Es ist wahnsinnig schwierig herauszufinden, was man mit seinem Leben anstellen möchte. Ich meine, man absolviert die Schule, man rauft sich dort mit Menschen zusammen, die einen über mehrere Jahre als Konstante begleiten, einen auch mit sozialisieren. Man schließt Freund- und Feindschaften, findet langsam heraus, wie die Welt, zumindest im Kleinen funktioniert; und kaum, dass man sich angekommen wähnt und überdies so halbwegs erwachsen, kriegt man einen Tritt in den Arsch und soll genau das sein: erwachen. Und am besten auch genauso handeln. Was bedeutet, dass man einen Plan braucht, was als nächstes geschehen soll. Man wurde ja schließlich bis zu 13 lange Jahre mit durchgefüttert und auf Brauchbarkeit für den Verwertungsorientierten Teil des Schulsystems gedrillt. Denn nicht für die Schule, sondern für das (Erwerbs)Leben lernen wir…
Da stehen die jungen Menschen nun und sollen auf Anhieb wissen, wie ihr Lebensplan aussieht. Damit sie wenigstens eine Chance bekommen, ihre Nützlichkeit für die Gesellschaft zu beweisen, dürfen sie ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) ableisten. Was bedeutet, dass sie mit einer Minimal-Ausbildung irgendeine, zumeist einfache Tätigkeit im Gesundheitswesen ausüben und dabei einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zumindest teilweise einsparen. Das mit der Chance zur beruflichen Orientierung und zur Charakterentwicklung ist – meine bisherigen Arbeitgeber mögen mir dies bitte verzeihen – Augenwischerei. Es geht in allererster Linie um’s Geldsparen.
Natürlich sammeln die jungen Menschen die eine oder andere, prägende Erfahrung, doch die Art, wie sie diese in ihr sonstiges Wissen und Tun integrieren, hängt sehr vom Ausgangs-Charakter ab. Aus einem arroganten Arschloch wird keine Altruismus-Koryphäe, nur weil er/sie ein FSJ absolviert. Diesen Effekt könnte ich nur mit höherer Wahrscheinlichkeit erzielen, wenn ich mehr in deren Ausbildung investieren würde. Doch dann wäre ihre FSJ-Ableistung nicht mehr wirtschaftlich produktiv. Und was sich nicht rechnet, findet heutzutage nur noch selten statt.
Würde ich jedoch meinen Auftrag als Arbeitgeber eines freiwilligen sozialen Jahres ernst nehmen, dürfte der Gott unserer Modernen Welt – vulgo Mammon – hier kein entscheidendes Kriterium sein. Wenn ich junge Menschen auch im, zumeist ersten Berufsumfeld, dem Humboldt’schen Ideal folgend ganzheitlich bilden möchte, darf deren Arbeitsproduktivität nicht mein primäres Movens sein. Denn ansonsten darf ich mich hinterher nicht wundern, wenn sie zwar funktionieren, ihnen gesellschaftliche Teilhabe auf allen Ebenen aber schnurz bleibt und sie demzufolge irgendwann, im Verkennen sozialer und gesellschaftlicher Realitäten, zu den nächsten AfD-Wählern werden. Oder – in meinem Metier – zu arroganten Notärzten.
Daraus folgt für mich, dass meine Bemühungen in der Ausbildung der von FSJlern in eine andere Richtung gehen müssen, als die derzeitige betriebliche Linie dies vorgibt. Freunde der Nacht, das wird nicht einfach, denn momentan – oh Wunder – spielen natürlich Verwertungsinteressen die erste Geige. Ich bin gespannt, ob meine Argumente Gehör finden.