also ein Aushängeschild für die tolle Integrationspolitik in unserem tollen Land! Die faktisch ein riesiger Haufen Müll ist und wesentlich mehr Verlierer als Gewinner produziert; Verlierer wie Sanel M, der aus verletztem Stolz etwas Unüberlegtes mit gewaltigen Konsequenzen getan hat. Ja, ein Leben wurde ausgelöscht, das ist bitter, tragisch und die Familie wird es sehr schwer haben, jemals zur Ruhe zu kommen. Auch weil unsere Medien das Ganze immer noch ausschlachten. Doch das Skript für dieses Drama wurde früher und von ganz anderen geschrieben, als den jungen Leuten auf den schlechten Kamerabildern.

Jeder, der sich etwas umfassender damit beschäftigt weiß, dass viel zu viele junge Menschen von unserem Bildungssystem abgehängt, in einen Kreislauf aus Versagen, Selbstzweifeln, Ersatzbefriedigung und Ringen um Respekt gedrängt werden. Das Kinder aus Migrantenfamilien bewusst, aber auch unbewusst, stärker benachteiligt werden und damit noch anfälliger für ein „Abrutschen“ sind. Auf dieser Blaupause wurde Sanels Biographie geschrieben. Er ist nicht die Krankheit, sondern ein Symptom. Und Symptome bestraft man nicht, die behandelt man. Ich sage NICHT, dass er gar keine Schuld trägt, denn wer genau wie viel Schuld trägt, wissen nur zwei Menschen; und von denen ist einer tot. Aber es gibt keinen guten Grund, abseits einer Strafe, die ihm vor Augen führen soll, dass Gewaltanwendung in so einer Situation dumm und ungemessen ist, weitergehende Sanktionsmaßnahmen zu fordern. Eine Gesellschaft, die einerseits behauptet, tolerant und offen zu sein, auf der anderen Seite aber drakonische Strafen fordert für etwas, dass auch aus dem eigenen Unvermögen entstanden ist, alle Kinder zu integrieren – oder, es wenigstens zu versuchen – kann man nur als bigott bezeichnen.

Ich kann das juristisch nicht beurteilen, weil mir dafür der Sachverstand und die Kenntnis der genauen Umstände fehlen, aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive jedoch finde ich das Urteil angemessen, weil es ihm die Chance gibt, nachzudenken und besser zu werden. Tugce wird davon nicht wieder lebendig; aber unser Staat lebt, zumindest vordergründig, das Prinzip des Rechtes, nicht der Rache, was bedeutet, das Sanel eine zweite Chance bekommen soll, auch wenn er schwere Schuld – die Last eines Lebens – auf sich geladen hat. In diesem Sinne einen Gewaltphantasiefreien Abend…

Beziehungsweise.

Manchmal will es einfach nicht klappen, Dinge zu erklären. Entweder mangelt es an halbwegs interessiertem Publikum, an einem Sujet, wo man jetzt gerade mal so richtig auf die Kacke hauen könnte; oder aber an der Lust. Mit dem Erklären und Lehren ist es, wie mit jeder anderen etwas komplexeren Verrichtung auch: wenn man’s nicht mit einer gewissen Hingabe macht, wird’s halt Kacke. Also ich will damit jetzt nicht sagen, dass der Fachverkäufer seine Waren liebkosen soll, der Bürohengst seine Flipcharts mit Glitzersternchen verzieren, oder der Musiklehrer Arien singen muss; ich meinte mehr jene Zuwendung an das Fach und den Respekt vor den Tücken, die Sorgfalt und damit konsistent gute Leistungen hervorbringen. Und sofern es um Menschen geht, fände ich ein wenig Achtung vor den Bedürfnissen der Klienten auch ganz schick – vollkommen unabhängig davon, welcher Art diese Beziehung auch ein mag. Womit wir bei der Beziehungsweise wären.

Meistens wird das ja synonym zum Wort „oder“ benutzt, aber ich finde eine Verwendung als Nomen jetzt gerade passend, auch weil Beziehungen relativ häufig das Wort „oder“ enthalten. (OK, „aber“ kommt auch ganz schön oft vor.) Zum Beispiel wenn es um Handlungsalternativen oder differierende Meinungen geht. Und die entstehen in jeder Beziehung zwangsläufig; beziehungsweise sie sind ein Hinweis darauf, dass das Miteinander verschiedener Individuen stets die Möglichkeit des Missverstehens, Missachtens oder auch des Miss(be)handelns beinhaltet. Wir sind ja schließlich verschieden! Nicht nur die Gender, nein, nein, Menschen so ganz an sich. Denn wir sind doch alle einzigartig; na ja, meist mehr einzig, als artig…

Sich selbst und sein eigenes Tun als einigermaßen einzigartig zu erachten, ist ein notwendiger Mechanismus, mit dem unser Hirn eine halbwegs stimmige Erzählung unserer Existenz fortführt und erhält. Würden wir uns nicht als unabhängig, individuell, selbständig wahrnehmen, könnten wir unser Selbst nicht begreifen, nicht als eigenständige Person agieren. Und so uncharmant die Nebenprodukte der Persönlichkeitsautonomie im psychologischen Sinne auch sein mögen – z.B. das vehemente Absondern auch der abseitigsten Meinungen – sind sie doch integraler Bestandteil des Menschseins. Jeder Mensch muss als Kind erst erkennen, dass er ein eigenständiges Ding ist, das ganz viele Dinge tun kann um hernach erlernen zu müssen, dass für das Miteinander dieses Selbst beschnitten werden muss. Das ist aus rein praktischer Sicht falsch rum, denn zuerst begreift ein kleines Kind sich und die Welt als eins; allerdings mit dem Nachteil, dass es das Konzept von dein und mein erst mühsam erlernen muss. Und das endet nicht mit dem Schulabschluss, sofern man denn überhaupt einen erwirbt.

So oder so entscheidet die Beziehungsweise, beziehungsweise wie gut wir es verstehen, unsere persönliche Einzigartigkeit mit der individuellen Einzigartigkeit der anderen in Einklang zu bringen darüber, ob ein Miteinander funktioniert. Natürlich gehören zu einer funktionierenden Beziehung immer zwei, da bringt jeder etwas Gutes in den sozialen Austausch mit und dann funktioniert das schon. Manchmal – manchmal auch öfter – klappt es aber nicht wie erhofft, weil zum Beispiel der individuelle Return of Investment nicht entsteht; dazu hörte ich dieser Tage von einem Kollegen, der sich um einen Praktikanten bemühte, dieser aber immer nur seinen Kopf durchzusetzen versuchte. Man könnte sagen, der Praktikus ist selber schuld, wenn er das Lehrangebot nicht annimmt. Dem stimme ich zu, allerdings muss man den jungen Mann einmal fragen, was ihn zu diesem Verhalten veranlasst. Hat er dazu keine sinnvolle Antwort, hat er Pech gehabt, denn all die kleinen Prinzen und Prinzessinnen die da so langsam heranreifen, müssen halt auch mal scheitern. Insbesondere, wenn dies aus eigener Borniertheit geschieht.

Es kann aber auch sein, dass man selbst einer Fehleinschätzung unterliegt, dem Gegenüber zu viel oder zu wenig zugetraut, oder eine persönliche Ader getroffen hat (das muss noch nicht mal willentlich geschehen sein), was den sozialen Fluss bis zum Stillstand hemmen kann. Auch in diesem Fall gilt es, ein beim Gegenüber wahrgenommenes Fehlverhalten zu thematisieren; einmal, klipp und klar. Gibt es keine vernünftige Antwort – siehe oben! Denn so sehr einem ein harmonisches Arbeitsumfeld am Herzen liegen mag, ein harmonisches Privatumfeld ist noch sehr viel wichtiger. Folgerichtig muss ich nicht erklären, wohin der größere Teil meiner empathischen Energie fließt, oder? Allerdings nehme ich mir, bevor ich irgendjemand mit seinem Bullshit konfrontiere sehr viel Zeit, die Dinge zu begutachten. Außer beim Blaulichtfahren hasse ich es überdies, meine Stimme zu erheben. Kostet mich zu viel Zeit und Nerven.

Stattdessen beobachte ich Menschen zumeist – übrigens für mein Leben gerne – und gebe Ratschläge genau dann, wenn sie in die Situation passen und einen Mehrwert für den Angesprochenen erzeugen. Sich aufzudrängen, schadet nämlich auch der Beziehungsweise. In diesem Sinne noch einen schönen Tag.

A snipet of barbecue

Es muss einfach mal gesagt werden: nicht jeder Deutsche, der gerne grillen möchte, hat auch einen Garten, oder einen Balkon, auf dem dies gestattet ist. Wenn eine Stadt auf der innenstädtischen Uferbegrünung das öffentliche Grillen gestattet, gibt es natürlich immer Leute, die sich über die Geruchs- und Lärmbelästigung beschweren; weil ein Kohlefeuer in Verbindung mit eingelegtem Fleisch, Fisch und Gemüse nun mal Qualm erzeugt und überdies viele Leute das Grillanzünden nicht ohne ein wüstes Überangebot an Bandbeschleuniger hinbekommen. Das ist zwar irgendwie ein bisschen traurig, aber immerhin glauben auch diese Menschen, die einzig gültige Wahrheit über Feuer vs. Fleisch zu kennen. Schauder erzeugendes Ablöschen mit Bier inklusive.

Zudem neigen Menschen beim geselligen Miteinander dazu, sich miteinander auszutauschen und – oh mein Gott – zu lachen, oder auch mal zu grölen. Man grillt nicht gern alleine, was sich auch der Energiebilanz wegen kaum lohnen würde. Man mag schließlich die kulinarische Vielfalt und, wie gesagt, den untrennbar damit verbundenen sozialen Austausch! Und ehrlich gesagt kann ich nicht glauben, dass die ganzen Bedenkenträger und Beschwerdeführer ihre eigenen Gelegenheiten bzw. Anlässe dieser Art in stiller Kontemplation verbringen. Na ja, vielleicht haben sie auch keine Freunde und sind einfach nur neidisch auf die Feierwütigen unten auf der Neckarwiese.
Ich will zugeben, dass der Müll ein Problem darstellt, aber wenn wir das schnell und zudem noch unbürokratisch zu regeln bereit wären, würde man einfach einen ABMler rumschicken, der eine „Solidarabgabe Müll“ von einem Euro pro Person einsammelt, um mit diesem Geld das Aufsammeln und Abtransportieren des Mülls zu bezahlen. Oh, ich vergaß, wenn man das einfach mal schnell organisiert, haben die ganzen Grillgegner – a propos, ich wüsste gerne mal, wie groß eigentlich deren Prozentsatz an der Gesamtbevölkerung des betroffenen Areals ist? – ja gar keine guten Argumente mehr: Müll? Erledigt! Emissionsschutz bezüglich Qualm und Lärm? In Mannheim? Das ich nicht bitter lachen muss! Was bleibt also? Dummes, kleingeistiges Querulantentum. Schön zu wissen, dass die gegenwärtigen menschlichen Problemzonen, die es in der Stadt verbreiten, sich biologisch selbst lösende Probleme sind…

Und ganz davon abgesehen wüsste ich gerne mal, wo die ganzen Menschen sonst zum Grillen hin sollen. Sie alle darauf zu verweisen, dass sie doch einen Schrebergarten pachten oder im Restaurant essen gehen können, ist angesichts der finanziellen Implikationen wohl ein bisschen arg kurzsichtig, n’est-ce pas? Wie dem auch sei, ich bin mir fast sicher, dass die Stadt Mannheim mal wieder vor ein paar Querulanten einknickt und die Erlaubnis kassiert. Sowas nennt man dann repräsentative Demokratie – jene, die sich repräsentieren, werden gehört. Erinnert irgendwie an den allseits verhassten Lobbyismus, oder? Habe fertig, schönen Tag.

Eine Spur von Blau?

Ich sitze im Garten und schaue nach oben. Blau über Blau, kein Wölkchen in Sicht, ein laues Lüftchen weht zwischen den Häusern, die ein Geviert gefühlter Abgeschiedenheit in mitten der Stadt bilden. Wie mein Blick für einen langen Augenblick so verharrt, fällt mir auf, wie klein unser Haus aus dieser Perspektive ausschaut. Oder zumindest, die mir jetzt zugewandte Seite. Schmal scheint der Bau zu sein, fast filigran und wenn man drinnen ist, trotzdem so riesig und voller Leben. Muss eine Verzerrung der Raumzeit sein, auch wenn ich eher keine Quantensingularitäten im Arbeitszimmer liegen habe. Da liegen nur CDs und Bücher und Notizblöcke und weiß der Teufel was Fusti umher; man denkt immer, alles Wichtige aufgeräumt, ordentlich, im Griff, bei Not zur Hand zu haben. Noch so eine Verzerrung, die allerdings bei nächster Gelegenheit von einer Kollision mit der normativen Kraft des Faktischen auf den Friedhof der hübschen Illusionen befördert wird. Denn realistisch betrachtet ist die Ordnung unseres jeweiligen individuellen Mikrokosmos ungefähr so fragil, wie das Bild des Hauses, in dem ich schon recht lange lebe. Aber so lange aufgeräumt ist, sieht es wenigstens gut aus…

Der Himmel scheint mir grenzenlos, so weit, dass mein Zuhause davor immer kleiner wird, immer unwichtiger, immer weniger mächtig und beschützend. Und dennoch niemals insignifikant. Denn läge die subjektive Sicherheit meiner Existenz tatsächlich in schier unendlicher Größe, in unerschütterlicher Macht über das Schicksal, in Beherrschung alles Beherrschbaren begründet… tja dann wären wir vermutlich alle im Arsch, denn ICH als Herrscher des Universums, also das KANN NICHT GUT GEHEN! Ebenso wenig, wie übrigens bei irgendeinem anderen Menschoiden da draußen. Wir alle sehen doch kaum weiter, als bis zur nächsten Straßenecke – und das meine ich nicht nur räumlich – wir sind viel zu leicht beeinflussbar, schwach und dumm, nennen uns dennoch Krone der Schöpfung. Ist schon ein bisschen arrogant, oder?

Es ist schon sommerlich warm, fast heiß, ich brauche zwischendurch eine Abkühlung, lasse die Gedanken wieder einfach so baumeln und taumeln und komme doch noch einmal zurück zum Blau des Himmels. Es ist schön hier und auch wenn ich mir mittlerweile sicher bin, dass es besser ist, wenn wir Menschen – insbesondere auch ich selbst – niemals alle Geheimnisse entschlüsseln, die es zu wissen gibt, wüsste ich doch sehr gerne, warum es ausgerechnet dieser Himmel ist, der uns Menschen immer und immer wieder mit Sehnsucht erfüllt. Mit Wanderlust, mit Forscherdrang, mit Neugierde und Staunen. Endlosem Staunen, wenn wir es denn nur zulassen. Ist es vielleicht eben dieses Gefühl, sich langsam in der eigenen Unwichtigkeit zu versenken, das die Last abfallen, den Tag helle werden lässt? Wie ich diese langen Sommerabende liebe, die man heiß, im Schein der Sonne beginnt um sich alsbald langsam ins unendliche Blau, dann Schwarz der Nacht treiben zu lassen. Essend, trinkend, redend, schweigend, lachend, lauschend im Fluss mit sich und der Welt ist, bis es irgendwann viel zu spät wird, um am nächsten Morgen den üblichen Verpflichtungen auch nur annähend ausgeruht nachgehen zu können. Aber den Preis zahlt man gerne, zumindest ich tue das.

Auch Nachdenken gehört zu einem solchen Abend, womit ich wieder bei meiner Erkenntnis der eigenen Unwichtigkeit ankomme. Denn es ist eine Frage der Perspektive. Immer wird man aufgefordert, das große Ganze zu sehen, schön produktiv, konform und funktional zu sein. Das beginnt in der Schule, zieht sich durch das Berufsleben und scheint immer mehr irgendwie auch den Weg ins Private zu finden. Dauernd faselt irgendein Wichtigling was von Work-Life-Balance und meint damit, dass man einfach noch besser funktionieren muss. Da fällt mir ein Song von Großstadtgeflüster ein: „Ich muss gar nix, außer atmen, trinken, essen und ficken…“. Wenn es um den Schutz der Privatsphäre geht, fällt mir dazu nicht nur das Tun der NSA ein, sondern auch der Selbstschutz durch Unterlassen. Irgendwelche Neoliberalen Sozen-Hasser werden mich jetzt vermutlich als Leistungsverweigerer sehen, aber das ist mir eins! Sich der Forderung nach mehr Selbstausbeutung zu verschließen, hat meiner Meinung nach den Charakter von gesundem, die eigenen Existenz schützendem Verhalten.

Denn so wie es offensichtlich eine Illusion unter dem blauen Himmel ist, dass wir unsere Leben wirklich im Griff haben, ist es auch eine Illusion, dass andere es im Griff hätten. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die zu viel Arbeit für zu wenig Geld leisten müssen, darum Not leiden und sich nach einer Chance zum Müßiggang sehnen. Es wäre schon toll, wenn wir es schaffen könnten, das irgendwann zu ändern. Ein Weg dahin könnte es vielleicht sein, sich mal der eigenen (Selbst)Ausbeutung zu verweigern und stattdessen in den Himmel zu schauen. So kann man zum Beispiel erkennen, dass das Leben manchmal einfach nur das Leben sein sollte und keine Aneinanderreihung von Notwendigkeiten. Einfach nur Leben mit einer großen Spur von Blau darüber. Und ganz nebenbei können wir damit so genannte Entscheider, die zu so manchem fähig sind, aber leider eher selten zu sinnvollen oder gar humanen Entscheidungen, vielleicht dazu nötigen, die bessere Wahl zu treffen; eine, die menschenwürdiges Arbeiten und leistungsgerechte Entlohnung schafft. Das würde schon viel helfen. Während wir zusammen daran arbeiten könnten, müssen wir uns allerdings mit dem Blick ins hoffnungsvolle Blau begnügen…

Tarifeinheit ist eine Illusion!

Ich möchte mal etwas richtig stellen – Horst Weselsky ist ein Unsympath, wie er im Buche steht, ein von Machtinstinkten und Geltungsbedürfnis gesteuerter, immer noch von den Kränkungen der Wiedervereinigung gezeichneter, kleiner Mann. Man muss ihn nicht mögen, man muss noch nicht einmal die Gewerkschaft der Lokführer mögen, oder den Umstand, dass sie seit Monaten immer wieder den Verkehrs-shit rocken. Man muss noch nicht mal Solidarität oder wenigstens Verständnis für deren Sache aufbringen. Man muss einfach nur begreifen, dass Spartengewerkschaften ein Existenzrecht haben. Und das das Tarifeinheitsgesetz einfach nur neoliberale Scheiße mit schwach-rotem Anstrich ist.

Danke Frau Nahles, dass sie endgültig öffentlich den Anspruch demontieren, Sozialdemokratin zu sein. Die Mitgliedschaft in einer Partei, die ihr Anrecht auf das Wort „Sozialdemokratisch“ auf Grund andauernder Inkongruenz zwischen niedergeschriebenem Anspruch und gelebtem Tagesgeschäft endgültig verwirkt zu haben scheint, qualifiziert nicht zur Inanspruchnahme des roten Mäntelchens für schwarze Politik. Auch Herrn Gabriels ununterbrochenes Werben für TTIP mehrt meine Sympathie für die aktuelle SPD-Agenda kaum. Um es noch einmal klar zu sagen: ich betrachte mich selbst als Sozialdemokraten, doch was die Genossen treiben, ist einfach unsozial, undemokratisch und unsinnig; bleibt der aktuelle Kurs erhalten, haben sie nichts anderes verdient, als endgültig im Nirwana der politischen Bedeutungslosigkeit zu verschwinden und zwar am besten verdammt schnell.

Ein Haustarifvertrag für alle Beschäftigten eines Unternehmens, egal was für einen Job sie machen? Damit wir uns weniger erpressbar machen? Ja wer ist denn durch Streiks erpressbar? Ich, oder ihr da draußen, so als Privatmenschen? Echt jetzt? In allererster Linie die Arbeitgeber und das ist auch gut so, denn wenn es nicht so wäre, hätten wir immer noch lauter nach Gutsherrenart ausgebeutete Lohnabhängige. Ohne den Druck, den Gewerkschaften heute – Gott sei Dank – legitimer Weise aufbauen dürfen, würden wir unsere Arbeit immer noch unter vormodernen Bedingungen leisten und auch wenn es einen gelegentlich nerven mag, wenn man die Auswirkungen eines Streikes am eigenen Leib spürt, ändert das NICHTS, ABER AUCH GAR NICHTS DARAN, DASS ES EIN GOTTVERDAMMTES GRUNDRECHT IST UND BLEIBEN MUSS! ALSO HALTET ENDLICH DIE FRESSE, IHR DUMMEN, UNREFLEKTIERTEN MENSCHOIDEN, DENEN STREIKEREI NICHT PASST!

So, wie die demokratische Gesellschaft das Skandieren, Propagieren, ja manchmal sogar teilweise das Randalieren der politischen Randspektren dulden können muss, so sie denn als halbwegs vital betrachtet werden möchte, so müssen die Bewohner der Demokratie es auch aushalten können, wenn andere Teilnehmer am Projekt Gesellschaft ihre ureigensten Rechte ausüben. Im Gegenteil hätten die Streiker unsere Unterstützung verdient, aber wann immer man so was offen sagt, ist man ja stets gleich eine dumme linke Sau. Dass die vehementesten Streikgegner dabei ihren ungehemmten Egoismus mit einem demokratischen Anrecht auf unbehelligte Selbstentfaltung verwechseln, ist eines der tragischen Grundprobleme unserer langsam offenbar werdenden Demokratiekrise. Man könnte es auch schärfer ausdrücken: ihr verschissenen, egotrippenden Couchpotatoes da draußen glaubt wohl, dass der Staat nur dazu da ist, eure feinen, kleinen Egos zu beglücken.

Doch die Wahrheit sieht anders aus: der Staat, das ist zuallererst die Gemeinschaft aller Menschen, die ein bestimmtes Territorium bevölkern. Und so, wie man seinem Nachbarn mal ein Stück Butter leiht, oder beim Möbelschleppen hilft, weil man dann selbst auch mal auf Hilfe hoffen darf, so muss man sich selbst auch in das Projekt Gesellschaft an sich einbringen, um es am Funktionieren zu halten. Was in diesem Kontext bedeutet, dass man eben die zu Recht streikenden unterstützt, anstatt sie zu beschimpfen oder unter Druck setzen zu wollen. Vielleicht stehen sie dann das nächste Mal, wenn ich für irgendetwas streiten will auch an meiner Seite? Doch dieses simple Prinzip, Solidargemeinschaft geheißen, scheint nicht mehr gelebt zu werden. Anders ist dieses Dauergenöle über die Streiks und die daraus resultierenden privaten Belastungen kaum zu erklären. JA, es ist schwierig, Kinder und Job unter einen Hut zu bringen, wenn die KiTa zu ist, oder zur Arbeit zu gelangen, wenn kein Zug mehr fährt, aber die machen das nicht dauernd und vor allem nicht zu Unrecht. Womit eigentlich alles gesagt wäre… bis auf eines vielleicht: wenn ihr wollt, dass die Streiks schneller rum gehen, macht doch selber Duck auf deren Arbeitgeber, zeigt euch solidarisch, tut was, anstatt immer nur das Maul aufzureißen. Wie wäre das?

Die dumme Plebs…

Schon früh im 20. Jahrhundert stellte Walter Lipmann, einer der profiliertesten Publizisten seiner Zeit in seinem wichtigsten Buch „Public Opinion“ fest, dass man öffentliche Meinung „herstellen“ kann. Er empfand dies als legitimes Mittel, um die weitestgehend unwissende Masse lenken zu können und so die Entscheidungsmacht über die wichtigen gesellschaftlichen Fragen in die Hände der „Richtigen“ zu legen. Er sah diese Aufgabe den gesellschaftlichen Eliten zukommen, da nur sie fähig wären, genug zu wissen und diese Kenntnisse auch korrekt beurteilen zu können, um zu den richtigen Entscheidungen kommen zu können. Wie in den sozialwissenschaftlichen Büchen jener Zeit üblich, kommt der Autor also zu verschiedenen normativen Aussagen; davon abgesehen, dass sich seine Ausführungen auch heute noch erhellend lesen, bleibt festzustellen, dass zum einen manches aus der Zeit gefallen wirkt (was allerdings auch den fast 100 Jahren seit der Entstehung geschuldet ist) und zum anderen die Konklusionen bezüglich der legitimen Manipulierbarkeit der Massen so nicht stehen bleiben dürfen…

Festzustellen wäre zunächst, dass die Möglichkeiten, informiert zu sein sich seit damals erheblich pluralisiert und demokratisiert haben. Es ist heute fast jedem Menschen zuzumuten, sich über dies oder jenes umfassend zu informieren, denn seriöse, weitgehend frei zugängliche Quellen gibt es genug. Auch den Weg dorthin zu finden ist eigentlich gar nicht schwer, doch selbstverständlich bleibt eine Barriere, die es auch schon damals gab nach wie vor bestehen: die Urteilsfähigkeit, oder besser ein Mangel daran. Urteilsfähigkeit setzt nämlich neben Informationen auch die Fähigkeit zur Bewertung derselben durch das Inbezugsetzen zu anderen Kenntnissen voraus. Wissen zu vernetzen, aus Inseln ein Netzwerk unterschiedlichster Kenntnisse und Fähigkeiten auszubilden bedarf einer vielseitigen, nicht allzu fachstrukturierten, nicht zu beliebigen und nicht vollkommen an Verwertbarkeitsinteressen orientierten Bildung. Ja, Bildung ist der Schlüssel zum Verstehen gesellschaftlicher Zusammenhänge und der Probleme, die aus ihnen oder in ihnen entstehen können; und damit auch zu ihrer Lösung, denn gemeinsames Verstehen erlaubt überhaupt erst eine sinnvolle Konsensbildung. Man erinnere sich: Politik bedeutet Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen der einzelnen Gesellschaftsgruppen. Kein Verstehen, kein Kompromiss und irgendjemand macht wieder den Weselsky. Der hat auch nichts verstanden.

Ein zweites großes Problem liegt tatsächlich auch in der Pluralisierung nicht nur der Kanäle, sondern auch der Nutzer. Denn das unendlich multiplizierte Rauschen unqualifizierter Scheißewerfer, die alles mit unfundierten Biertischparolen zuspammen macht auch die Wirkung erstklassiger Artikel vollkommen zunichte, weil man sich lieber über die Verlautbarungen der anderen Bürger amüsiert/ärgert, anstatt übe das Thema selbst nachzudenken. Insofern wundert es wenig, dass die Meinungsproduktion nach althergebrachten Mustern immer noch bestens funktioniert. Und so brennen unsere Volksvertreter eine Nebelkerze nach der anderen ab, liefern sich Scheingefechte, debattieren öffentlich über Themen, die zwar die Volkesseele kochen lassen, im politischen Nettowert aber eher unter ferner liefen rangieren und schieben wichtige Entscheidungen außerhalb des Sichtfeldes durch. Nur wer sich die Mühe macht, Bundesdrucksachen aufmerksam zu lesen, findet die wahren Aufreger. Aber das macht ja Arbeit, nicht wahr?

Also gibt sich die dumme Plebs Mühe, die in sie gesetzten Erwartungen, sich ohne Fragen und Einwände durchregieren zu lassen auch zu erfüllen. Da grinst die Bundesmutti. Ihre Züge nebst der Bundesraute entgleisen bestenfalls, wenn Gegenwind aufkommt. Dann wird sie mürrisch und redet von Alternativlosigkeit und anderem Unfug, schlicht weil es keine andere Meinung neben ihrer geben darf. „Bürgerdialog“? Was für eine sinnlose Geldverschwendung, die doch nur wieder davon ablenken soll, wie wenig unser Mitreden als Bürger geduldet ist. NSA-Affäre? Haben wir alles im Griff, sind wie stets auf Kuschelkurs mit den Amis. Überteuerte Rüstungsprojekte? Da hat doch keiner Schuld… Autobahnmaut? Ach was, die EU ist ja nur gut, wenn sie unsere Gesetze respektiert. Rente mit 63? Ist doch super, was regt ihr euch darüber auf, dass man das Geld für anderes sinnvoller einsetzen könnte. Fiskalpolitik bzw. Sparkurs auf Schäuble äh Teufel komm raus? Tja, mir müsset halt spare gell, weil’s halt bisher immer so teuer war, Stimmen zu kaufen. Ach sterbt doch endlich, ihr ewiggestrigen Wirtschaftsdiener!

Super, jetzt habe ich mich wieder in Rage geschrieben. Und wofür? Es denkt doch eh keiner von euch über das nach, was er liest, oder? ODER? Einen Scheißtag noch…