Gedanken im Flug…

Lebend sterben oder sterbend Leben – wo ist der Unterschied, wenn ich nichts fühle…? Ich haste vorwärts, auf der Suche, nein auf der Jagd… doch nach was? Nach Sinn vielleicht, nach Erkenntnis, oder doch nur nach einer neuen Möglichkeit die Zeit, die mir geschenkt ist sinnlos anzufüllen. Sinnvoll anzufüllen? Doch mit was? Mit Worten oder mit Taten? Mit Gedanken oder mit Aktion? Vielleicht einfach mit Nichts; was süßer sein kann als alles andere zusammen, aber einen unangenehmen Geschmack im Mund hinterlässt, metallisch wie Blut, wenn man sich auf die Zunge gebissen hat. Habe ich verschwendet? Zeit, Geld, Ressourcen nicht optimal ausgenützt? Manage ich mich als Unternehmen im Kampf gegen all die anderen Ich-Unternehmen erfolgreich genug oder wirft mein Leben doch nicht ausreichend Profit ab? Was ist der Lebensprofit überhaupt?

Ich haste weiter auf der Jagd. Stelle ich überhaupt die richtigen Fragen oder drehe ich mich nur im Kreis, drehe ich mich um mich selbst, so wie es meine Natur ist, so wie es des Menschen Natur war, seit er glaubt, das Denken gelernt zu haben; was aber nicht mehr tolerierbar ist in einer Welt, in der sich alles irgendwie um etwas dreht, aber nichts mehr bedeutet als das, was es kostet. Koste ich oder werfe ich ab – und falls ja was oder wie viel und für wen? Belaste ich, oder entlaste ich? Auf welche Art verlaste ich? Nämlich all die Fragen auf meiner Seele, auf die keine Antworten gegeben werden, es sei denn, ich suche sie selbst; in mir, in dem was ich tue, darin wie ich es tue, wen ich damit auf welche Weise berühre und was das für mich bringt oder was es mich kostet. Denke ich also überhaupt? Und falls ich es zustande bringe, komme ich damit irgendwann irgendwo an…?

Und wieder treiben mich meine Gedanken weiter, denn diese bleiben nicht stehen; sie kommen stets schneller, als meine Finger sie der Tastatur zu schenken vermögen, weitaus mächtiger, als alles, was meine dürren Worte zu vermitteln fähig sind, komplexer, lieblicher, grausamer, seltsamer, verschlungener, verstörender, verführender, immer anders und doch stets gleich, denn es sind meine Gedanken und ich kann sie teilen oder es lassen. Ganz wie es mir beliebt! Empfinde mich plötzlich als reich, denn ich bin der Herr all des Gedachten, das sie vielleicht nie erfahren können, denn ich schenke nicht alles, was mich ausmacht, nur soviel, das es eben genügt, Bilder in den anderen Köpfen ringsum entstehen zu lassen.

So lebe ich sterbend, denn mit jedem Gedanken, der mich verlässt und in der Welt sein Unheil anrichtet schenke ich einen Teil meiner Energie her und auch wenn das Feedback einen Teil dieser Kraft vielleicht recycelt – war das geäußerte nur originell genug, kann es nicht reproduziert werden und eine neue Originalität kostet neue Kraft; Ich will ich mich doch stets aufs neue selbst finden, in dem was ich denke und sage, will schaffen, will erschaffen und wieder finden, was ich beim herschenken meiner Worte zu verlieren glaube. Bin doch Narr genug, bis heute nicht verstanden zu haben, warum der Krug denn ich so gerne ausgieße sich immer aufs Neue füllt, ohne, dass ich mich dafür anstrengen muss. Bin gesegnet mit vielen Dingen, mit wundervollen Menschen um mich, und manchmal mit Inspiration und dem Wunsch diese zu teilen, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, ohne Ziel aber immer mit der Angst sie ungenutzt verglühen zu lassen, wenn ich sie nicht rechtzeitig teile.

Haste also weiter, atemlos, überwältigt von dem was mich treibt, unfähig zu begreifen warum, und ebenso chancenlos, vorher zu erfahren wohin, also lasse ich mich einfach treiben, genieße den Ritt wie eine Zugfahrt mit dem Glacier-Express, die Landschaft rauscht vorbei, zu schnell um jedes letzte Detail einsaugen zu können, aber doch langsam genug um zu begreifen, dass ich dieses Panorama nicht begreifen kann, denn was hier erschaffen wurde, ist zu gewaltig um es verstehen zu können. Bestenfalls habe ich genug Kraft es zu würdigen; also würdige ich nach Kräften, während der Sog mich fortzieht, denn das Leben ist zu kurz um es an einem Panorama zu verschwenden, wenn es doch noch so viele andere gibt, an deren Schönheit man verzweifeln möchte, weil sie einem die eigene Unzulänglichkeit, die eigene Schwäche zeigen, ohne einen bösartig zu verhöhnen. Man erkennt einfach nur eine Grenze. Es gibt so viele Grenzen, aber diese eine, die vermutlich mächtiger ist als alle anderen, die muss jeder irgendwann begreifen lernen.

Sterbe ich also tatsächlich lebend? Biologisch betrachtet jeden Tag ein bisschen, da ich das zarte Alter von 25 schon lange hinter mir gelassen habe aber das ficht mich nicht, denn noch ist der angebliche Verfall ohne Zeichen einhergegangen. Und doch kann ich nicht leugnen, dass ein Teil stirbt. Die Leichtigkeit, das unerhört freie Gefühl der Unsterblichkeit, das lässige Drauf-Scheißen, die Spontaneität; all diese sündigen Vorzüge der frühen Jugend sterben tatsächlich mit jedem Tag ein bisschen, weil mit jedem Tag das Leben ein winziges Mehr an Verantwortung, an Notwendigkeit, an Kompromissbereitschaft injiziert. Ohne, dass man es fühlen kann. Und plötzlich ist sie da, die Ohnmacht, wenn man begreift, dass man etwas verloren hat, von dem man sich immer geschworen hat, es stets im Herzen festzuhalten.

Es drückt, es würgt mich, wirft mich nieder, lässt mich entsetzt, atemlos und zugleich vollkommen leer zurück. Narretei! Vergiss die Freiheit, denn du bist ein Rädchen im Getriebe der Welt und ohne diese Rädchen gibt’s auch die Welt, in der du es dir so schön eingereichtet hast nicht mehr. Höhnisch klingt die Stimme der Ratio in meinem Schädel, verlacht mich ob meinem kindischen Wunsch nach mehr Freiheit, nach frischem Geist, nach all dem, was ich mir verloren glaube. Ich will schreien, will aus dem grauenhaften Alptraum erwachen, will fort, will nicht mehr sterbend leben – doch plötzlich fühle ich!

Ich entdecke nun, dass der Funke nicht fort ist, ich habe ihn nur unter dem Gebirge der Verpflichtungen verkramt, auf dem Schreibtisch meiner Seele unter den ganzen Rechnungen gestorbener Träume und enttäuschter Hoffnungen vergessen. Doch er glimmt nicht nur, er strahlt, hat kaum an Kraft und Glanz verloren. Plötzlich wird die Hast zur Ruhe, die Rastlosigkeit zur Gewissheit. Begreife plötzlich, woher die Kraft kommt, die gerne hergeschenkte und darob niemals verschleuderte. Weis, was mich treibt, was mich hetzt, was mich nicht stillstehen lässt. Und plötzlich ist egal, ob ich lebend sterbe oder sterbend lebe, denn ich fühle – fühle die unbändige Lust, auf’s neue Bilder in die Köpfe der Menschen zu schicken. Bilder, die – so hoffe ich – Kraft in sich tragen und vielleicht den einen oder anderen dazu bringen, nach seinem eigenen Funken zu suchen. Denn er ist ganz sicher da … und wartet nur darauf, wieder gefunden zu werden.

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