Ich bin ein alter Sack?

Ja, ja, älter werden ist ein furchtbares Problem. Jetzt hat ein deutsches Printmedium von nicht unerheblicher Reichweite die Generation ab 40 als neue Problemzone ausgemacht, jene Menschen, die, so man verschiedenen Verlautbarungen glauben schenken möchte, gerade ihr anstrengendstes und ausgefülltestes Lebensjahrzehnt hinter sich haben. Wird anfangs noch davon gesprochen, dass man ja zwischen 40 und 50 den Zenit des Wohlstandes erreicht hat, bejammert man dann wenig später, dass Menschen dieses Alters in unserer wunderbaren Wohlstandsgesellschaft ja vollkommen gerädert von Karrierestress, Familiengründung und Hausbau in ein tiefes Loch der Traurigkeit fallen, weil der Glaube in den eigenen Nutzen angeblich in dem Maße schwindet, wie sich Aufstiegschancen verringern und man sich mit dem Überschreiten einer gedachten Lebensmitte seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst wird. Ach verdammt, ich muss ja bald sterben…

Und die letzten Babyboomer, die gerade eine halbe Generation vor einem sind – jetzt also so um die 50 – verbauen einem ja den Weg nach vorne, nach oben und überhaupt sind die Leute meiner Alterskohorte, so Ende 30, Anfang 40 ja alle so auf Konsens weichgespült worden, dass es uns an den guten alten Primärtugenden des Aufdentischhauens, Sichdurchsetzens, Anderewegbossens, Durchregierens und Aussitzens deutlich mangelt. Möglicherweise ist dem Autor entgangen, dass es die Aufdentischhauer, Sichdurchsetzer, Anderewegbosser, Durchregierer und Aussitzer waren, die unseren Staat an den Rand des Abgrunds manövriert, alles Vertrauen in die Eliten verspielt, uns unglaubliche Schuldenlasten angehäuft und das Gesamteuropäische Klima bis zur beinahe absoluten Ungenießbarkeit vergiftet haben. Ich HASSE schlecht durchdachte Sommerlochfüller, die mal dieser, mal jener Zielgruppe suggerieren sollen, dass sie doch ein Problembewusstsein für die eigene Situation braucht – Psychoratgeber und Medikationsvorschläge oft genug unnötiger Weise inklusive, denn ob ich krank bin oder nicht, entscheidet nicht die Kanaille von der Journaille, sondern ein geeigneter Facharzt.

Ich will ehrlich sein – ich habe mir nicht die Mühe gemacht, irgendwelche sozialwissenschaftlichen oder psychologischen Studien zu lesen, bevor ich diese Replik zu dem „Stern“-Titel der Woche zum Thema „40 Jahre alt, was kommt jetzt“ in die Tasten hub. Braucht es auch gar nicht, da mir die je nach Lesart variable Interpretierbarkeit solcher Studien durch Kenntnis der zu Grunde liegenden Methoden bewusst ist. Ob die bescheidene Argumentation der Redakteure eher auf Unwissen und mangelhafter Methodenkompetenz, oder doch auf der Notwendigkeit für ein paar Füllerseiten beruht, weiß ich nicht, aber weder das Interview mit Frau Klumm noch der Themenartikel voller Allgemeinblatz und semi-lustiger Schenkelklatscher wussten zu überzeugen und das aus mehreren Gründen.

Immer noch scheint man beim Stern nicht zu wissen, welcher Art von Tätigkeit der größte Teil der Durchschnittsverdiener in der BRD nachgehen, wie deren Lebenssituation und Blick auf die Dinge aussehen und das Karrieresorgen alles in allem hier eher eine untergeordnete Rolle spielen. Wohl denen, die sich um eine Karriere überhaupt Sorgen machen müssen. Luxusprobleme sind allerdings selten existenziell. Darüber hinaus unterstellt die Schreibe, dass man jenseits der 40 automatisch abbaut, nicht mehr vorwärts denkt, sich langsam ins Altern zurück zieht und die Dinge geschehen lässt, alles auf Konsens ausrichtet, sein Engagement einschränken muss und keine Möglichkeit zum Wachstum mehr hat. Eine recht eindimensionale Perspektive für jemanden, der vermutlich eine akademische Ausbildung genossen hat.

Nach meiner Erfahrung sind es überkommene, allerdings vielerorts immer noch gelebte soziale Rollenmodelle, die eine solche Lebenshaltung tatsächlich in Menschen entstehen lassen, doch eine Gesellschaft wie jene, in welcher wir hier leben, die sich in immer größerem Maße pluralisiert, in der Kenntnisse, Fähigkeiten, Wissen und vor allem Erfahrung eine immer größere Rolle spielen kann es sich nicht leisten, derartigem Denken und Handeln Vorschub zu leisten; es verbietet sich sogar, mit Omas Unfähigkeit zur situationsadäquaten Verhaltensadaption zu kokettieren, denn derartiger Unfug lässt Menschen tatsächlich glauben, dass es OK ist, ab 40 langsamer zu werden und sich gedanklich auf die Rente vorzubereiten.

Was für ein hanebüchener Bullshit allererster Güte! Ich kann und werde mich nicht mit der Idee anfreunden, einen nicht unerheblichen Prozentsatz des Potentials unserer GEsellschaft einfach brach liegen zu lassen, oder noch besser die Träger dieses Potentials dazu ermutigen, dies zu tun. Ich will, dass genau solche Menschen aufwachen, sie anleiten, ihre Ressourcen sinnvoll einzusetzen und zu lernen, was Nachhaltigkeit tatsächlich bedeutet – nämlich all mein Tun an der Zukunft zu orientieren, nicht nur für mich, sondern auch für die folgenden Generationen. Das funktioniert aber nicht, wenn ich ab 40 langsam aber sicher mental in Rente gehen, denn genau auf meine Generation wird es ankommen, wenn es für meine Kinder noch eine lebenswerte Zukunft geben soll.

Ich bin streitbar, lernwillig, hungrig auf Wandel und Willens, etwas dafür zu tun und ich will so einen Lückenfüllerhumbug über eine Generation, die angeblich mit dem Kopf schon halb im Altersheim ist nicht mehr lesen müssen, sonst kriege ich Plaque!

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